Meine Woche

Gesehen: Tolkien (2019) von Dome Karukoski mit Nicholas Hoult und Lily Collins. Interessantes BioPic über einen Autor über den ich bislang erstaunlich wenig wusste.

The Hobbit: The Desolation of Smaug (2013) von Peter Jackson mit Ian McKellen und Martin Freeman. Da ich gerade das Hörbuch am Start hatte, habe ich mich an die Verfilmung gewagt. Allerdings nur den 2. Teil, denn aus einem Kinderbuch von etwa 360 Seiten eine Trilogie zu machen ist schon dämlich genug und dann ist sie nicht mal sonderlich gut. Der zweite Teil ist ok.

Old (2021) von M. Night Shyamalan mit Gael García Bernal und Vicky Krieps. Eine Familie, die in den Tropen Urlaub macht, stellt fest, dass der abgelegene Strand, an dem sie sich aufhält, sie auf irgendeine Weise schnell altern lässt und ihr ganzes Leben auf einen einzigen Tag reduziert. Interessantes Gedankenspiel mit Horror-Elementen. Hat mir gefallen.

Gehört: A Child’s Question – PJ Harvey, Melting Ice – God is an Astronaut & Jo Quail, Hinterland – Electronic Death Black Dogs, The Great Star above provides – Solar Temple, Night Flight – Veryan & The Lonely Bell, Swim Back – Daughter

Gelesen: Carlo Masala über eine woke, diverse, wehrhafte Bundeswehr, Wie Bankenkrisen entstehen einfach erklärt, What Young Workers Miss Without the ‘Power of Proximity’, Yuval Noah Harari argues that AI has hacked the operating system of human civilisation

Getan: an der Organisationsstruktur gebastelt und unfassbar viele Gespräche geführt, zum Markt spaziert, im Buchladen viel zu viele Bücher gekauft, mit lieben Freundinnen getroffen und heute abend geht es ins Theater (Dschinns von Fatma Aydemir)

Gefreut: über das Jobangebot für eine Freundin

Geärgert: nein

Geweint: nein

Gegessen: Gefüllte Zucchinis und selbstgebackenes Brot

Getrunken: Milch

Geklickt: 40 legendary female artists — and the younger women who remind them why they make art

Gestaunt: Plastic-Devouring Fungi Boost Hope for Tackling Global Litter

Gelacht: über die Kein Titel Hasen

Gewünscht: dieses Bett, dieses Haus, dieses Outfit

Gefunden: nix

Gekauft: viel zu viele Bücher

Gedacht: Science is not a collection of truths. It is a continuing exploration of mysteries.
— Freeman Dyson

Ellbogen – Fatma Aydemir

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Ellbogen ist ein heftiges Buch, es haut direkt in die Magengrube und wenn man es zuklappt, nachdem man atemlos durchgerauscht ist, dann ist man erst mal fertig. Ich war es zumindest. Es ist ein anstrengendes Buch mit einer kratzigen Protagonistin, die es ihren Lesern nicht einfach macht, sie zu mögen, vielleicht auch, weil sie sich selbst nicht einmal mag.

Klar hat man schon tausendfach gelesen von den verlorenen Generationen, die nie als „richtig deutsch“ angesehen werden, auch wenn sie hier geboren sind, im Gegenzug jedoch für ihre Bekannten und Verwandten im Heimatland der Eltern wiederum einfach nicht als echte Türken etc. gesehen werden. Egal wie viele Artikel ich dazu in der Zeitung gelesen habe, die ganze Problematik wurde mir deutlich bewusster durch den Roman.

Heftig wie viele Hazals da draußen sind, verloren zwischen den Kulturen und ohne große Chance, es in Deutschland zu etwas zu bringen, wirklich dazu zu gehören und teilhaben zu können am gesellschaftlichen Miteinander.

Tagsüber steckt Hazal in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme ohne große Aussicht, damit wirklich Chance auf einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Bewerbungen schreibt sie am Fließband, aber außer dem Aushilfsjob in der Bäckerei ihres Onkels ist nichts in Aussicht. In ihrem Zuhause geht es eher lieblos zu, viel zu sagen haben sich weder die Eltern noch ihr Bruder, das wichtigste ist ein braves Mädchen zu sein und zu gehorchen, alles andere ist egal.

„Es geht nur darum, den anderen überzeugende Lügen zu erzählen und sich nicht erwischen zu lassen. So funktioniert Familie. Immer sachlich bleiben.“

„Er würde mich ständig damit erpressen, es meinen Eltern zu erzählen. Aber würde er es ihnen denn wirklich erzählen? Schwer zu sagen. Über die Wahrscheinlichkeit habe ich mir nicht so richtig Gedanken gemacht. Die dürfen das nicht wissen und Ende. Der Scheiß läuft doch automatisch im Kopf.“

„Ich meine, das erste, was ich nach dem Sprechen gelernt habe, war das Lügen. „Du darfst deinem Vater nicht immer alles erzählen“, hat mir Mama gesagt, an dem Tag, an dem sie mir das einzige Mal einen Heliumluftballon gekauft hat.“

Das funktioniert anscheinend tatsächlich so. Das habe ich oft bei Freunden aus muslimischen Familien erlebt, diese Parallel-Wirklichkeiten, die sie sich oft gezwungen sehen, aufzubauen. In dem den älteren in der Familie Version A vorgelebt wird, den Geschwistern oder Cousins die etwas liberaler sind Version B und für Freunde etc. gibt es oft noch eine dritte Variante. Das muss so anstregend sein und die dürfen sich auf keinen Fall überschneiden die verschiedenen Parallelen sonst könnte alles auseinander fliegen.

Den Wendepunkt nimmt die Geschichte als Hazal mit ihren Freundinnen aufgebretzelt und gut angeschickert an der Tür vom Berghain abgewiesen werden und der Kumpel, der nicht wie erhofft seinen Einfluss spielen lässt, damit sie reinkommen, sondern der sie als Schlampen bezeichnet und nach Hause beordert. Das sind die berühmten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen.

Der Abend, auf den sie so hingefiebert hatten, wo sie den 18. Geburtstag Hazals feiern wollten, die soviel auf sich nimmt, um so etwas eigentlich normales wie Tanzen gehen und bei Freundinnen übernachten hinzubekommen. Denn sowas kommt in der elterlichen Welt der Deutsch-Türkin nicht vor. Sie lügt, besorgt Geld für Eintritt und Getränke, nimmt so viel auf sich, um sich diesen ersehnten Abend zu ermöglichen und dann kommen sie nicht rein.

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Diese eine Abweisung zuviel führt aus heiterem Himmel aus einer zufälligen Begegnung an der S-Bahn zu einer Gewaltorgie, die mit dem Tod eines Studenten und mit Hazals Flucht nach Istanbul vor Polizei und den Folgen ihrer Tat endet.

„Jungfrauen benutzen keine Tampons, das weiß jeder, und bei Tante Semra liegen sie von Zeit zu Zeit einfach so auf dem Esstisch, nicht in einer Schachtel, sondern offen, einzeln, Stück für Stück, wie auf einem Präsentierteller, wie weiße Patronen, die nur darauf warten, abgeschossen zu werden.“

„Aber gegen Oma kann sie nichts sagen. Denn mit dem Häuptling fickt man nicht. Und vor allem nicht, wenn man vorhat, selbst irgendwann Häuptling zu werden“

Am ersten Buchmesse-Abend in Leipzig hatte ich die Gelegenheit, in kleiner Runde mit der Autorin über ihr Buch zu sprechen und Fatma Aydemir schilderte dort, wie ihr der Gedanke zum Buch gekommen sei, als sie über sinnlose, urplötzlich auftretende Gewaltorgien von Jugendlichen gelesen hat und sich mit der Frage beschäftigte, wie es dazu kommen kann und wie sich das Ganze entwickelt, wenn es sich bei den Tätern um Mädchen handelt.

Hazal ist nicht immer rational zu verstehen, aber man fühlt einfach mit ihr. Man spürt ihre Aggression, ihre Verletzlichkeit, ihren Humor und ihre Intelligenz. Das Ende des Buches wird von der Wirklichkeit eingeholt mit dem Putschversuch in der Türkei 2016 und erscheint fast schon hellsichtig.

Das Buch ist heftig, trotzdem habe ich stellenweise laut gelacht. Die Kritiken in der Presse waren gemischt, in der Bloggerwelt wurde es rege und überwiegend positiv besprochen. Weitere Rezensionen findet ihr hier und hier.

Mich hat „Ellbogen“ an „Tigermilch“ von Stefanie de Velasco erinnert, beides Coming-of-Age Romane, die ich sehr gerne gelesen habe.