Die fette Erkältung, die mich kürzlich lahmlegte, führte dazu, dass ich eine ganze Reihe dünner Bücher aus dem Regal holte. Ich mag das Gefühl nicht, den ganzen Tag nix zu schaffen und ein Buch durchzulesen gibt einem zu mindest ein Minimum an „erledigt“ am Tag, wenn man auch sonst nur wenig von der To Do Liste abgearbeitet bekommt.
Ob das Gefühl des immer „beschäftigt sein müssens, um sich nützlich zu fühlen“ so das Vernünftigste ist, steht auf einem anderen Blatt – auf jeden Fall habe ich mich in letzter Zeit durch eine Reihe dünnerer Bände gefräst. Hier der erste Teil derer, die ich zu den schmalen Schönheiten zähle, davon wird es sogar noch einen zweiten Teil geben. Es gab aber auch wieder Futter für die Rubrik „Connection with Reader could not be established“ – die kommen aber demnächst separat. Hier jetzt erst einmal zu denen, die ich eher zu den Schönheiten zählen würde.
Den Anfang macht „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ – Peter Stamm

Vom Titel her hätte das auch ein Kettcar Album sein können, ich bin zumindest entsprechend darauf angesprungen. Die schönste Kurzzusammenfassung las ich in der Zeit, die dazu schrieb: „In seinem Roman „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ erzählt Peter Stamm erneut, wie Literatur so lange ins Leben eingreift, bis Realität und Fiktion verschmelzen.“
Bäm – genau so. Die Idee des Buches fand ich genial, die Umsetzung war nicht perfekt. Die Figuren haben mich überraschenderweise seltsam kalt gelassen und so schön ich auch den einen oder anderen Satz fand und ihn herausgeschrieben habe, ich fürchte das ist – trotz aller definitiv vorhandener Schönheit – ein Buch an das ich mich bald nicht mehr wirklich erinnern kann.
Christoph und Chris, Magdalena und Lena – zwei Paare in Dopplung, das jeweilige Paar mit seinem Gegenbild. Der heutige Christoph trifft sein jüngeres Ich sowie die Partnerin seines früheren Ichs und die Frage ist, könnte man sein eigenes Leben mit dem Wissen von heute rückwirkend in andere Bahnen lenken?
Ein Buch, das einen definitiv zum Nachdenken bringt, wunderschön erzählt wird, nur die Nachhaltigkeit der Geschichte, die stelle ich ein wenig in Frage. Trotzdem zähle ich das Buch definitiv zu den schmalen Schönheiten, ich habe es mit großem Genuß gelesen und wieviel ich davon in ein paar Monaten tatsächlich noch weiß, das werde ich ja sehen.
„Ich denke an mein Leben, das noch gar nicht stattgefunden hat, unscharfe Bilder, Figuren im Gegenlicht, entfernte Stimmen. Seltsam ist, dass mir diese Vorstellung schon damals nicht traurig vorkam, sondern angemessen und von einer klaren Schönheit und Richtigkeit wie dieser Wintermorgen vor langer Zeit.“
„Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ – Ernest van der Kwast

Vor einer ganzen Weile sahen wir in einem Restaurant einen mega-schicken Herrn – sehr extravagant und cool gekleidet, der gleichzeitig intellektuell, cool und lässig wirkte, allein an einem Tisch sitzen und lesen. Wir waren beide so fasziniert von seiner Ausstrahlung, das wir unbedingt wissen wollten, was er wohl liest. Es war Ernest van der Kwasts Buch und es hat uns umgehend in den Buchladen geführt, wo wir das Buch suchten und kauften, er hatte uns wirklich neugierig gemacht 😉
Ist das schon Leser-Stalking? Auf jeden Fall habe auch ich jetzt endlich geschafft, mich dem dünnen Büchlein zu widmen. Ich bin jetzt nicht so der Liebesgeschichten-Typ, aber es wirkte spannend, der interessante Typ hat es gelesen, die Bingereader-Gattin war sehr angetan davon und ganz ehrlich – bislang hab ich noch kein wirklich schlechtes Buch aus dem Mare-Verlag gelesen. Keine Ahnung, warum es dennoch einige Zeit dauerte, bis ich mich endlich daran machte, mich in „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ ins Italien der Nachkriegszeit zu begeben.
Die beiden Brüder Ezio und Alberto liegen im Nachkriegssommer am Meer und beobachten Mädchen, als die 20jährige Giovanna Berlucci eines Tages in einem Zweiteiler – dem ersten Bikini – aus dem Meer steigt. Ezio verliebt sich auf der Stelle und Hals über Kopf in das junge Mädchen und es gelingt ihm auch, für kurze Zeit ihr Herz zu erobern.
„Dann kam die Sehnsucht. Die Sehnsucht, die allmählich wächst, wenn sie nicht gestillt wird, die immer stärker wird, solange Fragen bleiben. Die Sehnsucht, die endlich aus dem tiefen Brunnen der Vergangenheit emporgestiegen war.“
Nach nur kurzer Partnerschaft und im Rausch der ersten Liebe macht Ezio ihr einen Heiratsantrag, doch Giovanna liebt nicht nur das Meer, sondern auch ihre Freiheit und ohne zu antworten läuft sie aufs Meer zu und verschwindet in den Fluten. Ezio kann mit dieser Schmach nicht leben, er flieht nach Südtirol, wird Apfelpflücker und tut alles, um Giovanna zu vergessen, doch nach 60 Jahren bekommt er auf einmal einen Brief von Giovanna …
„Die schöne Schrift“ – Rafael Chirbes

Das Buch habe ich meinem Bruder irgendwann mal aus dem Regal gemopst und wenn ich recht drüber nachdenke, das nächste auch (und noch nicht wieder zurückgegeben – uiuiiiiuiiii….)
Ich habe das Buch direkt nach den „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ gelesen und der verrückte Effekt war, dass ich die ganze Zeit beim Lesen das Gefühl hatte, die „Fünf Viertelstunden“ noch einmal zu lesen nur dieses Mal aus Giovannas Sicht, was ihr in diesen sechs Jahrzehnten so passiert ist.
Ist natürlich Quatsch, das Buch hat damit überhaupt nix zu tun, dennoch fiel es mir regelrecht schwer, mir immer wieder beim Lesen vor Augen zu halten, dass das hier ein komplett anderes Buch ist und die Lebensgeschichte einer ganz anderen Frau erzählt.
Eine einfach ältere Dame erzählt ihrem erwachsenen Sohn in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von ihrem bewegten Leben, von ihren seltenen Momenten des Glücks und den häufigeren Augenblicken des Schmerzes, der Sorge, der Liebe und der Verletzungen. Die Familie hielt zusammen während der Zeit des spanischen Bürgerkrieges und den Jahren danach, doch dieser Familienzusammenhalt brach zusammen durch die Heirat ihres Sohnes mit einer überaus hübschen und ehrgeizigen Frau. Ihr wird klar wie sehr sie sich auch von ihrem eigenen Sohn entfernt hat, denn sonst würde er sie nicht aus ihrem eigenen Haus vertreiben, um an desssen Stelle ein lukratives Mietshaus zu errichten. Die Protagonistin Ana erklärt nicht nur ihrem Sohn, sondern vielmehr sich selbst, warum ihr Leben verlaufen ist, wie es verlaufen ist und was das alles für sie bedeutet.
Ein Rückblick auf ein schweres Leben voller Entbehrungen.
Ich mochte Chirbes kargen, prägnanten Schreibstil sehr, der mit sparsamen Worten so viel mehr erzählt als andere auf hunderten von Seiten. Eindrucksvoll und ganz ohne Pathos.
Air Mail – Jeffrey Eugenides

Eugenides ist nicht nur auf der Langstrecke klasse, er überzeugt mich definitiv auch auf der Sprint-Strecke. Drei Kurzgeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In der ersten treffen wir auf Mitchell, der in Thailand aufgrund eines heftigen Magen-Darm-Virus mit entsprechender Diarrhö zu fasten beginnt. Dieses Fasten in einem thailändischen Backpacker-Camp nimmt immer extremere Ausmaße an wird fast zum esoterischen Spiel um Leben und Tod. Die Grenzen zwischen der realen und der spirituellen Welt zerfließen immer mehr, bis sie für Mitchell irgendwann nicht mehr wirklich von einander zu unterscheiden sind…
In der zweiten Geschichte sucht eine verzweifelte Frau mehr oder weniger nach einem Begatter, von dem sie auf einer Party ganz zwanglos etwas Samen abzapfen kann. „Bratenspritze“ ist wunderbar ironisch und vielleicht hat fast jeder von uns eine Tomasina im Bekanntenkreis, die man sich nur zu gut mit der Bratenspritze vorstellen kann.
Auf der Party erhält sie wie gewünscht den Samen, aber da ist auch Wally, der etwas klein geratene Geschäftsmann, mit dem sie vor Jahren mal zusammen war und der sie irgendwie immer noch liebt …
In der letzten Geschichte geht es um den Sohn wohlhabender Eltern, die ihr gesamtes Vermögen in eine abgewirtschaftete Hotelanlage gesteckt haben und die der Vater verzweifelt versucht, zu renovieren. So marode wie die Hotelanlage ist, ist auch die Gesundheit der Eltern und der Sohn wird sich bewusst, dass auch er irgendwann einmal seinen eigenen Wunschbildern zum Opfer fallen wird.
Kurzgeschichten auf höchstem Niveau, rasant erzählt mit spannenden Wendungen.
Hier noch mal im Überblick:
- „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ – Peter Stamm erschienen im S. Fischer Verlag (ich danke für das Rezensionsexemplar)
- „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ – Ernest van der Kwast erschienen im Mare Verlag
- „Die schöne Schrift“ – Rafael Chirbes erschienen im Kunstmann Verlag
- „Air Mail“ – Jeffrey Eugenides erschienen in der Büchergilde Gutenberg
Welche Bücher für ein zwar schnelles aber dennoch tiefgründigen „Quickie“ könnt ihr empfehlen?








In der Serie geht es Sarah Manning, eine Frau, die die Identität ihres Klons Elizabeth Childs annimmt, nachdem sie deren Selbstmord beobachet hat. Die Schauspielerin Tatiana Maslany spielt in der Serie eine Vielzahl an Menschen, die Klone sind. Im Laufe der Serie stellt sich heraus, dass in geheimen medizinische Versuchsreihen das Klonen von Menschen gelungen war und die Klone sich nach und nach ihrer wahren Identität bewusst werden. Die Serie wirft Fragen auf, die sich um die Themen Moral, die ethischen Implikationen menschlichen Klonens und den Effekt dessen auf die persönliche Identität drehen. Was kann und darf Wissenschaft? Darf man menschliches Erbgut patentieren lassen? Hier ein TED Talk zu diesem Thema, der unter anderem zeigt, wie wichtig die Wissenschaft für die Macher von Orphan Black ist:
Herwig war auch an einem Buch beteiligt, mit dem Titel „The Science of Orphan Black“, das sich mit sämtlichen Fragen rund um Genetik, Eugenetik, Cloning etc. in der Serie beschäftigte und zeigt, wie die wissenschaftlichen Aspekte tatsächlich sind und wo es in der Serie gelegentliche notwendige dramaturgische Abweichungen gab. Das Buch ist sicherlich kein Ersatz für „richtige“ wissenschaftliche Bücher zu den Themen, aber ich bin einfach begeistert davon, wie sehr ein Serien-Begleitbuch Wert auf wissenschaftliche Genauigkeit legt und zugleich Lust auf Wissenschaft macht. Davon bitte unbedingt mehr. Ein weiteres Begleitbuch zur Serie hat sich mit den philosophischen Fragen hinter der Serie beschäftigt. Richard Greene ist Professor für Philosophie an der Weber State University und beschäftigt sich mit den Fragen „Was macht eine Person einzigartig?“, „Ist es unmoralisch, Klone vorsätzlich mit Gen-Defekten zu erschaffen?“, „Was sagt uns das Verhalten der Clone Club Mitglieder mit Blick auf die Nature vs Nature Debatte?“ und viele weitere spannende Themen.
Orphan Black zeigt uns Probleme der Biotechnolgoie, die in nicht allzu ferner Zukunft unsere tagtäglichen Fragestellungen sein könnten. Was für eine Zukunft ist das, in der wir – wie wir es jetzt bereits ansatzweise mit Crispr-Cas9 erleben – in der Lage sein werden, unser Genom zu editieren? Wie werden wir künftig mit wissenschaftlich-religiösen Kults wie Neolution oder den Prolethians umgehen? Sollte es Biotech Firmen erlaubt sein, die menschliche DNA zu patentieren und welcher Moral werden wir folgen, wenn wir vielleicht irgendwann nicht einmal der Polizei mehr trauen können? Der New Yorker hat sich schon früh positiv mit der Serie beschäftigt und blickt in 
Aldous Huxleys 1932 erschienener weltberühmter Roman „Brave New World“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Serie. Der Roman antizipiert Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin und deren ethischer Implikationen mit Blick auf menschliches Klonen. Die Serie verneigt sich vor Huxley, in dem sie dem intriganten Wissenschaftler Aldous Leekie seinen Vornamen verpasst, der Nachname könnte eine Referenz auf den Anthropologen Louis Leakey sein, auch wenn der sich etwas anders buchstabiert.
Zudem hat Huxley ein Gedicht mit dem Titel „Leda“ veröffentlicht, das Bezug nimmt auf die griechische Mythologie und von der Liebesaffaire zwischen der Königin Leda, der Mutter von Helena von Troy und ihrem Schwan, bei dem es sich um den verkleideten Zeus handelt. Leda bringt später zwei Eier zur Welt, aus dem einen schlüpft ein paar menschlicher sterblicher Zwillinge, aus dem anderen Ei ein paar göttliche Zwillinge mit übermenschlichen Kräften. Das zweite Projekt „Castor“ diente der Schaffung einer männlichen Klonreihe, Castor ist der Name eines der menschlichen Zwillinge, die Leda auf die Welt bringt.





















