Schmale Schönheiten I

Die fette Erkältung, die mich kürzlich lahmlegte, führte dazu, dass ich eine ganze Reihe dünner Bücher aus dem Regal holte. Ich mag das Gefühl nicht, den ganzen Tag nix zu schaffen und ein Buch durchzulesen gibt einem zu mindest ein Minimum an „erledigt“ am Tag, wenn man auch sonst nur wenig von der To Do Liste abgearbeitet bekommt.

Ob das Gefühl des immer „beschäftigt sein müssens, um sich nützlich zu fühlen“ so das Vernünftigste ist, steht auf einem anderen Blatt – auf jeden Fall habe ich mich in letzter Zeit durch eine Reihe dünnerer Bände gefräst. Hier der erste Teil derer, die ich zu den schmalen Schönheiten zähle, davon wird es sogar noch einen zweiten Teil geben. Es gab aber auch wieder Futter für die Rubrik „Connection with Reader could not be established“ – die kommen aber demnächst separat. Hier jetzt erst einmal zu denen, die ich eher zu den Schönheiten zählen würde.

Den Anfang macht „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ – Peter Stamm

Stamm

Vom Titel her hätte das auch ein Kettcar Album sein können, ich bin zumindest entsprechend darauf angesprungen. Die schönste Kurzzusammenfassung las ich in der Zeit, die dazu schrieb: „In seinem Roman „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“ erzählt Peter Stamm erneut, wie Literatur so lange ins Leben eingreift, bis Realität und Fiktion verschmelzen.“

Bäm – genau so. Die Idee des Buches fand ich genial, die Umsetzung war nicht perfekt. Die Figuren haben mich überraschenderweise seltsam kalt gelassen und so schön ich auch den einen oder anderen Satz fand und ihn herausgeschrieben habe, ich fürchte das ist – trotz aller definitiv vorhandener Schönheit – ein Buch an das ich mich bald nicht mehr wirklich erinnern kann.

Christoph und Chris, Magdalena und Lena – zwei Paare in Dopplung, das jeweilige Paar mit seinem Gegenbild. Der heutige Christoph trifft sein jüngeres Ich sowie die Partnerin seines früheren Ichs und die Frage ist, könnte man sein eigenes Leben mit dem Wissen von heute rückwirkend in andere Bahnen lenken?

Ein Buch, das einen definitiv zum Nachdenken bringt, wunderschön erzählt wird, nur die Nachhaltigkeit der Geschichte, die stelle ich ein wenig in Frage. Trotzdem zähle ich das Buch definitiv zu den schmalen Schönheiten, ich habe es mit großem Genuß gelesen und wieviel ich davon in ein paar Monaten tatsächlich noch weiß, das werde ich ja sehen.

„Ich denke an mein Leben, das noch gar nicht stattgefunden hat, unscharfe Bilder, Figuren im Gegenlicht, entfernte Stimmen. Seltsam ist, dass mir diese Vorstellung schon damals nicht traurig vorkam, sondern angemessen und von einer klaren Schönheit und Richtigkeit wie dieser Wintermorgen vor langer Zeit.“

„Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ – Ernest van der Kwast

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Vor einer ganzen Weile sahen wir in einem Restaurant einen mega-schicken Herrn – sehr extravagant und cool gekleidet, der gleichzeitig intellektuell, cool und lässig wirkte, allein an einem Tisch sitzen und lesen. Wir waren beide so fasziniert von seiner Ausstrahlung, das wir unbedingt wissen wollten, was er wohl liest. Es war Ernest van der Kwasts Buch und es hat uns umgehend in den Buchladen geführt, wo wir das Buch suchten und kauften, er hatte uns wirklich neugierig gemacht 😉

Ist das schon Leser-Stalking? Auf jeden Fall habe auch ich jetzt endlich geschafft, mich dem dünnen Büchlein zu widmen. Ich bin jetzt nicht so der Liebesgeschichten-Typ, aber es wirkte spannend, der interessante Typ hat es gelesen, die Bingereader-Gattin war sehr angetan davon und ganz ehrlich – bislang hab ich noch kein wirklich schlechtes Buch aus dem Mare-Verlag gelesen. Keine Ahnung, warum es dennoch einige Zeit dauerte, bis ich mich endlich daran machte, mich in „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ ins Italien der Nachkriegszeit zu begeben.

Die beiden Brüder Ezio und Alberto liegen im Nachkriegssommer am Meer und beobachten Mädchen, als die 20jährige Giovanna Berlucci eines Tages in einem Zweiteiler – dem ersten Bikini – aus dem Meer steigt. Ezio verliebt sich auf der Stelle und Hals über Kopf in das junge Mädchen und es gelingt ihm auch, für kurze Zeit ihr Herz zu erobern.

„Dann kam die Sehnsucht. Die Sehnsucht, die allmählich wächst, wenn sie nicht gestillt wird, die immer stärker wird, solange Fragen bleiben. Die Sehnsucht, die endlich aus dem tiefen Brunnen der Vergangenheit emporgestiegen war.“

Nach nur kurzer Partnerschaft und im Rausch der ersten Liebe macht Ezio ihr einen Heiratsantrag, doch Giovanna liebt nicht nur das Meer, sondern auch ihre Freiheit und ohne zu antworten läuft sie aufs Meer zu und verschwindet in den Fluten. Ezio kann mit dieser Schmach nicht leben, er flieht nach Südtirol, wird Apfelpflücker und tut alles, um Giovanna zu vergessen, doch nach 60 Jahren bekommt er auf einmal einen Brief von Giovanna …

„Die schöne Schrift“ – Rafael Chirbes

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Das Buch habe ich meinem Bruder irgendwann mal aus dem Regal gemopst und wenn ich recht drüber nachdenke, das nächste auch (und noch nicht wieder zurückgegeben – uiuiiiiuiiii….)

Ich habe das Buch direkt nach den „Fünf Viertelstunden bis zum Meer“ gelesen und der verrückte Effekt war, dass ich die ganze Zeit beim Lesen das Gefühl hatte, die „Fünf Viertelstunden“ noch einmal zu lesen nur dieses Mal aus Giovannas Sicht, was ihr in diesen sechs Jahrzehnten so passiert ist.

Ist natürlich Quatsch, das Buch hat damit überhaupt nix zu tun, dennoch fiel es mir regelrecht schwer, mir immer wieder beim Lesen vor Augen zu halten, dass das hier ein komplett anderes Buch ist und die Lebensgeschichte einer ganz anderen Frau erzählt.

Eine einfach ältere Dame erzählt ihrem erwachsenen Sohn in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von ihrem bewegten Leben, von ihren seltenen Momenten des Glücks und den häufigeren Augenblicken des Schmerzes, der Sorge, der Liebe und der Verletzungen. Die Familie hielt zusammen während der Zeit des spanischen Bürgerkrieges und den Jahren danach, doch dieser Familienzusammenhalt brach zusammen durch die Heirat ihres Sohnes mit einer überaus hübschen und ehrgeizigen Frau. Ihr wird klar wie sehr sie sich auch von ihrem eigenen Sohn entfernt hat, denn sonst würde er sie nicht aus ihrem eigenen Haus vertreiben, um an desssen Stelle ein lukratives Mietshaus zu errichten. Die Protagonistin Ana erklärt nicht nur ihrem Sohn, sondern vielmehr sich selbst, warum ihr Leben verlaufen ist, wie es verlaufen ist und was das alles für sie bedeutet.

Ein Rückblick auf ein schweres Leben voller Entbehrungen.

Ich mochte Chirbes kargen, prägnanten Schreibstil sehr, der mit sparsamen Worten so viel mehr erzählt als andere auf hunderten von Seiten. Eindrucksvoll und ganz ohne Pathos.

Air Mail – Jeffrey Eugenides

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Eugenides ist nicht nur auf der Langstrecke klasse, er überzeugt mich definitiv auch auf der Sprint-Strecke. Drei Kurzgeschichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In der ersten treffen wir auf Mitchell, der in Thailand aufgrund eines heftigen Magen-Darm-Virus mit entsprechender Diarrhö zu fasten beginnt. Dieses Fasten in einem thailändischen Backpacker-Camp nimmt immer extremere Ausmaße an wird fast zum esoterischen Spiel um Leben und Tod. Die Grenzen zwischen der realen und der spirituellen Welt zerfließen immer mehr, bis sie für Mitchell irgendwann nicht mehr wirklich von einander zu unterscheiden sind…

In der zweiten Geschichte sucht eine verzweifelte Frau mehr oder weniger nach einem Begatter, von dem sie auf einer Party ganz zwanglos etwas Samen abzapfen kann. „Bratenspritze“ ist wunderbar ironisch und vielleicht hat fast jeder von uns eine Tomasina im Bekanntenkreis, die man sich nur zu gut mit der Bratenspritze vorstellen kann.

Auf der Party erhält sie wie gewünscht den Samen, aber da ist auch Wally, der etwas klein geratene Geschäftsmann, mit dem sie vor Jahren mal zusammen war und der sie irgendwie immer noch liebt …

In der letzten Geschichte geht es um den Sohn wohlhabender Eltern, die ihr gesamtes Vermögen in eine abgewirtschaftete Hotelanlage gesteckt haben und die der Vater verzweifelt versucht, zu renovieren. So marode wie die Hotelanlage ist, ist auch die Gesundheit der Eltern und der Sohn wird sich bewusst, dass auch er irgendwann einmal seinen eigenen Wunschbildern zum Opfer fallen wird.

Kurzgeschichten auf höchstem Niveau, rasant erzählt mit spannenden Wendungen.

Hier noch mal im Überblick:

Welche Bücher für ein zwar schnelles aber dennoch tiefgründigen „Quickie“ könnt ihr empfehlen?

Düstere Schönheit

 


Veronique Olmi – Meeresrand

Dieses Buch war ein Zufallskauf der Büchergilde und ich wollte eigentlich nur mal kurz reinblättern und schon mit dem ersten Satz „Wir fuhren mit dem Bus, dem letzten Bus am Abend, damit uns niemand sah“ hing ich in der Geschichte fest und konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis ich irgendwann wie aus einem düsteren Traum ziemlich verstört die letzte Seite umblätterte und mich erst einmal auf dem Balkon kurz durchpusten lassen musste.

Das hier ist harter Tobak, aber so unglaublich gut geschrieben, auch wenn man beim Lesen manchmal fast Beklemmungen verspürt. Eine alleinerziehende Mutter und ihre zwei Söhne, die eine Reise ans Meer unternehmen vom letzten bisschen Geld, das überhaupt noch vorhanden ist, damit die beiden wenigstens einmal das Meer gesehen haben. Von Anfang an spürt man, dass etwas nicht ganz in Ordnung ist. Die Mutter entgleitet, fällt schon seit einer Weile immer mehr aus der „Normalität“ heraus. Vage Andeutungen auf ihre Vorgeschichte, bevor die kleine Familie zu ihrem Ausflug aufbricht.

Die Autorin packt den Leser mitten in das Hirn und das Gemüt der Protagonistin, die ihre beiden Söhne über alles liebt, gleichzeitig aber immer mehr aus der Realität rutscht. Das gesamte Buch ist der innere Monolg einer depressiven, von Ängsten gepeinigten Mutter und diese kurze Novelle ist, trotz aller Klaustrophobie die man spürt, von einer düsteren poetischen Schönheit.

Die Mutter empfindet ihre gesamte Umwelt als schwierig, feindlich und nicht händelbar und die Autorin versteht es meisterhaft und überzeugend, den Leser diese Atmosphäre spüren zu lassen. Die Geschichte besticht durch unzählige Details und hervorragend herausgearbeitete Beschreibungen. Man spürt die Liebe der Mutter zu ihren zwei kleinen Jungen Stan und Kevin, die alles versucht haben, ihrer Mutter zu helfen.

„Hatte ich die letzte Nacht verbracht wie alle anderen? War es das, was die anderen jeden Abend erwartete, eine Belohnung, weil sie gut durch den Tag gekommen waren? Auf mich wartete nie eine Belohnung, mein Schlaf ist wie ein scharfes Messer, das die Seile durchtrennt, an die ich mich tagsüber klammere. Nachts werde ich losgemacht, abgeschnitten.“

Ein Buch, das einem wirklich weh tut beim Lesen und man möchte in das Buch hineinkriechen und dieser unglücklichen verlorenen Familie helfen. Das Buch ist absolut großartig, aber nicht für jeden. Ich halte nix von Trigger-Warnungen, aber ich weiß nicht, ob ich das Buch Menschen mit Depressionen empfehlen würden.

Zuletzt noch ein Wort über das Buch selber. Da hat die Büchergilde mal wieder ein wunderschönes kleines Büchlein hinbekommen. Das Cover ist wunderschön, elegant und einfach – ein echtes Schmuckstück.

 

Jürgen Bauer – Ein guter Mensch

„Ein guter Mensch“ ist ein heftiger, fesselnder Roman über eine mögliche Zukunft, in der uns in Europa das Wasser nahezu ausgegangen ist und die Menschheit kurz vor dem Ende steht. Und mitten in diesem Untergangsszenario treffen wir auf Marko, der versucht nicht aufzugeben und das Richtige zu tun.

„Ein kleines Leben. Ein einfaches Leben. Meinen Hass könnt ihr haben. Meine Verzweiflung wolltet ihr ja nicht.“

Die sozialen Strukturen brechen weg, die Kriminalität steigt und die Politik scheint vollkommen überfordert. Ein düsteres Zukunftszenario, in dem sich Jürgen Bauer überwiegend mit der philosophischen Frage beschäftigt, was einen guten Menschen ausmacht.

„Wie nennt man einen Fatalisten der immer Recht hat?“ fragt Aleksander. Und als keiner antwortet: „Na Realist.“

Ganz langsam verursacht das Buch ein schwüles Grauen, das ganz langsam in die Blutbahn gerät, wie ein heimtückisches Gift. Der krasse Horror in einer Welt gelandet zu sein, in dem jeder Schluck Wasser zur existentiellen Notwendigkeit wird, erscheint einem plötzlich so real wie das Licht, das beim Lesen des Buches durchs Fenster fällt.

Es hat mich ziemlich mitgenommen, wie nahezu unsichtbar die Trennlinie verläuft zwischen einer fiktiven und einer tatsächlich möglicherweise eintretenden Dystopie ist.

Das Buch läßt einen noch eine ganze Weile danach jedes Glas Wasser voller Dankbarkeit trinken, insbesondere, wenn solche Artikel einem zeigen, wie nah ein solches Zukunftszenario sein könnte:

http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/suedafrika-und-die-duerre-katastrophe-kapstadt-droht-das-wasser-abzustellen-a-1185541.html

Großes Lob auch an Jürgen Schütz vom Septime Verlag für das wunderschöne Cover, ein echter Hingucker. Überhaupt ein kleiner Verlag, den ich auf dem Radar behalten sollte.

Albert Sanchez Pinol – Im Rausch der Stille

Was ich eigentlich sehr gerne mag und in letzter Zeit viel zu selten getan habe, ist mich von einem Buch zum Nächsten treiben zu lassen. Immer habe ich schon eine ganze Reihe Bücher neben dem Bett liegen, die schnellstens gelesen werden „müssen“ und da verkneife ich mir viel zu oft, mich einfach das sorglose Weitertreiben zum nächsten.

Bei der Lektüre der „Area X“ Trilogie hat mich die Atmosphäre allerdings so sehr an ein anderes Buch erinnert, das ich vor einigen Jahren gelesen habe, dass ich sämtliche Lesezwänge über Bord geworfen habe und mich erneut dem „Rausch der Stille“  hingegeben habe.

Ich habe eine ziemliche Schwäche für Bücher mit wohlig-gruseliger melancholischer Atmosphäre. Dieses Buch ist bizarr, unheimlich und hat durchaus was von Lovecraft finde ich. Eine großartige Erkundung der Angst vor Unbekanntem, ein philosophischer Blick in die dunklen Ecken der Sehnsüchte und Triebe und das Ganze mit einem Schuß Abenteuerstory.

Ich habe das Buch glaube ich 2005 oder so gelesen und habe auch vor der erneuten Lektüre häufiger daran gedacht, was vielleicht am deutlichsten zeigt wie nachhaltig dieser Roman nachwirkt. Ich glaube man genießt die Geschichte am meisten, je weniger man vorab weiß, daher will ich nicht allzu viel verraten:

Der namenlose Protagonist landet auf einer winzigen Insel wo er einen Wetterbeobachter ablösen soll und seine Stelle für ein Jahr übernehmen. Nur findet sich keine Spur von ihm und das Schiff fährt ohne ihn zurück, der namenlose Protagonist bleibt. Der vorherige Wetterbeobachter bleibt nicht nur verschwunden, seine Behausung ist in kompletter Unordnung und verwahrlost. Er findet statt dessen im angrenzten Leuchtturm, dem einzigen anderen Gebäude auf der Insel einen Mann namens Gruner, seines Zeichens Leuchtturmwärter, der sich jedoch weigert auch nur eine einzige Frage zu beantworten.

Unser Protagonist lässt sich nicht beirren, bringt seine Behausung in Ordnung, packt aus und wird noch in der ersten Nacht angegriffen von seltsamen Wesen die absolut nicht menschlich zu sein scheinen….

„Die haben vielleicht mehr Verstand als Sie!“ sagte ich und tippte mit dem Finger an meinen Kopf. „Ja, vielleicht sind wir die einzigen Tiere auf dieser Insel! Wir beide und unsere Flinten und Gewehre und Munitionen und Explosionen? Töten ist sehr leicht, aber es ist sehr schwer, sich auf den Feind einzulassen!“

Ich habe übrigens darüber nachgedacht, ob ich aufgrund meiner gelegentlichen Vorliebe für Horrorfilme bereits so abgestumpft bin, dass auch beim zweiten Lesen das Schrecklichste für mich nach wie vor der Moment ist, wo unser Protagonist sich gezwungen sieht seine mitgebrachten Bücher abzufackeln, um sich vor den Eindringlingen zu schützen. An der Stelle muß ich jedes Mal fast ein bißchen weinen …

Eine skurille Mischung aus Abenteuer und Liebesroman mit einem Hauch von „Tentacle Sex“? 😉

Das Buch ist übrigens 2017 unter dem Titel „Cold Skin“ von dem französischen Regisseur Xavier Gens verfilmt worden. Hier der Trailer:

Den Abschluß der Mini-Reihe „Düstere Schönheit“ bildet Laura van den Bergs „Find Me“

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Das war eine ziemlich surreale außergewöhnliche Dystopie. Ein aggressiver Virus bricht in den USA aus, der bei den Infizierten in kürzester Zeit zu komplettem Gedächtnisverlust, silbernem Ausschlag auf der Haut, rapidem Verlust jeglicher motorischer und kognitiver Funktionen und nach etwa 10 Tagen schließlich zum Tod führt.

Joy scheint als eine der Wenigen immun gegen den Virus zu sein und sie nimmt in einem Krankenhaus in Kansas an einer medizinischen Studie teil, die das Ziel hat ein Gegengift zu entwickeln. Sie wartet an diesem Ort gemeinsam mit anderen Patienten isoliert von der Außenwelt auf das Ende der Epidemie.

Joy wurde als Baby von ihrer Mutter im Stich gelassen und sie wächst in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Kinderheime und Pflegefamilien auf. In einem dieser Familien trifft sie auf Marcus, einen Jungen den sie liebt, der immer eine Maske trägt um sein vernarbtes Gesicht zu verstecken. Der Roman ist keine typische Dystopie mehr eine Auseinandersetzung mit Einsamkeit und Identität die für Joy vor und während der Epdemie gleichbedeutend wichtig sind.
“Is there any greater mystery than the separateness of each person?”
Auch nachdem sie das Krankenhaus irgendwann verlässt um sich auf die Suche nach ihrer biologischen Mutter zu machen, hat sie stets das Gefühl das ein Teil von ihr immer eingesperrt sein wird.
„Find Me“ ist ein Roman den man in kleinen Portionen genießen sollte. Eine Geschichte voller Geheimnisse und Dunkelheit. Das Buch fühlte sich für mich fast wie zwei unterschiedliche Romane an. Eine dunkle Dystopie die in dem bizarren abgeschiedenen Krankenhaus spielt und die Geschichte eines Road Trips durch ein seltsames zerbrochenes Land.

“Hope is a seductive thing,“ he says. „Hope can make people lose all sense.”

Hier die Bücher noch mal im Überblick:

Veronique Olmi – Meeresrand, Büchergilde Gutenberg
Jürgen Bauer – Ein guter Mensch, Septime Verlag
Albert Sanchez Pinol – Im Rausch der Stille, Fischer Verlag
Laura van den Berg – Find Me – bislang nicht auf deutsch erschienen

#WomeninSciFi (2): The long way to a small, angry planet – Becky Chambers

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Ein bisschen hat es schon gedauert, bis ich die einzelnen Stimmen des munteren  Blogger-Kombinats „Feiner Reiner Buchstoff“ auseinanderhalten konnte. Thursdaynext fiel mir recht schnell auf, nicht allein wegen des Namens, bei dem ich gleich vermutete, wir könnten literarisch ähnliche Interessen haben, sondern auch durch die entsprechende Buchauswahl.

Heute stellt Thursdaynext uns ein Buch vor, dass schon seit einer Weile auf meinem Wunschzettel schlummert und auf das ich mich sehr sehr freue…

Space Opera mit starken weiblichen Einschlägen sind selten im Sci Fi Genre, das, männlich dominiert, zumeist Technik, Wummen, Krieg, Heldentum und Machtschnickschnack thematisiert. Doch gerade der kulturelle und gesellschaftliche Blickwinkel auf die Zukunft ist eine der interessantesten in diesem Genre. So ist die weibliche Sichtweise auf das Zusammenleben auf beengtem Raum einen informativeren und empathischen Ticken anders.

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Feinfühliger, eindrücklicher, weil mehr hinterfragend, schildert Autorin Becky Chambers, diese Aspekte des Raumfahrerlebens.  Als Beispiel sei hier der Koch- und Leibarzt genannt, der sehr wohl um die Wichtigkeit guten Essens und guter Atmosphäre weiß und sich bemüht, beides herzustellen.  Die in Kalifornien aufgewachsene Tochter einer Astrobiologin und eines Luft- und Raumfahrttechnikers gesellt sich hier zu Autorinnen wie Kate Wilhelm, Ursula K. LeGuin, James Tiptree, C.J.Cherryh oder Lois McMaster Bujor ein. Dabei sind schon Cover und Titel das Zugreifen wert. Was wir beiden hauptverdächtigen Buchstoffler mit dem SciFi Faible natürlich getan haben, überschneidet sich unsrer lesetechnische Sci Fi Menge doch häufig und bereichern wir uns gegenseitig gern mit guten neuen Autoren.

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Foto: Fischer Verlag

Becky Chambers Debüt The Long Way To A Small, Angry Planet finanzierte sie 2012 via Crowdfunding und brachte es 2014 im Eigenverlag heraus. 2015 erschien der Roman in Großbritannien bei Hodder & Stoughton, in den USA bei Harper Voyager. 2016 wurde The Long Way To A Small, Angry Planet für den Arthur C. Clarke Award nominiert.

Becky Chambers hat uns mit ihrem phantastischen Debüt gleichermaßen berühren und begeistern können. Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten liest sich locker – luftig mit unaufdringlichem Humor und zieht einen bereits auf den ersten Seiten in seinen Bann, dem wir uns während des gesamten 539 – Seiten- Buches nicht mehr entziehen konnten. Das Wayfarer Universum besteht aus verschiedensten Spezies, und die junge Rosemary Harper (Homo Sapiens) bewirbt sich auf der Wayfarer, einem Tunnelbohrschiff mit gemischter Besatzung. Unterschiedlich in Kultur und Rasse kommt es trotz gegenseitigem Respekt doch so manches Mal zu Reiz- und Reibungspunkten:

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Becky Chamers - Foto: Fischer Verlag

„Hast Du die Menschen auch manchmal satt? Hin und wieder. Das ist wohl normal, wenn man mit anderen Leuten als seiner eigenen Art zusammenlebt. Ihnen ergeht es bestimmt genauso. Heute habe ich sie eindeutig satt, sagte Sissix und ließ den Kopf wieder zurücksinken. Ich habe ihre fleischigen Gesichter satt. Ich habe ihre glatten Fingerspitzen satt. Ich habe es satt, wie sie das R aussprechen. Ich habe es satt, dass sie nicht riechen können. Ich bin es leid, wie gluckenhaft sie sich bei Kindern aufführen, die nicht einmal ihre eigenen sind. Ich habe es satt, wie neurotisch sie mit Nacktheit umgehen. Am liebsten würde ich jeden Einzelnen von ihnen ohrfeigen, bis sie begreifen, wie unnötig kompliziert sie ihre Familien und ihr Sozialleben und ihr … einfach alles machen.“

Rosemary ist als Verwaltungsassistentin angeheuert und bemüht sich zu integrieren. Jedes Besatzungsmitglied hat einen ganz speziellen Charakter und trägt eine Bürde mit sich herum. Bürden, die im Laufe des Buches offenbar werden und meist einen hochemotionalen Hintergrund haben, der die einzelnen Personen mit einem warmen, persönlichen Touch versieht. Auch Rosemary hat ein Geheimnis, die Crew sieht das aber sehr entspannt:

„Du bist Rosemary Harper. Du hast diesen Namen gewählt, weil der alte nicht mehr zu dir passte. Du musstest dafür ein paar Gesetze brechen, na und? Was soll’s. Das Leben ist nicht gerecht, und Gesetze sind es normalerweise ebenso wenig. Du hast das getan, was du tun musstest. Ich verstehe das.“

Sympathisch, bunt, vielfältig, spannend und teilweise auch politisch hochaktuell geht es auf der Wayfarer zu. Fake News finden sich auch in der fernen Zukunft wieder. So bearbeitet zum Beispiel Nib der Hobby- Archivar Referenzdateien, indem er sich durch alte Fakten gräbt um die öffentlichen Dateien auf neustem und den Tatsachen entsprechendem Stand zu halten:

„Warum versuchen diese Leute überhaupt so etwas zu beweisen?“, fragte Kizzy. „Weil es sich um Idioten handelt.“

Die Vielfalt der Spezies und ihrer Soziologien ist grandios, authentisch und detailliert. Vom Paarungs – und Nachwuchsaufzuchtsverhalten der Aandrisks könnten wir uns z.B. gerne ein paar Scheibchen abschneiden. Wenn wir Eier legen könnten. Hier merkt man, dass die Autorin eben das ist, eine Frau und somit potentielle Mutter, der diese Thematik der Kinderaufzucht doch näher und unmittelbarer ist als männlichen Autoren, und die sich zudem noch ganz offensichtlich mit Biologie und weiteren Wissenschaften auskennt. Ihre Ideen sind ausgereift, wirklichkeitsnah und wissenschaftlich logisch. Was dieses Universum aber erst so richtig rund macht, ist die empathische Sicht der Dinge. Hier ist der Roman am eindringlichsten und stärksten, in Momenten wo sich zwei verschiedene Rassen nähern und wir uns in den Gedanken von Sissix, einer echsenartigen Spezies, finden:

Rosemary, sagte Sissix und ergriff ihre Hand. Sie war warm. Das war bei anderen Spezies immer so, man spürte die Wärme schon, wenn man neben ihnen stand, aber jetzt war es noch deutlicher. Sie hatte sich schon manchmal gefragt, wie es wohl wäre, diese Wärme an sich zu pressen, dort, wo – nein, nein, daran würde sich nicht denken. Noch nicht. Sie musste klug sein. Sie musste vorsichtig sein. Schließlich reagierten Menschen anders auf Paarung. War es nicht so, dass ihre Gehirne danach von Chemikalien überschwemmt wurden, viel mehr als bei normalen Leuten? Auch bei Aandirsks führt Paarung zu Bindung, aber Menschen – Menschen verloren dabei vollkommen den Kopf. Wie ließ es sich sonst erklären, dass eine vernunftbegabte Spezies die Überbevölkerung bis zum Umweltkollaps getrieben hatte? Das war ein Volk, das sich um den Verstand gepaart hatte.“

Ihre Charaktere sind ausgereift, erhalten mit zunehmendem Lesefortschritt immer mehr Substanz und Gesicht, erscheinen greifbar und echt, mit all ihren Macken und Persönlichkeitsaspekten. Die Sprache ist angenehm, auch wenn es um philosophische, soziologische, biologische und technische Details geht. Ganz wichtig: Chambers hat Humor!! Und den merkt man diesem augenzwinkernden Buch an. Eben das lässt einen, viel zu schnell, aber mit Hochgenuss hindurchgleiten.

Sie zeigt auch Weitsicht wenn sie aus den Akten der GU (Galaktischen Union) zur Aufnahme der Spezies Homo Sapiens in ihre Gemeinschaft zitiert:

Die Menschheit ist eine zerstrittene, angeschlagene, pubertäre Spezies, die sich nicht durch ihr eigenes Verdienst in den interstellaren Raum ausgebreitet hat sondern nur durch Zufall. Sie ist nie über das intraspeziäre Chaos hinausgekommen. In dieser Phase der unbeholfenen Pubertät entscheidet es sich ob eine Spezies zu einer globalen Einheit oder in verfeindete Fraktionen zerfällt, die zum Aussterben verurteilt sind sei es durch Krieg oder durch ökologische Katastrophen, die so groß sind, dass man sie nur gemeinsam meistern kann.“

Die Wayfarer Welt ist bunt, liebevoll und schreit nach Erweiterung, so ist es nur gut, dass der ebenfalls im Wayfarer Universum angesiedelte Roman A Closed And Common Orbit 2017 in Großbritannien erschienen ist.

Die deutsche Übersetzung, Zwischen zwei Sternen wurde wieder von Karin Will übersetzt , die bereits beim langen Weg zu einem kleinen, zornigen Planeten wunderbare Arbeit leistete,wird wohl am 25. Februar bei Fischer TOR https://www.fischerverlage.de/buch/zwischen_zwei_sternen/9783596035694

erscheinen.

Heißer SciFITipp 2018

Ich freu mich schon darauf, also: Go get it! Abtauchen ins Wayfarer Universum.

Ganz lieben Dank Thursdaynext, ich denke mit diesem Text hast Du nicht nur mir Lust auf Space Opera und aufs Wayfarer Universum gemacht.

Im nächsten Women in SciFi Beitrag würde ich euch gerne mit ein paar der interessantesten SciFi Protagonistinnen der SciFi Welt bekannt machen.

Orphan Black in Books

 

Es ist wohl kaum möglich gewesen nicht mitzubekommen, dass ich der weltgrößte Fan der Sci-Fi/Science-Thriller-Serie „Orphan Black“ bin. Orphan Black ist sowas wie das utopische Gegenstück zu Margaret Atwoods Dystopie „The Handmaid’s Tale“ und hat jede Menge vielschichtiger, spannender, intelligenter Frauen sowie LGBT Charaktere zu bieten, deren Sexualität stets weniger wichtig als ihre tatsächlichen Persönlichkeiten sind. Auch Cast und Crew sind stetige „loud and proud allies“ für die LGBT Community und damit in diesen finsteren Zeiten ein absoluter Lichtblick, mit der uns die kanadische TV Szene da beglückt hat. 20633760_121307931842109_2584908431961882624_n In der Serie geht es Sarah Manning, eine Frau, die die Identität ihres Klons Elizabeth Childs annimmt, nachdem sie deren Selbstmord beobachet hat. Die Schauspielerin Tatiana Maslany spielt in der Serie eine Vielzahl an Menschen, die Klone sind. Im Laufe der Serie stellt sich heraus, dass in geheimen medizinische Versuchsreihen das Klonen von Menschen gelungen war und die Klone sich nach und nach ihrer wahren Identität bewusst werden. Die Serie wirft Fragen auf, die sich um die Themen Moral, die ethischen Implikationen menschlichen Klonens und den Effekt dessen auf die persönliche Identität drehen. Was kann und darf Wissenschaft? Darf man menschliches Erbgut patentieren lassen? Hier ein TED Talk zu diesem Thema, der unter anderem zeigt, wie wichtig die Wissenschaft für die Macher von Orphan Black ist: https://www.ted.com/talks/tania_simoncelli_should_you_be_able_to_patent_a_human_gene Die Serie hat eine wissenschaftlicher Beraterin, Cosima Herter, die als lebendige Vorlage für einen der Klons in der Serie, Cosmia Niehaus, diente. Neben der herausragenden Schauspielkust der Hauptdarstellerin Tatiana Maslany und den überdurchschnittlich guten Drehbüchern wurde immer wieder gerade die Genauigkeit gelobt, wenn es um die Wissenschaft in Orphan Black ging. IMG_8118 Herwig war auch an einem Buch beteiligt, mit dem Titel „The Science of Orphan Black“, das sich mit sämtlichen Fragen rund um Genetik, Eugenetik, Cloning etc. in der Serie beschäftigte und zeigt, wie die wissenschaftlichen Aspekte tatsächlich sind und wo es in der Serie gelegentliche notwendige dramaturgische Abweichungen gab. Das Buch ist sicherlich kein Ersatz für „richtige“ wissenschaftliche Bücher zu den Themen, aber ich bin einfach begeistert davon, wie sehr ein Serien-Begleitbuch Wert auf wissenschaftliche Genauigkeit legt und zugleich Lust auf Wissenschaft macht. Davon bitte unbedingt mehr. Ein weiteres Begleitbuch zur Serie hat sich mit den philosophischen Fragen hinter der Serie beschäftigt. Richard Greene ist Professor für Philosophie an der Weber State University und beschäftigt sich mit den Fragen „Was macht eine Person einzigartig?“, „Ist es unmoralisch, Klone vorsätzlich mit Gen-Defekten zu erschaffen?“, „Was sagt uns das Verhalten der Clone Club Mitglieder mit Blick auf die Nature vs Nature Debatte?“ und viele weitere spannende Themen. IMG_8121 Orphan Black zeigt uns Probleme der Biotechnolgoie, die in nicht allzu ferner Zukunft unsere tagtäglichen Fragestellungen sein könnten. Was für eine Zukunft ist das, in der wir – wie wir es jetzt bereits ansatzweise mit Crispr-Cas9 erleben –  in der Lage sein werden, unser Genom zu editieren? Wie werden wir künftig mit wissenschaftlich-religiösen Kults wie Neolution oder den Prolethians umgehen? Sollte es Biotech Firmen erlaubt sein, die menschliche DNA zu patentieren und welcher Moral werden wir folgen, wenn wir vielleicht irgendwann nicht einmal der Polizei mehr trauen können? Der New Yorker hat sich schon früh positiv mit der Serie beschäftigt und blickt in diesem Artikel auf die dunkle Eugenetik-Geschichte der USA, mit der sich auch die Zeitschrift Nature in diesem Artikel beschäftigt. In Orphan Black selbst geht es aber auch immer wieder um Bücher. Eines der wichtigsten für Science-Geek Cosima ist Charles Darwins „The Origin of Species“ – das Buch ist insbesondere in der ersten Staffel allgegenwärtig, wo die Titel der einzelnen Episoden nach Kapiteln aus Darwins Buch benannt sind. Hier geht es übrigens zu meiner Hirngymnastik „Genetik“ bei der ich mich neben Darwin auch mit dem Buch „What we talk about when we talk about Clone Club“ von Gregory E Pence beschäftigt habe. IMG_8120

Die Titel der zweiten Staffel sind Zitate von Francis Bacon, die der dritten Staffel beziehen sich auf die Abschiedsrede von Dwight Eisenhower, in der vierten Staffel beziehen sie sich auf die Arbeiten der feministischen Wissenschaftlerin Donna Haraway und die letzte Staffel nutzt Zitate aus Ella Wheeler Wilcox Gedicht „Protest“:

To sin by silence, when we should protest, Makes cowards out of men. The human race Has climbed on protest. Had no voice been raised Against injustice, ignorance, and lust, The inquisition yet would serve the law, And guillotines decide our least disputes. The few who dare, must speak and speak again To right the wrongs of many. Speech, thank God, No vested power in this great day and land Can gag or throttle. Press and voice may cry Loud disapproval of existing ills; May criticise oppression and condemn The lawlessness of wealth-protecting laws That let the children and childbearers toil To purchase ease for idle millionaires.

Therefore I do protest against the boast Of independence in this mighty land. Call no chain strong, which holds one rusted link. Call no land free, that holds one fettered slave. Until the manacled slim wrists of babes Are loosed to toss in childish sport and glee, Until the mother bears no burden, save The precious one beneath her heart, until God’s soil is rescued from the clutch of greed And given back to labor, let no man Call this the land of freedom.

Solche intellektuellen Spielereien mag ich sehr und sind einer der Gründe für mein heftiges Fangirling. DSC_0217 Aldous Huxleys 1932 erschienener weltberühmter Roman „Brave New World“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Serie. Der Roman antizipiert Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin und deren ethischer Implikationen mit Blick auf menschliches Klonen. Die Serie verneigt sich vor Huxley, in dem sie dem intriganten Wissenschaftler Aldous Leekie seinen Vornamen verpasst, der Nachname könnte eine Referenz auf den Anthropologen Louis Leakey sein, auch wenn der sich etwas anders buchstabiert. blogleekie Zudem hat Huxley ein Gedicht mit dem Titel „Leda“ veröffentlicht, das Bezug nimmt auf die griechische Mythologie und von der Liebesaffaire zwischen der Königin Leda, der Mutter von Helena von Troy und ihrem Schwan, bei dem es sich um den verkleideten Zeus handelt. Leda bringt später zwei Eier zur Welt, aus dem einen schlüpft ein paar menschlicher sterblicher Zwillinge, aus dem anderen Ei ein paar göttliche Zwillinge mit übermenschlichen Kräften. Das zweite Projekt „Castor“ diente der Schaffung einer männlichen Klonreihe, Castor ist der Name eines der menschlichen Zwillinge, die Leda auf die Welt bringt.

Eine Menge los bei Orphan Black und langsam fangen die Gehirnzellen an zu rauchen, oder? Wir müssen uns aber auf jeden Fall noch mit H. G. Wells „The Island of Dr Moreau“ beschäftigen. Das Buch, das dem Gründungsforscher Dr. Ethan Duncan gehörte, taucht immer wieder auf, es enthält Symbole, die außer ihm nur ein weiterer Klon namens Rachel teilweise entziffern kann. Die Symbole bringen Sara auf die Spur von Kendall Malone, die als Chimäre (Organismus, der aus genetisch unterschiedlichen Zellen aufgebaut ist und dennoch ein einheitliches Individuum darstellt) das eigentliche Original ist, aus deren DNA die Klone erzeugt wurden. IMG_8119 orphan-black-kira-cosima-moreau

Fotos: BBC America

Die fünfte Staffel beginnt auf der Insel, die genau wie im Buch Heimat eines durchgeknallten Professors ist und Menschen in einem Dorf beherbergt, an denen der Professor ohne deren Wissen medizinische Versuche durchführt. Der verrückte Professor heißt PT. Westmoreland und ist Autor diess Buches

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und der eigentliche Marionettenspieler hinter den Kulissen.  In den fünf Staffeln der Serie kommt man kaum zum Durchatmen, kaum ist ein Teil des Puzzles gelöst, entstehen gleich wieder drei neue. Eine Show mit viel Adrenalin, wahnsinnig guter Besetzung, viel Brainpower und jeder Menge Literaturtipps.

Hier noch ein spannender Artikel aus der LARB „Epigenetic Television: The Penetrating Love of Orphan Black

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Der Abschied von den Sestras ist mir enorm schwer gefallen, aber dank DVDs, Büchern und Comics werde ich dem Clone Club immer wieder mal einen Besuch abstatten. In diesem Interview spricht Maslany über ihren Abschied von der Serie und sollte sich Dr. Delphine Cormier jemals als praktische Ärztin niederlassen, ich werde ihre allererste Patientin werden…

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Thanks for the ride and the Science, Sestras!

 

Welche der vorgestellten Bücher kennt ihr und habt ihr einen Lieblingsklon in Orphan Black?

  • Casey Griffin / Nina Nesseth – „The Science of Orphan Black“
  • Rachel & Richard Greene – Orphan Black & Philosophy
  • Charles Darwin – „The Origin of Species“ ist auf deutsch unter dem Titel „Die Entstehung der Arten“ erschienen
  • Aldous Huxley – „Brave New World“ ist auf deutsch unter dem Titel „Schöne Neue Welt“ im Fischer Verlag erschienen
  • H. G. Wells – „The Island of Dr Moreau“ ist auf deutsch unter dem Titel „Die Insel des Dr. Moreau“ erschienen

Books & Booze: Mrs Dalloway

„Language is Wine upon the Lips“

In „Mrs Dalloway“ schildert Virginia Woolf detailliert einen Tag im Leben von Clarissa Dalloway, einer Dame der High-Society in London nach dem ersten Weltkrieg. Die Geschichte beschäftigt sich mit Clarissas Vorbereitungen für eine Party, die sie am Abend geben wird. Mittels berühmt-berüchtigtem „Stream-of-Consciousness“ springt die Geschichte zwischen verschiedenen Zeitebenen in Clarissas Bewußtsein hin und her und zeichnet so ein Bild der Protagonistin und dem sozialen Gefüge zwischen den beiden Weltkriegen.

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Wie in Joyces „Ulysses“ spielt die Geschichte an einem einzigen Tag in der gleichen Stadt: London am 13. Juni 1923. Keine Ahnung, warum alle den 16. Juni in Dublin feiern und kein Mensch den 13. Juni 1923 in London. Dieser Artikel hier versucht das zu ändern. Ab jetzt meine Lieben, wisst ihr was ihr an dem Tag zu tun habt. Ab jetzt trinken wir an diesem Tag (und natürlich nicht nur dann) den speziell von Barkeeperin Wonnie von den Münchner Küchenexperimenten gemixten

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„Mrs Dalloway“:

Pro Glas:

  • 4 cl Gin (Feel Munich)
  • 2 cl Granatapfel-Sirup
  • 250 ml Tonic (z.B. einen unserer Lieblinge: das Fever Tree Mediterranean)
  • 1 Scheibe Gurke
  • 1 Scheibe Limone

2005 wurde Virginia Woolfs „Mrs Dalloway“ vom TIME Magazin zu einem der besten 100 englischsprachigen Romane gewählt die seit 1923 erschienen sind.

Books & Booze Logo

Wenn das kein Grund für einen eigenen Cocktail ist, dann weiß ich es auch nicht. Lest „Mrs Dalloway“ bis zum Juni nächstes Jahr habt ihr Zeit, dann frage ich euch ab 😉

Cheers my Dears

PS: Lust auf mehr Virginia Woolf? Hier gibt es eine Rezension zu „A Room of One’s Own“ und Jacob’s Room

Das Buch erschien auf deutsch unter dem gleichen Titel im Fischer Verlag.

Connection with Reader could not be established

 

 

Es wird wieder einmal Zeit für einen Rückblick über die Bücher, die nicht funktioniert haben für mich in der letzten Zeit. Ich schwärme euch ja deutlich lieber die Ohren voll, aber da hier ja schonungslos jedes Buch erwähnt wird, das ich lese, muss ich auch zu denen stehen, bei denen es partout nicht schnackeln wollte zwischen uns.

Da ich mittlerweile sehr genau auswähle, was ich lesen will und mich deutlich seltener überreden lasse, geht es bei den meisten hier auch um überraschende Enttäuschungen. Die Bücher wollte ich alle lesen und mögen, aber keines von denen konnte wirklich eine Verbindung zu mir herstellen.

Ich bewundere ja immer die „echten“ Literaturkritiker, die sich dann ganz selbstsicher sagen „schlechtes Buch“, belanglos, doof, ich zweifele da schon eher an meinem Geschmack und glaube auch, es gibt für jedes Buch eine richtige Zeit, die habe ich hier vielleicht nicht immer erwischt.

Ich möchte also niemanden aktiv auffordern diese Bücher NICHT zu lesen, ich berichte nur kurz und schmerzlos drüber, warum die für mich nicht funktioniert haben.

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The Opposite of Loneliness – Marina Keegan

Als das Buch im Bookclub auf der Votingliste stand, habe ich umgehend dafür gestimmt. Zum einen hatte ich es bereits zu Hause, zum anderen war ich aber auch sehr gespannt darauf. Die tragische Geschichte um die viel zu früh verunglückte Autorin hat dem Buch insbesondere im angloamerikansichen Raum viel Aufmerksamkeit beschert.

Kurzgeschichten und Essays können bei mir auch häufiger mal daneben gehen und bei „The Opposite of Loneliness“ war das ganz klar der Fall. Ich fand die Geschichten einfach nicht sonderlich interessant. Es ging viel um Privilegien, um Beziehungen und sie waren durch die Bank weg recht traurig, was eigentlich eher ein plus von meiner Seite aus ist. Ich hatte große Schwierigkeiten, in die Geschichten reinzukommen, die Protagonisten von einer zur nächsten auseinanderzuhalten und war einfach etwas gelangweilt.

Die non-ficition Essays gefielen mir etwas besser, aber ich muss ehrlich sagen, ich habe das Buch irgendwann genervt in die Ecke geworfen. Das Bookclub Treffen selbst verpasste ich dann leider, aber die meisten tendierten durch die Bank weg zu „hmmmm ja“ hatte ich den Eindruck von dem, was ich nach dem Treffen hörte und was die Goodreads Bewertungen aussagten.

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The Blackwater Lightship – Colm Toibin

Nicht viel besser erging es mir mit dem Buch aus dem Monat davor im Bookclub. Ich glaube auch eines derer, für das ich gestimmt habe, denn die beiden Bücher, die ich vorher von ihm las, hatten mir beide richtig gut gefallen (The Master und Brooklyn) und bei der Lesung von „Nora Webster“ vor einigen Monaten im Literaturhaus habe ich mich ebenfalls bestens unterhalten.

Dieses Buch spielt in den 1980er Jahren um den an AIDS erkrankten schwulen Declan, wird aus der Sicht seiner Schwester erzählt, die er bittet, die Nachricht an seine Mutter und Großmutter weiterzugeben und dreht sich darum, wie eine zerbroche Familie versucht zu heilen, während der Sohn im Sterben liegt.

Ich konnte mit den Figuren wenig anfangen, die blieben mir allesamt fremd und ich fand die Leuchtturm/Meer Metaphern etwas überzeichnet. Das Buch hat fast durchweg gute Kritiken bekommen und war 1999 auch für den Booker Prize auf der Shortlist. Bestimmt ein gutes Buch, aber irgendwas hat mir hier gefehlt.

Sorry Colm, not this time 😦

The Circle – Dave Eggers

Hier weiß ich mich zumindest in einigermaßen guter Gesellschaft. „The Circle“ fanden viele nicht sonderlich gut, meine ich mich zu erinnern und der Film, der gerade rauskam, bekommt auch eher maue Kritiken.

Ich fand das Thema interessant, hab es anfangs auch ganz interessiert gelesen, irgendwann war ich nur noch gelangweilt. Die eindimensionale Protagonistin Mae Holland ging mir tierisch auf die Nerven, einen Spannungsbogen konnte ich auch nicht entdecken und irgendwann war es mir einfach egal, ob noch was passiert. Hab nur noch quergelesen, es wurde immer absurder und irgendwann mochte ich dann nicht mehr.

Ich hatte das Gefühl im Kreis zu lesen, ein Roman wie ein nie enden wollender Wired-Artikel.

 

 

Arcadia – Iain Pears

Niiiiemals hätte ich damit gerechnet, mich bei diesem Buch so fürchterlich zu langweiligen. Irgendwann in den 90ern habe ich „The Instance of the Fingerpost“ gelesen und weiß noch, wie ich eine ganze Nacht durchgelesen habe, weil es so spannend und gut geschrieben war.

Ich hatte mich so auf das Buch gefreut. Die perfekte Lektüre für den einwöchigen Urlaub zu Hause, wo ich mich gespannt durch diesen Schinken fräsen wollte. Die Kritiken auf Goodreads waren richtig gut, immer wieder wurde es mit David Mitchells „Cloud Atlas“ verglichen und es hatte auch alle Zutaten, die auf ein spannendes Leseabenteuer hoffen lassen: Zeitreise, dystopische Zukunft und eine Shakespeare-Welt mit komplexen Strukturen und miteinander verwobenenem Plot.

Nach über 200 Seiten mochte ich nicht mehr. Es war einfach fad, bis auf Rosalind fand ich die Charaktere auch nicht weiter spannend und bis auf die Passagen, in denen es um Psychomathematik und Paralleluniversen ging, war es auch nicht „geekig“ genug für meinen Geschmack.

Welches Buch habt ihr zuletzt in die Ecke geworfen und warum?

Hier die links zu den deutschen Ausgaben:

  • Marina Keegan „Das Gegenteil von Einsamkeit“ ist im Fischer Verlag erschienen
  • Colm Toibin „Das Feuerschiff von Blackwater“ ist im dtv Verlag erschienen
  • Dave Eggers „Der Circle“ ist im Kiepenheuer & Witsch Verlag erschienen
  • Iain Pears „Arcadia“ ist bei Faber & Faber erschienen (englisch)

Arundhati Roy @International Literature Festival Berlin

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Fotos: A Kuscu

„India has always lived in several centuries simultaniously“

Arundhati Roy war vermutlich der Star des Internationale Literatur Festivals in Berlin. Meterlange Schlangen warteten auf Einlass zur Podiumsdiskussion mit ihr aus Anlass der Veröffentlichung ihres ersten Romans seit zwanzig Jahren „The Ministry of Utmost Ministry“.

Das muss man ihr natürlich auch erst einmal nachmachen. Gleich mit dem Erstlingswerk „The God of Small Things“ 1997 den Booker Prize gewinnen, dann zwanzig Jahre lang auf den nächsten Roman warten lassen und peng – dann gleich wieder auf der renommierten Shortlist des Booker Prizes zu landen.

Arundthai Roy ist die Grande Dame der indischen Literaturszene und hat in der Zwischenzeit alles andere als faul in der Hängematte gelegen. Sie hat ihre Bekanntheit nach dem Gewinn des Bookerprizes 1997 dazu genutzt, sich als Aktivistin um drängende politische Themen in Indien, aber auch außerhalb, zu kümmern. Sie hat sich für umweltschützende Maßnahmen wie z. B.  gegen den Bau von Dämmen in Indien engagiert, sich für die Unabhängigkeit Kashmirs und gegen Hindu-Nationalismus ausgesprochen, sich mit den Klagen auf Volksverhetzung der indischen Regierung auseinandergesetzt und jede Menge Essays und Non-Fiction Bücher produziert.

Ihr Werk umfasst dabei Bücher zum Thema Globalisierung, Kapitalismus, Demokratie und hat sie als politische Philosophin und Aktivistin auf die politisch-literarische Weltbühne katapultiert.

Ihre Essays haben sie oft genug in Teufels Küche gebracht und ihr viel Ärger und Abneigung eingehandelt. Fast jedes Mal nahm sie sich vor, aufzuhören, den Finger in die Wunde zu legen und Ärger zu machen, bis sie es nicht mehr aushielt und sie sich doch wieder zu Wort melden musste.

Immer wieder bekundet sie auch, dass es eigentlich das belletristische Schreiben ist, dem ihr Herz gehört „“To me, there is nothing higher than fiction. Nothing. It is fundamentally who I am. I am a teller of stories. For me, that’s the only way I can make sense of the world, with all the dance that it involves.”

 

 

In Berlin diskutierte sie ihren Roman mit Gabriele von Arnim und las daraus einige Passagen.

„Das Ministerium des äußersten Glücks“ beginnt mit Anjum, die aus Gründen, die später erläutert werden, auf einem Friedhof lebt. Anjum ist eine „Hijra“, ein hinduistischer Begriff, der sich frei mit Hermaphrodite, Eunuch, drittes Geschlecht oder Transgender übersetzen lässt. Seit ihrer Jugend lebt Anjum im Khwabgah, was soviel wie Schlafquartier, Haus oder Palast der Träume bedeutet und für sie ein Ort der Freiheit und der Selbstentfaltung ist. Zusammen mit den anderen Hijras bildet sie so etwas wie eine Familie.

Beim Besuch in einem Gujarati Schrein erlebt Anjum das Massaker an Hindu-Pilgern und die darauf folgende Vergeltung der Regierung gegen Muslime und zieht sich auf den Friedhof zurück. Sie legt ihre farbenfrohe weibliche Kleidung ab und kleidet sich in einen maskulinen Pathan Anzug und baut über den Gräbern einen Zufluchtsort, eine Art Schutzraum für Menschen, Tiere und Exzentrikern aller Art wie Obdachlose, Aussteiger, Unberührbare etc. Eine Republik der Verlorenen gegen die brutale Realität des zeitgenössischen Indiens.

Die Geschichte bringt uns von Dehli nach Kaschmir, wo Indien und Pakistan um die Kontrolle ringen und die Einwohner des vielleicht schönsten Tals der Erde sich in Flüchtlinge, Märthyrer, Freiheitskämpfer und Spione verwandeln.

Arundhati Roys Buch gleicht einem farbenfrohen Patchwork Teppich aus einzelnen Erzählsträngen. Schmerzhaft, lustig, sexy, realistisch, magisch und ausschweifend. Ich war mit dem riesigen Aufgebot an Personen überfordert. Mir fehlte die Dynamik in der Geschichte, viele Hauptpersonen verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Ich habe mich mit Arundthai Roys Buch sehr, sehr schwer getan.

Es ist definitiv ein Abbild des chaotischen, uneinigen Indiens mit dem Crescendo unterschiedlicher Stimmen und Stimmungen, aber es hat mich lange nicht so gepackt wie „The God of Small Things“.

Wir lesen den Roman auch noch gemeinsam im Bookclub und vielleicht werde ich durch die erneute Lektüre einige Zusammenhänge besser verstehen, momentan fühle ich mich etwas verloren.

Der Abend in Berlin hat mir Lust gemacht, mich mit ihren Essays zu beschäftigen, insbesondere die Serie „Things that can and cannot be Said“ über ihren Besuch mit John Cusack bei Edward Snowden klingt ausgesprochen spannend. Hier ein Artikel im Guardian darüber:

https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2015/nov/28/conversation-edward-snowden-arundhati-roy-john-cusack-interview

Ich danke dem Fischer Verlag für das Rezensionsexmplar „Das Ministerium des äußersten Glücks“

Double Français

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Ich hatte ursprünglich keine Ahnung, wie eng die beiden Bücher in vielfacher Hinsicht zusammengehören. Ich hatte mir Eribons „Rückkehr nach Reims“ zum Geburtstag gewünscht, es auch recht schnell gelesen und kurz drauf bekam ich vom Fischer Verlag Édouard Louis‘ „Im Herzen der Gewalt“ als Rezensionsexemplar zugeschickt und, obwohl so viele andere Bücher auf meinem Stapel lagen und eigentlich zuerst hätten gelesen werden müssen, las ich mich einfach fest.

Abgesehen davon, dass beide Bücher in Frankreich spielen, Protagonisten haben, die aus eher prekären Verhältnissen stammen und schwul sind, haben auch beide Bücher bei mir einen unfreiwilligen Regenguss abbekommen, als ich bei einem Gewitter vergessen hatte, das Fenster zu schließen und ja, schlussendlich sind die beiden Autoren auch miteinander befreundet, das fiel mir aber erst so richtig auf, als ich das Zitat von Eribon auf dem Buchrücken entdeckte und etwas recherchierte. Von daher erschien es mir naheliegend, die beiden Bücher auch gemeinsam hier zu rezensieren.

Die erste Hälfte von Didier Eribons Buch beschäftigt sich mit seiner Kindheit im Arbeitermilieu und die Hintergründe seiner Familie bis zurück in den 2. Weltkrieg. Wie er selbst in seinem Buch sagt, schreibt wohl kaum jemand über die dieses Milieu, der sich selbst nicht daraus emanzipiert hat.

Eribon hat das geschafft, er wurde ein erfolgreicher Soziologe und Autor, der Weg dorthin war alles andere als leicht. Er beschreibt die Schwierigkeiten, die nicht einfach nur materieller Natur sind, unglaublich passend. Dieses Gefühl, einfach nicht dazuzugehören, nicht die „richtigen“ Bücher, Filme, Musik zu kennen. Seinen Hintergrund nicht ständig zu verraten mit unbedachten Gesten oder einfach auch Unkenntnis und die ständige Angst, sich zu blamieren.

“Interesse für Kunst oder Literatur hat stets, ob bewusst oder unbewusst, auch damit zu tun, dass man das Selbst aufwertet, indem man sich von jenen abgrenzt, die keinen Zugang zu solchen Dingen haben; es handelt sich um eine „Distinktion“, einen Unterschied im Sinne einer Kluft, die konstitutiv ist für das Selbst und die Art, wie man sich selbst sieht, und zwar immer im Vergleich zu den anderen – den „bildungsfernen“ oder „unteren“ Schichten etwa.”

Ich kann mich an einigen Stellen des Buches sehr mit Eribon identifizieren, sein krasser Ekel seiner Abstammung gegenüber war mir allerdings teilweise zu heftig. Das Bildungsferne des „Arbeitermilieus“, die ich ebenfalls erlebt habe, ist etwas, was mir auch immer zu schaffen gemacht hat, vielleicht ist da etwas mehr der Stolz des lesenden Arbeiters meines Opas auf mich übergegangen, eine komplette Ablehnung meiner Herkunft kommt für mich nicht in Frage.

“Was mir vor allen Dingen unbestreitbar vorkommt, ist die Tatsache, das ein solches Ausbleiben des Klassengefühls eine bürgerliche Kindheit kennzeichnet. Die Herrschenden merken nicht, dass ihre Welt nur einer partikularen, situierten Wahrheit entspricht (so wie ein Weißer sich nicht seines Weißseins und ein Heterosexueller sich nicht seiner Heterosexualität bewusst ist).”

“Links zu sein, sagt Gilles Deleuze in seinem Abécédaire, das heiße, ‚eine Horizontwahrnehmung‘ zu haben (die Welt als ganze zu sehen, die Probleme der Dritten Welt wichtiger zu finden als die des eigenen Viertels). Nicht links zu sein hingegen bedeute, die Wahrnehmung auf das eigene Land, auf die eigene Straße zu verengen.”

Aber Eribon analyisert absolut treffsicher die Verfehlnisse der Linken. In seiner Kindheit wählten ausnahmslose alle in der Familie und in der Nachbarschaft die Kommunisten, das war Klassenbekenntnis. Dieses Bekenntnis gibt es nicht mehr und ist immer weiter nach rechts gerutscht. Seine Brüder wählen ganz selbstverständlich „National Front“ und selbst seine Mutter gibt zu, sie gewählt zu haben, um den Parteien eine Lektion zu erteilen. Dem beiläufigen Rassismus und der Homophobie, die ihn letztlich zum Ausbruch aus dem Milieu bringen, werden Struktur und Berechtigung gegeben durch Parteien wie die Front National.

“Man könnte es auch so zusammenfassen: Die linken Parteien mit ihren Partei- und Staatsintellektuellen dachten und sprachen fortan nicht mehr die Sprache der Regierten, sondern jene der Regierenden, sie sprachen nicht mehr im Namen von und gemeinsam mit den Regierten, sondern mit und für die Regierenden […] und zwar mit einer verbalen Gewalt, die von den Betroffenen durchaus als solche erkannt wurde. In den christsozialen oder philanthropischen Ausprägungen dieses neokonservativen Diskurses ließ man sich bestenfalls dazu herab, diejenigen, die gestern noch „unterdrückt“ oder „beherrscht“ gewesen waren und politisch „gekämpft“ hatten, als „Ausgeschlossene“ darzustellen, als „Opfer“ von „Armut, Prekarisierung und Ausgrenzung“ und somit als stumme potentielle Empfänger technokratischer Hilfsmaßnahmen.” 

Die Linke beschäftigte sich nicht länger mit Klassenfragen und die „einfachen Leute“ fühlten sich mehr und mehr unverstanden von den linken Parteien, was darin resultierte, dass aus dem alten klassenbezogenen „wir“ gegen „die“ ein nationales „wir“ gegen „die“ wurde.

“Man spürte förmlich, wie sich in ehemals kommunistisch dominierten Räumen der Geselligkeit und des Politischen eine rassistische Stimmung breitmachte, wie sich die Menschen allmählich einem politischen Angebot zuwandten, das vorgab, lediglich die Stimme des Volkes oder die Stimmung der Nation wiederzugeben, das eine solche Stimmung in Wahrheit aber erst herstellte, weil es Ressentiments und Affekte mit einem stabilen diskursiven Rahmen und gesellschaftlicher Legitimität versah.” 

Die zweite Hälfte des Buches beschäftigt sich mit seiner Jugend und was es bedeutet, in diesem Milieu als schwuler junger Mann aufzuwachsen. Foucault beschäftigt ihn sehr und er identifiziert sich stark mit ihm und seinen Ideen. Das Buch ist eine etwas ulkige Mischung aus Biografie und soziologischem Essay. Ich fand es wahnsinnig berührend und es ist eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe.

Es hat mich stark an James Baldwin erinnert oder auch an Damian Barrs Biografie „Maggie & Me“ – das ich an dieser Stelle unbedingt noch einmal empfehlen möchte.

Eine weitere Rezension zum Buch findet ihr hier.

„Rückkehr nach Reims“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Als Édouard in einer kalten Dezembernacht auf dem Heimweg einem jungen Mann gegegnet möchte er eigentlich direkt nach Hause, doch die beiden kommen ins Gespräch und schnell wird klar, dass die spontane Begegnung in starke gegenseitige Anziehung umgschlagen ist und Édouard nimmt Reda, den algerischen Immigrantensohn, mit in seine Wohnung.

Was als zarter Flirt beginnt schlägt um in die schrecklichste Nacht, die Èdouard je erlebt hat. Ein Roman, der von Kindheit, Begehren, Rassismus, Gewalt und Migration erzählt und der, auch wenn es abgedroschen klingt, tatsächlich mitten ins Herz zielt.

Ein atemloser politischer Roman der auf drei Ebenen erzählt wird.  Édouard erzählt seiner (in der Realität nicht existierenden) Schwester detailliert von den Geschehnissen dieser Nacht, die diese wiederum ebenso ausführlich ihrem Mann erzählt, wobei sie von Èdouard belauscht wird, der hinter der Tür steht und das Erzählte kommentiert.

Das wirkt etwas gekünstelt, bewirkt aber, dass er durch die Figur der Schwester dem sozial benachteiligten Milieu eine Stimme gibt.

Es ist ein Roman über Schande, über das was gesagt wird, über die schändliche Vergewaltigung und was nicht gesagt wird. Èdouard überprüft seine Emotionen ständig, er korrigiert und klärt sie, bis er das Gefühl hat, sie akzeptieren zu können.

Er leidet darunter, keinen Sinn aus dieser schrecklichen Erfahrung ziehen zu können. Er ist jemand, der sich mit den Außenseitern identifiziert, der versucht, die Gewalt soziologisch zu erklären. Er geht mit der weit verbreiteten Homophobie in der Provinz ähnlich wie Eribon hart ins Gericht.

„In jener Nacht gelang es mir, mich von Reda zu befreien, aber erst sehr spät, nach sehr langer Zeit, und ebenso wie bei Temple war der wirklich Wille zur Flucht, der sich doch schon bei den ersten Anzeichen von Redas Wüterei hätte einstellen müssen, meine letzte Reaktion.“

Édouard erzählt seiner Schwester detailliert von der Nacht auf den 25. Dezember und die Schwester wiederum erzählt dies ebenso detailliert ihrem Mann, während Édouard den Monolog seiner Schwester – denn der Mann spricht nicht ein Wort – hinter der Tür belauscht. Überlagert wird die Stimme der Schwester durch die Gedanken Édouards, der das Erzählte als Figur kommentiert und manchmal selbst als Erzähler eingreift.

Édouard wirkt stellenweise recht arrogant in seiner naiven Begeisterung für alles Bildungsbürgerliche, aber das ist glaube ich einfach häufig ein Merkmal von Menschen, die sich den Weg ins Bildungsbürgertum hart erkämpfen mussten. Besonders gelungen sind die Passagen, in denen der Protagonist die Nachwirkungen der Vergewaltigung beschreibt. Seine Ängste, seine Scham, die sich auch nach der x-ten Dusche nicht abwaschen lassen und ihn verwundet und roh zurücklassen.

Der Roman ist eine heftige und präszise Analyse der Gewalt, der in Frankreich sehr gefeiert wird und bereits über 300.000 Exemplare verkauft hat.

Eine weitere Rezension zum Roman findet ihr hier.

Ich danke dem Fischer Verlag für das Rezensionsexemplar.

 

 

Stefan Zweig – Die Welt von Gestern

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„Als meinen einzig sicheren Besitz empfinde ich das Gefühl der inneren Freiheit“

In den Zwanziger und Dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts war Stefan Zweig einer der berühmtesten Autoren der Welt. Nachdem die Nazis ihn aus seiner Heimat Österreich vertrieben hatten, beginnt er im Exil seine Erinnerungen in dem Band „Die Welt von Gestern – Erinnerungen eines Europäers“. Er macht das weniger, weil er glaubt selbst so wichtig zu sein, sondern weil er die aufregenden und teilweise überraschend liberalen Zeiten, die er durchlebt hat, nicht in Vergessenheit geraten lassen will.

Zweig beschreibt das Vorkriegs-Österreich als eine Welt, in der eigentlich nie etwas passierte, eine Welt der nahezu vollkommenen Sicherheit. Die jüdische Bourgoise, der er angehörte, war geradezu besessen von Kultur und schon als Jugendliche ist es üblich für Zweig und seine Freunde, sich die neuesten Gedichtbände aus Deutschland oder Frankreich zu besorgen. Man versteht nochmal deutlich besser Freuds Thesen, wenn man sich Zweigs Kapitel zur sexuellen Unterdrückung und Verlogenheit insbesondere in der österreichischen Oberschicht in der Zeit um die Jahrhundertwende durchliest. Da steckt tatsächlich der Mief von mehreren tausend Jahren tief in den bürgerlichen Frackschössen.

„Selbst in ihren schwärzesten Nächten vermochten die Eltern und Großeltern sich nicht auszuträumen, wie gefährlich der Mensch werden kann, aber ebensowenig auch, wieviel Kraft er hat, Gefahren zu überstehen und Prüfungen zu überwinden.“

„Wir haben das Wort „Sicherheit“ längst als ein Phantom aus unserem Vokabular gestrichen.“

Der erste Weltkrieg hat diese Welt nachhaltig durcheinander gewirbelt und die vollumfängliche Sicherheit ein für alle Mal beendet. Das Land ist zerbrochen und in unterschiedlichste Fragmente aufgesplittert, was nur wenige Jahre später in die zerstörererische Zeit des Nazi-Terrors führt. Gleichzeitig waren gerade die Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts eine Hochzeit für deutsche und österreichische Schriftsteller. Zweig ist schon früh ein Reisender, der etwas von der Welt sieht, der mehrere Sprachen spricht und ganz selbstverständlich in unterschiedlichen Sprachen korrespondiert, auch gerade durch seine jüdischen Wurzeln bedingt. Wien ist lange die kulturell wichtigste Stadt der Welt und er trifft auf Joyce, Rilke, GB Shaw, HG Wells, Yeats und andere und zeigt uns eine Fülle an europäischer Kultur, die so jäh durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beendet wurde.

Zweig ist von dem universellen Jubel, der den Ausbruch des ersten Weltkriegs begleitete, schockiert und obwohl es ihn viel Sympathien kostet, bleibt er vehement ein erklärter Kriegsgegener. Zweig war ein Liberaler, ein Kulturliebhaber, der sich dem Kriegswahnsinn entzieht, in die Schweiz geht und dort beim Roten Kreuz arbeitet. 1919 kehrt er nach Wien zurück und wird nach einer Weile auch von seinen vorher wesentlich kriegsfreudigeren Freunden wieder integriert, die ihm seinen Pazifismus sehr übel genommen hatten. Leider dauert die Harmonie nicht lange an. Nach einer Reise Zweigs in den Zwanziger Jahren in die UdSSR und seinem negativen Bericht über die Zustände dort, wenden sich seine avantgardistischen Freunde wieder von ihm ab.

Er zieht sich daraufhin nach Salzburg zurück und schon bei Hitlers Machtübernahme im Jahr 1933 warnt er vor ihm und prophezeit dessen Einmarsch in Österreich und die damit verbundene Gefahr für die Juden. Kaum jemand glaubt ihm und deprimiert emigriert er kurz darauf nach Großbritannien. Auch dort fühlt er sich nicht wirklich wohl, macht der Regierung Vorwürfe für ihre laxe Haltung Hitler gegenüber und mahnt die mangelnde Unterstützung für die Juden an. Aus Angst, die Nazis könnten auch England überrennen, flieht er weiter nach New York, wo er mit der Schreiben an „Die Welt von Gestern“ beginnt.

„…die Wissenschaft…, dieser Engel des Fortschritts.“

Ich kann noch immer nicht glauben, dass es einem so weltberühmten Autor wie Zweig nicht gelingen wollte, ein Visum für die USA zu bekommen. Er sieht sich gezwungen nach Brasilien zu gehen, eines der wenigen Länder, das ihm ein Einreisevisum ausgestellt hatte. Zunehmend deprimierter und verzweifelter nimmt er sich im Jahr 1942, auf der Höhe der Macht der Nazis, in Rio mit seiner Ehefrau das Leben.

„Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde.“

Ich halte Zweig für einen der schärfsten und klarsten Denker des 20. Jahrhunderts. Dieses Buch ist für mich eines der Wichtigsten, das gerade in Zeiten von Brexit und dem Erstarken von nationalistischen Partein in vielen europäischen Ländern aktueller ist denn je. Ich glaube, dass Zweig mehr unter der Boshaftigkeit Einzelner als an der Dummheit Vieler gelitten hat. Wenn ich ein Buch nennen müsste, von dem ich mir wünschte, dass es jeder lesen soll, es wäre wohl dieses.

„Jeder Schatten ist im letzen doch auch Kind des Lichts, und nur wer Helles und Dunkles, Krieg und Frieden, Aufstieg und Niedergang erfahren, nur der hat wahrhaftig gelebt.“

„Wir haben die Spannung von Pol zu Pol und den Schauer des ewig Neuen bis in jede Faser unseres Lebens gefühlt… Jeder einzelne darum von uns weiß heute tausendmal mehr von den Wirklichkeiten als die Weisesten unserer Ahnen. Aber nichts war uns geschenkt; wir haben voll und gültig den Preis dafür gezahlt.“

Wie wichtig ein geeintes Europa ist und wie sehr wir uns davor hüten sollten, es als Selbstverständlichkeit anzusehen, zeigen diese „Erinnerungen eines Europäers“. Ich konnte gar nicht glauben, dass Zweig vor dem 1. Weltkrieg problemlos ohne Pass sogar in die USA reisen konnte. Heute leider wieder viel unvorstellbarer als noch vor einiger Zeit.

Im Literaturhaus in München war vor einer Weile eine großartige Zweig-Ausstellung, über die ihr hier noch ein wenig mehr erfahren könnt.

Daher bin ich heute mal ganz missionarisch: Bitte lest dieses Buch, es ist nicht nur wirklich spannend und ersetzt jede Lehrstunde in europäischer Geschichte, es ist auch noch ganz wunderbar geschrieben.

Short and Sweet – Gemischte Tüte

Short and Sweet kommt ja oft, wenn ich ein bisschen faul bin für elaborierte Rezensionen, das soll gar nicht wertend sein den Büchern gegenüber, die ich dann nur kurz bespreche. Habe mal die liegengebliebenen der letzten Wochen (und einmal fast schon Monate) zusammengesucht, damit ich sie endlich ins Regal räumen kann und sie aufhören, mich so vorwurfsvoll anzuschauen.

Mein großes Highlight in diesem Stapel war „Night Film“ von Marisha Pessl, eine Autorin, die mit ihrem Debut „Special Topics in Calamity Physics“ vor ein paar Jahren für ordentlich Aufsehen in der Literaturbranche sorgte. Zusammen mit Jonathan Safran Foer galt sie als literarisches Wunderkind, wurde aber gleich auch mit ihm als Vertreterin der „Streber-Literatur“, der show-offs, in einen Topf geworfen.

Ich mochte ihr Debut sehr, mag auch Safran Foer und daher haben mich diese Spitzen überrascht, habe sie aber weitestgehend ignoriert und war erfreut, dass ein weiterer Roman von ihr erschienen ist, der sich dann auch noch mit dem Genre Horror-Film beschäftigt. Die Aufmachung erinnert entfernt an Mark Z Danielewskis „House of Leaves“ und die Geschichte um den Selbstmord der Tochter des mysteriösen Horrorfilm-Regisseurs Stanislav Cordova, der seit über 30 Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen wurde, hatte für mich definitiv Pageturner-Qualitäten.

“Mortal fear is as crucial a thing to our lives as love. It cuts to the core of our being and shows us what we are. Will you step back and cover your eyes? Or will you have the strength to walk to the precipice and look out?“

Nicht wirklich gruselig, aber düster und atemberaubend spannend, ein Thriller der Extraklasse, der Lust aufs Gruseln macht.

„Solitaire“ von Kelly Eskridge entführt uns in eine nicht all zu weit entfernte Zukunft, in der es tatsächlich endlich Weltfrieden gibt. Als Symbol der Hoffnung wurden alle Kinder, die genau in der Sekunde geboren wurden, als die Friedensverhandlungen beendet wurden, zu „Hopes“ ernannt und werden auf ihre Rolle als künftige Aushängeschilder der globalen Administration vorbereitet.

Die „Hope“ des weltweit einzigen Konzernstaates ist Ren „Jackal“ Seguara. Als Ren für eine fürchterliche Katastrophe die Schuld gegeben wird, bricht die Ko Corporation, ihr Heimatland sozusagen, jegliche Verbindung mit ihr ab und verurteilt sie zu einer fürchterlichen Strafe. Sie wird im Rahmen eines Experiments in eine Virtual Reality Isolationshaft gebracht, wo sie die nächsten 8 Jahre allein in ihrem Geist eingesperrt wird, ohne jeglichen Kontakt von außen.

„When we are left all alone is that when we find out who we truly are?“

Was mir an diesem stylischen Sci-Fi Roman unter anderem gut gefallen hat, war die absolute Selbstverständlichkeit mit der Ren eine Freundin hat und das auch ohne große Liebesdramen oder Dreiecksgeschichten, sondern von der ersten Seite an war klar, dass sie mit Snow zusammen ist. Eine willkommene Abwechslung.

Richtig kaugummibunt wird es dann bei „Knallmasse“ von Ulrich Holbein, einem durchgeknallten Science-Fiction Märchen. Klingt als hätte es George Orwell mit Lewis Carroll geschrieben, nachdem sie sich durch Aldoux Huxleys komplette LSD-Vorräte gearbeitet hatten.

Eine Zusammenfassung erscheint mir ziemlich unmöglich daher kupfer ich mal die Kurzbeschreibung auf dem Buchrücken ab um hier ordentlich Appetit auf diesen Roman zu machen, der im Übrigen bereits 1993 erschienen und liebevoll illustriert vom Humunculus Verlag wieder aufgelegt wurde.

„Es knallt und zwischt. Roboter Knallmasse lebt mit seinesgleichen im Staat des Dröhnens DeziBel, wo man das Klobige, Harte schätzt und das Weiche, Runde verabscheut. Als sich jedoch durch einen Sportunfall siene Weltsicht verkehrt und er dem Organischen plötzlich zugetan ist, hat er den Platz in sienem bisherigen Lebensraum verwirkt. Der Staatsapparat macht unterbittlich Jagd auf den Abweichler. Mit zwei menschenähnlichen Wulwiletten gelingt Knallmasse die Flucht ins kunterbunte Weltall, wo ein Abenteuer komischen Ausmaßes auf sie wartet.“

Ich danke dem Humunculus-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Kluge Gedanken für Leserinnen in allen Lebenslagen aus dem Elisabeth Sandmann Verlag ist eine Hommage an die lesende Frau und ich habe darin für meine Serie „Awesome People (Binge)Reading auf Facebook noch ein paar sehr schöne Motive gewonnen. Die Bilder sind wunderbar, zeigen überwiegend eher unbekanntere Leserinnen in abgefahrenen Positionen, das ganze wird von literaturbezogenen Zitaten geschmückt. Ein Buch das man gerne durchblättert und dass das perfekte Coffee-Table-Büchlein für die lesende Frau von Welt ist 😉

Einzig die Auswahl der Zitate fand ich gelegentlich etwas einseitig, einige Autorinnen sind dutzenfach vorhanden, ein paar, die gut gepasst hätten, fehlen leider gänzlich. Aber das ist jammern auf hohem Niveau, wer noch ein passendes Geschenk für eine Freundin oder sich selbst sucht, der kann hier beruhigt zugreifen.

Mein letztes Buch für heute hätte ganz wunderbar in die Short and Sweet – Illustre Runde gepasst, da hatte ich es allerdings noch nicht, aber so ein Geburtstag sorgt ja immer wieder für Neuzugänge und somit habe ich jetzt auch Haruki Murakamis „Schlaf“ in meiner Sammlung.

„Der Zustand, in dem ich in dieser Welt lebte und existierte, war wie eine vage Halluzination. Bei einem Windstoß, glaubte ich, würde mein Körper bis ans Ende der Welt geweht, an einen Flecken am Ende der Welt, den ich nie gesehen und von dem ich nie gehört hatte. Ewig wären mein Körper und mein Bewusstsein voneinander getrennt.“

Illustriert wurde es wieder mehr als genial von der wunderbaren Kat Menschik. Die Geschichte handelt von einer Frau, die seit siebzehn Tagen absolut kein Auge zumachen kann. Während Mann und Sohn nachts schlafend in ihren Betten liegen, beginnt für die namenlose Erzählerin ihr zweites Leben, das bald deutlich aufregender ist, als ihre immer gleichförmigen Tage.

Die 30jährige erzählt niemandem von ihrer Schlaflosigkeit, einzig der Leser erfährt davon. Es gibt keine Anzeichen von einsetzendem Wahnsinn oder anderen üblichen Symptomen nach einer derart langen Zeit der Schlaflosigkeit. Murakami hat sich ganz sicher intensiv mit dem Thema beschäftigt, ich fand die Idee unglaublich spannend, muss aber sagen, es handelt sich meines Erachtens um eine etwas schwächere Geschichte vom Meister. Aber auch hier jammern auf hohem Niveau. Ein Buch das jeder Murakami-Fan in seiner Sammlung braucht und spätestens in der nächsten schlaflosen Nacht werde ich es noch einmal hervorholen…

Das wars für heute meine Lieben. Hier noch mal kurz in der Übersicht die besprochenen Bücher dieser Short und Sweet Folge:

  • Marisha Pessl – Night Film. Im deutschen unter dem Titel „Die amerikanische Nacht“ im Fischer Verlag erschienen
  • Kelley Eskridge – Solitaire. Bislang nicht auf deutsch erschienen. Ansonsten im Small Bear Verlag.
  • Ulrich Holbein – Knallmasse. Erschienen im Homunculus Verlag
  • Kluge Gedanken für Leserinnen in allen Lebenslagen. Erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag
  • Haruki Murakami – Schlaf. Erschienen im Dumont Verlag.