Faust – Johann Wolfgang von Goethe

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Ghetto-Faust

Wem das Bildungsbürgertum – warum auch immer – das Asyl verweigert hat, hat mit dem „Buch als Magazin“ die beste Möglichkeit, so einiges nachzuholen. Gerade „Faust“ war für mich im Grunde das Synonym für „muss man gelesen haben, zitieren und inhalieren, wenn man dazugehören will“ und hab lange einen Bogen drum gemacht, was ziemlich dämlich war, denn Faust ist richtig gut.

„Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen;
Ein Werdender wird immer dankbar sein“

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Foto: Heike Neudeck

Aber bevor es hier um den gefrusteten Wissenschaftler und seinem Bund mit dem Teufel geht, muss ich erst noch mal das unglaublich wundervolle Cover loben. Ich liebe Bilder von Planeten,  Mond (wie zB der Blutmond kürzlich) etc und daher ist das Mars-Cover perfekt für mich.

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.“

„Nun gut, wer bist Du denn?
Ein Teil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?
Ich bin der Geist, der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles, was ensteht,
Ist wert, dass es zugrunde geht;
Drum besser wär’s, dass nichts entstünde.
So ist denn alles, was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.“

OK – Faust also. Wahrscheinlich ist es jetzt vermessen, hier überhaupt über den Inhalt zu schreiben, weil das ja jeder gelesen hat, aber ich wage mich trotzdem mal dran. Der brilliante Faust, der der Wissenschaft und Theologie irgendwie müde geworden ist, versucht es daraufhin mit Magie, aber auch das läßt ihn ziemlich unbefriedigt zurück. Frustriert will er seinem Leben ein Ende bereiten, aber im letzten Moment entscheidet er sich dagegen. Zack – Auftritt Mephistopheles (als Pudel(s) Kern), der Lust, Genuss und  Chaos mit sich bringt.

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Mephistopheles hat eine Wette laufen mit Gott, das er den guten alten Bücherwurm Faust auf die dark side ziehen kann und er bietet Faust einen Handel bzw den berühmten Teufelspakt an: Sollte es Mephistopheles gelingen, Faust mit dem Leben zu versöhnen, wird Faust dem Teufel gehören. Und damit nimmt das ganze höllische Drama aus Arroganz, unerfüllten Wünschen und Selbsttäuschung seinen Lauf.

Hallo Existentialismus !

Faust war anfangs gewöhnungsbedürftig für mich. Die Sprache, die Poesie, hat mich von der ersten Zeile an begeistert, trotzdem dauerte es einen Moment, bis ich im Flow war. Wenn man dann aber „drin“ ist, ist es ein ein wundervoll düsterer, mystischer, einfallsreicher, eloquenter und teilweise abgefahrener Höllenritt.

Faust is totally badass und ich werde auf jeden Fall auch den zweiten Teil lesen. Es war ein spannender Zufall, dass ich „Faust“ genau vor unserem Bookclub November-Buch „The Master and Margerita“ las, sehr passend, kann ich nur sagen.

Im zweiten Teil des Heftes gibt es Reportagen und Interviews, die mit dem Klassiker aus dem ersten Teil mehr oder weniger in Verbindung stehen, gerade in der Faust-Ausgabe fand ich diese Kombi sehr gelungen.

Das Buch als Magazin macht richtig Lust auf Klassiker, daher los, los, los kaufen und Faust lesen oder nochmal lesen und irgendwo auf der Welt wird bestimmt immer gerade das Stück aufgeführt. Da will ich jetzt auch hin.

Thérèse Raquin – Emile Zola

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Ja mei so kanns gehen, wenn man als arme abgeschobene Verwandte mit dem schwächlichen, ewig kränkelnden, reichlich asexuellen Cousin verheirat wird. Der erste dahergelaufene glück- und ambitionslose Typ wird zum Inbegriff der Männlichkeit und Thérèse beginnt eine animalistisch-heiße Affäre mit ihm. Nur durch diese Affäre scheint sie die immer gleichen trüben Tage im düsteren Kurzwarenladen in Gesellschaft ihrer langweiligen Tante und die Nächte mit dem dauerhustenden Camille zu überstehen.

Nur kann so eine Affäre natürlich nicht ewig andauern, ohne dass irgendwann der Wunsch entsteht, der unerträglichen Langeweile zu entkommen und die sexuellen Erfüllungen zum Dauerzustand werden zu lassen. Die beiden Lover Thérèse und  Laurent fangen dann irgendwann an mit den Gedankenspielen, was wäre wenn? Wäre es nicht wundervoll, Camille hätte einen Unfall ? Und wenn das Schicksal da so unwillig ist zu helfen, könnte man ja vielleicht selbst diesem Unfall etwas nachhelfen ….

Und dann ist es tatsächlich geschehen. Ein Ausflug zu dritt am Wochenende, eine kleine Bootspartie und schwups ist er weg, der Camille. Wer jetzt glaubt, Zola hätte seinen Protagonisten auch nur einen Hauch an Hoffnung und Happy End zugestanden, kann gleich wieder heimgehen. Nope. In seinem, wie er selbst im Vorwort sagt, psychologischen Experiment mit zwei animalischen Charakteren steht jahrelange psychische Qual, Depressionen und Unglück auf dem Programm. Keine einzige glückliche Minute ist den beiden schuldigen Liebhabern jemals wieder vergönnt, bis sie am Ende der inzwischen gelähmten Mutter alles gestehen und sich gemeinsam vor deren Augen mit einem Giftbecher aus dem Leben verabschieden.

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Wer glaubt Dostojewski geht mit seinen Protagonisten brutal um, dem zeigt Zola hier, das auch er alles andere als ein Weichei ist. Unsere Diskussion im Bookclub war entsprechend anregend.

Ein drittel des Buches beschäftigt sich mit dem psychischen und moralischen Verfall der beiden Protagonisten. Es sind nicht wirkliche Schuldgefühle, die Camille und Thérèse zeigen. Sie leiden heftigst an ihren vom Unterbewusstsein verursachten Ängsten und Wahnbildern. Zola selbst war Atheist und hat sicherlich bewusst der Religiösität in diesem Roman keinen Raum gegeben. Moral benötigt keine Religion.

Zola hat seiner Zeit entsprechend einen sehr mechanischen Blick auf die Welt. Die Welt als Labor. Man nehme zwei animalische Charaktere, packe sie in folgende Situation und heraus kommt unweigerlich x. Thérèse und Camille nehmen eine sehr statische Entwicklung. Die menschliche Natur wird rein wissenschaftlich betrachtet. Der Autor als Wissenschaftlicher, getrennt durch Laborwände von seinen Protagonisten. Da gönnt Zola Thérèse und Laurent keinerlei Tage der Euphorie, in dem sie ihr gemeinsames Glück kurz geniessen, dann gefolgt von Tagen voller Angst und Düsternis. Nein, einfach kontiniuerlich mechanisch. Mord, daraufhin Angst und Depression, daraufhin Geständnis und Selbstmord. Fertig. Experiment abgeschlossen.

Zolas Roman zeigt deutlich, wessen Zeites Kind er war 😉 Dieser unerschütterliche Glaube an die Wissenschaft, die Empirie, die gerade aufkommende Psychologie faszinieren mich immer wieder. Auch wenn gerade psychologische Interpretationen schneller altern als der Zeitgeist es erlaubt, die Diskussion war spannend, ein Roman den ich jedem Bookclub und natürlich auch jeder Einzelperson nur ans Herz legen kann.

Durch die traditionelle Erzählweise sehr zugänglich mit einer Handlung, die sich chronologisch und stringent entwickelt. Keine schwierige literarische Kost, aber wer Hoffnung sucht, der wird sie finden, nur eben nicht in diesem Roman. Ich hätte mir mehr Facetten bei der psychologischen Betrachtung der Charaktere gewünscht und etwas mehr Ambivalenz, aber so war sie eben nicht die Zeit des Herrn Zola.

Emile Zola gilt als Begründer des Naturalismus. Daneben war er Publizist und Journalist. In der „Dreyfus-Affäre“ schrieb er den berühmten offenen Brief an den französischen Staatspräsidenten „J’accuse„, in dem er den zu Unrecht des Staatsverrates angeklagten jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus verteidigt. Zola musste für ein Jahr nach London ins Exil und sein Name ist ab dann unauflöslich mit der Dreyfus-Affäre verbunden.

Thérèse Raquin ist 2013 unter dem Namen „In Secret“ unter der Regie von Charlie Stratton verfilmt worden. Er hat gemischte Rezensionen bekommen, ich fand ihn recht dicht am Buch und er hat mir ganz gut gefallen. Damit ihr Euch nicht auch wie ich die erste halbe Stunde des Films kontinuierlich den Kopf zerbrecht, woher zur Hölle ihr Camille kennt, verrate ich es euch vorab 😉 Tom Felton ist Draco Malfoy in den Harry Potter Verfilmungen.

Hier der Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=L58WBZDHP1s

Die hässliche Herzogin – Lion Feuchtwanger

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Meine Lieben – hier nun eine kurze Rezension aus der Rubrik “Schöner Scheitern an und mit Klassikern” – heute: „Die hässliche Herzogin“ von Lion Feuchtwanger.

Tief beschämt muss der Bingereader sich eingestehen, den historischen Betrachtungen zum Lebenswerk der Tiroler Herzogin Margarete in Tirol im ausgehenden Mittelalter nur mit Mühe die notwendige Aufmerksamkeit entgegengebracht zu haben. Ich habe wirklich gekämpft und mich durchgebissen, die Feuchtwanger Ausstellung im Literaturhaus besucht, viel über Herrn Feuchtwanger gelesen, aber der Zugang zu diesem Roman blieb mir irgendwie verwehrt.

Die Geschichte handelt von der Herzogin Margarete, die nach dem Tod ihres Vaters, Heinrich von Tirol, der ohne männlichen Erben gestorben ist, seine Nachfolgerin werden soll. Mit zwölf Jahren wird sie mit dem um einige Jahre jüngeren Johann von Luxemburg verheiratet. Liebe ist das natürlich nicht. Es gibt ein hin- und her um Macht und Einfluss rund um das kleine Herzogtum Tirol herum. Verschiedene gleichstarke Dynastien versuchen, die Herrschaft über Tirol zu erlangen. Die – von Herrn Feuchtwanger wiederholt ins Feld geführte außerordentliche Hässlichkeit Margaretes – ist eigentlich nicht die wichtigste Eigenschaft die sie hat, doch was fast alle übersehen ist, dass sie auch außerordentlich clever ist.

Das wäre schon durchaus interessant gewesen zu verstehen, wie sie sich behauptet als kluge und vermeintlich hässliche Frau, permanent von Aasgeiern umrundet, die sich das saftige Tirol gern unter den Nagel reissen würden, aber Feuchtwanger lässt einen der Herzogin nicht wirklich nahe kommen. Das hatte durchaus das Potential zur „Dynasty“-Soap im mittelalterlichen Tirol zu werden und wenngleich ich kein Soap-Niveau erwartet oder erhofft habe, es war – für meinen Geschmack – eher ein trockener Geschichtsbericht aus einem Sachbuch mit wenig Spannung, der mit Namen, Titeln, Herzogtümern nur so um sich gehauen hat.

Ich vermute aber, es liegt eher an mir als an Herrn Feuchtwanger, den ich mit meiner Kritik hier nicht in die Pfanne hauen möchte. Die Ausstellung „Erfolg“ im Literaturhaus war sehr interessant – ich kann sie nur jedem Münchner ans Herz legen. Die Ausstellung hat Lust auf diesen Schlüsselroman der 30er Jahre gemacht, nur die über 800 Seiten und mein nur mässig verlaufenes erstes Date mit Feuchtwangers Romanen lassen mich doch ein wenig zurückschrecken. Ich habe gesehen, dass es eine Verfilmung mit Bruno Ganz gibt , die wird es wohl – momentan zumindest – eher werden.

Die hässliche Herzogin war nicht meins, aber Leon Feuchtwanger ist mir durchaus näher gekommen. Auf ein neues – irgendwann vielleicht einmal.

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„Die häßliche Herzogin“ ist im Aufbau Verlag erschienen.

Giovanni’s Room – James Baldwin

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Unsere Juli-Lektüre für den Buchclub und die hat mich total überrascht. Ein kleines dünnes Büchlein, hab es auch durchaus auf dem Radar gehabt, aber hätte nicht gedacht, dass es mich derart aus den Schuhen haut. Wow – das Buch ist wirklich im wahrsten Sinne des Wortes heartbreaking. So wunderschön, so elegant. Das Paris der 50er Jahre und diese zwei jungen Männer, die unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuern, denn David traut sich einfach nicht.

Sein erstes Mal war mit einem Jungen aus der Nachbarschaft, aber aus Angst und Scham hat er sich direkt danach verkrümelt. Nach der Schule geht er wie viele junge Amerikaner in dieser Zeit nach Paris um sich zu finden. Oder aber viel eher, um vor sich selbst wegzulaufen. Er dümpelt vor sich hin, trifft irgendwann eine junge Frau, Hella, die er bittet, ihn zu heiraten. Sie braucht Bedenkzeit, reist alleine durch Spanien und David trifft in einer schäbigen Bar auf Giovanni, den atemberaubend schönen Barkeeper und verliebt sich in ihn. Die beiden haben eine heftige, leidenschaftliche, aber unglückliche Affäre. David möchte nicht so leben. Will die Normalität, will Hella nach ihrer Rückkehr aus Spanien heiraten und ganz normal und rein sein, Giovanni’s Room einfach hinter sich lassen und bricht dabei Giovanni’s Herz und auch sein eigenes. Es kommt zu einer fürchterlichen Katastophe.

Baldwin schafft es, dass man dieses Buch nicht einfach als Liebesgeschichte zwischen Männern oder Schwulenlektüre sieht, es ist einfach eine Liebesgeschichte. Und was für eine. Er schreibt eine Liebesgeschichte, in der nicht ein einziger schwarzer Charakter vorkommt, er schreibt eine Geschichte, die seinen Verlegern den Angstschweiß auf die Stirn trieb und die niemals veröffentlicht worden wäre, hätte er nicht bereits mit „Go tell it on the mountain“ einen riesigen Erfolgsroman hingelegt.

Nelson Algren schreibt wunderbar treffend über das Buch in „The Nation“: „This novel is more than another report on homosexuality. It is a story of a man who could not make up his mind, one who could not say yes to life. It is a glimpse into the special hell of Genet, told with a driving intensity and horror sustained all the way“.

Baldwin läßt sich nicht abschrecken. Er besteht auf der Veröffentlichung so, wie er das Buch geschrieben hat. Er schert sich nicht um unkende Verleger, die Kritikerverrisse und die Antipathie der afroamerikanischen Leserschaft prophezeien. Er schreibt und widmet das Buch „Lucien“. Seiner großen Liebe, die ihm Anfang der 50er Jahre in Paris das Herz gebrochen hat. Mit dem er eine ähnliche Affäre hatte und der nach drei Jahren heiratet und Baldwin am Boden zerstört zurückläßt.

Er setzt Lucien mit dem Buch ein Denkmal, aber er zeigt ihm auch das Ausmaß der Verwüstung, die dieser angerichtet hat, in dem er sich nicht zu ihrer Liebe und seiner Homosexualität bekannte, sondern lieber den heterosexuellen bürgerlichen Traum leben will. Man könnte sagen, so war das halt damals in den 50er. Phhh, das gibt es heute noch genauso. Es ist nicht unbedingt immer die Gesellschaft – die ist tatsächlich viel toleranter geworden, aber viele Menschen schaffen es einfach nicht, sich selbst einzugestehen was und wer sie sind. Und dann ist es fast egal, wie tolerant die Gesellschaft außenrum ist. Normal sein, nicht auffallen wollen – Homosexualität passt da nicht ins perfektionistische Weltbild. Da bleibt man lieber mit jemandem zusammen, den man gar nicht liebt oder heiratet jemanden, den man bestenfalls als guten Freund sieht, das war 1954 so und ist 2014 nicht anders.

Ich möchte ganz unbedingt noch mehr von und über James Baldwin lesen. Was für ein großartiger Autor. Und wieder ein Buch, das überquillt vor wundervollen Sätzen. Hier nur ein paar:

„People who believe that they are strongwilled and the masters of their destiny can only continue to believe this by becoming specialists in self-deception.“

„I felt sorrow and shame and panic and great bitterniss. At the same time – it was part of my turmoil and also outside it – I felt the muscles in my neck tighten with the effort I was making not to turn my head and watch that boy diminish down the bright avenue. The beast which Giovanni had awakened in me would never go to sleep again…“

„You know very well“, said Giovanni, slowly, „what can happen between us. It is for that reason you are leaving me.“ … He stuck his fist once against the window sill. „If I could make you stay, I would“ he shouted. „If I had to beat you, chain you, starve you – if I could make you stay, I would.“ he turned back into the room; the wind blew his hair. He shook his finger at me, grotesquely playful. „One day, perhaps, you will wish I had.“

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Giovannis Zimmer“ in der Zeit Bibliothek der verschwundenen Bücher.