Giovanni’s Room – James Baldwin

Giovannis Room

Unsere Juli-Lektüre für den Buchclub und die hat mich total überrascht. Ein kleines dünnes Büchlein, hab es auch durchaus auf dem Radar gehabt, aber hätte nicht gedacht, dass es mich derart aus den Schuhen haut. Wow – das Buch ist wirklich im wahrsten Sinne des Wortes heartbreaking. So wunderschön, so elegant. Das Paris der 50er Jahre und diese zwei jungen Männer, die unweigerlich auf eine Katastrophe zusteuern, denn David traut sich einfach nicht.

Sein erstes Mal war mit einem Jungen aus der Nachbarschaft, aber aus Angst und Scham hat er sich direkt danach verkrümelt. Nach der Schule geht er wie viele junge Amerikaner in dieser Zeit nach Paris um sich zu finden. Oder aber viel eher, um vor sich selbst wegzulaufen. Er dümpelt vor sich hin, trifft irgendwann eine junge Frau, Hella, die er bittet, ihn zu heiraten. Sie braucht Bedenkzeit, reist alleine durch Spanien und David trifft in einer schäbigen Bar auf Giovanni, den atemberaubend schönen Barkeeper und verliebt sich in ihn. Die beiden haben eine heftige, leidenschaftliche, aber unglückliche Affäre. David möchte nicht so leben. Will die Normalität, will Hella nach ihrer Rückkehr aus Spanien heiraten und ganz normal und rein sein, Giovanni’s Room einfach hinter sich lassen und bricht dabei Giovanni’s Herz und auch sein eigenes. Es kommt zu einer fürchterlichen Katastophe.

Baldwin schafft es, dass man dieses Buch nicht einfach als Liebesgeschichte zwischen Männern oder Schwulenlektüre sieht, es ist einfach eine Liebesgeschichte. Und was für eine. Er schreibt eine Liebesgeschichte, in der nicht ein einziger schwarzer Charakter vorkommt, er schreibt eine Geschichte, die seinen Verlegern den Angstschweiß auf die Stirn trieb und die niemals veröffentlicht worden wäre, hätte er nicht bereits mit „Go tell it on the mountain“ einen riesigen Erfolgsroman hingelegt.

Nelson Algren schreibt wunderbar treffend über das Buch in „The Nation“: „This novel is more than another report on homosexuality. It is a story of a man who could not make up his mind, one who could not say yes to life. It is a glimpse into the special hell of Genet, told with a driving intensity and horror sustained all the way“.

Baldwin läßt sich nicht abschrecken. Er besteht auf der Veröffentlichung so, wie er das Buch geschrieben hat. Er schert sich nicht um unkende Verleger, die Kritikerverrisse und die Antipathie der afroamerikanischen Leserschaft prophezeien. Er schreibt und widmet das Buch „Lucien“. Seiner großen Liebe, die ihm Anfang der 50er Jahre in Paris das Herz gebrochen hat. Mit dem er eine ähnliche Affäre hatte und der nach drei Jahren heiratet und Baldwin am Boden zerstört zurückläßt.

Er setzt Lucien mit dem Buch ein Denkmal, aber er zeigt ihm auch das Ausmaß der Verwüstung, die dieser angerichtet hat, in dem er sich nicht zu ihrer Liebe und seiner Homosexualität bekannte, sondern lieber den heterosexuellen bürgerlichen Traum leben will. Man könnte sagen, so war das halt damals in den 50er. Phhh, das gibt es heute noch genauso. Es ist nicht unbedingt immer die Gesellschaft – die ist tatsächlich viel toleranter geworden, aber viele Menschen schaffen es einfach nicht, sich selbst einzugestehen was und wer sie sind. Und dann ist es fast egal, wie tolerant die Gesellschaft außenrum ist. Normal sein, nicht auffallen wollen – Homosexualität passt da nicht ins perfektionistische Weltbild. Da bleibt man lieber mit jemandem zusammen, den man gar nicht liebt oder heiratet jemanden, den man bestenfalls als guten Freund sieht, das war 1954 so und ist 2014 nicht anders.

Ich möchte ganz unbedingt noch mehr von und über James Baldwin lesen. Was für ein großartiger Autor. Und wieder ein Buch, das überquillt vor wundervollen Sätzen. Hier nur ein paar:

„People who believe that they are strongwilled and the masters of their destiny can only continue to believe this by becoming specialists in self-deception.“

„I felt sorrow and shame and panic and great bitterniss. At the same time – it was part of my turmoil and also outside it – I felt the muscles in my neck tighten with the effort I was making not to turn my head and watch that boy diminish down the bright avenue. The beast which Giovanni had awakened in me would never go to sleep again…“

„You know very well“, said Giovanni, slowly, „what can happen between us. It is for that reason you are leaving me.“ … He stuck his fist once against the window sill. „If I could make you stay, I would“ he shouted. „If I had to beat you, chain you, starve you – if I could make you stay, I would.“ he turned back into the room; the wind blew his hair. He shook his finger at me, grotesquely playful. „One day, perhaps, you will wish I had.“

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Giovannis Zimmer“ in der Zeit Bibliothek der verschwundenen Bücher.

Verlangen – Jeanette Winterson

Winterson

Dieser Zufallsfund aus einem offenen Bücherschrank in Heidelberg hat mich total überrascht. Ein dünnes Büchlein, hab ein paar Seiten gebraucht bis ich drin war – aber dann wow. Was für eine Sprache, eine melancholische poetische Geschichte über die Liebe. Märchenhafte Elemente, ein Hauch Murakami vielleicht hier und da und eine absolute Liebeserklärung an Venedig. Noch nie wollte ich so gerne hinfahren wie jetzt. Ein Buch wie ein Oper – und wie auf dem Buchrücken so treffend steht „über den Wörtern, die vom Verlangen sprechen, liegt der verführerische matte Schimmer leiser Melancholie“.

Ich habe noch nie ein Buch gelesen in dem die Liebe so wunderschön, poetisch und leidenschaftlich beschrieben wurde wie hier. Ein Buch das man nicht nur einmal lesen sollte.

Ich könnte seitenweise daraus zitieren:

„Ich denke praktisch über die Liebe und habe mich mit Männern wie mit Frauen vergnügt, doch ich habe nie einen Wächter für mein Herz gebraucht. Mein Herz ist ein zuverlässiges Organ.“

„Ich werde nie von Gott in Versuchung geführt, aber ich liebe sein äußeres Drum und Dran“.

„Um gut zu küssen, darf man nichts als küssen. Keine tastenden Hände oder stammelnden Herzen. Die Lippen und die Lippen allein sind die Lust. Leidenschaft ist süßer, wenn sie Strang für Strang getrennt ist. Geteilt und noch mal geteilt wie Quecksilber, dann erst, im letzten Augenblick zusammengefügt.“

„Leidenschaft ist weniger ein Gefühl als ein Schicksal. Welch andere Wahl habe ich im Angesicht dieses Wesens, als die Segel zu hissen und die Ruder ruhen zu lassen?“

„Vielleicht ist das ihre Leidenschaft. Leidenschaft geboren aus Hindernissen der Leidenschaft?“

„Es ist das Herz, das uns betrügt, das uns weinen macht, das uns unsre Freunde begraben lässt, wenn wir weiter marschieren sollten. Es ist das Herz, das uns krank macht des Nachts und macht, das wir uns hassen.“

1979 – Christian Kracht

Christian Kracht 1979.jpg

Ein kleines Buch, das ich nun schon zum zweiten Mal gelesen habe. Beide Male habe ich es zugeklappt, bin auf der jeweiligen Sitzgelegenheit ganz nach hinten gerückt und es hat so ein Geräusch gegeben, wie in einem Comic. So ein lautes und schnelles Science-Fiction-artiges „Zzzzzzzzzzzzzzzzzmmmmmmmmmmmmmmmphhhhhhhhhhhh“. Dann war ich wieder im Hier und Jetzt und wußte einfach nicht so recht, was da gerade los war.

Ich habe so eine Ahnung. Da ist was. Das Buch hat was. Aber es läßt mich auch beim zweiten Mal komplett verwirrt zurück. Der Ich-Ich-Ich-Erzähler, ein ziemlich weichgespülter Dandy und sein Ex-Liebhaber, der ihn erniedrigt, wo er nur kann. Die Revolution in Teheran bekommen beide nicht mit, Christoph, sein Ex-Freund, weil er mit sich, seinen nässenden Beinen und seinem Sarkasmus rund um die Uhr zu tun hat und „Ich-Ich-Ich“, weil er unentwegt Klamotten und Einrichtungsgegenstände bewundern und bewerten muß.

Dann ist Christoph auf einmal tot. Zuviel Drogen, zuviel Alk und fehlender Lebenswille, Sterben symbolisch als westliche Dekadenz in einem von rauschebärtigen Fundamentalisten geführten Krankenhaus. Dekadenz gegen Fanatismus. Ein Anti-Reisebuch allererster Güte.

Ein merkwürdiger Rumäne schickt unseren Ich-Erzähler dann vom relolutionsgeschüttelten Teheran nach Tibet, um dort einen Berg zu umrunden. Macht er auch – in Christoph’s Luxus-Lederschuhen. Um Buße zu tun. Wofür genau? Wir wissen es nicht. Unser Ich-Erzähler ist nicht der reflektionsfreudigste, daher müssen wir das für ihn tun. Er tut Buße für alles, landet in einem chinesischen Umerziehungslager, in dem er sich auf eine seltsame Art heimisch zu fühlen scheint. Es könnte ein wenig schöner eingerichtet sein das Lager und auch das Essen läßt zu wünschen übrig, aber ansonsten ist er fast ein bißchen glücklich.

Dieses sich selbst auflösen erinnert mich an einen Roman von Paul Auster, in dem der Protagonist alles verkauft, bis er gar nichts mehr besitzt und er allein in einer leeren Wohnung sitzt und erst mit der totalen Leere so ganz langsam eine gewisse innere Ruhe einkehrt.

1979: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

1979“ ist im Fischer Verlag erschienen.