Sylvia – Leonard Michaels

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In Daunts Bookshop in London schaffen sie es immer wieder, mich zu Büchern zu überreden, von denen ich im Leben noch nicht gehört habe. Ich habe eine ewig lange Wunschliste, versuche diese abzuarbeiten und bin daher oft ganz schön widerspenstig, wenn man mir Sachen vorschlägt die nicht darauf sind, oder die ich bislang nicht auf dem Radar hatte. OK, nicht komplett widerspenstig, sonst würde diese Liste ja nicht ständig wachsen, woran auch meine lieben Mit-Blogger/innen nicht ganz unschuldig sind.

So kam ich auf jeden Fall zu „Sylvia“ von Leonard Michaels. Ein Buch, das in dem seit 2010 bestehenden hauseigenen Publishing House „Daunt Books“ erschienen war. „Autobiographical Memoir, Suicide und der Buchtitel Sylvia“ brachten mich anfangs irrtümlicherweise dazu, an Sylvia Plath zu denken, es handelt sich bei dieser Sylvia aber um Sylvia Bloch, der ersten Frau des Autors, und er schreibt in diesem autobiographischen Roman davon, wie er Anfang der 60er Jahre die junge, sensible und sehr brilliante Sylvia kennenlernt sowie die turbulente Beziehung die sie miteinander eingehen.

Wer auf der Suche ist nach einer fesselnden Erzählung und keine Angst davor hat, in ein Häufchen Elend verwandelt, auf der Suche nach der Kleenex-Box und einem Glas schottischen Whisky zur Aufmunterung durch die Gegend zu schleichen, dem kann man Michaels Buch nur empfehlen.

„Sylvia“ ist wunderschön geschrieben. Die Sätze voller intensivem Schmerz, roh und poetisch.

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„The brush swept down and ripped free until, abruptly, she quit brushing, stepped into the living room, dropped onto the couch, leaned back against the brick wall, and went totally limp. Then, from behind long black bangs, her eyes moved, looked at me. The question of what to do with my life was resolved for the next four years.“

Es ist das Buch einer jungen Frau, die sich immer tiefer in ihre psychischen Probleme verstrickt und gleichzeitig die Beschreibung einer durch und durch dysfunktionalen Beziehung. Ein sehr realistisches Portät psychischer Instabilität, Drogenkonsum und ungesunder Beziehungsdynamiken, das gleichzeitig  interessante Einblicke ins Greenwich Village der frühen 60er Jahre gibt.

Leonard Michael ist hauptsächlich für seine Kurzgeschichten bekannt geworden, auch wenn er es nie zu wirklich großem Ruhm gebracht hat. Sein wunderbar spröder eloquenter Schreibstil macht selbst die schmerzhaftesten Passagen zu einem großen Lesevergnügen.

„I went home feeling sad. The cost of our friendship exceeded its value.“

Leonard Michaels hat während seiner Beziehung zu Sylvia stets Tagebuch geführt, immer wieder fließen Abschnitte daraus in den Text ein und er beschreibt sorgfältig, fast penibel, den langsamen Abstieg seiner Frau bis zu ihrem frühen Tod im Alter von 24 Jahren.

Ich hätte wahnsinnig gern Sylvias Version der Geschichte gehört. Der Erzähler, der junge Leonard Michaels, kommt als gebildeter, sensibler Mann rüber (der mich aus irgendeinem Grund die ganze Zeit an den jungen Julian Barnes erinnert hat), ein wenig distanziert- unnahbar vielleicht – aber ist er wirklich der zuverlässige Biograph, der er vorgibt zu sein?

Eine wunderschöne traurige Geschichte, die ich unbedingt empfehlen möchte und ich würde mich freuen, würde Leonard Michaels wieder entdeckt. Ich freue mich auf jeden Fall auf seine Kurzgeschichten.

Noch ein Martini und ich liege unter dem Gastgeber – Michaela Karl

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Das es bei dieser Lektüre feucht zugehen würde, hatte ich vorab ja schon vermutet, dass ich aber bei der Gelegenheit das halbe Schlafzimmer unter Wasser setze und das arme Buch komplett ertränke, damit hätte ich nun doch nicht gerechnet. Die Hitzewelle vor ein paar Tagen, an die man sich jetzt fast schon nicht mehr erinnern kann, hatte mich in der ganzen Wohnung die Fenster aufreißen lassen, das kurz darauf folgende erlösende Hitzegewitter aber leider nicht dazu, das Fenster im Schlafzimmer auch wieder zu schließen *seufz*. Führte neben einer kaputten Steckdose nebst iPhone Kabel, einem feuchten Kopfkissen auch zu einer völlig ertränkten Ms Parker und ich habe sie förmlich zetern hören „Water ? Of all things possible you drown me in water?“

Nun gut, der Lektüre hat es keinen Abbruch getan, ich habe auch das vollkommen aufgeweichte Buch sehr genossen, das wellige Buch dann mit fetten Enzyklopädien wieder geplättet und halbwegs in Form gebracht und mir und Ms Parker natürlich dann nach diesen Strapazen einen wohlverdienten Martini serviert.

Die Journalistin, Autorin und Dichterin Dorothy Parker war in den 20er Jahren der Star der New Yorker Literaturszene, die für ihren bissigen Humor bekannt war. Sie arbeitet in den später 1910er Jahren für renommierte Magazine wie Vogue und Vanity Fair und in den 20er Jahren wurde sie Literaturkriterin bei The New Yorker.

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Sie gründete den legendären Algonquin Round Table mit dem Schriftsteller Robert Benchley und dem Dramatiker Robert Sherwood. Diese illustre Runde unterschiedlicher Künstler und Lebemänner und -frauen, die sich täglich im namengebenden Algonquin Hotel in Manhatten trafen, bestand aus so unterschiedliche Typen wie dem Gründer des Magazins The New Yorker, Harold Ross, dem Komiker Harpo Marx, dem Journalistin und Kritiker Alexander Woollcott, bis hin zu Schauspielern wie Tallulah Bankhead und Douglas Fairbanks. Nicht alle waren regelmäßige Teilnehmer dieses Kreises, der für seine heißen Wortgefechte ebenso bekannt war, wie für die Unmengen an Alkohol, die selbst während der Prohibitionszeit irgendwie aufzutreiben waren. Ich habe mich bei der Lektüre ständig gefragt, wann diese Menschen eigentlich überhaupt Zeit hatten zu schreiben, zu drehen, zu dichten etc. wenn sie doch stets und ständig gesoffen, gequalmt und sich gegenseitig in Affären verwickelt haben?

Michela Karls Biografie ist wunderbar leicht und informativ, der Humor staubtrocken und man erkennt in Parker eine schwierige, vielschichtige Frau, die weit mehr als einfach nur Pointenlieferantin war.

Parker, die von ihrer kurzen ersten Ehe nicht viel mehr behält als den Nachnamen, interessiert sich anfangs nicht wirklich für Politik. Was aber sicher auch der Zeit geschuldet war, dem Wunsch nach Leben und Glamour in den 20er Jahren, nach den Schrecken des ersten Weltkriegs. Allein am Broadway gingen in einem Jahr teilweise über 250 Premieren an den Start, die gesehen und rezensiert werden mussten, New York war die Literaturhauptstadt und eine Neuerscheinung jagte die nächste.

Die New Yorker Gesellschaft liegt ihr zu Füßen auch und gerade ihrer bösen Zunge wegen. Beispiel gefällig? Der Autorin eines Enthüllungsbuches, die sich beschwert, man habe dessen Erscheinen durch Polizeigewalt verhindern wollen, erklärt sie in ihrer Kolumne: „Lady, das waren keine Polizisten, sondern verkleidete Literaturkritiker.“  Auf einer Party erkundigt sich die Gastgeberin, ob Dorothy sich denn amüsiere, woraus diese zur Antwort gibt: „Ob ich mich amüsiere? Noch ein Martini und ich liege unter dem Gastgeber.“

„Men seldom make passes at Girls who wear Glasses“ (kann ich ja gar nicht verstehen 😉 )

„Immer wenn ich einen dieser Briten treffe, fühle ich mich, als würde ich ein Indianerkind auf dem Rücken herumschleppen.“

So wenig, wie sie sich zumindest in ihren jüngeren Jahren für Politik interessiert, so wenig interessiert sie sich ein Leben lang für Geld. Sie zahlt ihre Rechnungen häufig nicht, weniger aus Geiz oder Gemeinheit, als einem ziemlichen Desinteresse an Trivialitäten wie Geld oder anderen materiellen Gütern. Nach ihrem Tod findet man mehrere uneingelöste Schecks über zehntausend Dollar und das, obwohl sie gerade in ihren letzten Lebensjahren ein mehr als spartanisches Leben führen musste.

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Sie träumt lange davon, reich zu werden und wird es dann zeitweise in den 30er und 40er Jahren ausgerechnet dank Hollywood und das, obwohl sie mit dem Kino nicht wirklich viel anfangen kann „“Ich gehe nie ins Kino, weil jedes Kino auf mich nur wie eine vergrößerte, prächtig dekorierte Todeszelle wirkt.“ Sie schreibt mit ihrem zweiten Ehemann Alan Campbell Drehbücher, unter anderem für den Film „A star is born“ und für Alfred Hitchcocks Film „Saboteur“.

Während des 2. Weltkrieges wird Dorothy Parker, von ihren Freunden Dotty genannt, politisch aktiv. Sie ist entschiedene Gegnerin des Nazi-Regimes, ist Mitbegründerin der „Anti Nazi League“, setzt sich für Flüchtlinge ein und gründet in Hollywood eine Gewerkschaft für Drehbuchautoren. Sie wird Kommunistin und steht, gemeinsam mit vielen Kollegen, während der McCarthy Ära auf der schwarzen Liste. Sie entgeht knapp der Vorladung vor den Mc Carthy-Ausschuss, leidet aber ebenfalls unter dem Einstellungsverbot.

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Aber auch wenn ihre Möglichkeiten in Hollywood auf Eis gelegt waren, Dorothy Parker bleibt eine weiterhin hochgeachtete Autorin und Dichterin. 1963 kehrt sie nach jahrelangem „Exil“ nach New York zurück.

Die exzessiven wilden 20er Jahre, die für Parker und ihre Freunde eigentlich ein Leben lang andauerten, hatten einige unverwünschte Nebenwirkungen wie Alkoholismus, Depressionen, Selbstmordversuche und Herzkrankenheiten und ihr Freundeskreis beginnt sich durch frühe Todesfälle immer weiter zu lichten.

F. Scott Fitzgerald erliegt mit 44 seinem zweiten Herzinfarkt, seine Frau Zelda stirbt nur 8 Jahre später bei einem Brand in der psychiatrischen Klinik, in der sie jahrelang untergebracht war,  Hemingway nahm sich ebenso wie ihr erster und ihr zweiter Mann das Leben.

Auch Dorothy wird von ihrem Arzt gewarnt, sie sei in einem Monat tot, wenn sie in diesem Tempo weitertrinke, aber cool wie immer erwidert sie darauf „Alles leere Versprechungen.“

Am 7. Juni 1967 macht sich das Versprechen dann doch wahr und sie erliegt einem Herzinfarkt. Ich weiß nicht, ob etwas auf ihrem Grabstein steht, dieser Spruch von ihr wäre auf jeden Fall passend:

„If I abstain from fun and such, I’ll probably amount to much;
But I shall stay the way I am,
Because I do not give a damn“

Michaela Karl hat auch eine Biografie über  F. Scott Fitzgerald und seine Frau Zelda geschrieben, die ich auch gerne noch lesen möchte.

Hier eine spannende Dokumentation über den Algonquin Table „The Ten-Year Lunch“:

Das Buch ist im btb Verlag erschienen und hier erhältlich.

The Blazing World – Siri Hustvedt

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In Siri Hustvedts sechstem Roman „The Blazing World“ erzählt sie die provokante Geschichte der Künstlerin Harriet Burden, die seit Jahren von der Kunstwelt ignoriert oder von der Kritik verrissen wird. Irgendwann hat sie die genug davon und sie präsentiert ihre Kunst hinter drei männlichen Masken verborgen und peng! die Kunstwelt ist begeistert. Die drei Ausstellungen, in denen ihre Kunst als die von jeweils drei unterschiedlichen Künstlern als die ihrige ausgegeben wird, sind ein riesen Erfolg, als Burden aber nach der letzten Ausstellung triumphierend als eigentliche Künstlerin hervortreten will, glauben ihr die Kritiken nicht.

Der erste Künstler, ein junger unbekannter Mann und der zweite, ein schwuler, farbiger Mann – das lies die Kritikerwelt noch irgendwie gelten. Aber das der bekannte Künstler Rune nicht selbst diese brillianten Ausstellungsstücke geschaffen haben soll, das nehmen sie ihr nicht ab. Sie sprechen ihr die Rolle als seine Muse zu, glauben schon, dass die beiden eng miteinander involviert waren, aber SIE, die tatsächliche Künstlerin, niemals! Burden hat 24 Tagebücher geführt für fast jeden Buchstaben im Alphabet ein eigenes. In diesen enthüllt sie ihr kompliziertes und auch gefährliches Maskenspiel, das mit dem Selbstmord (?) Runes endet.

Der Roman wird sehr raffiniert in Form der Tagebuch-Eintragungen Burdens, sowie Interviews und Gesprächsnotizen mit Familie, Freunden, den Mitbewohnern von Burdens exzentrischer Loft-WG und Kritikern erzählt.

Dieses Buch platzt fast aus allen Nähten an Informationen, Wissen und Geschichten, eine Ansammlung von Schriften die das Leben Harriets beleuchten, ihre Biografie die stellenweise auch gut eine Autobiografie Hustvedts sein könnte. Philosophische Gedanken sind genauso vertreten wie die Neurowissenschaften, Psychologie, Kunstbewegungen und immer wieder in diesem Fall wirklich hilfreiche Fußnoten, die es einfacher machen das Wissen zu sortieren. Die Geschichte wird aus vielen Perspektiven erzählt, es ist aber nie schwer diesen zu folgen.

Harriet ist das was man wirklich „larger than life“ nennt. Sie ist nicht nur köperlich riesig, sie hat auch ein großes Herz, ein noch viel größeres Gehirn und wirbelt durch das Leben und die Kunst. Sie brennt vor lauter Ideen und ein Kritiker wirft ihr einmal vor, zu ernsthaft zu sein, ja, das kann man ihr vielleicht vorwerfen, aber so what. So groß und stark sie auch wirkt, sie ist tief verletzt, wütend über die jahrzehntelange Ignoranz, die ihr und anderen Frauen in der Kunst entgegengebracht wird. Sie wütet, sie rebelliert – ein Mauerblümchen ist sie tatsächlich nicht.

Verheiratet mit einem sagenhaft reichen Kunsthändler, der nicht einmal im Traum daran dachte, sich für ihre Kunst einzusetzen und der sie wiederholt mit Männern betrog, kümmert sie sich um die beiden Kinder und arbeitet dennoch stets weiter. Mit dem Tod ihres Mannes verändert sich alles. Es gibt so sagenhaft viel über dieses Buch zu sagen. Der Titel „The Blazing World“ basiert auf einer der ältesten Science Fiction Geschichten gleichen Titels, der von einer ebenfalls zu ihrer Zeit schwer unterschätzten Adeligen, Philosophin und Naturwissenschaftlerin Magaret Cavendish im 17. Jahrhundert geschrieben wurde.

The Blazing World ist nicht immer einfach zu lesen, man muß schon bei der Stange bleiben. Aber man lernt nicht nur unglaublich viel, insbesondere wenn man den Fußnoten folgt, nachliest und es macht Spaß. Ich mag ja „angry books“ – kräftige befreiende Literatur. Ein notwendiges Buch. Es hat mich an Bücher Margaret Atwood oder Toni Morrison erinnert.

„I was the ruler of my own little Brooklyn Fiefdom, a rich widow woman, long past babies and toddlers and teenagers, and my brain was fat with ideas“.

„This amnesia is our phenomenology of the everyday – we don’t see ourselves – and what we see becomes us while we’re looking at it.“

„I suspect that if I had come in another package my work might have been embraced or, at least, approached with greater seriousness. I didn’t believe there had been a plot against me. Much of prejudice is unconcious.“

„If there is one thing that doesn’t fly in the art world, it’s an excess of sincerity. They like their geniuses coy, cool, or drunk and fighting in the Cedar Bar, depending on the era.“

„But it is not what is said, that makes us who we are. More often it is what remains unspoken.“

„A young person always extrapolates human reality from her own life.“

„The truth is Harriet was striking. She had a beautiful, strong, voluptuous body. Men stared at her on the street, but she wasn’t a flirt, and she wasn’t socially graceful or prone to small talk. Harriet was shy and solitary. In company, she was usually quiet, but when she spoke, she was so forceful and intelligent, she frightened people, especially boys her own age. They simply didn’t know what to make of her. Harry sometimes wished she were a boy, and I can say that had she been one, her route would have been easier. Awkward brilliance in a boy is more easily categorized, and it conveys no sexual threat.“

„Did I want to live as a man? No. What interested me were perceptions and their mutability, the fact that we mostly see what we expect to see.“

„She believed in her steam and fury, and she pushed her art out of her like wet, bloody newborns,“

„It was true they didn’t want Harry the artist. I began to see that up close. She was old news, if she had ever been news at all. She was Felix Lord’s widow. It all worked against her, but then Harry scared them off. She knew too much, had read too much, and she corrected people’s errors.“

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Die gleissende Welt“ im Rowohlt Verlag erschienen.