Oktober Lektüre

Wieder ein wirklich guter Lesemonat! Kein Flop in Sicht – alle Bücher zwischen 3,5 und 5 Sternen, und jedes hat mich auf seine Art begeistert. Müsste ich mich für ein „Buch des Monats“ entscheiden, wäre das richtig schwer, aber mit minimalem Vorsprung ginge der Titel an „The Safekeep“ von Yael van der Wouten – ich kann einfach nicht aufhören, darüber nachzudenken. Ins Bild eingeschlichten hat sich Herr Toller, der gehört in den November, dafür fehlt Ex Libris von Anne Fadiman und Martyr! habe ich als Hörbuch gehört.

Die Vorstellung der einzelnen Titel folgt keiner besonderen Reihenfolge:

Martyr! – Kaveh Akbar auf deutsch unter dem Titel Märtyrer! im Rowohlt Verlag erschienen, übersetzt von Stefanie Jacobs

Martyr! ist ein Romandebüt: intensiv, sprachlich präzise und voller Fragen, die einen lange beschäftigen.
Der Roman erzählt von Cyrus, einem jungen Dichter, der mit seiner Sucht, seiner Depression und seinem Platz in der Welt ringt. Er sucht nach Bedeutung – in seiner Kunst, in der Erinnerung an seine Eltern, im Leben selbst – und manchmal auch im Tod.

Akbar schreibt mit schneidender Klarheit, in der jeder Satz sorgfältig gebaut wirkt, rhythmisch und voller Poesie. Man merkt, dass er aus der Poesie kommt: geboren im Iran, aufgewachsen in den USA, bekannt für seine Lyrikbände „Calling a Wolf a Wolf“ und „Pilgrim Bell“, in denen er ähnliche Themen verhandelt – Sucht, Sprache, Herkunft, Glauben. In seinem Prosadebüt verdichtet sich all das zu einer eindringlichen, klugen und sehr persönlichen Erzählung über Identität.

Eight of the ten commandments are about what thou shalt not. But you can live a whole life not doing any of that stuff and still avoid doing any good. That’s the whole crisis. The rot at the root of everything. The belief that goodness is built on a constructed absence, not-doing. That belief corrupts everything, has everyone with any power sitting on their hands.


Cyrus lebt in Indiana, zwischen Kulturen, Sprachen und Lebensentwürfen. Seine Mutter starb, als ein iranisches Passagierflugzeug von der US-Regierung abgeschossen wurde; sein Vater zerbrach an einem Leben in der amerikanischen Arbeitswelt; sein Onkel war wortwörtlich der Tod – in den Diensten des iranischen Militärs. Zwischen diesen Biografien und Brüchen stellt sich Cyrus die großen Fragen: Wie iranisch ist man, wenn man in den USA aufgewachsen ist? Wie amerikanisch, wenn man anders aussieht, heißt, glaubt? Und wie frei ist man, wenn man als queerer Mann ständig zwischen Sichtbarkeit und Anpassung balanciert?

Was mich besonders berührt hat, war, wie Akbar Trauer und Erinnerung ineinanderfließen lässt. Es gibt eine Szene, in der Cyrus durch die Stadt läuft und um seine Mutter trauert – leise, unspektakulär, aber voller Schmerz und Zärtlichkeit. Die hat mich total gepackt.

Nicht alles funktioniert gleich gut: Das Ende wirkt etwas zu konstruiert, manche Wendungen zeichnen sich früh ab, und die vielen Traumsequenzen waren mir persönlich zu viel. Aber das alles fällt kaum ins Gewicht, weil der Roman sprachlich so eindringlich, so lebendig und so unverstellt ist.

Martyr! ist kein perfektes Buch – aber eines, das wirklich etwas wagt. Es sucht nach Bedeutung inmitten von Chaos, und genau darin liegt seine Schönheit.

The Safekeep – Yael van der Wouten auf deutsch unter dem Titel „In ihrem Haus“ im Gutkind Verlag erschienen, übersetzt von Stefanie Ochel

Es gibt Bücher, die irgendwie leise daher kommen, sich ganz langsam entfalten – und einen dann völlig überraschen. The Safekeep von Yael van der Wouden war für mich genau so ein Buch: leise, konzentriert, präzise, und plötzlich von einer Wucht, die man nicht kommen sieht. Schon nach wenigen Seiten war klar, dass hier keine gewöhnliche Familiengeschichte erzählt wird, sondern ein vielschichtiges Spiel aus Erinnerung, Schuld und Begehren. In mehrfacher Hinsicht ist dieses Buch etwas Besonderes: Es ist das Debüt der niederländischen Autorin Yael van der Wouden, es wurde ursprünglich auf Englisch verfasst, und sie ist damit die erste niederländische Autorin, die es auf die Shortlist des Booker Prize geschafft hat. Yael van der Wouden wurde 1987 geboren und wuchs in den Niederlanden auf. Sie hat einen israelisch-niederländischen Hintergrund, studierte Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Utrecht und an der Binghamton University in den USA.

Die Handlung führt in die niederländische Provinz Overijssel, in den Sommer 1961. Isabel lebt dort allein in dem Haus ihrer verstorbenen Mutter, umgeben von Dingen, die in penibler Ordnung verharren. Alles ist still, geregelt, kontrolliert – ein Leben, das sich in Ritualen und Routinen festhält. Als ihr Bruder Louis mit seiner neuen Freundin Eva auftaucht und für den Sommer bleibt, gerät dieses fragile Gleichgewicht ins Wanken. Eva ist das genaue Gegenteil von Isabel: lebendig, neugierig, körperlich. Sie bewegt sich durch das Haus, öffnet Türen, betritt Räume, die Isabel lieber verschlossen gehalten hätte. Zwischen den beiden Frauen entsteht eine Spannung, die sich kaum benennen lässt – eine Mischung aus Abwehr, Begehren und schleichender Bedrohung. Was anfangs wie eine stille Familiengeschichte beginnt, entwickelt sich zu einem psychologisch dichten Drama, in dem Schuld, Erinnerung und Verdrängung untrennbar miteinander verwoben sind. Und dann kommt eine Wendung, so unerwartet und doch so konsequent, dass man das Buch für einen Moment zuschlagen möchte, um durchzuatmen.

She thought: I can hold you and find that I still miss your body. She thought: I can listen to you speak and still miss the sound of your voice.

Was mich an The Safekeep besonders beeindruckt hat, ist die Art, wie Yael van der Wouden Atmosphäre erzeugt. Sie braucht keine spektakulären Szenen oder großen Gesten. Das Unheimliche wächst in der Stille, im Zögern, in einem Blick, der zu lange dauert. Das Haus wird zur Bühne der inneren Zersetzung, ein Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart unmerklich ineinanderfließen. Man spürt in jedem Satz die Spannung zwischen Kontrolle und Kontrollverlust. Van der Wouden schreibt in einer klaren, präzisen Sprache, die an niederländische Stillleben erinnert – jede Bewegung, jedes Detail scheint festgehalten, bis man merkt, dass etwas im Bild verrutscht.

Auch thematisch bewegt sich der Roman auf mehreren Ebenen zugleich. Die familiäre Enge und das unausgesprochene Trauma verweisen auf eine größere historische Dimension: die Nachkriegszeit, die Schatten der Kollaboration, das Schweigen über Schuld. Diese Themen sind nie plakativer Hintergrund, sondern fließen in die private Geschichte ein – in die Art, wie Isabel Dinge ordnet, wie sie mit Erinnerungen ringt, wie sie versucht, das Unheimliche zu bannen. In dieser Verbindung von psychologischer Genauigkeit und geschichtlicher Tiefe liegt für mich die große Stärke des Romans.

Besonders die überraschende Wendung am Ende verleiht der Geschichte eine neue Perspektive, ohne den Zauber oder die Ambivalenz der Figuren aufzulösen. Sie zwingt einen, das Gelesene noch einmal neu zu betrachten, mit anderen Augen.

The Safekeep ist ein außergewöhnliches Debüt – eines, das sowohl literarisch anspruchsvoll als auch emotional tief berührend ist. Es ist ein Roman über Ordnung und das Chaos darunter, über Begehren, das sich nicht benennen lässt, über das, was ein Haus bewahrt, und das, was darin verloren geht. Wer sich auf diese stille, intensive Geschichte einlässt, wird reich belohnt. Für mich zählt sie jetzt schon zu meinen Lieblingsbüchern dieses Jahres.

The Knife – Salman Rushdie unter dem Titel „Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“ im Penguin Verlag erschienen, übersetzt von Bernhard Robben

Knife ist weit mehr als eine autobiografische Nacherzählung des furchtbaren Messerattentats auf Salman Rushdie, das ihn im August 2022 während einer Lesung in Chautauqua beinahe das Leben kostete und tragischerweise ein Auge kostete. Knife ist eine Meditation über Verletzlichkeit, Sprache und Überleben – ein Buch über das Weiterleben und das Weiterschreiben nach der Gewalt. Es ist sicherlich Rushdies persönlichstes Buch.

Seine Waffe ist nicht das Messer, sondern das Wort. „Language, too, was a knife“, schreibt er, „it could cut open the world and reveal its meaning.“ Und genau das tut er: Er seziert das Erlebte, die Angst, die Hilflosigkeit, aber auch die Wut, den Trotz und die ungebrochene Liebe zum Leben.

Das Buch ist schonungslos ehrlich, manchmal erschütternd körperlich. Rushdie erzählt, wie der eigene Körper nach einem solchen Angriff entprivatisiert wird, wie er in den Händen von Ärzten, Pflegern, Therapeuten liegt und plötzlich nur noch Objekt ist – und wie mühsam der Weg zurück zur Autonomie, zur Sprache und zur eigenen Identität ist.

Hier schreibt kein Oper, sondern ein Überlebender, der die Deutungshoheit über sein Leben und seine Geschichte zurückfordert. Rushdie verweigert dem Täter jede namentliche Nennung, er nennt ihn nur „the A“ – eine bewusste Geste der Entmachtung. In fiktiven Dialogen konfrontiert er seinen Angreifer mit dessen eigenen Ängsten und seiner stupiden Naivität. Rushdie lässt sich das Geschehen nicht von außen diktieren sondern verwandelt es in Literatur er eignet es sich an, um weiter existieren zu können.

Knife ist ein Buch über Mut – und über die Unmöglichkeit, zu schweigen. Das Buch schwankt zwischen Schmerz und Ironie, Pathos und Lakonie, aber immer bleibt es zutiefst menschlich. Und wer Rushdie einmal live erlebt hat, der spürt diesen Ton sofort. Ich erinnere mich noch gut an seine Lesung im Münchner Cuvilliés-Theater im Jahr 2015, nur wenige Tage nach den fürchterlichen Anschlägen des IS.

Art is not a luxury. It stands at the essence of our humanity, and it asks for no special protection except the right to exist.

Rushdie sprach damals darüber, dass er aus einer nichtreligiösen Familie komme und sich in den Sechzigerjahren niemals hätte vorstellen können, eines Tages Romane über Religion zu schreiben. Aber die Welt, sagte er, habe sich verändert, das Thema sei zu groß geworden, um es zu ignorieren. „Nicht nachgeben, keinen Zentimeter“, war seine Botschaft. „Wir müssen unser Leben weiterleben wie vorher und unsere Freiheit genießen und ausleben.“

Diese Haltung zieht sich auch durch Knife: das entschlossene „Weiterleben“, selbst wenn der Körper versehrt ist, selbst wenn die Angst real bleibt. Rushdie hält es – wie er damals sagte – „ganz mit Charlie Hebdo: Ihr habt die Waffen, aber wir haben den Champagner.“

Es ist dieser unerschütterliche Glaube an die Kraft der Kunst, der dieses Buch so stark macht.

Rushdie verwandelt das Messer, das ihn treffen sollte, in ein Symbol der Sprache. Er sticht nicht zurück, sondern öffnet das, was viele lieber verdrängen würden: die Angst, den Hass, die Gewalt, aber auch die unzerstörbare Möglichkeit des Menschen, sich durch Erzählung selbst zu heilen. Am Ende aber bleibt die Erkenntnis, dass Freiheit, Würde und Sprache nicht verhandelbar sind. Knife ist kein einfaches Buch, aber ein sehr wichtiges – und für mich ein bewegendes Zeugnis dafür, was es heißt, ein freier Mensch zu sein. Ich fand es wirklich gut.

Muttermale – Dagmar Leupold erschienen im Jung und Jung Verlag

Dagmar Leupold schenkt uns und sich zu ihrem 70. Geburtstag kürzlich – einen Roman von großer sprachlicher Schönheit und stiller Wucht. Muttermale, für den sie auch für den Bayerischen Buchpreis nominiert ist, ist kein klassisch erzähltes Buch, sondern ein fein komponiertes Erinnerungsgewebe. In fragmentarischen Miniaturen nähert sich Leupold dem Leben ihrer Mutter, einer Frau, deren Biografie von der Flucht aus Ostpreußen, vom Ankommen im Westen und vom leisen Beharren auf Würde geprägt ist.

Die Autorin rekonstruiert dieses Leben nicht linear, sondern tastend, suchend, in leisen Andeutungen. Zwischen Andenken, Briefen, Fotos und Erinnerungssplittern entfaltet sich das Porträt einer Generation, die gelernt hat, zu überleben – und zu schweigen. Eine Mutter die es der Tochter nicht immer einfach machte sie zu lieben. Im Versuch, die Mutter zu verstehen, wird zugleich die Frage nach der eigenen Herkunft, nach der genealogischen und emotionalen Vererbung gestellt: Was bleibt von unseren Eltern in uns zurück, welche Spuren tragen wir weiter – und welche möchten wir am liebsten tilgen? Das titelgebende Muttermal wird so zu einem poetischen Symbol für all das Unauslöschliche, das uns prägt.

Leupolds Sprache ist von einer fast musikalischen Präzision: reduziert, poetisch, nie pathetisch, immer aufmerksam für die Zwischentöne. Jeder Satz scheint sorgsam geschliffen, jede Beobachtung von einer zärtlichen Genauigkeit getragen.

Ein bei Tageslicht nicht zu erreichender Aggregatzustand trat ein: Die Seelenruhe. Im Schlaf hast du deine Tochter womöglich sogar gerngehabt.

Ein ganz eigener Reiz war für mich: Die Familie lebte in Mainz – und viele der beschriebenen Orte, Straßen und Lokale kenne ich gut. Das Wiedererkennen, vertrauter Orte war ein besonderer Bonus und hat der Lektüre für mich eine zusätzliche Tiefe verliehen.

Muttermale ist ein leises, zugleich eindringliches Buch über Erinnerung, Verlust und die Unausweichlichkeit von Herkunft. Ein Roman, der sich nicht aufdrängt, der aber nachklingt und bleibt. Ich drücke Dagmar Leupold fest die Daumen für den Bayerischen Buchpreis – verdient hätte sie ihn allemal und jetzt schau ich mir mal ihre anderen Werke an.

Ich danke dem @jung.und.jung Verlag sehr für das Rezensionsexemplar und hätte gern ein Glas auf Frau Leupold zum Gewinn des Bayrischen Buchpreises erhoben, das sollte leider nicht sein, aber für mich ist sie definitiv die Gewinnerin 🙂

Pompeijs letzter Sommer – Gabriel Zuchtriegel erschienen im Propyläen Verlag

Schon mit „Der Zauber des Untergangs“ hat Gabriel Zuchtriegel es geschafft, die Lebendigkeit und die ewige Faszination dieser untergegangenen Stadt einzufangen – so sehr, dass man sich beim Lesen fühlt, als würde man selbst durch die Straßen laufen.

Ich bin seit meiner Kindheit von Pompeji fasziniert – seit ich mit meinem Opa als Sechsjährige ein Buch über die Stadt angeschaut habe. Nach der Lektüre Ich muss da hin. Letztes Jahr hat es endlich geklappt – und „Pompejis letzter Sommer“ hat mich beim Lesen sofort wieder dorthin zurückversetzt.

Zuchtriegel nimmt uns mit in das Jahr 79 n. Chr., in ein Pompeji kurz vor der Katastrophe – lebendig, laut, voller Gegensätze. Eine Stadt, in der unfassbar Reiche in prachtvollen Villen lebten, deren Luxus auf der Arbeit von Sklaven basierte, die unter härtesten Bedingungen schuften mussten. Diese Spannung zwischen Glanz und Elend, Freiheit und Abhängigkeit, fängt Zuchtriegel wirklich gut ein. Man spürt das Brodeln unter der Oberfläche, nicht nur geologisch, sondern auch gesellschaftlich.

Das Christentum führte weder zum Untergang des römischen Reiches noch zur Abschaffung der Sklaverei. Viel mehr leben beide in wechselnder Gestalt weiter: Wir leben in einem „Imperium“, nur, das heute anstelle des Kaisers die Logik von Weltbank und WTO regiert. Genozid, Folter und moderne Formen der Sklaverei, prägten das koloniale Zeitalter und existieren, weitgehend aus dem Blickfeld der Industriestaaten verdrängt, nach wie vor in mannigfaltiger Form in der sogenannten dritten Welt. Kleidungsstücke, die wir tragen, Lebensmittel, die wir essen, werden unter sklaven-ähnlichen Bedingungen hergestellt. Von einem christlichen Sklavenaufstand in der Geschichte des Westens zu sprechen, ist Augenwischerei (Kehinde Andrews)

Besonders spannend fand ich, wie er zeigt, dass Pompeji nicht nur physisch am Rand des Untergangs stand, sondern auch geistig in einer Umbruchzeit war. Immer mehr Menschen begannen, an den alten Götterglauben zu zweifeln, und wandten sich einer „seltsamen kleinen Sekte“ zu – den frühen Christen. Zuchtriegel beschreibt diesen Wandel sehr eindrücklich: Wie eine Gesellschaft, die jahrhundertelang auf die Macht der römischen Götter vertraute, langsam ihren Halt verliert und sich nach neuen Antworten sehnt. Das hat für mich etwas sehr Zeitloses – denn auch heute erleben wir ähnliche Brüche im Denken und Glauben, wenn alte Gewissheiten bröckeln und Menschen neue Formen von Sinn suchen.

Was mir an Zuchtriegels Stil gefällt ist seine ansteckende Leidenschaft, er schreibt mit einem Gespür für Atmosphäre und Menschlichkeit. Man hört förmlich das Leben in den Straßen, das Rufen der Händler, das Lachen in den Thermen – und gleichzeitig spürt man das nahende Ende. Dieses Gefühl eines „letzten Sommers“ zieht sich wie ein feiner Schatten durch das Buch.

Natürlich hätte ich mir an manchen Stellen noch ein bisschen mehr wissenschaftlichen Tiefgang gewünscht, aber Zuchtriegel gelingt etwas, das nur wenige schaffen: Er verbindet Fachwissen mit echter Erzählkunst. Pompejis letzter Sommer ist nicht einfach ein Archäologie-Buch, sondern eine Reflexion über das Menschsein – über Macht, Glaube, Vergänglichkeit und die Suche nach Sinn.

Für mich ist es ein Buch, das man nicht nur liest, sondern erlebt. Es hat mich wieder an meinen eigenen Besuch erinnert – an dieses besondere Gefühl, durch eine scheinbar tote Stadt zu gehen, in der doch noch so viel Leben steckt. Ich würde Pompejis letzter Sommer mit 4,5 von 5 Sternen bewerten, mit klarer Tendenz nach oben. Ein faszinierendes, kluges und bewegendes Buch über eine Stadt, die uns mehr über uns selbst erzählt, als man auf den ersten Blick denkt.

Ich danke dem Propyläen Verlag für das Rezensionsexemplar.

Salt Slow – Julia Armfield auf deutsch unter dem Titel „Salzsirenen“ im Kommode Verlag erschienen, übersetzt von Hannah Pöhlmann

Nach „Our Wives Under the Sea“, das schon vor zwei Jahren eines meiner absoluten Lieblingsbücher war, zeigt Julia Armfield mit Salt Slow, wo ihre literarischen Wurzeln liegen: in einer Welt, in der das Körperliche und das Unheimliche untrennbar ineinandergreifen.

Diese Geschichten sind seltsam, schön, beunruhigend – eine wunderbare Mischung aus queerem Body Horror, Mythen und Magic Realism. Armfield schreibt über Frauenkörper, über Verwandlung und Zerfall, über die feinen Risse zwischen Intimität und Bedrohung. Ihre Protagonistinnen häuten sich, wachsen zu etwas Neuem heran oder zerfallen langsam – und all das wirkt gleichzeitig grotesk und zutiefst menschlich.

Was mich an Armfields Schreiben so fasziniert, ist ihr Blick für das Unheimliche im Alltäglichen. Eine Beziehung, ein Körper, ein gewöhnlicher Tag – und plötzlich kippt alles in etwas Dunkles, Schillernd und traumgleich, das man kaum greifen kann. Dabei bleibt ihre Sprache elegant, präzise, fast zärtlich in ihrer Beschreibung des Schreckens. Und immer wieder blitzt ein beißender, sehr britischer Humor auf, der das Morbide sehr reizvoll macht.

The sky is gory with stars, like the insides of a gutted night


Salt Slow erinnert an Autorinnen wie Shirley Jackson oder Mariana Enríquez, und doch ist Armfields Ton unverkennbar eigen: zugleich kühl und emotional, distanziert und tief berührend. Jede Geschichte öffnet eine kleine Welt für sich, seltsam und vollkommen – und ich wollte, sie würden nie enden.

Ein brillantes, düsteres Debüt, das zeigt, wie poetisch, queer und wunderschön Horror sein kann.

Die Wut ist ein heller Stern – Anja Kampmann erschienen im Hanser Verlag

Als ich Anja Kampmann beim Erlanger Poetinnenfest aus „Die Wut ist ein heller Stern“ lesen hörte, war ich sofort hin und weg, Buch gekauft und auch noch eine sehr schöne Signatur bekommen. Und dann lag es da, schön und verheißungsvoll, und ich merkte schnell: leicht wird das nicht. Ich brauchte mehrere Anläufe, habe es immer wieder zur Seite gelegt, bin zurückgekehrt, habe mit ihm gerungen. Ein Buch wie ein Boxkampf – aber einer, den ich unbedingt gewinnen wollte. Und ich bin froh, dass ich drangeblieben bin, denn am Ende hat sich jeder Schlagabtausch gelohnt.

Der Roman erzählt von Hedda, einer Artistin im Varieté „Alkazar“ auf der Reeperbahn Anfang der 1930er Jahre. Sie balanciert nicht nur auf dem Seil, sondern auch im Leben, während um sie herum die Welt kälter wird. Ihr Bruder Jaan zieht als Harpunenschmied in die Antarktis, ihr kleiner Bruder Pauli ist kränklich und verletzlich. Als die Nazis die Macht iübernehmen, verändert sich der Kiez gravierend. Heddas Freunde, die in kommunistischen Sportgruppen aktiv sind, werden verhaftet und ermordet.

Langsam zieht sich das Netz der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu. Die Schutzräume werden weniger, die Lichter im Varieté flackern, während draußen Uniformen auftauchen. Man merkt Anja Kampmann sofort an, dass sie aus der Lyrik kommt. Ihre Sprache ist dicht, manchmal kühl mehr spürbar als erklärbar.

Es gibt Passagen, die unfassbar schön sind, und andere, in denen ich schlicht nicht wusste, was gemeint war. Dieses ständige „Rita?“ – ich habe mich oft gefragt, warum, bis ich irgendwann aufgehört habe, alles verstehen zu wollen. Als ich mich der Stimme einfach hingegeben habe, mich tragen ließ, statt zu analysieren, wurde es plötzlich leichter.

Die Rita macht weiter, streckt sich so schön. Es ist warm. Samstagnacht, das Alkazar gut besucht. Schsch. Da ist dieses Glimmen im Auge des Kaiman. Eddy und Fred, die sonst so betäubt auf der Bühne liegen, sind hellwach, in ihren Augen ein seltsamer Glanz. Der Keiler ist wach. Da schwingt sie, die Rita, und die sich regen könnte, die spricht, ist irgendwo verborgen.

Kampmann schreibt keinen klassischen Roman, sie malt mit Worten, baut Räume aus Schweigen, Zwischenräumen, Blicken. Ihre Figuren sprechen in Andeutungen, ihre Sätze sind wie Seile, an denen man sich festhalten – oder verheddern – kann. Die Poetik ist kühl, aber nicht distanziert; sie hat eine fast körperliche Präsenz, die unter die Haut geht.

Die Wut ist ein heller Stern ist kein Buch, das man einfach so liest. Man muss sich darauf einlassen, sich in den Ring stellen, bereit sein, auch mal K.O. zu gehen – aber dann steht man wieder auf und liest weiter. Ich kann sehr gut verstehen, dass der Roman auf Platz 1 der SWR-Bestenliste steht. Er ist kompromisslos, sprachlich brillant, tief durchdacht. Aber definitiv keine Massenware. Wer einfach eine Geschichte „weglesen“ will, wird scheitern. Wer sich aber gern auf eine sprachliche Erfahrung einlässt, die fordert und berührt, der wird belohnt.

Ex Libris. Confessions of a Common Reader – Anne Fadiman auf deutsch unter dem Titel „Bekenntnisse einer Bibliomanin“ im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von Melanie Walz

Dieses Buch habe ich von einer lieben Bookclub-Freundin geliehen bekommen – und schon nach ein paar Seiten wusste ich: Anne Fadiman ist eine von uns. In fünfzehn kleinen Essays schreibt sie über das Leben mit (und manchmal auch wegen) Büchern – über zerlesene Ausgaben, über das Glück, Randnotizen zu hinterlassen, und über die Eigenheiten all jener, die sich zwischen Regalen am wohlsten fühlen. Besonders der erste Essay, “Marrying Libraries”, hat mich herrlich amüsiert: wie unterschiedlich zwei bücherverrückte Menschen mit ihren Lesewelten umgehen und wie emotional so ein gemeinsames Bücherregal werden kann! (es kam mir alles sehr bekannt vor ;))

Ich habe mich in vielem wiedergefunden – und war gleichzeitig froh zu merken, dass es offenbar Menschen gibt, die noch ein bisschen buchverrückter sind als ich. Dann wirkt die eigene Manie gleich ganz normal dagegen.

Fadiman, 1953 geboren, Essayistin, Redakteurin und bekennende Bibliomanin, schreibt mit Witz, Wärme und einem feinen Sinn für die kleinen Absurditäten des Lesens. Ex Libris ist charmant, klug und einfach herzerwärmend – und ja, es hat meine Leseliste natürlich verlängert. Mit Blick auf das bald nahende Weihnachtsfest: ein wunderbares Geschenk für alle, die Bücher nicht nur lesen, sondern leben.

So meine Lieben – das war mein Oktober. Wie war eurer? Was habt ihr gelesen und besonders gemocht? Konnte ich euch mit einem meiner Titel Lust auf die Lektüre machen? Freue mich über euer Feedback.

Meine Woche

Gesehen: Decision to Leave (2022) von Park chan-wook mit Tang Wei und Park hae-il. Stilvoller Neo-Noir-Thriller über einen rätselhaften Mordfall und eine undurchsichtige Hauptverdächtige. Großartig.

The Brand New Testament (2015) von Jaco Van Dormael mit Pili Groyne, Benoit Poelvoorde und Yolande Moreau. Eine belgische Komödie, die eigentlich gar nicht mein Beuteschema sein sollte, fand sie aber klasse. Gott existiert, lebt in Brüssel und hat eine tolle Tochter, die für ziemlichen Wirbel sorgt.

Verbotene Liebe – Queere Schicksale in der NS-Diktatur – Sehenswerte Dokumentation in zwei Teilen, aktuell in der ZDF Mediathek zu finden. Empfehlung!

Gehört: Arka Morgana – Myriad Drone, Trouble – Sharon van Etten, Girls Gang – Dina Summer, I’m in love – Andy Bell, It’s a mirror – Perfume Genius, All I need – Maribou State, Fanzine made of Flesh – Mogwai, America, what’s going on – Martin Kerr

Gelesen: 20 lessons on tyranny, How Hitler Dismantled a Democracy in 53 Days, Decentralized Social Media Is the Only Alternative to the Tech Oligarchy, How to survive the broligarchy: 20 lessons for the post-truth world

Getan: zu Blue Sky umgezogen, sehr viel spazieren gegangen, den Bookclub besucht, laufen gegangen und eine kleine Wanderung am Fuße des Wendelsteins

Gefreut: über Karten für DOTA

Geärgert: hab Mütze und Handschuhe in der Tram verloren 😦

Gelacht: über die Heil Tesla Projektion und die Anzeige die Söder kassiert hat

Getrauert: immer wenn man denkt es geht nicht schlimmer, gab es diese Woche noch eins drauf

Gegessen: Spaghetti im Solo Italia

Geklickt: auf diesen Perspektivwechsel, the meaning of „cute winter boots„, every Star Trek Movie ranked,

Gestaunt: über die mutige Bischöfin Mariann Edgar Budde, über diese erste Melodie ever und diesen blauen haarigen Fisch

Gewünscht: dieses Haus, diesen Nachtschrank, diese Bibliothek

Geplant: Schwimmen gehen

Gefunden: ein von Salman Rushdie signiertes Buch

Gekauft: nix

Gedacht: Je älter ich werde, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass dieser Planet von anderen Planeten als Irrenanstalt des Universums genutzt wird //George Bernard Shaw

Meine Woche

Gesehen: Don’t look up (2021) von Adam McKay mit Jennnifer Lawrence, Leonardo diCaprio, Meryl Streep und Cate Blanchett. Ein Asteroid droht die Erde zu zerstören und irgendwie scheint es niemanden zu interessieren. Fand ich realistisch – sehenswert.

Tim’s Vermeer (2013) von Teller. Da wir weder erschwingliche Zugtickets oder Hotelzimmer in Amsterdam finden konnten am gewünschten Termin um die Vermeer Ausstellung zu sehen, Doku geschaut und hoffentlich klappt es mit Ausstellung und Amsterdam doch noch. Großartige Doku.

Gehört: Women Talking – Hildur Gudnatóttir, Wenn ich mir was wünschen dürfte – Marlene Dietrich, Tropic Morning News – The National, The secret – Diary of Dreams, Ladies and Gentlemen we are floating in Space – Spiritualized, Oceans Niagara – M83

Gelesen: The defiance of Salman Rushdie, Why everyone feels like they’re faking it, Warum man sich den Absacker doch bestellen sollte, dieses Interview mit Sara Weber, Why too much medical treatment is causing more harm than good

Getan: Meetings im Rheinland besucht, viel Zug gefahren und in fremden Hotelbetten geschlafen, ein Whisky Tasting durchgeführt incl 1. Teil der Abschiedstour unseres Geschäftsführers 😦 und eine liebe Freundin im Krankenhaus besucht

Gefreut: nach 14 Tagen endlich die Liebste wiederzusehen

Geweint: um die vielen Toten bei dem entsetzlichen Erdbeben in Syrien und der Türkei – bitte spendet wenn ihr könnt (zB Ärzte ohne Grenzen)

Gegessen: Ramen in Düsseldorf

Getrunken: Glenkinchie, Edradour, Knockando und Ardbeg

Geklickt: auf ChatGTP wie so viele andere und spannende Unterhaltungen geführt – wer mehr drüber wissen will Miss Booleana weiß Bescheid,

Gestaunt: über Slim Molds, Squid-inspired smart windows could slash building energy use, The moon smells like gunpowder, what Frank Lloyd Wright’s unbuilt designs would look like today

Gelacht: Wenn du arbeiten willst geh ins Home Office und Kakerlaken als Valentinsgeschenk

Gewünscht: dieses Shirt, diese Leselampen, diese Duftkerze

Gefunden: nix

Gekauft: den weltbesten Sparschäler

Gedacht: What is it about me that other people would change if they could?

Meine Woche

Foto: kitty_cat_84

Gesehen: The Glass Menagerie von Tennessee Williams mit Amy Adams (und ein Foto/Autogramm haben wir auch bekommen), From the Devine to the Demonic Ausstellung im British Museum

Gehört: Wonderwall – Oasis

Gelesen: über die Heatwave in UK und die Dürre in Europa

Getan: London unsicher gemacht, die Inns of Court und den Palace of Justice, Westminster, Shoreditch, Cocktails in der Hutong Bar im Shard und in der Opium Bar getrunken, in Chinatown gegessen und zu viele Bücher gekauft

Gefreut: wieder mal zurück in London zu sein

Geärgert: über das schreckliche Attentat auf Salman Rushdie

Getrauert: um die schrecklichen Ausmaße des Klimawandels (zB gar kein Gras mehr da in den Londoner Parks)

Gegessen: Curry im Preem in Brick Lane, Ente im Old Town 97 in Chinatown

Geklickt: no

Gestaunt: über die vielen Radfahrer*innen in London

Gelacht: Tories – very little help

Gewünscht: Regen

Gefunden: viele interessante neue Ecken in London

Gekauft: Bücher

Gedacht: If you are tired of London, you are tired of life // frei nach Samuel Johnson

Meine Woche

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Gesehen: „Vor der Morgenröte“ (2016) von Maria Schrader mit Josef Hader. Sehr gelungenes Biopic über Stefan Zweig. Sehenswert.

Gehört: „Ocean“ – Goldfrapp ft Dave Gahan, „A Shine below the mound“ – Sonson, „Martyrs“ – Get well soon, „Love“ – Avec, „The return of Alhazred“ – Father Sky Mother Earth, „Iresdepia“ – Appalaches, „Sometime, Somewhere“ – aswekeepsearching, „Mladek“ – Russian Circles,

Gelesen: 21 Thesen zum Irrweg der DSVGO, the birth and death of privacy, in Britain Austerity is changing everything, dieses Interview mit Salman Rushdie, was im deutschen Literaturbetrieb schief läuft, Jaron Lanier what went wrong with the internet

Getan: mit meinen wunderbaren Freunden Geburtstag gefeiert, mit 4 tollen Frauen München unsicher gemacht, in der Sonne gelegen und gelesen

Geplant: die Digital Bauhaus besuchen und mit meinem Papa in seine Geburtsstadt fahren

Gegessen: ein leckeres afghanisches Dinner und viel Gegrilltes

Getrunken: zuviel

Gelacht: über Muriel Spark 🙂

Geärgert: nope

Gefreut: über die vielen Glückwunsche von lieben Menschen und meine wunderbaren Geburtstagsgeschenke

Geklickt: auf diese Bilder von verschwindenden Jobs

Gewünscht: dieses Haus, diese Bücherregale, diesen Luftkühler

Gefunden: dieses Buch

Gekauft: diesen Outdoor-Teppich

Gestaunt: a meaningful journey

Gedacht: Wonder Woman is not a fictional character. Wonder Woman is a mindset.

Zwei Jahre Acht Monate und Achtunzwanzig Nächte – Salman Rushdie

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Selten erschien mir ein Roman und die Lesung dazu aktueller als diese. Nur ein paar Tage nach den fürchterlichen Anschlägen des IS las Salman Rushdie im Münchner Cuvilliés-Theater aus seinem kürzlich erschienen Roman „Zwei Jahre Acht Monate und Achtundzwanzig Nächte“. Weder Dennis Scheck, der durch den Abend führte, noch unser nahezu kompletter Bookclub ließen sich von Regen, erhöhten Sicherheitsmaßnahmen oder Salman Rushdies Schnupfen erschrecken und wir wurden in jeder Hinsicht belohnt. Es war ein großartiger Abend, nur die deutsche Leseeinheit hätte etwas kürzer und vielleicht einen Hauch weniger theatralisch ausfallen dürfen.

Rushdie selbst kommt aus einer Familie und aus einer Zeit, die nicht religiös war. Er hätte sich in den Sechziger Jahren nie träumen lassen, Romane über Religion zu schreiben, doch leider ist das Thema in der Welt so stark gewachsen, dass er sich jetzt gezwungen sieht, darüber zu schreiben.

Nicht nachgeben, keinen Zentimeter. Wir müssen unser Leben weiterleben wie vorher und unsere Freiheit genießen und ausleben,  ist die Message von Salman Rushdie, der es wissen muss, dem der Terror selbst durch die jahrelange Todes-Fatwa viele Freiheiten genommen hat. Die Fatwa ist offiziell aufgehoben, doch noch immer ist ein Kopfgeld von rund 3,3 Mio Dollar auf ihn ausgesetzt.

Doch er hält es ganz mit Charlie Hebdo:

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Bild: Tagesschau

Ihr habt die Waffen, aber WIR haben den Champagner!

Im Roman geht es um Ibn Ruschd alias Averroës,  den aufklärerischen Moslem  des 12. Jahrhunderts, den es wirklich gab. Rushdies Vater benannte sogar seine Familie um, nach eben diesem Denker, um diesem seinen Respekt zu zollen. Aufklärung ist Rushdies Lebensthema und ihm ein Stück weit wohl in die Wiege gelegt worden. Er ist allen Religionen gegenüber skeptisch, denn die große Kraftquelle der Religionen ist die Angst.

Die zweite Person ist ein persischer Gelehrter namens Abu Hamid Muhammad Ibn Muhammad al-Ghazali, ein strenger Gläubiger, der Ibn’Ruschd, den Philosphen der Vernunft, bekämpft. New York wird zum symbolischen Schauplatz im Kampf der Welten. Auf beiden Seiten bekriegen sich Dämonen und Zauberwesen.

Ist Gott die Liebe oder die Angst? Darüber streiten sich die beiden Philosophen.  Furcht verändert die Furchtsamen und ist eine Waffe die wir auf uns selbst richten.

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Der Roman hat eine unglaubliche Fülle an Personal und es nicht einfach, immer den Überblick zu behalten. Eine Dschinnya namens Dunia spielt eine große Rolle in diesem Roman. Sie ist ein verführererisches Geisterwesen, dass sich im 12. Jahrhundert in den Gelehrten Ibn’Ruschd verliebt und eine unglaubliche Menge Kinder mit ihm bekommt.

Ein paar hundert Jahre später ist sie in unserer Welt unterwegs, um ihre Nachkommen um sich zu versammeln, die allesamt, ohne es zu wissen, ebenfalls Dschinns und Dschinnyas sind. Diese, die guten, die hellen Dschinns, führt sie in den Kampf und ist dabei alles andere als zimperlich. Dunia ist eine toughe Kämpferin und keine devote Dienerin.

„Die menschliche Vernunft ist doch bestenfalls ein armseliges, anfälliges Ding, dachte Dunia. Hass, Dummheit, Fanatismus, Habgier, das waren die vier Reiter der neuen Apokalypse. Doch sie liebte diese kaputten Leute und wollte sie vor den dunklen Dschinn retten, die die innere Dunkelheit in ihnen nährten, tränkten und offenbarten.“

Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte,was der magischen Zahl „1001“ entspricht, dauert dieser Kampf zwischen den guten Dschinns angeführt von Dunia und den dunklen, die dem fundamentalistischen Ghazali folgen. Wobei der Roman weniger an die Märchen aus 1001 Nacht erinnert, als an X-Men und bei Dunia mußte ich immer an „Storm“ denken 😉

Mit Sturm und Sintflut beginnt die Zeit der Seltsamkeiten. 1001 Nacht der dunklen Geschehnisse.  Das Wetter spielt verrückt, die Stürme sind so mächtig, dass die Übergänge zwischen der Welt der Dschinns und unserer aufbrechen und großes Unheil anrichten. Rushdie nutzt das Märchenhafte zur Verarbeitung unserer Gegenwart, all des Terrors im Namen des Glaubens, aber auch die Gefahren des Klimawandels, die unser Wetter zum Durchdrehen bringen. Mit Hilfe der Komödie und der Fabel zeigt uns Rushdie, dass es möglich ist über die dunklen Seiten zu schreiben und zu lachen.

„Ein Kind begreift nichts und klammert sich, weil es ihm an Wissen gebricht, an den Glauben. Den Kampf zwischen Vernunft und Aberglauben kann man als die lange Jugendzeit der Menschheit betrachten, und der Sieg der Vernunft wird ihr Mündigwerden sein. „

Als hätte er es vorausgesehen. was passieren würde, als er vor vier Jahren mit dem Schreiben des Romans begann. Was könnte seltsamer sein als das was heute aktuell passiert?

Am Ende siegt die Vernunft, auf der Strecke bleiben die Religion und die Träume. Der Geist der Religion ist wieder in der Flasche und wir brauchen keine Träume mehr, denn wir leben im Hier und Jetzt. Es lebe der Existentialismus!

„Du wirst schon sehen, dass im Lauf der Zeit letztendlich die Religion selbst die Menschen zu veranlasst, sich von Gott abzuwenden, entgegnete Ibn Ruschd. Die Frommen sind Gottes schlechteste Sachwalter. Mag sein, dass es eintausendunein Jahr dauert, doch am Ende wird die Religion verdorren, und erst dann werden wir beginnen, in Gottes Wahrheit zu leben.“

Bei Gerhard vom Kulturforum findet sich ein sehr schöner Bericht über Herrn Rushdies Besuch auf dem Bayern2-Diwan.

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Meine Woche

Herakut2

Gesehen: 84 Charing Cross Road – die Verfilmung des Buches von Helene Hanffs – ein wundervoller Film nicht nur für Literaturliebhaber

Das Leben der Anderen – puh harter Tobak.

Orphan Black – Season 3 – endlich geht es weiter 🙂

Gehört: Diorama – The Girls, Rammstein – Links 2 3 4, Ascii Disko – Strassen,  VNV Nation – Rataliate, Roisin Murphy – Exploitation und diese konzertante Aufführung von Orpheus und Eurydice dirigiert von der wundervollen Laurence Equilbey

Gelesen: dieses Interview mit Ruth Rendell, diesen Artikel der sich mit der Frage beschäftigt, ob Salman Rushdie der Voltaire unserer Zeit ist und „What Power Really Means“ – Cheryl Strayed reads Adrienne Rich’s Homage to Marie Curie

Getan: einen Zeitmanagement Workshop gegeben, den Frühlingsmix im Literaturhaus genossen, Freunden beim Umzug geholfen und den darauf folgenden mega Muskelkater dann unvernünftigerweise mit all-Night-Clubbing versucht zu kurieren 😉 und leckere Cocktails getrunken mit liebem Besuch aus der Schweiz

Gegessen: diesen leckeren Pad Thai Salat

Getrunken: einen exzellenten klassischen Mojito im Hotel Anna

Gefreut:  über den zustande gekommenen Regaltausch und über den Sieg vom BVB

Geärgert: fällt mir nix ein

Gelacht: I’ve made it from the bed to the couch – there is no stopping me now 😉

Geplant: Dortmund und Berlin nächste Woche

Gewünscht: mein Parfum geht zur Neige, es muß Nachschub her und diese Säcke – so cool

Gekauft: nüscht glaub ich – doch! Das Buch beim Literaturmix.

Gefunden: einen Smithsonian im Flieger *freu*

Geklickt: auf diesen Artikel zum Thema New Work, diesen Artikel aus der NYT „Apple and the Self-Surveillance State“, diesen Beitrag über AirBnB Hosts in Japan

Gewundert: wie oft man beim Elfmeterschießen ausrutschen kann 😉