Selten erschien mir ein Roman und die Lesung dazu aktueller als diese. Nur ein paar Tage nach den fürchterlichen Anschlägen des IS las Salman Rushdie im Münchner Cuvilliés-Theater aus seinem kürzlich erschienen Roman „Zwei Jahre Acht Monate und Achtundzwanzig Nächte“. Weder Dennis Scheck, der durch den Abend führte, noch unser nahezu kompletter Bookclub ließen sich von Regen, erhöhten Sicherheitsmaßnahmen oder Salman Rushdies Schnupfen erschrecken und wir wurden in jeder Hinsicht belohnt. Es war ein großartiger Abend, nur die deutsche Leseeinheit hätte etwas kürzer und vielleicht einen Hauch weniger theatralisch ausfallen dürfen.
Rushdie selbst kommt aus einer Familie und aus einer Zeit, die nicht religiös war. Er hätte sich in den Sechziger Jahren nie träumen lassen, Romane über Religion zu schreiben, doch leider ist das Thema in der Welt so stark gewachsen, dass er sich jetzt gezwungen sieht, darüber zu schreiben.
Nicht nachgeben, keinen Zentimeter. Wir müssen unser Leben weiterleben wie vorher und unsere Freiheit genießen und ausleben, ist die Message von Salman Rushdie, der es wissen muss, dem der Terror selbst durch die jahrelange Todes-Fatwa viele Freiheiten genommen hat. Die Fatwa ist offiziell aufgehoben, doch noch immer ist ein Kopfgeld von rund 3,3 Mio Dollar auf ihn ausgesetzt.
Doch er hält es ganz mit Charlie Hebdo:
Bild: Tagesschau
Ihr habt die Waffen, aber WIR haben den Champagner!
Im Roman geht es um Ibn Ruschd alias Averroës, den aufklärerischen Moslem des 12. Jahrhunderts, den es wirklich gab. Rushdies Vater benannte sogar seine Familie um, nach eben diesem Denker, um diesem seinen Respekt zu zollen. Aufklärung ist Rushdies Lebensthema und ihm ein Stück weit wohl in die Wiege gelegt worden. Er ist allen Religionen gegenüber skeptisch, denn die große Kraftquelle der Religionen ist die Angst.
Die zweite Person ist ein persischer Gelehrter namens Abu Hamid Muhammad Ibn Muhammad al-Ghazali, ein strenger Gläubiger, der Ibn’Ruschd, den Philosphen der Vernunft, bekämpft. New York wird zum symbolischen Schauplatz im Kampf der Welten. Auf beiden Seiten bekriegen sich Dämonen und Zauberwesen.
Ist Gott die Liebe oder die Angst? Darüber streiten sich die beiden Philosophen. Furcht verändert die Furchtsamen und ist eine Waffe die wir auf uns selbst richten.
Der Roman hat eine unglaubliche Fülle an Personal und es nicht einfach, immer den Überblick zu behalten. Eine Dschinnya namens Dunia spielt eine große Rolle in diesem Roman. Sie ist ein verführererisches Geisterwesen, dass sich im 12. Jahrhundert in den Gelehrten Ibn’Ruschd verliebt und eine unglaubliche Menge Kinder mit ihm bekommt.
Ein paar hundert Jahre später ist sie in unserer Welt unterwegs, um ihre Nachkommen um sich zu versammeln, die allesamt, ohne es zu wissen, ebenfalls Dschinns und Dschinnyas sind. Diese, die guten, die hellen Dschinns, führt sie in den Kampf und ist dabei alles andere als zimperlich. Dunia ist eine toughe Kämpferin und keine devote Dienerin.
„Die menschliche Vernunft ist doch bestenfalls ein armseliges, anfälliges Ding, dachte Dunia. Hass, Dummheit, Fanatismus, Habgier, das waren die vier Reiter der neuen Apokalypse. Doch sie liebte diese kaputten Leute und wollte sie vor den dunklen Dschinn retten, die die innere Dunkelheit in ihnen nährten, tränkten und offenbarten.“
Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte,was der magischen Zahl „1001“ entspricht, dauert dieser Kampf zwischen den guten Dschinns angeführt von Dunia und den dunklen, die dem fundamentalistischen Ghazali folgen. Wobei der Roman weniger an die Märchen aus 1001 Nacht erinnert, als an X-Men und bei Dunia mußte ich immer an „Storm“ denken 😉
Mit Sturm und Sintflut beginnt die Zeit der Seltsamkeiten. 1001 Nacht der dunklen Geschehnisse. Das Wetter spielt verrückt, die Stürme sind so mächtig, dass die Übergänge zwischen der Welt der Dschinns und unserer aufbrechen und großes Unheil anrichten. Rushdie nutzt das Märchenhafte zur Verarbeitung unserer Gegenwart, all des Terrors im Namen des Glaubens, aber auch die Gefahren des Klimawandels, die unser Wetter zum Durchdrehen bringen. Mit Hilfe der Komödie und der Fabel zeigt uns Rushdie, dass es möglich ist über die dunklen Seiten zu schreiben und zu lachen.
„Ein Kind begreift nichts und klammert sich, weil es ihm an Wissen gebricht, an den Glauben. Den Kampf zwischen Vernunft und Aberglauben kann man als die lange Jugendzeit der Menschheit betrachten, und der Sieg der Vernunft wird ihr Mündigwerden sein. „
Als hätte er es vorausgesehen. was passieren würde, als er vor vier Jahren mit dem Schreiben des Romans begann. Was könnte seltsamer sein als das was heute aktuell passiert?
Am Ende siegt die Vernunft, auf der Strecke bleiben die Religion und die Träume. Der Geist der Religion ist wieder in der Flasche und wir brauchen keine Träume mehr, denn wir leben im Hier und Jetzt. Es lebe der Existentialismus!
„Du wirst schon sehen, dass im Lauf der Zeit letztendlich die Religion selbst die Menschen zu veranlasst, sich von Gott abzuwenden, entgegnete Ibn Ruschd. Die Frommen sind Gottes schlechteste Sachwalter. Mag sein, dass es eintausendunein Jahr dauert, doch am Ende wird die Religion verdorren, und erst dann werden wir beginnen, in Gottes Wahrheit zu leben.“
Bei Gerhard vom Kulturforum findet sich ein sehr schöner Bericht über Herrn Rushdies Besuch auf dem Bayern2-Diwan.
Wow! Ich wollte da auch hin, aber leider war ich anderweitig vergeben. Toll Dein Beitrag: das tröstet mich über das Verpasste hinweg. Der Roman ist klasse – bin gerade mittendrin.
Super. Ich hab ihn ein paar Stunden vorher beim B2-Diwan im Gasteig gesehen, Beitrag kommt morgen. Können wir ja dann gegenseitig verlinken 😉
Viele Grüße,
Gerhard
Weiß noch nicht, ob ich eine Rezension zum Buch schaffe…falls Du auch mich gemeint hast – aber ich bin grad schreibfaul und zeitmangelnd. Wenn DU UND SABINE ein Salman-Special machen, dann ist die Münchner Creme de Culture so gut vereint, da braucht es meinen Augschburger Senf nicht…:-) Wie kommst Du auf den B2-Diwan? 🙂
Ich hab Euch beiden Ladies gemeint, doch, doch… 😉 Rezension von Dir wär schon sehr genehm. Der B2-Diwan ist eine öffentliche Veranstaltung, da kann jede/r hin, kostet auch nix, guckst Du hier: http://www.literaturfest-muenchen.de/navi2/muenchner-buecherschau/autorengespraeche-auf-dem-bayern-2-diwan/
Wolfgang Schorlau möchte ich mir noch anschauen, zu Navid Kermani werde ich es wahrscheinlich nicht schaffen.
Viele Grüße,
Gerhard
Ach, ich hab gedacht, Du warst da als Promi 😄DER Münchner Kulturblogger auf dem Diwan 😄 Kermani habe ich auf der Agenda …Wie sieht es bei Dir aus, Sabine?
Haha, ich saß ja nicht drauf, sondern davor, wie alle anderen Münchner Promi-Kulturblogger halt auch ;-))))))
Na also, auf dem Platz an der Sonne 🙂
Eh klar … ;-))
Bei Herrn Kermani bin ich leider raus, da muss ich den wilden Norden (Hamburg) unsicher machen – schade 😦
Na, bei Herrn Kermani wäre das auch nicht so gut gekommen, wenn ich da meine Bierwette inklusive Murakami-Beschimpfung eingelöst hätte. Wir müssen mal mit Gerhard und anderen Münchnern (Bajuwaren) einen eigenen Event ins Auge fassen.
Oh ja, das ist eine klasse Idee mit dem Treffen und ich hoffe, einer der anderen Bajuwaren steht mir und meinem kleinen Japaner bisserl bei, bei deinen Schimpftiraden 😉 Das wird ein bierseliger Abend meine Liebe … 🙂
Ja gerne 🙂 Sorry gestern war ein wilder Tag, komme erst heute zum antworten.
Schöner Beitrag. Ich hätte die Lesung auch sehr gerne besucht.
Liebe Grüße, Jane.
Liebe Sabine,
um noch einmal zum Thema des Buches zu kommen :-): es scheint ja ein sehr versöhnliches Ende zu haben, ein Happy-End sozusagen, wenn die Religion in der Flasche verschwindet (bitte unbedingt gut verkorkt lassen) und die Vernunft siegt. Ob der Roman das Rezept dafür wohl bereit hält? Wir könnten solch ein Rezept ganz dringend gebrauchen. – Und bitte schreibt ganz viele Rezensionen, demnächst sind Weihanchtsferien und ich habe rein gar nichts zu lesen…
Viele Grüße, Claudia
Korken sitzt 😉 Und ich werde mich bemühen mit dem Schreiben der Rezensionen, muss nur noch mit dem Lesen hinterherkommen 😉 Ganz liebe Grüße zurück!
Einen schöne Besprechung und dann auch noch Einblicke in die Lesung, damit lasse ich mich gerne in meinen wohlverdienten Montagabend begleiten. Viele Grüße an die Clique der Bajuvaren aus dem Norden der Republik.
Danke – Grüße zurück!
Eine schöne Besprechung, Du bist auch auf einiges noch viel genauer eingegangen als ich. Ich war damals auch auf einer Lesung mit ihm, aber natürlich ist die Erinnerung jetzt nicht mehr frisch. Bei „Joseph Anton“ war ich auch, also bei einer Lesung, ich fand ihn beide Male sehr unterhaltsam. Klar, beim zweiten Mal hat man gemerkt, dass sich einiges ein wenig wiederholt, aber im Prinzip hätte er den ganzen Abend auch allein stemmen können, er hat eigentlich gar keinen Moderator gebraucht. 😉 Ich finde Rushdie oft ein bisschen sperrig, manchmal sind seine Romane schon auch Arbeit, aber trotzdem komm ich immer wieder auf ihn zurück, weil seine Bücher mich irgendwie faszinieren…
das stimmt, ab und an fordert er einen ganz schön. Joseph Anton kenne ich noch nicht, das möchte ich auch noch lesen. Schönen Sonntag noch 🙂
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