
Wenn man zum Geburtstag zweimal das gleiche Buch geschenkt bekommt, ist das üblicherweise verbunden mit hektischem Suchen nach Kassenbons oder, falls die nicht auftauchen, dem durchgehen der Freundesliste, wem das zweite Exemplare wohl noch gefallen könnte. In diesem Fall hat der doppelte Murakami nur riesige Freude ausgelöst, war doch eines die englische, das andere die deutsche Ausgabe und es hat riesigen Spaß gemacht, diese beiden dünnen, so unterschiedlich illustrierten Bücher parallel zu lesen.


Er möchte doch nur zwei Bücher zurückbringen und eventuell wieder welche mitnehmen. Nichts deutet daraufhin, dass der namenlose Junge in einem kafkaesken Alptraum landen wird, als der seltsame Bibliothekar ihn nicht in den Lesesaal führt, sondern in ein Labyrinth, das sich unter der Bücherei erstreckt und wo er ihn heimtückisch einkerkert. Er trifft dort auf den mysteriösen Schafsmann, auf ein wunderschönes stummes Mädchen und auch, wenn man ihn mit den schönsten Leckereien füttert, so bleibt er doch ein Gefangener, dem der Tod droht. Der Junge muß drei dicke Bücher lesen, die der Bibliothekar ihm aushändigt. Er will wissen, warum er diese Bücher lesen und auswendig lernen soll und der freundlich-einfältige Schafsmann erklärt es ihm auch freimütig: „Ehrlich gesagt wird man dir den Kopf absägen. Und dann das Gehirn aussaugen.“
Der daraufhin folgende Dialog muß einer der abgefahrensten überhaupt in der Literatur sein.
„Aber Schafmann, warum will mir dieser alte Mann denn das Gehirn aussaugen?“
„Weil mit Wissen vollgestopfte Gehirne angeblich sehr delikat und reichhaltig sind. Und sämig oder so.“
Yep, weißte Bescheid. Murakami halt. Die Geschichte fühlt sich an wie ein Traum, gleichgültig, ob die Geschehnisse Sinn machen oder nicht. Der Junge ist nicht glücklich darüber, dass der alte Mann sein Hirn essen will, aber er fügt sich diesem Schicksal und liest einfach über das Steuersystem im Osmanischen Reich. Zeichen und Symbole gibt es in der Geschichte zuhauf, am deutlichsten vielleicht die Deutung der Biblothek, die gleich einem Gehirn der Ort des Wissens ist, von dem wir glauben, wir können das Wissen jederzeit einfach abrufen und wissen doch nie ganz genau, was wir eigentlich hervorholen.
Was ist wirklich real und was nicht? Die Grenze ist schmal und wird von Murakami wieder und wieder in fast jedem seiner Romane neu ausgelotet und getestet. Selbst das, was sich nach Realität anfühlt, gleicht oft einem Traum. Die Sprache ist wie immer klar, knapp und doch poetisch. Die unheimliche Bibiliothek ist ein düsteres Märchen, das Erwachsene in den Schlaf verfolgt und sie beim nächsten Büchereibesuch besorgt älteren Bibliothekaren aus dem Weg gehen lässt.
Die deutsche und englische Ausgabe sind bis auf das Format komplett unterschiedlich ausgefallen. Die englische Ausgabe wurde von Suzanne Dean gestaltet, die zum Beispiel auch für das wunderschöne Cover von Julian Barnes „The Sense of an Ending“ verantwortlich war.
Das Design von „The Strange Library“ durchdringt die Geschichte mit seinen surrealen, zarten Illustrationen, die teilweise an alte Folianten, dann wieder an Monty Python erinnern. Das magentafarbene Cover mit dem darauf angebrachten Library Ticket Holder ist einfach umwerfend schön. Allein die Haptik …

Foto: Guardian

Foto: Guardian

Die deutsche Ausgabe erinnert deutlich mehr an einen Comic. Die Illustrationen stammen von Kat Menschik, die auch schon „Die Bäckereiüberfälle“ und „Schlaf“ illustriert hat. Ihre Bilder haben einen wundervollen, dunkel verstörenden Zauber, dem man sich nicht entziehen kann. Die Bilder sind überwiegend schwarz-weiß und sie zeigen das Unheimliche und Beklemmende in Murakamis Geschichte auf ganz besondere Art.

Nein, ich könnte wirklich nicht sagen welche Ausgabe mir besser gefällt. Das Cover der englischen? Einige der Illustrationen der deutschen Ausgabe? Ich weiß es nicht und bin so froh, dass ich mich nie entscheiden mußte, weil mir meine weisen Freunde einfach beide geschenkt haben.
Happiness is having friends that know what’s good for you 😉
Wenn ihr dieses Buch noch nicht habt, sucht euch Freunde, die es euch schenken oder kauft es euch selbst, es ist ein absolutes Muss für jeden Murakami-Fan, aber auch für alle Freunde skurill-obskurer düsterer Geschichten, die liebevoll gestaltet sind, ein echtes Schnäppchen.
Könnte es eigentlich sein, dass ausgerechnet die E-Book-Welle den Ausschlag gegeben hat, das Bücher auf einmal wieder so viel liebevoller gestaltet werden? Lange war die Büchergilde da recht allein auf weiter Flur, als ich kürzlich auf der Buchmesse in Frankfurt war, habe ich eine ganze Reihe wunderschön illustrierter und gestalteter Bücher gesehen. Ein schöner Trend, gefällt mir.