August Lektüre

Mein August war wieder ein ziemlich bunter Lesemonat – mit teils großer Begeisterung, einer wunderbaren (Wieder-)Entdeckung, aber auch ein, zwei Bücher, die mich nicht wirklich gepackt haben. Lasst uns ohne lange Vorrede direkt starten – es gibt viel zu besprechen 🙂

James – Percival Everett erschienen im Hanser Verlag, übersetzt von Nikolaus Stingl

Percival Everett gelingt mit James ein außergewöhnlicher Roman, der gleichzeitig Klassiker und Neuschöpfung ist. Ausgangspunkt ist Mark Twains Huckleberry Finn, doch Everett gibt der Figur James – bei Twain meist nur „Jim“ genannt – die eigene Stimme zurück. Diese Stimme ist klar, reflektiert, voller Intelligenz und Würde. Damit dreht sich die Perspektive radikal: Wir sehen nicht mehr den Abenteuerroman aus der Sicht des Jungen, sondern erleben die Geschichte durch die Augen eines Mannes, der im System der Sklaverei ums Überleben kämpft und Sprache als Schutz, Waffe und Identität nutzt.

Der Roman ist sprachlich brillant, oft von dunklem Humor getragen, zugleich erschütternd in seiner Darstellung von Gewalt, Abhängigkeit und Überlebensstrategien. Everett zeigt, wie unterdrückte Menschen oft absichtlich gebrochen oder „falsch“ sprachen, um Erwartungen weißer Gesellschaft zu erfüllen und sich so einen Spielraum zu verschaffen. Diese doppelte Ebene der Sprache ist das Herzstück des Buches.

James überzeugt sowohl literarisch als auch emotional. Der Roman ist hochintelligent komponiert, ohne ins Theoretische zu verfallen. Er erzählt eine mitreißende Geschichte, die man nicht aus der Hand legen möchte, und schafft eine Figur, mit der man noch lange innerlich im Gespräch bleibt. Kein Wunder also, dass unser Bookclub nahezu einhellig Höchstnoten vergeben hat.

Halbe Leben – Susanne Gregor erschienen im Zsolnay Verlag

Schon die erste Szene, ein tötlicher Sturz, setzt den Grundton dieses Romans. Kein großer Knall, kein Drama, eher ein dumpfes Nachhallen, das einen durch das ganze Buch begleitet.

Paulina, die gelernte Krankenschwester lebt tatsächlich zwei halbe Leben: einmal in der Slowakei als alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen, dann in Österreich als helfende Hand in einer fremden Familie. Sie bewegt sich wie ein Chamäleon zwischen diesen Welten, passt sich an, übernimmt, trägt, macht möglich – und verliert dabei immer mehr von sich selbst. Ich habe beim Lesen oft gedacht: Wie viel von uns allen steckt in dieser Haltung, „immer funktionieren zu müssen“, auch wenn es einen innerlich zerreißt?

Besonders bedrückend fand ich die Szenen in der Gastfamilie. Klara, die Architektin, so zielstrebig, so selbstsicher, hat Paulina an ihrer Seite fast wie ein zweites Fundament ihres Erfolges. Ihr Mann dagegen wirkt wie ein schwebender Luftballon, frei von den Lasten des Alltags. Und Paulina fängt das alles auf. Man spürt förmlich, wie sie immer tiefer in ein Leben hineingleitet, das nicht ihres ist, bis die Grenze zwischen Dienen und Ausgenutztwerden verschwimmt. Das Beklemmende daran: Es ist kein offener Missbrauch, kein Skandal – sondern eine Reihe kleiner, leiser Verschiebungen, die sich summieren.

Ihre Mutter war zu einem defekten Rädchen im Uhrwerk ihrer Tage geworden, das alle anderen durcheinanderbrachte, und Klara der Zeiger, der sich nonstop im Kreis drehte

Was mich an Gregors Schreibweise beeindruckt hat ist diese leise Eindringlichkeit. Die Sprache ist schlicht, fast zurückhaltend, und gerade dadurch entsteht eine enorme Spannung. Vieles bleibt ungesagt, aber man fühlt es umso stärker zwischen den Zeilen. Es gibt keine plakativen Appelle, keine moralischen Zeigefinger – und doch schleicht sich die Kritik an unserer perfekt organisierten, aber zutiefst ungleichen Welt unübersehbar ein.

Ein Roman in dem das sozialkritische nicht plakativ im Vordergrund steht, sondern als stilles Kammerspiel, beklemmend klar die Rolle einer Frau zeigt, die immer gebraucht wird – und nie ankommt.

Das Narrenschiff – Christoph Hein erschienen im Suhrkamp Verlag

Christoph Heins „Das Narrenschiff“ hat mich von Anfang an gepackt und gleichzeitig auf Abstand gehalten. Ein seltsamer Zwiespalt, denn auf der einen Seite war ich komplett absorbiert, habe Seite um Seite verschlungen, unfassbar viel über die DDR gelernt und mich an vieles wieder erinnert – an Gespräche, an Stimmungen, an diesen ganz eigenen gesellschaftlichen Tonfall. Und trotzdem: Die Figuren, so klar sie gezeichnet sind, blieben mir fern. Das liegt sicherlich auch an Heins Schreibstil – nüchtern, analytisch, oft beinahe kühl. Emotional andocken war schwer, was aber wohl auch Teil seines literarischen Konzepts ist. Hein will nicht rühren, er will verstehen machen – und das gelingt ihm auf fast schon unheimlich präzise Weise.

Der Roman öffnet mit der Rückkehr prominenter Antifaschisten im April/Mai 1945 aus Moskau – der berüchtigten „Gruppe Ulbricht“ – und begleitet sie, darunter Karsten Emser, Johannes Goretzka und Benaja Kuckuck, auf ihrem Aufstieg in den DDR-Apparat.

… was ist aus unseren Hoffnungen und Träumen geworden? Wir wollten ein anderes Land, einen anderen Staat aufbauen, friedlicher, solidarischer und vor allem gerechter.

Der Fokus liegt klar auf dem Machtpersonal, auf Politikern und Funktionären, die die Gründungsjahre des Staates markieren und später dessen Strukturen mittragen – stets mit einem Blick für ihre eigene Ideologie und ihr oft tragisches Scheitern.

Was ich dabei allerdings ein wenig vermisst habe – und das ist ein Punkt, der mir beim Lesen immer wieder durch den Kopf ging – war ein breiteres Panorama der DDR-Gesellschaft. Die Figuren, die Hein porträtiert, stammen allesamt aus einem eher elitären, privilegierten Milieu. Intellektuelle, Funktionäre, Parteikader. Mir fehlte das kulturelle Leben, das so viel zur Identität der DDR beigetragen hat – Literatur, Theater, Musik – und auch das Leben der „normalen“ Leute, der Arbeiter*innen, derjenigen, die mit dem System auf andere Weise rangen oder es schlichtweg ignorierten. Ich hätte gerne mehr über diese Facetten gelesen, über das, was jenseits des Apparats existierte. Heins Fokus liegt klar auf den Strukturen der Macht, auf den Mechanismen der inneren Systemlogik.

Der Roman war eine gute Ergänzung für mich zu Erpenbecks „Kairos“ das ich schlußendlich etwas gelungener fand.

Ich habe einen Anschlag auf sie vor. Der Briefwechsel – Christpoph Hein & Elmar Faber erschienen im Faber & Faber Verlag

Der Briefwechsel „Ich habe einen Anschlag auf Sie vor“ zwischen Christoph Hein und Elmar Faber ist weit mehr als ein literarisches Dokument – er ist eine Begegnung zweier starker Persönlichkeiten, die sich über mehr als dreißig Jahre hinweg mit Witz, Ernst und unverstellter Offenheit austauschen. Die Korrespondenz, die 1983 beginnt und bis kurz vor Fabers Tod 2017 reicht, schlägt dabei einen Ton an, der gleichermaßen respektvoll wie pointiert ist. Man spürt in jedem Schreiben die Freude am geistigen Schlagabtausch, das Bedürfnis, die eigenen Beobachtungen zu teilen, und den Mut, auch unbequeme Wahrheiten nicht zu verschweigen.

Thematisch öffnet sich ein Panorama, das weit über Privates hinausgeht: der literarische Alltag in der DDR, der ständige Balanceakt zwischen Kunst und Zensur, die Brüche und Herausforderungen nach der Wiedervereinigung, dazu persönliche Fragen nach dem Älterwerden, nach Krankheit, nach dem Platz der eigenen Arbeit im größeren Zusammenhang. Hein erscheint darin als genauer, oft spöttischer Beobachter, während Faber die Rolle des streitbaren, humorvollen Verlegers verkörpert. Beide aber eint der Wille, Kultur nicht nur zu gestalten, sondern sie als lebendiges, widerständiges Element einer Gesellschaft zu begreifen.

So liest sich dieser Briefwechsel nicht nur als Zeugnis einer Freundschaft, sondern auch als literarisches Zeitdokument, das Einblicke in Denk- und Arbeitsweisen zweier wichtiger Stimmen der deutschen Nachkriegsliteratur bietet. Dass ausgerechnet dieser Band 2019 der erste Titel des wiederbelebten Leipziger Verlages Faber & Faber wurde, hat Symbolkraft: Elmar Faber, der den Verlag 1990 gemeinsam mit seinem Sohn Michael gegründet hatte, wird hier nicht nur als Verleger, sondern auch als Mensch sichtbar. Das Buch ist damit Hommage, Geschichtsbuch und kurzweilige Lektüre in einem – eine Einladung, sich in den Dialog zweier kluger Köpfe hineinziehen zu lassen.

War eine gute Begleitlektüre für „Das Narrenschiff“ kann diesen Briefwechsel sehr empfehlen.

Alltagsmenschen – Carry Brachvogel erschienen im Allitera Verlag

Carry Brachvogels „Alltagsmenschen“ habe ich auf dem Blog bereits kürzlich in meiner Reihe „Stimmen, die bleiben“ vorgestellt. Hier geht es zum Beitrag.
Brachvogel (1864–1942) war eine deutsch-jüdische Schriftstellerin, die in ihren Werken besonders das Leben und die Herausforderungen von Frauen eindrucksvoll schilderte.

Freie Menschen kann man nicht zähmen – Yayou Ekhou erschienen im Alibri Verlag

Yayou Ekhou’s „Freie Menschen kann man nicht zähmen“ habe ich bereits im Rahmen meiner Reihe „Read around the world“ für Mauretanien vorgestellt. Hier geht’s zum Beitrag.
Ekhou ist ein mauretanische Autor und Aktivist, der in seinen Texten eindrücklich von Freiheit, Identität und gesellschaftlichem Wandel erzählt.

Ein Bericht für eine Akademie – Franz Kafka sowie Mikromegas – Voltaire beide erschienen in der Edition Hibana

Über die beiden von Florian L. Arnold illustrierten Bücher habe ich in meiner Reihe „Illustrierte Klassiker“ geschrieben, den link dazu findet ihr hier.

Stone Yard Devotional – Charlotte Wood auf deutsch unter dem Titel „Tage mit dir“ im Kein & Aber Verlag erschienen, übersetzt von Michaela Grabinger

Charlotte Woods Stone Yard Devotional ist ein leises, zugleich aber unglaublich eindringliches Buch. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die sich nach einer Ehe in Sydney in ein Kloster zurückzieht – nicht, weil sie eine religiöse Berufung verspürt, sondern weil sie Ruhe, Rückzug und einen neuen Rhythmus sucht.

Mich hat der Anfang komplett hineingezogen. Diese leicht bedrohliche, schwer greifbare Atmosphäre war so packend, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte. Als die Protagonistin dann aber nicht mehr nur Besucherin, sondern Teil der religiösen Gemeinschaft wurde, war der Zugang für mich schwieriger.

Die Handlung verlagert sich zunehmend auf das Leben innerhalb der Gemeinschaft, die während der Covid-Beschränkungen auf die Rückkehr der Überreste einer ermordeten Mitschwester wartet. Parallel dazu bricht eine unfassbar drastische Mäuseplage über das Kloster herein – ein Ereignis, das tatsächlich in New South Wales stattgefunden hat. Wood beschreibt Szenen von Ausmaß und Grausamkeit (inklusive kannibalistischen Verhaltens der Tiere), die mühelos jedem Stephen-King-Roman das Wasser reichen. Das war wirklich krass und hat mich nachhaltig verstört.

Zwischen der Rückkehr einer Ordensschwester, die mit der Ermordeten im Ausland gearbeitet hat, den Knochen, die schließlich eintreffen, und dieser biblisch anmutenden Mäuseplage türmen sich Belastungen auf, die die Gemeinschaft fast zu zerreißen scheinen.

Stone Yard Devotional ist ein leises Buch – keines, das man einfach wegliest. Eher eines, das nachhallt, das mich zwingt, über Schuld, Verlust und Gemeinschaft nachzudenken. Und gleichzeitig ist es ein Buch, mit dem ich auf eine bestimmte Weise noch immer hadere. Vielleicht genau deshalb denke ich so oft daran zurück.

Stone Yard Devotional landete 2024 auf der Booker Shortlist – kein Buch für zwischendurch, aber durchaus lohnend, wenn man sich darauf einläßt.

Sister Europe – Nell Zink erschienen im Rowohlt Verlag, übersetzt von Tobias Schnettler

Ich habe Sister Europe als Hörbuch gehört – und leider bin ich damit nicht warm geworden. Immer wieder fanden sich kluge Sätze und tolle Bilder, aber die eigentliche Geschichte hat mich überwiegend eher genervt. Besonders schwierig fand ich die Struktur des Romans: Die Handlung spielt innerhalb weniger Stunden – einen einzelnen Abend und die darauffolgende Nacht – und führt eine Vielzahl von Figuren ein. Beim Hören habe ich die Protagonist*innen immer wieder durcheinandergebracht, was den Zugang zusätzlich erschwert hat.

Der Roman spielt in Berlin im Februar 2023 und beginnt mit einer Literaturpreisverleihung in einem Hotel, bei der ein arabischer Autor geehrt wird. Rund um diese Veranstaltung begegnen wir einer bunten, zum Teil exzentrischen Gruppe: Der Kunstkritiker Demian, seine transgender Tochter Nicole, ein amerikanischer Verleger namens Toto mit seiner schwer fassbaren Begleitung Avianca, eine privilegierte Livia, ein arabischer Prinz und ein verdeckter Polizist namens Klaus, der ihnen folgt. Gemeinsam streifen sie durch die Berliner Nacht – vom Interconti über eine U-Bahn-Party bis hin zu Burger King – und führen Dialoge, die gleichermaßen bissig, witzig und kritisch sind. Themen wie Identität, Privileg, Einsamkeit, politische Debatten und gesellschaftliche Leere spielen eine zentrale Rolle.

Nell Zink ist eine US-amerikanische Autorin die seit vielen Jahren in Deutschland lebt und schreibt. Ihre Romane sind bekannt für ihre witzige, scharfzüngige Prosa, ihren gesellschaftlichen Tiefgang und ihr Gespür für das Abgründige im Alltäglichen.

Leider kann ich für dieses Buch keine Empfehlung aussprechen – trotz der glitzernden, scharfsinnigen Dialoge, die Nell Zink wie gewohnt liefern kann. Der Stil ist zweifellos clever, ironisch und geistreich, aber für mich fehlte die erzählerische Struktur, die Figuren blieben zu flach, um nachhaltig zu fesseln.

Das war mein Lesemonat August – wie war eurer? Was waren eure Highlights? Habt ihr schon das eine oder andere hier vorgestellte Buch gelesen? Besonders würde mich eure Meinung zu Stone Yard Devotional und den Büchern von Nell Zink interessieren, falls ihr die gelesen habt.

Ich wünsche euch einen guten Lese-September 🙂

Januar Lektüre

Neues Jahr, neue Bücher! Nach einem herausragenden Lesejahr 2024, in dem ich bereits im Januar drei Jahreshighlights entdecken durfte, startete 2025 etwas durchwachsener. Zwar gab es keinen völligen Reinfall, aber die beiden 5-Sterne-Bücher waren „Re-Reads“ – trotzdem war der Januar insgesamt ein interessanter und abwechslungsreicher Lesemonat.

Auf dem Bild oben fehlt im Übrigen leider F Scott Fitzgeralds „This side of Paradise“. Glatt vergessen auf dem Gruppenfoto. Aber in der Einzelbesprechung wird’s dabei sein. Heute glaub ich machen wir das einfach mal alphabetisch rückwärts, damit es hier keinem langweilig wird.

Und los geht’s:

Butter – Asako Yuzki erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich habe Butter von Asako Yuzuki fast in einem Rutsch gelesen – was irgendwie passend ist, wenn man bedenkt, wie sehr Essen und Genuss im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Die Geschichte kombiniert Elemente eines Krimis mit tiefgehender Sozialkritik und ich bewundere jeden, der es schafft diesen Roman zu lesen ohne permanent hungrig zu sei. Ich mußte sogar die Lektüre unterbrechen um mir Reis mit Butter zu kochen.

Die Handlung dreht sich um Rika Machida, eine ehrgeizige Journalistin, die sich an einem spektakulären Fall die Zähne ausbeißt: die mysteriöse Manako Kajii, die mehrere Männer umgebracht haben soll. Kajii ist eine faszinierende Figur – talentierte Köchin, Femme fatale und zugleich Ziel von unerbittlicher medialer Hetze wegen ihres Aussehens und ihrer Lebensweise.

Was mich besonders an Butter beeindruckt hat, ist, wie Yuzuki den Fokus auf die Themen Misogynie, Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen richtet. Während Rika Kajii immer wieder im Gefängnis besucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Recherche und persönlicher Obsession. Die Gespräche der beiden Frauen sind mal provokativ, mal tiefsinnig, und sie zeigen, wie Essgewohnheiten und Selbstwahrnehmung oft von Kindheitstraumata und gesellschaftlichen Zwängen geprägt sind.

Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise. Je aufwändiger sie kochten, desto besser gelang es ihnen, die Außenwelt auszuschließen und eine innere Festung zu errichten. Mit Klingen und Flammen rückten sie den Zutaten zu Leibe, um sie nach ihrem Willen zu formen.

Die Parallelen zwischen Rika und Kajii fand ich dabei spannend, aber auch beklemmend. Während Rika immer tiefer in die Welt von Kajii eintaucht, wird sie selbst zur Zielscheibe ähnlicher Kritik: Ihr wachsender Appetit und die Gewichtszunahme werden von ihrem Umfeld kommentiert und abgewertet – ein Spiegel dessen, was Kajii erlebt hat. Das macht die Geschichte nicht nur persönlich, sondern auch universell, denn es geht um viel mehr als einen Mordfall: Es geht darum, wie Frauen in Japan (und weltweit) zwischen widersprüchlichen Erwartungen zerrieben werden. Ich konnte es gar nicht fassen, dass die Protagonistin mehrfach als unfassbar fett betitelt wird und dabei kaum 60kg auf die Waage bringt.

Asako Yuzuki, geboren 1981 in Tokio, ist eine recht bekannte japanische Autorin, die sich durch ihre scharfsinnigen gesellschaftlichen Analysen einen Namen gemacht hat. Bevor sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, arbeitete sie selbst als Journalistin, was man in Butter spürt: Die Recherche, die Tiefe und die Präzision in ihrer Darstellung von Medien und Gesellschaft wirken authentisch und fundiert. Butter wurde in Japan zu einem Bestseller und zeigt, wie Yuzuki mit feministischen Themen auf leise, aber eindringliche Weise umgeht.

Mir hat der Roman gefallen, er hätte aber gut und gerne 1/3 kürzer sein können, er war stellenweise etwas repetitiv.

„Butter“ von Asako Yuzuki habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Japan“ gelesen.

Tram 83 – Fiston Mwanza Mujila erschienen im Zsolnay Verlag, übersetzt von Katharina Meyer und Lena Müller

Tram 83 von Fiston Mwanza Mujila ist ein wilder Fiebertraum, ein literarisches Abenteuer, das mich anfangs fast überforderte – und dann vollständig in seinen Bann zog. Der Roman spielt in einer heruntergekommenen Großstadt, die stark an Kinshasa erinnert, und führt uns mitten hinein in das pulsierende Herz dieser Welt: den Nachtclub „Tram 83“. Hier treffen sich Ex-Kindersoldaten, Glücksritter, Kleinkriminelle, Babyhuren, Touristen und Schriftsteller, alle auf der Suche nach Ablenkung, Überleben oder schnellem Geld. Der Club ist laut, chaotisch, voller Musik und Wortfetzen – und genauso fühlt sich auch das Buch an.

Anfangs fragte ich mich immerzu: Hä? Wer spricht? Worüber? Doch genau in diesem Durcheinander liegt der Reiz. Der Roman vermittelt ein Gefühl von Überforderung, von Orientierungslosigkeit – als ob man selbst zum ersten Mal in diese Stadt kommt, den Stimmen lauscht, die Leuchtreklamen betrachtet, aber nicht alles versteht. Mujilas Sprache hat einen fieberhaften Rhythmus, der wie eine Jazzimprovisation immer wiederkehrende Motive und Melodien aufgreift. Es ist chaotisch, manchmal schwer fassbar, aber gleichzeitig unglaublich lebendig.

Requiem war noch immer nicht zurück. Der Mann mit den Dampflokschuhen kam nur nach Hause, um Kohlen abzuladen oder welche zu holen

Im Zentrum der Geschichte stehen Lucien, ein idealistischer Schriftsteller, und sein Freund Requiem, ein charmanter Gauner. Während Lucien versucht, inmitten von Korruption und Gewalt seiner Berufung treu zu bleiben, bewegt sich Requiem geschickt durch die Abgründe dieser „Bordellstadt“. Ihre Dynamik, eingebettet in die explosive Atmosphäre von „Tram 83“, verleiht dem Buch eine erzählerische Tiefe, die hinter der scheinbaren Oberflächlichkeit der Kulisse überraschend vielschichtig ist.

Die Nacht trug Bikini und Unterwäsche, die sie nicht ausgewrungen hatte

Mujila zeichnet ein groteskes, schillerndes Porträt eines postkolonialen Afrikas, das von Kriegen, Korruption und Globalisierung geprägt ist. Dabei wird die Stadt selbst zu einem Charakter – lebendig, gewalttätig und unvergesslich. Der Roman ist nicht leicht zugänglich, aber gerade das macht ihn so aufregend. Am Ende fühlte ich mich, als hätte ich tatsächlich einen Abend im „Tram 83“ verbracht – überwältigt, ein wenig verloren, aber fasziniert und voller Eindrücke, die noch lange nachhallen.

Wenn du Familie bei der Bahn hast, arbeitest du bei der Bahn, ansonsten zerschellst du wie ein Schiff am Ufer der Hoffnung.

Tram 83 ist ein Buch wie Musik: chaotisch, rhythmisch und unverwechselbar. Ein literarisches Erlebnis, das den Leser fordert – und belohnt.

The Poisonwood Bible – Barbara Kingsolver auf deutsch unter dem Titel „Die Giftholzbibel“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Ruth Frank

The Poisonwood Bible von Barbara Kingsolver ist ein fesselnder Roman, der die komplexe Geschichte der Familie Price erzählt, die 1959 aus den USA in den Belgisch-Kongo zieht. Nathan Price, ein starrköpfiger und fanatischer Missionar, will das Christentum in eine kleine Dorfgemeinschaft bringen, doch seine Ignoranz gegenüber der lokalen Kultur und Umwelt bringt unvorhersehbare Konflikte und tiefgreifende Tragödien mit sich.

Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven von Nathans Frau Orleanna und ihren vier Töchtern – Rachel, Leah, Adah und Ruth May. Besonders Adah, die durch ihre poetische, introspektive Sichtweise hervorsticht, hat mich tief berührt. Ihre Wortspiele und ihr besonderer Blick auf die Welt, geprägt von ihrem körperlichen Handicap und ihrer Intelligenz, machen sie zu einer einzigartigen Erzählerin. Auch ihre Zwillingsschwester Leah, die zwischen Loyalität zu ihrem Vater und der Liebe zum Kongo hin- und hergerissen ist, hat mich beeindruckt. Beide Schwestern spiegeln die inneren Konflikte und das Spannungsfeld zwischen Kolonialismus, Familie und persönlicher Identität eindrucksvoll wider.

Everything you’re sure is right can be wrong in another place.

Der erste Teil des Romans, der überwiegend im Kongo spielt, hat mich besonders fasziniert. Kingsolver schildert die Landschaft und das Leben im Dorf so lebendig, dass ich mich mitten in der Wildnis wiederfand. Leider empfand ich die Zeitsprünge in der zweiten Hälfte des Buches als zu groß und etwas abrupt. Während die Schwestern in alle Winde verstreut werden und ihre Mutter zunehmend in den Hintergrund rückt, geht der Zusammenhalt der Familie verloren – etwas, das ich als sehr schmerzlich empfand. Dieser Verlust an Nähe und Vertrautheit, der durch die Erzählstruktur noch verstärkt wird, hat mich beim Lesen melancholisch gestimmt.

As long as I kept moving, my grief streamed out behind me like a swimmer’s long hair in water. I knew the weight was there but it didn’t touch me. Only when I stopped did the slick, dark stuff of it come floating around my face, catching my arms and throat till I began to drown. So I just didn’t stop.

Trotz dieser Kritik bleibt The Poisonwood Bible ein beeindruckendes Werk, das auf vielschichtige Weise die Themen Kolonialismus, kulturelle Missverständnisse und die Dynamik von Macht und Familie beleuchtet. Für meine literarische Weltreise in den Kongo ist dieses Buch ein bewegender, wenn auch bittersüßer Halt, der noch lange nachklingt.

Tram 83 und die Poisonwood-Bibel habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Kongo“ gelesen.

Mascha Kaléko – In meinen Träumen läutet es Sturm erschienen im dtv Verlag

Mein erstes 5-Sterne-Buch für dieses Jahr. Es war ein „Re-Read“ des Gedichtbandes „In meinen Träumen läutet es Sturm“ der wunderbaren Mascha Kaléko.

Kaléko zählt für mich zu den beeindruckendsten Stimmen der deutschen Literatur. Gemeinsam mit Kästner, Tucholsky und Irmgard Keun gehörte sie zu den wichtigsten Vertreter*innen der Neuen Sachlichkeit und der Gebrauchslyrik im Deutschland der 1920er Jahre. Ihre Werke sind geprägt von einem feinen, oft melancholischen Humor, messerscharfer Gesellschafts-kritik und einer ganz eigenen Sanftheit, die ihre Gedichte so besonders macht.

Mascha Kaléko wurde 1907 in Galizien geboren und wuchs in Berlin auf, wohin ihre Familie vor den politischen Unruhen in ihrer Heimat floh. In den goldenen Zwanzigern blühte sie in der Berliner Literaturszene auf und schrieb für verschiedene Zeitungen. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihr jüdischer Hintergrund zur Gefahr. 1938 emigrierte sie mit ihrer Familie nach New York. Dort arbeitete sie weiterhin als Dichterin, fand jedoch nie wieder die gleiche Resonanz wie in ihrer Berliner Zeit. Ihre Gedichte, die oft wie kleine, bittersüße Momentaufnahmen des Lebens wirken, handeln von Liebe, Verlust, Exil, Sehnsucht und dem Leben in der Fremde.

Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
„Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy;
Doch glücklich bin ich nicht“

Ein Gedichtband, der mich immer wieder aufs Neue berührt und den ich anläßlich des Konzertes mit den großartigen Vertonungen der Gedichte von @dota_kehr wiedergelesen habe. Große Empfehlung!

Tove Jansson – Mumins einsame Insel erschienen im Reprodukt Verlag übersetzt von Annette von der Weppen

In diesem Buch beschließen die Mumins, eine unbewohnte Insel mit einem verlassenen Leuchtturm zu erkunden. Die romantische Vorstellung eines idyllischen Insellebens wird jedoch bald von rauen Winden, unerwarteten Herausforderungen und melancholischer Einsamkeit überschattet. Während Mumin-Papa sich mit der Geschichte des Leuchtturms beschäftigt und nach Bedeutung sucht, kämpft Mumin mit Gefühlen der Unsicherheit. Mumin-Mama hingegen findet Trost und Halt in den Büchern, die sie an Bord des Piratenschiffes findet – ich kann sie da sehr sehr gut verstehen. Das Buch ist eines der späteren Mumin-Werke und hat eine nachdenklichere, melancholische Atmosphäre als die früheren Abenteuer. Es geht um Selbstfindung, Einsamkeit und die Sehnsucht nach einem Platz in der Welt.

Tove Jansson (1914–2001) war eine finnlandschwedische Schriftstellerin, Malerin und Illustratorin. Die Mumin-Bücher, die sie zwischen 1945 und 1970 schrieb, machten sie weltberühmt. Ihr Werk vereint skandinavische Naturverbundenheit, philosophische Tiefe und feinsinnigen Humor. Jansson war selbst eine Inselbewohnerin – sie verbrachte viele Sommer mit ihrer Partnerin auf einer kleinen Insel im finnischen Schärengarten, was sich in ihren Geschichten widerspiegelt. Neben den Mumin-Büchern schrieb sie später auch Erzählungen für Erwachsene.

Tove Janssons langjährige Lebensgefährtin war Tuulikki Pietilä (1917–2009), eine finnische Künstlerin und Grafikerin. Die beiden lernten sich in den 1950er-Jahren kennen und verbrachten gemeinsam viele Sommer auf der kleinen Insel Klovharun im finnischen Schärengarten. Ihre Beziehung war nicht nur privat, sondern auch künstlerisch sehr inspirierend – Pietilä half unter anderem bei der Gestaltung von Mumin-Illustrationen und Modellen für Ausstellungen.

Tuulikki Pietilä diente als Vorbild für die Figur Too-ticki in den Mumin-Büchern. Too-ticki ist eine pragmatische, kluge und ruhige Gestalt mit einer Vorliebe für den Winter und praktisches Handwerk. Too-ticki verkörpert Gelassenheit und einen pragmatischen Lebensansatz, der im Kontrast zu der oft verträumten und emotionalen Mumin-Familie steht.

Das „eins zum Einschlafen“ bezieht sich hier nicht auf ihre Lektüre in der Hand, sondern auf die Frage wieviel Rum getrunken werden soll 😉 Und nur dass ihr Bescheid wisst, ich bin ganz und gar dafür, dass die Mumin-Mama die Weltherrschaft übernimmt und werde sie fest dabei unterstützen – ich gehe einfach mal davon aus, dass ihr damit kein Problem habt 😉

F. Scott Fitzgerald – This side of Paradise auf deutsch unter dem Titel „Diesseits vom Paradies“ im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von Martina Tichy und Bettina Blumenberg

F. Scott Fitzgeralds Debütroman „This Side of Paradise“ (1920) ist ein Bildungsroman, der die Entwicklung des jungen Amory Blaine begleitet – von seiner privilegierten, aber exzentrischen Kindheit über seine Zeit an der Princeton University bis hin zu seinen ersten beruflichen und romantischen Enttäuschungen. Der Roman ist stark autobiografisch geprägt und reflektiert Fitzgeralds eigene Erfahrungen und Beobachtungen der amerikanischen Gesellschaft der 1910er und frühen 1920er Jahre.

Amory ist ein junger Mann auf der Suche nach Identität, sowohl intellektuell als auch emotional. Er probiert verschiedene Denkweisen, Ideologien und Liebesbeziehungen aus, stets auf der Jagd nach einer Art „Enlightenment“. .

Auch muss er erkennen, dass Erfolg und gesellschaftlicher Aufstieg weniger mit Talent oder Fleiß zu tun haben als mit Geburtsprivilegien und Zufällen. Dies führt ihn schließlich zu einer fast zufälligen Annahme sozialistischer Ideen – nicht aus tiefer Überzeugung, sondern aus der Hoffnung heraus, dass eine Revolution ihm vielleicht zufällig einen Platz weiter oben in der Hierarchie zulosen könnte.

I’m a cynical idealist.

Fitzgerald porträtiert in This Side of Paradise eine Generation, die desillusioniert und auf der Suche nach Sinn ist – ein Motiv, das später in The Great Gatsby noch stärker ausgearbeitet wird. Der Roman war zu seiner Zeit ein Bestseller, weil er das Lebensgefühl der jungen Nachkriegsgeneration einfing: die Ablehnung traditioneller Werte, das Streben nach Individualität und die schmerzhafte Erkenntnis, dass gesellschaftliche Strukturen schwer zu durchbrechen sind.

Besonders interessant ist die Parallele zur heutigen Zeit: Wenn immer deutlicher wird, dass soziale Mobilität ein Mythos sein kann und dass Privilegien oft vererbt werden, steigt die Gefahr, dass Menschen nicht an Reformen, sondern an den totalen Zusammenbruch glauben.

And he could not tell why the struggle was worthwhile, why he had determined to use the utmost himself and his heritage from the personalities he had passed…He stretched out his arms to the crystalline, radiant sky.I know myself,“ he cried, „But that is all.

Fitzgeralds einziger Bestseller zu Lebzeiten – geliebt vom Publikum, skeptisch beäugt von Kritikern ist ein Muss für alle, die sich für Fitzgeralds Werk oder für die Geburtsstunde der „verlorenen Generation“ interessieren. Ich habe den Roman sehr gerne gelesen, an den „Great Gatsby“ kommt er für mich aber nicht heran.

Helen Dunmore – A spell of winter auf deutsch unter dem Titel „Der Duft des Schnees“ im Bastei Lübbe Verlag erschienen, übersetzt von Lore Pilgram

Achtung: Hier gibt es einen Spoiler – wer das Buch noch lesen möchte, der sollte den zweiten Absatz überspringen!
Helen Dunmores A Spell of Winter wird als Gothic-Roman bezeichnet, doch für mich blieb er in dieser Hinsicht hinter den Erwartungen zurück. Zwar bringt der Roman viele klassische Elemente mit – ein düsteres, halb verfallenes Herrenhaus, eine bedrückende Familiengeschichte, Geheimnisse, Isolation –, doch das, was für mich einen wirklich fesselnden Gothic-Roman ausmacht, fehlte weitgehend: die unheilvolle Atmosphäre, die stetig wachsende Spannung, das Gefühl des Unausweichlichen.

Stattdessen ist A Spell of Winter eher eine melancholische Charakterstudie, ein leiser, introspektiver Roman über Verlust, Einsamkeit und die zerstörerische Macht familiärer Bindungen. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Cathy, die mit ihrem Bruder Rob in einem alten Haus lebt, von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Ihre Eltern sind verschwunden – die Mutter fortgegangen, der Vater in einer Anstalt gestorben –, und so wachsen die beiden Geschwister unter der strengen Aufsicht ihres Großvaters und einer Gouvernante auf. Dass ihre Beziehung nicht nur geschwisterlich bleibt, sondern eine Grenze überschreitet, ist eines der dunklen Geheimnisse des Romans. Doch genau an dieser Stelle hätte Dunmore für mich intensiver werden müssen. Der Schrecken dieser verbotenen Liebe wird eher angedeutet als wirklich spürbar gemacht, und statt ein Gefühl von Bedrohung oder fataler Leidenschaft zu erzeugen, bleibt die Erzählweise fast distanziert.

You have to keep on with a house, day after day, I think. Heating, cleaning, opening and closing windows, making sounds to fill the silence, cooking and washing up, laundering and polishing. As soon as you stop, there may as well never have been any life at all. A house dies as quickly as a body.

Dunmores Sprache ist zweifellos poetisch, stellenweise wunderschön, doch mir fehlte das Bedrückende, das Bedrohliche, das man von einem Roman erwartet, der sich in der Tradition der Gothic Fiction bewegt. Die Kälte, die das Buch thematisiert – Winter, Einsamkeit, emotionale Erstarrung –, wird immer wieder beschrieben, aber selten wirklich fühlbar. Selbst die Momente des Verfalls und des Schreckens, die durchaus vorhanden sind, haben nicht die durchdringende Intensität, die mich als Leserin völlig in ihren Bann gezogen hätte.

Was bleibt, ist ein Roman, der eher durch seine stille Melancholie als durch echte Spannung besticht. Insgesamt aber ein etwas lauwarmes Lesevergnügen.

John Banville – Snow erschienen bei Faber & Faber UK, bislang nicht auf deutsch erschienen

John Banvilles Snow ist ein klassischer Krimi mit viel Atmosphäre, doch leider hat er mich nicht wirklich überzeugt. Die Geschichte beginnt vielversprechend: Ein Mord in einem alten Landhaus, eine wohlhabende Familie mit dunklen Geheimnissen und ein Ermittler, der in dieser Welt ein Fremder bleibt. Das klingt nach perfektem Stoff für einen spannenden Whodunit – doch leider blieb die Geschichte für mich letztlich etwas blutleer.

Inspektor St. John Strafford ist ein kühler, distanzierter Ermittler, und genau das machte es mir schwer, eine Verbindung zu ihm aufzubauen. Er bleibt blass, wirkt fast teilnahmslos, und seine Ermittlungen haben für mich nicht die Sogwirkung entfaltet, die ich mir von einem Krimi wünsche. Die übrigen Figuren sind zwar gut gezeichnet, doch keiner von ihnen hat mich wirklich berührt oder nachhaltig beeindruckt.

His life was a state of peculiar calm, of tranquil equilibrium. His strongest drive was curiosity, the simple wish to know, to be let in on what was hidden from others. Everything to him had the aspect of a cipher. Life was a mundane mystery, the clues to the solving of which were strewn all about, concealed or, far more fascinatingly, hidden in plain view, for all to see but for him alone to recognize. The dullest object could, for him, flare into sudden significance, could throb in the sudden awareness of itself.

Auch die Auflösung des Falls ließ mich eher unbeeindruckt zurück. Banville versteht es zweifellos, eine dichte, stimmungsvolle Kulisse zu erschaffen – die eisige Kälte des Winters, die düstere Atmosphäre des Herrenhauses –, doch die eigentliche Handlung plätschert eher vor sich hin. Ich hatte nie das Gefühl echter Dringlichkeit oder unbedingt wissen zu wollen was passiert ist – wie es ein guter Kriminalroman eigentlich bieten sollte. Stattdessen bleibt Snow eine stilistisch makellose, aber letztlich eher unaufgeregte Lektüre. Interessant fand ich, dass ich die Geschichte viel früher verortet hätte als die 1950er Jahre. Es schien in seinem Setting für mich ein „Golden-Age-Krimi“ zu sein, merkte erst im Nachhinein dann, dass er eigentlich Anfang der 1950er Jahre spielen sollte. Nun gut.

Banvilles Sprache ist natürlich elegant, und sein Talent für stimmungsvolle Beschreibungen ist unbestritten. Wer sich von der Atmosphäre eines langsam erzählten, subtilen Krimis einfangen lassen kann, wird hier sicher zufrieden sein. Für mich aber fehlte es an Spannung, an Charakteren mit echtem Sog und an einem Kriminalfall, der mich wirklich mitgerissen hätte. Solide Unterhaltung, ja – aber leider nicht mehr als das.

OK – das wars. Es fehlt noch die Rezension des Hörbuchs das ich gelesen habe, aber die kommt in den nächsten Tagen im Zuge des nächsten Weltreise-Stopps.

Welche der Bücher kennt ihr? Wie haben sie euch gefallen und/oder konnte ich euch auf das eine oder andere Lust machen? Was war euer Januar-Highlight.

Read around the world: DR & Republik Kongo

Der Kongo, ein Land, das mit seiner beeindruckenden Naturkulisse und seiner komplexen Geschichte gleichermaßen fasziniert, ist eine wahre Schatzkammer an Geschichten und Naturwundern. Beginnen wir mit der Geografie: Die Demokratische Republik Kongo, kurz DR Kongo, liegt im Herzen Afrikas und ist das zweitgrößte Land des Kontinents. Der gewaltige Kongo-Fluss, nach dem das Land benannt ist, durchzieht es in einem majestätischen Bogen. Mit seinen zahllosen Nebenflüssen ist er einer der größten Flusssysteme der Welt und wird nur vom Amazonas übertroffen, wenn es um den Wasserreichtum geht. Rund um den Fluss erstrecken sich dichte Regenwälder – ein riesiges Ökosystem, das als grüne Lunge Afrikas gilt.

Die Flora und Fauna dieses Landes sind von einer atemberaubenden Vielfalt. Hier leben Gorillas, Waldelefanten und Okapis, die auch als „Waldgiraffen“ bezeichnet werden. Viele dieser Tiere sind endemisch, was bedeutet, dass sie nirgendwo sonst auf der Welt vorkommen. Der Kongo-Regenwald selbst ist nach dem Amazonas der zweitgrößte der Welt und ein wahres Paradies für Biologen und Naturliebhaber.

Fotos: Wikipedia & Pixelbay

Die menschliche Geschichte des Kongo ist ebenso beeindruckend wie tragisch. Die Region war lange Zeit Heimat zahlreicher indigener Gruppen, darunter die Bantu-Völker, die sich vor etwa 2000 Jahren in der Gegend niederließen und die Basis für viele heutige Kulturen legten. Später, im Mittelalter, entstanden im Kongobecken bedeutende Reiche, darunter das Königreich Kongo, das im 14. Jahrhundert eine Blütezeit erlebte. Das Königreich war für seine gut organisierten Strukturen und seine Handelsbeziehungen mit Portugal bekannt, das im 15. Jahrhundert auf der Bildfläche erschien. Es war eine Zeit des kulturellen Austauschs, aber auch des beginnenden Kolonialismus.

Die dunkelste Stunde der Geschichte des Kongo schlug zweifellos im 19. Jahrhundert, als der belgische König Leopold II. das Land zu seinem persönlichen Besitz erklärte. Der sogenannte „Freistaat Kongo“ wurde zwischen 1885 und 1908 zur grausamen Bühne einer der schlimmsten Ausbeutungen der Kolonialzeit. Unter Leopolds Herrschaft wurden Millionen von Kongolesen versklavt und getötet, um Ressourcen wie Elfenbein und Kautschuk zu gewinnen. Der internationale Druck führte schließlich dazu, dass Belgien dem Kongo offiziell den Status einer Kolonie gab, doch die Ausbeutung und Unterdrückung gingen weiter.

Erst 1960 erlangte der Kongo seine Unabhängigkeit, doch die Euphorie war nur von kurzer Dauer. Das Land stürzte in politische Unruhen, und der erste Premierminister, Patrice Lumumba, wurde 1961 ermordet. Seine Ermordung, an der auch ausländische Mächte beteiligt waren, gilt als eines der symbolischen Ereignisse für die Schwierigkeiten postkolonialer Staaten. Es folgten Jahrzehnte der Diktatur unter Mobutu Sese Seko, der das Land in Zaire umbenannte und mit seinem autokratischen Regime für weitverbreitete Korruption sorgte. Der Sturz Mobutus in den 1990er Jahren markierte den Beginn einer neuen Ära, die jedoch von bürgerkriegsähnlichen Zuständen und internationalen Konflikten geprägt war.

Die Kongokriege, oft als „Afrikanischer Weltkrieg“ bezeichnet, involvierten zahlreiche Nachbarstaaten und forderten Millionen von Todesopfern, sei es durch direkte Gewalt, Hunger oder Krankheiten. Bis heute leidet das Land unter den Folgen dieser Konflikte. Doch es gibt auch Hoffnung: Die reiche Kultur des Kongo, mit ihrer Musik, Kunst und Literatur, blüht trotz aller Widrigkeiten auf. Kinshasa, die pulsierende Hauptstadt, ist bekannt für ihre lebendige Musikszene, insbesondere den Congolese Rumba, der weltweit Anerkennung findet.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass es zwei Länder gibt, die den Namen Kongo tragen: Die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) und die Republik Kongo. Die DR Kongo, oft als „Kongo-Kinshasa“ bezeichnet, ist mit einer Fläche von rund 2,3 Millionen Quadratkilometern eines der größten Länder Afrikas und hat über 95 Millionen Einwohner. Politisch ist die DR Kongo eine Präsidialrepublik, doch die politische Lage bleibt aufgrund von Korruption und Konflikten instabil. Die Mehrheit der Bevölkerung ist christlich, wobei der Katholizismus eine dominierende Rolle spielt.

Die Republik Kongo, oft „Kongo-Brazzaville“ genannt, ist mit etwa 342.000 Quadratkilometern deutlich kleiner und hat rund 5,8 Millionen Einwohner. Auch hier handelt es sich um eine Präsidialrepublik, wobei die politische Lage vergleichsweise stabiler ist als in der DR Kongo. Brazzaville, die Hauptstadt, liegt direkt gegenüber von Kinshasa, nur durch den Kongo-Fluss getrennt. In der Republik Kongo ist das Christentum ebenfalls vorherrschend, jedoch spielen traditionelle Religionen und der Islam eine größere Rolle als in der DR Kongo.

Was die Ressourcen angeht, so ist der Kongo sowohl gesegnet als auch verflucht. Er besitzt einige der weltweit größten Reserven an Kupfer, Kobalt und Diamanten. Insbesondere Kobalt, das für die Herstellung moderner Batterien unverzichtbar ist, macht den Kongo zu einem Schlüsselland in der globalen Wirtschaft. Doch der Ressourcenreichtum hat oft mehr Konflikte als Wohlstand gebracht, da zahlreiche Akteure um die Kontrolle dieser Schätze kämpfen.

Der Kongo ist ein Land der Extreme. Seine Geschichte erzählt von den Höhen und Tiefen menschlicher Errungenschaften und Tragödien. Gleichzeitig ist es ein Ort unglaublicher natürlicher Vielfalt und eine Erinnerung daran, wie eng das Schicksal der Menschheit mit der Natur verbunden ist. Wer den Kongo bereist, begegnet nicht nur einer faszinierenden Landschaft, sondern auch einer ungebrochenen menschlichen Widerstandskraft und Kreativität, die in jedem Lied, jeder Geschichte und jedem Lächeln der Menschen spürbar ist.

Hier noch ein paar Fakten:

Demokratische Republik Kongo (DR Kongo):

  • Fläche: 2,3 Millionen km² (ca. 6,5-mal so groß wie Deutschland)
  • Bevölkerung: ca. 95 Millionen
  • Bevölkerungsdichte: ca. 41 Einwohner/km²

Republik Kongo:

  • Fläche: 342.000 km² (etwa so groß wie Deutschland)
  • Bevölkerung: ca. 5,8 Millionen
  • Bevölkerungsdichte: ca. 17 Einwohner/km²

Deutschland:

  • Fläche: 357.000 km²
  • Bevölkerung: ca. 84 Millionen
  • Bevölkerungsdichte: ca. 235 Einwohner/km²

Für die Weltreise habe ich dieses Mal gleich zwei Bücher gelesen. Einmal unser Januar Bookclub Buch „The Poisonwood Bible“ von Barbara Kingsolver das im Kongo spielt und Fiston Mwanza Mujilas „Tram 83“ das ich bereits im Regal stehen hatte.

The Poisonwood Bible – Barbara Kingsolver auf deutsch unter dem Titel „Die Giftholzbibel“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Ruth Frank

The Poisonwood Bible von Barbara Kingsolver ist ein fesselnder Roman, der die komplexe Geschichte der Familie Price erzählt, die 1959 aus den USA in den Belgisch-Kongo zieht. Nathan Price, ein starrköpfiger und fanatischer Missionar, will das Christentum in eine kleine Dorfgemeinschaft bringen, doch seine Ignoranz gegenüber der lokalen Kultur und Umwelt bringt unvorhersehbare Konflikte und tiefgreifende Tragödien mit sich.

Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven von Nathans Frau Orleanna und ihren vier Töchtern – Rachel, Leah, Adah und Ruth May. Besonders Adah, die durch ihre poetische, introspektive Sichtweise hervorsticht, hat mich tief berührt. Ihre Wortspiele und ihr besonderer Blick auf die Welt, geprägt von ihrem körperlichen Handicap und ihrer Intelligenz, machen sie zu einer einzigartigen Erzählerin. Auch ihre Zwillingsschwester Leah, die zwischen Loyalität zu ihrem Vater und der Liebe zum Kongo hin- und hergerissen ist, hat mich beeindruckt. Beide Schwestern spiegeln die inneren Konflikte und das Spannungsfeld zwischen Kolonialismus, Familie und persönlicher Identität eindrucksvoll wider.

Everything you’re sure is right can be wrong in another place.

Der erste Teil des Romans, der überwiegend im Kongo spielt, hat mich besonders fasziniert. Kingsolver schildert die Landschaft und das Leben im Dorf so lebendig, dass ich mich mitten in der Wildnis wiederfand. Leider empfand ich die Zeitsprünge in der zweiten Hälfte des Buches als zu groß und etwas abrupt. Während die Schwestern in alle Winde verstreut werden und ihre Mutter zunehmend in den Hintergrund rückt, geht der Zusammenhalt der Familie verloren – etwas, das ich als sehr schmerzlich empfand. Dieser Verlust an Nähe und Vertrautheit, der durch die Erzählstruktur noch verstärkt wird, hat mich beim Lesen melancholisch gestimmt.

As long as I kept moving, my grief streamed out behind me like a swimmer’s long hair in water. I knew the weight was there but it didn’t touch me. Only when I stopped did the slick, dark stuff of it come floating around my face, catching my arms and throat till I began to drown. So I just didn’t stop.

Trotz dieser Kritik bleibt The Poisonwood Bible ein beeindruckendes Werk, das auf vielschichtige Weise die Themen Kolonialismus, kulturelle Missverständnisse und die Dynamik von Macht und Familie beleuchtet. Für meine literarische Weltreise in den Kongo ist dieses Buch ein bewegender, wenn auch bittersüßer Halt, der noch lange nachklingt.

Tram 83 – Fiston Mwanza Mujila erschienen im Zsolnay Verlag, übersetzt von Katharina Meyer und Lena Müller



Tram 83 von Fiston Mwanza Mujila ist ein wilder Fiebertraum, ein literarisches Abenteuer, das mich anfangs fast überforderte – und dann vollständig in seinen Bann zog. Der Roman spielt in einer heruntergekommenen Großstadt, die stark an Kinshasa erinnert, und führt uns mitten hinein in das pulsierende Herz dieser Welt: den Nachtclub „Tram 83“. Hier treffen sich Ex-Kindersoldaten, Glücksritter, Kleinkriminelle, Babyhuren, Touristen und Schriftsteller, alle auf der Suche nach Ablenkung, Überleben oder schnellem Geld. Der Club ist laut, chaotisch, voller Musik und Wortfetzen – und genauso fühlt sich auch das Buch an.

Anfangs fragte ich mich immerzu: Hä? Wer spricht? Worüber? Doch genau in diesem Durcheinander liegt der Reiz. Der Roman vermittelt ein Gefühl von Überforderung, von Orientierungslosigkeit – als ob man selbst zum ersten Mal in diese Stadt kommt, den Stimmen lauscht, die Leuchtreklamen betrachtet, aber nicht alles versteht. Mujilas Sprache hat einen fieberhaften Rhythmus, der wie eine Jazzimprovisation immer wiederkehrende Motive und Melodien aufgreift. Es ist chaotisch, manchmal schwer fassbar, aber gleichzeitig unglaublich lebendig.

Requiem war noch immer nicht zurück. Der Mann mit den Dampflokschuhen kam nur nach Hause, um Kohlen abzuladen oder welche zu holen

Im Zentrum der Geschichte stehen Lucien, ein idealistischer Schriftsteller, und sein Freund Requiem, ein charmanter Gauner. Während Lucien versucht, inmitten von Korruption und Gewalt seiner Berufung treu zu bleiben, bewegt sich Requiem geschickt durch die Abgründe dieser „Bordellstadt“. Ihre Dynamik, eingebettet in die explosive Atmosphäre von „Tram 83“, verleiht dem Buch eine erzählerische Tiefe, die hinter der scheinbaren Oberflächlichkeit der Kulisse überraschend vielschichtig ist.

Die Nacht trug Bikini und Unterwäsche, die sie nicht ausgewrungen hatte

Mujila zeichnet ein groteskes, schillerndes Porträt eines postkolonialen Afrikas, das von Kriegen, Korruption und Globalisierung geprägt ist. Dabei wird die Stadt selbst zu einem Charakter – lebendig, gewalttätig und unvergesslich. Der Roman ist nicht leicht zugänglich, aber gerade das macht ihn so aufregend. Am Ende fühlte ich mich, als hätte ich tatsächlich einen Abend im „Tram 83“ verbracht – überwältigt, ein wenig verloren, aber fasziniert und voller Eindrücke, die noch lange nachhallen.

Wenn du Familie bei der Bahn hast, arbeitest du bei der Bahn, ansonsten zerschellst du wie ein Schiff am Ufer der Hoffnung.

Tram 83 ist ein Buch wie Musik: chaotisch, rhythmisch und unverwechselbar. Ein literarisches Erlebnis, das den Leser fordert – und belohnt.

So – jetzt kommen wir zu weiteren kulturellen Empfehlungen aus dem Kongo. Mein Filmtipp für den Kongo ist der Film „Félicité“ von Alain Gomis

Der Film erzählt die Geschichte von Félicité, einer selbstbewussten Sängerin aus Kinshasa, die alles daran setzt, das Geld für eine lebensrettende Operation ihres Sohnes aufzutreiben. Félicités Reise durch die lebendige, chaotische Stadt bietet nicht nur einen tiefen Einblick in die Lebensrealität in Kinshasa, sondern wird auch durch eindrucksvolle musikalische Szenen untermalt. „Félicité“ verbindet kongolesische Musik, Alltag und die Stärke einer Frau in einer herausfordernden Umgebung. Der Film wurde international gefeiert und zeigt ein authentisches Bild des kongolesischen Lebens.

Musikalisch fand ich die Band Staff Benda Bilili klasse:

Während der Lektüre der beiden Bücher habe ich es unglaublich genossen, kongolesische Radiosender über Radio Garten zu hören. Es war, als hätte ich eine authentische Klangkulisse direkt aus dem Kongo, die die Geschichten noch lebendiger gemacht hat. Radio Garten ist wirklich eine fantastische Plattform, um sich mit Musik, Nachrichten und Stimmen aus der ganzen Welt zu verbinden – perfekt, um jeder Lektüre eine einzigartige Atmosphäre zu verleihen. Das hat so viel Spaß gemacht, dass ich mir fest vorgenommen habe, künftig regelmäßig damit meine Lesereisen zu begleiten.

Falls ihr Lust auf die anderen Etappen habt, hier die Links zu den bisherigen Stationen:

Wer noch mehr Lust auf Literatur hat die im Kongo spielt, hier meine Empfehlungsliste:

  • Heart of Darkness – Joseph Conrad
  • Pandora im Kongo – Albert Pinol Sánchez
  • Trophäe – Gesa Schöter

Ich hatte sooo viel Spaß auf meinem ersten Stopp in Afrika – auch weil ich hier die allermeisten riesigen weißen Flecken habe und es mir Spaß machte so viel über ein Land zu erfahren, dass ich höchstwahrscheinlich nie besuchen werde.
Wie sieht das bei euch aus? Seid ihr schon mal dort gewesen oder habt ihr Pläne den Kongo mal zu besuchen? Kennt ihr Bücher die dort spielen, die ihr mir empfehlen könnt? Freue mich sehr auf eure Rückmeldung und ich hoffe ihr habt Lust auf den nächsten Stopp? So viel verrate ich schon mal – wir wechseln wieder den Kontinent…

Lektüre Januar 2023

Nachdem der Dezember so durchwachsen war, freue ich mich um so mehr, dass der Januar wieder ein richtig guter Lesemonat war. Lange Weihnachtsferien, diverse Zugfahrten und durchgelesene Nächte haben zu geführt, dass ich richtig dicke Brummer durchbekommen habe und da war der eine oder andere echte Diamant dabei.

Los gehts:

Babel, Or the Necessity of Violence: An Arcane History of the Oxford Translators’ Revolution – R. F. Kuang auf deutsch im Eichborn Verlag erschienen, übersetzt von Heide Franck und Alexandra Jordan

Ich wusste nicht viel über dieses Buch, außer dass es um 1800 in Oxford spielt und das Übersetzer*innen/Linguist*innen die Held*innen sind, was mich sofort fasziniert hat. Babel war ganz und gar nicht das, was ich erwartet hatte. Es hat einen Hauch magischen Realismus und beschäftigt sich mit den Problemen und Auswirkungen von Kolonialismus, Rassismus und damit einhergehende Ungerechtigkeiten, wobei der Schwerpunkt auf der akademischen Welt liegt.

Ich bin natürlich ein großer Fan von Dark Academia, sowohl was Ästhetik angeht, als auch alles was mit Literatur zu tun hat, aber es lässt sich nicht leugnen, dass es diesem Genre massiv an Diversität mangelt. RF Kuang stellt uns in Babel eine Gruppe ausländischer Student*innen vor unterschiedlichster Herkunft die im 19. Jahrhundert an einer der prestigeträchtigsten Universitäten Englands studieren, und das ist einfach genial.

That’s just what translation is, I think. That’s all speaking is. Listening to the other and trying to see past your own biases to glimpse what they’re trying to say. Showing yourself to the world, and hoping someone else understands.

Babel hat fast alles aufgeboten was ich in einem Buch liebe: die Lust auf Wissen, das Studium alter Sprachen und der Philosophie, Diskussionen über Konzepte, die mir tagelang nicht aus dem Kopf gingen, und die gemütliche alte Bibliotheken mit Kaminen voller Bücher. Aber R.F. Kuang seziert auch die akademische Welt und bringt ihre Schwächen ans Licht.

Was mich wirklich beeindruckt hat, war Kuangs Idee die Kunst des Silver-Working, die magischen Silberbarren, die das Fundament des Reichtums und Fortschritts in England sind und die durch das Vergleichen und Übersetzen von Wörtern aus dem Englischen und anderen Sprachen entstehen.

Es war mein erstes Buch von R.F. Kuang und diese junge Frau hat mich einfach komplett umgehauen. Es ist ihr vierter Roman. Sie ist 26, hat in Oxford und Yale studiert, einen Master in Contemporary Chinese Studies und macht jetzt ihren Doktor in East Asian Languages and Literatures

Was hab ich mit 26 eigentlich gemacht?

Anyway – lest BABEL und wahrscheinlich habt ihr dann auch noch mal mehr Hochachtung vor Übersetzerinnen und Linguist*innen. Die sind nämlich neben den Bibliothekarinnen die eigentlichen Herrscher*innen der Welt – so!

Sea of Tranquility – Emily St. John Mandel auf deutsch erschienen unter dem Titel Das Meer der endlosen Ruhe im Ullstein Verlag übersetzt von Bernhard Robben

Simulationstheorie, Untersuchung von Anomalien in der Zeit, Mondkolonien, Zeitreisen. Ein Brite aus der Vergangenheit, der einfach nur sein Leben lebt, eine Frau, die im Jahr 2020 lebt und Antworten und manchmal auch Rache will, und eine Autorin, die in der Zukunft lebt, auf Lesereise ist in eine Pandemie gerät und dann eigentlich nur noch nach Hause möchte.

Ich fand es spannend die Parallelität der Leben von der fiktiven Autorin Olive und der Autorin Emily St. Mandel zu beobachten.

Mandel ist für mich die Königin der alternativen Zeitlinien und Figuren, die sich irgendwie überschneiden und gegenseitig beeinflussen.

𝙸𝚏 𝚝𝚑𝚎𝚛𝚎’𝚜 𝚙𝚕𝚎𝚊𝚜𝚞𝚛𝚎 𝚒𝚗 𝚊𝚌𝚝𝚒𝚘𝚗, 𝚝𝚑𝚎𝚛𝚎’𝚜 𝚙𝚎𝚊𝚌𝚎 𝚒𝚗 𝚜𝚝𝚒𝚕𝚕𝚗𝚎𝚜𝚜.

Was würdest du tun, wenn du dich inmitten einer Zeitverfälschung wiederfindest, einer Art unerklärlicher Umnachtung, bei der Momente in der Zeit sich gegenseitig korrumpieren können?

Vier Menschen aus verschiedenen Zeitzonen spürten dieselbe Anomalie und ihre Schicksale kreuzten sich im selben Moment, als Alan Sami im Jahr 2200 im Luftschiffhafen von Oklahoma City Geige spielt, der dreizehnjährige Vincent in den Wäldern von Caiette im Norden der Insel Vancouver Anfang der 2000er Jahre den Wald mit ihrer Kamera filmt, während Edwin St. John St. Andrew 1812 seine langen Schritte in denselben Wald unternimmt und die berühmte Science-Fiction-Autorin Olive Llewellyn auf der Plattform des Luftschiffhafens in derselben Zeitlinie wie Alan Sami die bezaubernden Noten spielt.

Beide Menschen spüren die Musik und den Wald, die Hintergrundstimmen der Plattform und die unterschiedlichen Qualitäten ihrer eigenen Zeitzonen. Aber wie kann das möglich sein? Was ist der Grund für diese Anomalie?

Ich mochte „The Glass Hotel“ war aber nicht blown away, Mandels Meta-Fiktion Ansatz ist aber so spannend, dass ich jedes ihre Bücher wohl mehrfach lesen werde, nur um die ganzen Querverweise und wieder auftauchenden Figuren angemessen verfolgen zu können.

𝙰 𝚕𝚒𝚏𝚎 𝚕𝚒𝚟𝚎𝚍 𝚒𝚗 𝚊 𝚜𝚒𝚖𝚞𝚕𝚊𝚝𝚒𝚘𝚗 𝚒𝚜 𝚜𝚝𝚒𝚕𝚕 𝚊 𝚕𝚒𝚏𝚎.

Mit Babel und Sea of Tranquility habe ich schon im Januar große Anwärter für meine Bücher des Jahres – das kann doch so weitergehen. Und ich kann schon verraten, auch die restlichen Bücher die ich Januar gelesen habe, waren ausnahmslos richtig gut.

Der Name der Rose – Umberto Eco übersetzt aus dem italienischen von Burkhart Kroeber erschienen im Hanser Verlag

Ich habe den Namen mit 16 gelesen, als der Bibliothekar meiner heimatlichen klitzekleinen Leihbücherei mir den Roman in die Hand drückte, den er für mich auf Seite gelegt hatte und es war sogar eine nigelnagelneue Ausgabe! Ich nahm es mit in die Sommerferien und ich glaube dieses Buch hat damals den Grundstein dafür gelegt, dass ich eine echte Leserin wurde, die sich das Lesefieber aus der Kindheit ins Erwachsenenalter rüber retten konnte.

Daher war ich schon auch ganz schön nervös, das Buch jetzt nach so vielen Jahren noch einmal zu lesen. Die Verfilmung hatte ich dazwischen schon zwei oder dreimal gesehen, das Buch allerdings nie wieder. Solche Wiederentdeckungen können ja auch gehörig schief gehen.

Eco hat einen Roman geschrieben, den man als historische Fiktion, Mysterium, Theologie und Philosophie, Metafiktion, Psychologie und vieles mehr bezeichnen kann und der von allen Seiten gelobt wird. Er nimmt Sherlock Holmes und Watson und macht sie zu Mönchen in einer Abtei aus dem Jahr 1300, in der es an jeder Ecke Mord und theologische Debatten gibt. Die beiden Haupthandlungen, der Mordfall und die religiösen Debatten, verweben sich mühelos miteinander, wobei sich die Spannungen gegenseitig verstärken und die Handlung immer dichter wird.

In omnibus requiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro

Dies ist jedoch kein einfacher, von der Handlung getriebener Thriller. Eco bringt einen dicken Wälzer mittelalterlicher und christlicher Geschichte auf den Tisch, der wie ein Historienroman wirkt und den Leser sowohl unterrichtet als auch unterhält. Dies hat viele Vergleiche mit Werken wie Dan Browns Da Vince Code hervorgerufen, doch Eco übertrifft Brown in fast jeder Kategorie.

Dieses Buch verdient es wirklich, als „Literatur“ bezeichnet zu werden, denn es ist viel mehr als eine Geschichte und Forschung, die in eine Handlung geworfen wird. Die Sprache seiner Figuren ist glaubwürdig, und was mich am meisten beeindruckt hat, ist wie gekonnt er die theologischen Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern der Abtei schilderte. Anhand dieser Figuren, von denen viele reale Personen waren, schildert er glaubhafte und oft feurige, facettenreiche Diskussionen über eine Reihe von Themen wie Ketzer, Armutsgelübde und die Auslegung des Evangeliums. Eco verfügte über umfassendes Wissen zum Thema mittelalterliche Studien – er war Professor für Semiotik – die in diesem Roman eine entscheidende Rolle spielt. Williams Methode der Deduktion beruht auf seiner Fähigkeit, in der Welt um ihn herum „die Zeichen zu lesen“. Er stellt sorgfältig Syllogismen auf um seine Theorien darzulegen.

Der vielleicht spannendste Aspekt dieses Romans war, dass es ein Buch über Bücher ist. Der ganze Roman dreht sich um verschiedene Texte, wie Aristoteles und die Offenbarung, aber er besteht aus anderen Büchern. Er macht den Leser sogar darauf aufmerksam, wenn William Adson erklärt, wie man den Inhalt eines Buches durch die Lektüre anderer Bücher herausfinden kann. Er reiht Anspielungen auf andere mittelalterliche Texte und auch auf einen von Ecos liebsten Autoren aneinander: Jorge Luis Borges. Dieser Roman ist voll von Anspielungen auf Borges‘ Werke, es gibt sogar einen blinden Bibliothekar namens Jorge von Burgos.

Die schwarze Rose – Dirk Schümer erschienen im Zsolnay Verlag erschienen

Wenn es schon sowas wie eine Art Fortsetzung von Der Name der Rose gibt und damit eine Chance noch ein wenig länger Zeit in William von Baskervilles Gesellschaft zu verbringen, dann führt kein Weg an der schwarzen Rose vorbei.

Pünktlich zum 40. Geburtstag von Ecos Jahrhundertroman erschien Dirk Schümers Buch und um es gleich vorweg zu sagen, es macht Spaß und ich habe es sehr gerne gelesen.

Als Ketzer denunziert, muss sich im Jahr 1328 der berühmte deutsche Prediger Eckhart von Hochheim am Hof des Papstes in Avignon der Inquisition stellen. In Begleitung seines Novizen Wittekind wird Meister Eckhart Zeuge eines blutigen Raubüberfalls. Als Wittekind selbst angegriffen wird, ahnen die beiden, dass sie in einen Finanzbetrug von europäischem Ausmaß hineingezogen werden. Im Schatten des Papstpalasts ist auch der geheimnisvolle Franziskaner William von Baskerville den Tätern auf der Spur.

Dort, wo Umberto Ecos „Der Name der Rose“ aufhört, setzt Dirk Schümers packender historischer Roman an. Wir erleben eine finstere Metropole der Religion, in der nur ein Credo gilt: Gold.

So wie Francesco seinen Lehrer Ciceo auswendig lernte, so hatte auch ich meinen eigenen Patron gefunden:
Tota vita discendum est mori. Leben ist sterben zu lernen.
Das meinte Seneca: über allem stehen, Schmerz und Sehnsucht ignorieren, den Abschied immer schon hinter sich haben.
Wer kann über dem stehen, der über dem Schicksal steht!
Über dem Schicksal zu stehen, darum hatte ich mich seit Jahren mit aller Kraft bemüht.

Ein simpler Eingriff – Yael Inokai erschienen im Hanser Verlag

Ein elegantes schmales Büchlein das ruhig und sachlich ohne ein Wort zu viel vom Horror des historischen Umgangs mit der weiblichen Psyche berichtet. Es ist aber auch eine Geschichte über Selbstbestimmung und Eigenverantwortung.

Meret ist Krankenschwester. Die Klinik ist ihr Zuhause, ihre Uniform trägt sie mit Stolz, schließlich kennt die Menschen in ihrem Leiden niemand so gut wie sie. Bis eines Tages ein neuartiger Eingriff entwickelt wird, der vor allem Frauen von psychischen Leiden befreien soll. Die Nachwirkungen des Eingriffs können schmerzhaft sein, aber danach fängt die Heilung an. Daran hält Meret fest, auch wenn ihr langsam erste Zweifel kommen.

Ich dachte in diesem Moment, dass sie eine große Freiheit besaß. Egal, wo sie hinging, sie konnte sich einfach setzen. Sie fragte sich nie, ob dieser oder jener Platz für sie bestimmt war.

Was den Eingriff anbelangte, waren auch die Schwestern auf unserer Station geteilter Meinung. Wenn sie denn überhaupt eine hatten. Manche waren gut darin geworden, sich jede Meinung abzugewöhnen. Die Vorgaben und Regeln fingen einen immer auf. Meinungen konnten das nicht

Gegliedert ist das Buch in drei Abschnitte, benannt nach den drei Protagonist*innen des Buchs: Meret, Marianne und Sarah. Marianne ist die Patientin, deren fehlgeschlagene Operation erste Zweifel in Meret weckt. Sarah ist Merets Mitbewohnerin, in die sie sich von der ersten Begegnung an verliebt, die ihr neue Blickwinkel aufzeigt und mit der sie von einer besseren Zukunft zu träumen wagt und Merets eigene Beobachtungen.

Hatte meine alte Zimmernachbarin dafür geliebt, dass sie die unsichtbare Trennlinie zwischen unseren Betten nie übertrat, dass ihr Vergnügen so wenig bedeutete, dass ihr Herz in all den Jahren nur zweimal zu Bruch ging. Nicht wie bei den anderen, wo es ohne Unterlass brach, ein störanfälliges Organ, immer nur gerade so zusammengeflickt, bevor der Nächste es wieder auseinanderriss.

Harry Potter and the Order of the Phoenix – J. K. Rowling auf deutsch unter dem Titel Harry Potter und der Ordes des Phönix im Carlsen Verlag übersetzt von Klaus Fritz

Harry Potter ist wütend darüber, dass er den Sommer über im Haus der Dursleys zurückgelassen wurde, denn er vermutet, dass Voldemort eine Armee zusammenstellt, dass er selbst angegriffen werden könnte und dass seine so genannten Freunde ihn im Dunkeln lassen. Als er schließlich von Leibwächtern der Zauberer gerettet wird, erfährt er, dass Dumbledore den Orden des Phönix neu formiert – einen Geheimbund, der vor Jahren gegründet wurde, um Voldemort zu bekämpfen. Doch das Zaubereiministerium ist gegen den Orden, und das Zaubererblatt Daily Prophet verbreitet Lügen, und Harry fürchtet, dass er diesen epischen Kampf gegen das Böse vielleicht allein aufnehmen muss.

Meine Heldin ist natürlich insbesondere Hermione – wie gerne wäre ich sie, so klug, so belesen und mutig. Aber von Buch zu Buch merke ich, Hermione hat noch unerwartet große Konkurrenz mit Blick auf Lieblings-Figur bekommen. Professor McGonagall ich liebe die alte Schottin und im Buch vor allem diesen Dialog:

“Is it true that you shouted at Professor Umbridge?“
„Yes.“
„You called her a liar?“
„Yes.“
„You told her He Who Must Not Be Named is back?“
„Yes.“
„Have a biscuit, Potter.”

Idol in Flammen – Rin Usami erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Luise Steggewentz

Der Roman, der die japanische Verlagswelt in Brand gesetzt hat: Ein preisgekrönter Bestseller aus Japan von einer 21-jährigen Autorin, die zum Shootingstar der japanischen Literatur avanciert: Rin Usami. Ein Roman der sich auf brillante Weise mit toxischem Fandom, sozialen Medien und Desillusionierung beschäftigt.

Akari ist eine Highschool-Schülerin, die von „oshi“ Masaki Ueno, einem Mitglied der beliebten J-Pop-Gruppe Maza Maza, besessen ist. Sie schreibt einen Blog, der ihm gewidmet ist, und verbringt Stunden damit durchs Internet zu scrollen, süchtig nach Informationen über ihn und sein Leben. Verzweifelt versucht Akari, ihn zu analysieren und zu verstehen, und hofft, die Welt irgendwann mit seinen Augen zu sehen. Es ist eine Hingabe, die ans Religiöse grenzt: Masaki ist ihr Retter, ihr Rückgrat, jemand, von dem sie glaubt, dass sie ohne ihn nicht überleben kann – auch wenn sie ihn nie wirklich getroffen hat.

Als Gerüchte auftauchen, dass ihr Idol einen weiblichen Fan angegriffen hat, explodieren die sozialen Medien. Akari fängt sofort an, alles zu sichten, was sie über den Skandal finden kann, und teilt jedes Detail auf ihrem Blog und zieht damit zahlreiche Leser an, die begierig auf ihre Updates warten.

Aber die strukturierte und gut informierte Person, die Akari online präsentiert, ist ganz anders als der sozial unbeholfene, unkonzentrierte Teenager, die sie im wirklichen Leben ist. Als sich Masakis Situation zuspitzt, drohen seine Probleme auch ihr Leben zu zerstören. Anstatt einen Weg zu finden, sich zu befreien, um sich selbst zu retten, wird Akari immer fanatischer…

Da ist was für dich gekommen, Fräulein Akari Yamashita, sagt meine Schwester und reicht mir ein Paket, ds zehnmal dieselbe CD enthält, die ich in meinem Zimmer vorsichtig auspacke, um die Wahlscheine herauszunehmen. Neue Singles von Mazamaza kommen immer zusammen mit einem Wahlschein, und eine Single kostet zweitausend Yen. Fünf CDs habe ich schon, also kann ich jetzt insgesamt fünfzehn Stimmen bei der Beliebtheitswahl der Bandmitglieder abgeben.

Eine Geschichte über Ruhm, Trennung, Besessenheit und Desillusionierung von einer Autorin, die kaum älter ist als ihre Protagonistin. Idol in Flammen nimmt die Fan-Kultur, die Geldmacherei der J-Pop-Idol-Industrie, die verführerische Macht der sozialen Medien und die gewaltige emotionale Leere, die sich auftut, wenn ein Idol in Ungnade fällt unter die Lupe.

Ein Roman wie ein brennender Benzinkanister, der mit 200 km/h über die Autobahn rast. Atemlos in einem Rutsch durchgelesen. Krass.

The Wonder – Emma Donoghue auf deutsch erschienen unter dem Titel „Das Wunder“ erschienen im Goldmann Verlag, übersetzt von Thomas Mohr

Die irischen Midlands, 1859. Die englische Krankenschwester Lib Wright wird in ein kleines Dorf gerufen, um zu beobachten, was manche für eine medizinische Anomalie oder ein Wunder halten – ein Mädchen, das monatelang ohne Nahrung überlebt haben soll. Touristen strömen zu der Hütte der elfjährigen Anna O’Donnell, und ein Journalist ist gekommen, um über die Sensation zu berichten. The Wonder“ ist eine Geschichte über zwei Fremde, die das Leben des anderen verändern, ein psychologischer Thriller und eine Geschichte über Liebe im Kampf gegen das Böse.

How could the child bear not just the hunger, but the boredom? The rest of humankind used meals to divide the day, Lib realized – as a reward, as entertainment, the chiming of an inner clock. For Anna, during this watch, each day had to pass like one endless moment.

Habe „The Wonder“ als Hörbuch gehört und es sehr gemocht. Es passte sehr gut in die Jahreszeit und ich habe meine Isar-Spaziergänge gerne verlängert, um noch ein wenig weiter hören zu können, was es mit Anna und ihrer seltsamen Hunger-Geschichte auf sich hat. Das Buch ist bereits verfilmt worden mit Florence Pugh in der Hauptrolle und obwohl ich die Schauspielerin sehr sehr schätze, die Geschichte klasse fand, der Film großartige Bilder hat – ich bin nicht wirklich mit dem Film warm geworden. Hier ist das Buch wirklich um Längen besser meiner Meinung nach.

Das war es jetzt aber – eine reiche großartige Ausbeute hatte ich da im Januar und natürlich bin ich wieder sehr neugierig auf eure Reaktionen. Welche dieser Bücher habt ihr auch gelesen? Seid ihr anderer Ansicht als ich bei dem einen oder anderen? Auf welche konnte ich euch besonders neugierig machen?

Ich wünsche euch einen guten Februar und freue mich, wenn ihr dann wieder an meiner Lektüre teilhabt. Soviel kann ich schon verraten – es geht literarisch und auch in echt nach Paris. Jusque là!

Marlene – Alfred Polgar

IMG_3652

Meine persönliche Erfahrung ist: In Berlin scheint IMMER die Sonne. Deshalb kann ich es sehr gut verstehen, dass Marlene da wohlweisslich einen Koffer hat stehen lassen. Berlin ist immer eine Reise wert und nochmal schöner ist die Reise, wenn man die richtige Begleitung hat. Frau Wonnie konnte/wollte nicht mit zum Björk-Konzert, also habe ich Marlene überredet, mich zu begleiten und sie war eine ganz vorzügliche Kumpanin.

Dieses kleine Büchlein ist eine Hommage des großen und in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts überaus bekannten Kritikers und Kolumnisten Alfred Polgar. Er musste, wie soviele andere, vor den Nazis später ins Exil fliehen und war einer der vielen Menschen, die von Marlene Dietrich im Exil finanziell unterstützt wurden. Sozusagen als Wiedergutmachung bzw. um weniger das Gefühl zu haben, Almosen zu bekommen, sondern als Honorar für eine Auftragsarbeit, so schreibt er zwischen 1937 und 1938 ein Portrait der Dietrich, das jetzt, 80 Jahr nach seiner Entstehung zum ersten Mal veröffentlicht wurde.

Es ist keine seiner sonstigen kritischen Auseinandersetzugen mit einem Werk oder einer Person, dies ist eine Hommage. Nicht nur wegen der Unterstützung die er erhielt, Polgar war ihr Fan von der ersten Stunde an. Sein Text beschäftigt sich mit ihrer Karriere zwischen 1927 und 1937 und man muss schon eine ordentliche Portion „fangirling“ seinerseits ertragen. Das hat für mich dem Genuß der Lektüre keinen Abbruch getan, ich bin auch ein Marlene-Fan, allerdings einer, der bislang nicht wirklich viel über sie weiß.

“Es war die zweite von links, die, im kritischen Augenblick, den Revolver hob und die Kanaille niederschoss. Sie schoss von einer Treppe herab, die im Hintergrund sich wendelte, sie blieb dort stehen, als die Tat getan war, und sah auf das Opfer mit einem Blick, in dem Uninteressiertheit, kindliche Neugier, Müdigkeit und Gefühl schicksalhaften Unvermögens zu verstehen (wie es aus dem Tier-Auge trauert) sich mengten.”

5049564331_db3263625e_mFoto: flickrhivemind.net

Der Text bringt für Marlene-Kenner wahrscheinlich keinerlei neue Erkenntnisse und Polgar selbst hat wahrscheinlich in Dietrichs Leben keine größere Rolle gespielt, sie in seinem definitiv, nicht nur weil er auf ihre Hilfe im Exil angewiesen war. Die fesche Lola hat dem ehrwürdigen Kritiker ganz schön den Kopf verdreht 😉

„Nun gilt ja gewiss, dass die bescheidene Lebensform für den, der zu ihr nicht genötigt ist, einen anderen Akzent hat als für den, der sich in sie fügen muss; den kleinen Verhältnissen fehlt das Bittere, wenn die großen nur beurlaubt sind und jederzeit einrückend gemacht werden können.“

Mir hat das Buch Lust darauf gemacht, mehr über den das Lebens der Dietrich zu erfahren und mich mehr mit dem Star-Kritiker der Zwanziger Jahre, Alfred Polgar, zu beschäftigen. Herr Polgar hat Marlene Dietrich in einem sehr überirdischen Licht gezeichnet, but hey who knows – vielleicht war sie ja auch ein Alien (wie Elvis ;)) und gar nicht menschlich, ich denke, ich werde meine nächste Berlin-Reise mit einer weiteren Dietrich-Biografie im Koffer antreten und dieser Frage gewissenhaft nachgehen.

Egal welche Starallüren sie ansonsten gehabt haben mag, von ihrem Engagement gegen den Nationalsozialismus und für die Exilanten können wir uns auch heute noch eine fette Scheibe abschneiden.

Hier übrigens die wunderbare umfangreiche Rezension bei Sätze und Schätze, die mich auf das Buch aufmerksam gemacht hat. Ganz lieben Dank noch einmal an Birgit für das Buch.

Diese spannende Dokumentation ist unbedingt sehenswert:

https://www.youtube.com/watch?v=2FHOvz2fnPw