Klassischer Dreier

Drei wunderbare klassische Novellen – genau das richtige für eine literarische Mittagspause:

 

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Wellen – Eduard von Keyserling

Wellen zeichnet das Bild einer vergangenen Zeit. Die Zeit kurz vor dem ersten Weltkriegs als noch Teile der Baltischen Staaten zu Deutschland gehörten und die Gesellschaft streng in Klassen aufgeteilt, der Adel eine Menge zu sagen hatte und auch die Rolle der Frau noch sehr klar definiert war.

In wunderschönen Bildern erzählt dieser baltische Sommerroman das Schicksal einer Gruppe völlig unterschiedlicher, sich fremder Menschen. Das Meer und die Nähe des abgelegenen Ostseebadeort verbindet sie für kurze Zeit miteinander aber am Ende des Sommers bleibt nur das Meer und ein paar zerstörte Träume übrig.

Zur Sommerfrische versammelt die Gräfin Palikow in einem Haus am Strand ihre Großfamilie: die Tochter „Bella“ mit ihren zwei Töchtern, einem Sohn und ihrem Ehemann. Nicht weit entfernt, in einem kleinen Fischerhaus, wohnt ein äußerst exotisches Paar: Doralice, eine wunderschöne Gräfin, die ihrem alten Ehemann mit einem Maler davongelaufen ist. Mit eben diesem Hans Grill lebt die nun gesellschaftlich geächtete Doralice an dem Badeort. Doralice hat etwas gewagt, wovon 1910 viele träumen: Sie hat sich einer unglücklichen Ehe befreit, sich von ihrem „Maler entführen lassen“. Doch auch wenn er immer wieder von Freiheit spricht, sie fühlt sich unverstanden und ist eher unglücklich. Doralice ist für die Frauen eine Gefahr, für die Herren von Interesse. Ein Zusammentreffen dieser beiden so unterschiedlichen Welten führt in der Schwüle des Sommers zu dramatischen Entwicklungen.

„Allerdings ein Häuschen“, begann Hans gereizt, ein Häuschen irgendwo, sagen wir in einem Vorort von München, ein Häuschen, das deine eigenste Schöpfung ist, der Ausdruck deines Wesens, dort waltest du. Mein Atelier ist natürlich in der Stadt, ich komme zu Mittag heim und du erwartest mich – „

„Das weiß ich alles schon“, unterbrach ihn Doralice, „nur möchte ich wissen, was ich den ganzen Vormittag allein gemacht habe.“

„Du hast eben Deinen Wirkungskreis“, erkläre Hans, „du hast dein Hauswesen, dem du dein Gepräge gibst.“

Doralice zuckte mit den Achseln: „Ach Gott, ich kann doch nicht den ganzen Vormittag allein dasitzen und dem Hauswesen mein Gepräge geben“

Was für für eine Entdeckung – ich muß unbedingt noch mehr von Eduard von Keyserling lesen.

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Das böhmische Mädchen – Willa Cather

Nils Ericson steigt in seiner Heimatstadt aus dem Zug nach Jahren der Abwesenheit. Er trifft seine Mutter, geht mit seinem kleinen Bruder Eric spazieren und Nils besucht Clara, seine Jugendliebe die mittlerweile mit seinem älteren Bruder verheiratet ist. Er ist zurückgekommen, weil er Clara nicht vergessen kann und versucht sie dazu zu überreden, mit ihm nach Norwegen durchzubrennen.

„Du wirst schon noch sehen, wen ich einmal heirate, und diese Frau wird sich keinerlei häuslicher Tugenden rühmen können. Eine Schnappschildkröte wird sie sein, und sie wird mir gewachsen sein.“

In dieser Kurzgeschichte erkennt man deutlich wie sehr Willa Cather sich für die Schönheit der offenen Graslandschaften ihrer Heimat begeistern konnte und die Wärme für ihre Figuren. Die Farmer, Arbeiter und insbesondere die Träumer die noch immer tief verwoben mit den Traditionen ihrer alten Heimatländer in der alten Welt verbunden sind.

Willa Cather hat mich auf eine ganz stille ruhige Art sehr in ihren Bann gezogen und ich freue mich darauf noch mehr von dieser spannenden Autorin zu entdecken.

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Joseph von Eichendorff hat es mir mit seiner Novelle da ein bisschen schwieriger gemacht. Der namenlose Protagonist, der titelgebende Taugenichts ist einer, der in seinem Garten alles Gemüse durch hübsche Blumen und Ziersträucher ersetzt und ganz und gar ein typischer Vertreter des romantischen Poeten ist.

Der Taugenichts zieht ins Leben hinaus um seinen Platz in der Welt zu entdecken. Er hat ein goldenes Herz, nimmt das Leben leicht und erinnert gelegentlich an den kleinen Prinzen.

„Hör ich das Mühlrad gehen: Ich weiß nicht, was ich will – ich möchte am liebsten sterben, da wärs auf einmal still!“

Die Novelle durchziehen eine ganze Reihe von Liedern und Gedichten und es wird sehr viel gewandert in der Geschichte. Der Taugenichts hat Sehnsucht nach der weiten Welt und sein Vater schickt ihn von dannen, damit er was Gescheites lernt. Lange hält er es nicht aus an einem Ort stets auf der Flucht vor dem spießigen Alltag und der bürgerlichen Realität.

Die Romantiker und Lebenskünstler sind die mutig-glücklichen die das Leben ohne große Sorgen auf sich zukommen lassen. Sie sind freiheitsliebend und individuell und der bürgerlichen Enge mit seinen Konformen eher abgeneigt. Auf der anderen Seite sind die spießbürgerlichen Bürger die es auf die Taugenichtse abgesehen haben. Sie gönnen ihnen ihre Leichtigkeit nicht und halten ihnen Moralpredigten wo sie nur können.

Aber in der Spätromantik hatte noch alles seine Ordnung und man darf sich sicher sein, dass unseren Taugenichts am Ende ein Happy End erwartet.

Beim Buch als Magazin kann man immer bedenkenlos zugreifen, da ist immer literarisch-wertvolles drin, auch wenn Eichendorff nicht unbedingt zu meinem üblichen Beuteschema gehören.

Ich freue mich auf jeden Fall schon auf die nächste Ausgabe und hoffe auf was schaurig-düsteres zum Ausgleich.

Habt ihr schon etwas von einem der Autoren gelesen und welche Novellen könnt ihr empfehlen? Bin gespannt auf Eure Tipps – denn ab und an darf es auch gerne mal etwas Kürzeres sein…

5 Kommentare zu “Klassischer Dreier

  1. Hallo,
    Sehr schöne Rezensionen. Ich freue mich immer, wenn jemand Eduard von Keyserling für sich entdeckt. Gerade ist eine schöne Ausgabe mit seinen Erzählungen unter dem Titel „Landparie“ erschienen. Ich lese ihn immer wieder mal, seit ich ihn vor mehr als dreißig Jahren zum ersten Mal gelesen habe. Und auch Willa Cather ist eine Autorin, die leider etwas in Vergessenheit geraten ist. Sie hat wunderbare Romane geschrieben, auch wie Keyserling mit sehr viel Gespür für Atmosphäre.
    Liebe Grüße
    Ruth

    • Kennst Du Howard Zinn „A People’s History of the United States“? Könnte was für Dich sein. Werde demnächst mal eine Hirngymnastik machen zu Amerikanischer Geschichte, dafür habe ich es mir besorgt und es ist richtig spannend.

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