Stella – Takis Würger

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Nein, die Welt braucht nicht wirklich die 10.000 Rezension zu Takis Würgers unglaublich widersprüchlich diskutiertem Roman „Stella“. Nun rezensiere ich hier aber alles, was ich lese und daher nur ganz kurz mein ganz persönlicher Eindruck:

Mich hat die Geschichte überrascht. Ich habe sie gerne und mit Spannung gelesen, kannte die Protagonistin Stella Goldschlag vorher nicht. Der Entrüstungssturm hat mich völlig überrascht und ich möchte den Roman hier jetzt auch nicht im Einzelnen auseinandernehmen.

Die Diskussion hat bei mir sehr positive Dinge ausgelöst. Ich habe gemerkt, dass ich gelegentlich dazu neige, solche Diskussionen im ersten Moment als unnötig, elfenbeinturmig oder übertrieben abzutun. Habe aber viele Diskussionsbeiträge gelesen und je mehr ich gelesen habe, desto mehr habe ich gelernt und ich kann sehr viele Kritikpunkte gut nachvollziehen. Ich finde Freiheit in der Kunst und Literatur sehr wichtig und glaube, dass der Kontroverse um das Buch durchaus positive Seiten abgewonnen werden können.

Auf Anke Gröners Blog habe ich vor ein paar Tagen einen sehr spannenden Gedanken gelesen, den ich so gerne unterschreiben möchte:

Ich musste bei dieser Aufarbeitung an die weiße Künstlerin Dana Schutz denken, der cultural appropriation und Unsensibilität vorgeworfen wurde, weil sie ein Bild des offenen Sargs von Emmett Till malte. Die New York Times schreibt:

„Now, Ms. Schutz admits that she is “guarded” about the controversy and is most wary discussing her motivations for painting the scene in the first place, saying only that it was an attempt to “register this monstrous act and this tragic loss.” But she acknowledged that may have been an “impossible” task.“

When asked if she regretted making the work, she paused and said, “No, I don’t wish I hadn’t painted it.”

The long-term effect of the controversy, she said, is that she has internalized the viewpoints of the protesters even when making new work.

“I’ve had so many conversations with people who were upset by the painting,” Ms. Schutz said, adding that she has included them in “my imagined audience when I’m painting. It’s good those voices were heard.”“

Ich glaube, das ist der Knackpunkt an diesen Kontroversen und das Neue in der Diskussion um Freiheit der Kunst. Es werden auf einmal Stimmen laut und gehört, denen jahrzehnte-, jahrhundertelang keine Beachtung geschenkt wurde. Schwarze, Frauen und viele andere. Diese neuen Stimmen tragen zu einer neuen Sensibilität bei, und die scheint sich ganz langsam niederzuschlagen, siehe bildende Kunst, siehe Literatur.“

Da steckt so viel Wahres drin, das hat mich sehr berührt.

Die zum Teil aber sehr persönliche Kritik am Autor finde ich nach wie vor völlig daneben.

Die Kontroverse und die Diskussion sind für mich das eigentlich zentrale Thema, gar nicht so sehr das Buch, um das es eigentlich gehen soll. Wir müssen lernen, vernünftig miteinander zu diskutieren. Ob früher weniger oder genau so viel Filterbubble war wie heute, kann ich nicht beurteilen, aber Diskussionen fanden vor dem Internet oder in dessen Anfangszeit häufiger persönlich statt.

Im echten Leben haben wir als Menschheit in jahrtausendelanger Übung – mehr oder weniger gut – gelernt miteinander zu reden und zu diskutieren. Das müssen wir jetzt online noch einmal lernen.

Ohne Mimik und Gestik klingt vieles gleich viel schärfer und verletzender und ich merke auch an mir, dass ich dann unnötig schnell in eine Verteidigungshaltung gehe, die der Diskussion keinen Gefallen tut.

Vielleicht müssen wir alle lernen, weniger empfindlich und gleichzeitig weniger umbarmherzig im Urteil zu sein. Auch mal gute Absicht/unabsichtliches Handeln und nicht immer Vorsatz voraussetzen und trotzdem weiterhin zu kritisieren und nicht alles abzunicken. Dies hier soll auf keinen Fall als Aufruf zum Kuschelkurs verstanden werden oder als Verzicht auf Kontroversen.

Ich glaube es ist durchaus möglich, in der Sache hart zu diskutieren, ohne das Gegenüber persönlich anzugreifen. Auch wenn es ein Klischee sein mag: mit ausgestreckten Fäusten wird man niemanden zur Einsicht bringen.

Ich wünsche Takis Würger, dass er heil durch diese heftige Zeit kommt, bin all denen dankbar, die mir in Diskussionen gezeigt haben, was durchaus kritikwürdig ist an dem Roman und für viele neue Einsichten, die ich dadurch gewonnen habe.

5 Kommentare zu “Stella – Takis Würger

  1. Liebe Sabine, danke für diesen Beitrag. Ich denke tatsächlich, dass man Kritik, die scheinbar ja angebracht ist am Buch, nciht auf den Autoren übertragen darf. Da hätte vllt. das Lektorat ein weniger wacher sein müssen … aber ich denke auch, jeder versucht doch immer eigentlich sein Bestes zu geben. Und so ist wohl auch Würger an dieses schwierige Thema gegangen. Aber dafür war es wohl nicht gut genug. Ich werde das Buch aus der bib holen und versuchen, es unvoreingenommen zu lesen. Ab einem gewissen Punkt habe ich mich aus der Diskussion ausgeklingt. Dann als sie so unglaublch unsachlich und persönlich wurde. Danke für deine sachliche Sicht auf deine Lektüre. LG, Bri

  2. Liebe Sabine, das spricht mir aus dem Herzen! Ich empfand die Diskussion auch zum Teil zu persönlich. Und: Auch wenn man dieses – und andere Themen mit einer großen Sensibilität angehen sollte und muss – die mit dem Buch einhergehende Frage: „Darf man das schreiben?“ oder die Forderung, nur „Own Voices“ dürften über ihre Fragen schreiben, die kann ich nicht teilen. Grundsätzlich: Die Kunst ist frei und soll frei bleiben. Zensur im Sinne politischer Überkorrektheit lehne ich ab.

    • Richtig – genau so liebe Birgit! Weil sich mir auch die Frage nach der „Messbarkeit“ stellt bei den „own voices“. Ich möchte nicht, dass man sich unter die Betten der AutorInnen legt, um festzustellen ob sie „gay“ genug sind oder ob sie arbeiterklassig, nicht alt oder jung genug etc um über bestimmte Themen zu schreiben. Vielfalt ja, auf jeden Fall. Ich freue mich über mehr „own“ voices – möchte aber keine Maßband an dem die entsprechende Authentizität gemessen wird…

      • Eben – wo fängt man da an, wo hört man auf. Ich musste während dieser Diskussion immer an Marguerite Youcenar denken, die lieber aus Männerperspektive erzählte, weil ihr das näher lag – hätte sie das dann auch nicht tun dürfen?

  3. Ab 21. Februar gibt es in der Brotfabrik (Berlin) noch einmal die Gelegenheit, das schon etwas ältere Theaterstück „Blond poison“ über Stella Goldschlag zu sehen. In der Titelrolle – es handelt sich um ein Einpersonenstück – die neuseeländische Schauspielerin Dulcie Smart. Vielleicht als Ergänzung oder Vergleich, wie man mit dem Stoff auch umgehen kann.

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