Lektüre Juli 2022

Im Juli waren wir mit lieben Freund*innen in Berlin zum Billie Eilish Konzert und haben es auch fast bis auf die Pfaueninsel geschafft, leider fiel unser Besuch dort für den ich das Buch als Berlin Lektüre dabei hatte im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Es fing so unfassbar heftig an zu regnen, dass wir die Fähre ohne uns fahren liessen und uns ins Wirtshaus zur Pfaueninsel flüchteten, in der Hoffnung es läßt nach. Tat es aber nicht. Dafür habe ich aber sehr liebe Freundinnen in Berlin getroffen, das hat mich dann wieder versöhnt und wir haben sogar einen kleinen Ausflug in den Spreewald gemacht.

Ansonsten war der Juli sehr heiß, von leider vielen Bruder-Dramen geprägt, ich war aber auch ganz wunderbar mit dem kleinen Neffen Karussell fahren, habe eine Arbeitswoche im Rheinland verbracht und habe daher viel in Zügen, in Hotelzimmern, auf dem Balkon und im kühlen Bettchen gelesen. War ein guter Lesemonat.

Den Anfang machen zwei Bücher, die ich von lieben Freund*innen bekommen habe, die literarisch Abhilfe oder zumindest doch Unterhaltung für meine schlaflosen Nächte schaffen sollten:

Anders Bortne – Schlaflos übersetzt von Sabine Richter erschienen im Mairisch Verlag

Anders Bortne leidet seit 16 Jahren an Schlaflosigkeit. Viele Nächte schläft er überhaupt nicht, manchmal findet er für wenige Stunden Ruhe auf der Couch. Teilweise ist er so müde, dass er seine Kinder nicht im Auto zur Kita bringen kann, aus Angst davor, am Steuer einzuschlafen. Wie er selbst leiden auch seine Familie und sein Umfeld unter seinen Stimmungsschwankungen. Bortne erkennt, dass es so nicht weitergeht, er will eine dauerhafte Lösung für sein Schlafproblem finden und zwar ohne Medikamente.

Und so nimmt uns der Autor mit auf eine Odyssee, bei der er Wissen über Schlaf und Insomnie aus der ganzen Welt zusammenträgt, Ärzte und Schlafforscher besucht und an deren Ende er wirklich eine Lösung für seine Schlafprobleme findet. Ein klug und unterhaltsam erzähltes Buch für alle, die ihren Schlaf besser verstehen und vielleicht endlich einmal wieder fest schlafen möchten.

Habe ich sehr gerne gelesen und auch den einen oder anderen Tipp für mich in den Alltag integriert.

Alle anderen schlafen, jede Nacht, das ganze Leben über. Fünf Stunden, sechs, sieben, acht, neun…
Wäre es nicht Schlaf, sondern Essen, das mir so über sechzehn Jahre hinweg genommen worden wäre, würde ich jetzt aussehen wie eine wandelnde Leiche.

Bernd Brunner – Das Buch der Nacht erschienen im Galiani Verlag

Bernd Brunner streift durch die wundersamen Stunden zwischen Dämmerung und Morgengrauen und beleuchtet unser Verhältnis zur Nacht auf dem Grenzgebiet zwischen Geschichte, Mythologie, Biologie und Literatur.

Jahrtausendelang gab die Natur einen festen Rhythmus vor. Am Tag herrschte rege Geschäftigkeit – doch nach Sonnenuntergang sank alles in die Welt des Schlafs und der Träume. Nur nachtaktive Geschöpfe und leidenschaftliche Noctivaganten wie Goethe, der bei Mondschein schwimmen ging, genossen die Dunkelheit.

Echte Finsternis finden wir heutzutage nur an entlegenen Orten oder paradoxerweise in künstlich geschaffenen Umgebungen, die den Tag zur Nacht machen: Nachttierhäuser oder Dunkelrestaurants, die sich großer Beliebtheit erfreuen.

In Bernd Brunners »Buch der Nacht« begegnen wir mystischen Nachtgestalten, Aberglaube und Bräuchen und begeben uns auf eine Entdeckungsreise, die uns darüber staunen lässt, welche Geheimnisse die Nacht bis heute birgt.

Für den Schriftsteller Alberto Manguel entwickeln die Bücher seiner Bibliothek bei Nacht „Stimmen“, die viel über die Welt, den Platz der Bücher in derselben sowie die Menschen erzählen, die die Bücher geliebt, verteufelt, verbannt oder sogar verbrannt haben. „Bei Licht lesen wir das, was andere ersonnen haben; in der Dunkelheit erfinden wir unsere eigenen Geschichten.“ Und er schrieb: „Die Bibliothek, die in den Morgenstunden die Sehnsucht nach einer streng an Vernunftprinzipien orientierten Weltordnung widerspiegelt, taucht nachts voller Freude ein in das elementare, fröhliche Durcheinander der Welt.“

Emily M. Danforth – Plain Bad Heroines erschienen im William Morrow Verlag mit Illustrationen von Sara Lautman

Mein Hörbuch diesen Monat. Hat mir richtig gut gefallen. Ein düster atmosphärisches Sommerbuch, eine seltene Kombination.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1902 an der Brookhants School for Girls. Flo und Clara, zwei Schülerinnen, sind hin und weg: voneinander und von einer spannendenden jungen Schriftstellerin namens Mary MacLane, deren Werk sie verschlingen. Um ihre Verehrung für Mary zu zeigen, gründen die Mädchen ihren eigenen Club und nennen ihn „The Plain Bad Heroine Society“. Sie treffen sich heimlich in einer nahe gelegenen Apfelplantage, dem Ort an dem sie die schönsten Stunden erleben, am Ende aber leider auch auf schreckliche Weise zu Tode kommen. Ihre Leichen werden neben einem Exemplar von Marys Buch gefunden wo sie Opfer eines Schwarms von wütenden Wespen wurden. Weniger als fünf Jahre später schließt die Brookhants School for Girls für immer ihre Pforten – nach dem drei weitere Menschen auf mysteriöse Weise auf dem Gelände sterben, jede auf höchst beunruhigende Weise.

Eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte und mit wunderbaren Schwarz-Weiß-Illustrationen die ich zum Glück im Internet finden konnte, die beim Hörbuch natürlich fehlen. Toller Sommer-Gothic-Noir-Thriller mit einigen gruseligen Momenten, einem leider etwas schwachen Ende und nach der Lektüre hat man noch weniger Lust auf Wespen als eventuell vorher schon.

Emily M. Danforths erstes Buch „The Miseducation of Cameron Post“ wurde ein riesiger Erfolg der auch verfilmt wurde – Buch und Film stehen ganz weit oben auf meiner Liste…
Große Lust hat mir der Roman auch auf Mary MacLanes Buch „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ – würde sich sicherlich perfekt in Kombination mit „Plain Bad Heroines“ lesen.

Eleanor Faderman knew many books. But never before had she read a book that seemed to know her.

Adeline Dieudonné – Bonobo Moussaka übersetzt von Sina de Malafosse erschienen im dtv Verlag

Weihnachten ist das Fest der Familie. Daher nimmt sie ihre beiden Kinder mit zu ihrem Cousin, der die alleinerziehende Mutter großmütig eingeladen hat, sich mit seiner Musterfamilie und der Familie eines befreundeten Bankers an den üppig gedeckten Tisch zu setzen. Ein Essen in seliger Eintracht? Nicht ganz … Denn lauscht man dieser jungen Frau von heute (die Adeline Dieudonné gar nicht so unähnlich ist), offenbart sich, was sie angesichts der virulenten Themen unserer Gesellschaft fühlt und denkt. Doch sie wird sich nicht unterkriegen lassen. Schließlich hat sie zwei Kinder in diese Welt gesetzt und wird alles dafür tun, dass sie eine Zukunft haben.

Selten wechseln Lachanfälle und Momente in denen einem krass das Lachen im Hals stecken bleibt so rasant wie in diesem kleinen Büchlein. Definitiv eines das noch lange nachhallt und sich hartnäckig in den Gehirnwindungen festsetzt und von dem ich sicher bin, dass es demnächst auf der Theaterbühne zu sehen sein wird.

Lustigerweise entspricht das Haus genau der Definition von einem „sehr hübschen Haus am Stadtrand“. Es würde sich sehr gut auf dem Werbebanner einer Immobilienfirma machen, die eine neue Wohnsiedlung plant. Auf mich macht das Haus allerdings eher einen eher traurigen Eindruck

Viktor E. Frankl – Man’s search for meaning auf deutsch unter dem Titel „Trotzdem ja sagen zum Leben“ im Penguin Verlag.

Mehrere Jahre musste der österreichische Psychologe Viktor E. Frankl in deutschen Konzentrationslagern verbringen. Doch trotz all des Leids, das er dort sah und erlebte, kam er zu dem Schluss, dass es selbst an Orten der größten Unmenschlichkeit möglich ist, einen Sinn im Leben zu sehen. Seine Erinnerungen, die er in diesem Buch festhielt und die über Jahrzehnte Millionen von Menschen bewegten, sollen weder Mitleid erregen noch Anklage erheben. Sie sollen Kraft zum Leben geben.

Viktor E. Frankl, geboren 1905, war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und Professor für Logotherapie u. a. in San Diego, Kalifornien. Er war Inhaber von 29 Ehrendoktoraten, und seine Bücher wurden in 22 Sprachen übersetzt. Die Erinnerungen an seine Zeit im Konzentrationslager – haben seit Erscheinen 1946 Millionen von Lesern bewegt. Viktor E. Frankl starb 1997 in Wien.

Wir haben das Buch gemeinsam im Bookclub gelesen und sind gemeinsam zu dem Schluß gekommen, dass das wirklich eines der wichtigsten Bücher unserer Zeit ist. Unfassbar wieviel ein Mensch aushalten kann.

Everything can be taken from a man but one thing: the last of the human freedoms—to choose one’s attitude in any given set of circumstances, to choose one’s own way.

Thomas Hettche – Pfaueninsel erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag

Eine Insel außerhalb der Zeit

Die Pfaueninsel in der Havel ist ein künstliches Paradies. In seinem opulenten, kundigen und anrührenden Roman erzählt Thomas Hettche von dessen Blüte, Reife und Verfall aus der Perspektive des kleinwüchsigen Schlossfräuleins Marie, in deren Lebenslauf sich die Geschichte eines ganzen Jahrhunderts verdichtet.Es mutet an wie ein modernes Märchen, denn es beginnt mit einer Königin, die einen Zwerg trifft und sich fürchterlich erschrickt. Kaum acht Wochen nach dieser Begegnung auf der Pfaueninsel, am 19. Juli 1810, ist die junge Königin Luise tot – und der kleinwüchsige Christian und seine Schwester Marie leben fortan weiter mit dem entsetzten Ausruf der Königin: »Monster!« Damit ist die Dimension dieser Geschichte eröffnet.

Am Beispiel von Marie, die zwischen den Befreiungskriegen und der Restauration,zwischen Palmenhaus und Menagerie, Gartenkunst und philosophischen Gesprächen aufwächst und der königlichen Familie bei deren Besuchen zur Hand geht, erzählt Thomas Hettche von der Zurichtung der Natur, der Würde des Menschen, dem Wesen der Zeit und der Empfindsamkeit der Seele und des Leibes.Dabei geht es um die Gestaltung dieses preußischen Arkadiens durch den Gartenkünstler Lenné und um all das, was es bevölkerte: Palmen, Kängurus und Löwen, Hofgärtner, Prinzen, Südseeinsulaner, Riesen, Zwerge und Mohren – und es geht um die Liebe in ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen.Thomas Hettche ist das Kunststück gelungen, mit dem historisch verbürgten Personal seiner Geschichte von uns Heutigen zu erzählen. Atmosphärisch, detailgetreu und voller Lust an der phantasievollen Ausschmückung.

Wundervoller Roman, der zurecht vor ein paar Jahren den Deutschen Buchpreis gewonnen hat. Habe ich sehr gerne gelesen und nun fehlt nur noch der Besuch auf der Pfaueninsel, aber das wird sicherlich irgendwann einmal klappen.

Alles Künstliche verschwand in dem Moment, in dem der Wille verschwand, es zu erhalten, und was eben noch modern gewesen war und Versprechen einer neuen Zeit, sank lautlos und kraftlos als Mode zurück ins Vergessen. Das Vergehen der Zeit, dachte sie, war ja vor allem ein Vergehen von Zukunft und ein Sieg der Vergangenheit.

Irene Vallejo – Papyrus. Die Geschichte der Welt in Büchern übersetzt von Maria Meinel und Luis Ruby erschienen im Diogenes Verlag

„Papyrus“ erzählt die Geschichte des Buches, eines Artefakts, das die Menschheit seit fast dreitausend Jahren fasziniert und das es in den unterschiedlichsten Formen gegeben hat: aus Rauch, Stein, Ton, Schilf, Seide, Leder, Holz und neu auch aus Kunststoff und Licht. Auf ihrer Entdeckungsreise führt uns Irene Vallejo von den Schlachtfeldern Alexanders des Großen und den Palästen der Kleopatra über die ersten Buchhandlungen bis in das unterirdische Labyrinth des heutigen Oxford und verbindet dabei gekonnt klassische Werke mit der Gegenwart: Seneca mit postfaktischer Wahrheit, Aristophanes mit der Provokation durch Karikaturen oder Sappho mit dem weiblichen Blick. Ein Sachbuch, das sich liest wie ein Abenteuerroman – und eine leidenschaftliche Hommage an die Welt der Bücher.

Die Leidenschaft des Büchersammlers gleicht der eines Reisenden. Jede Bibliothek ist eine Reise; jedes Buch ist ein Fahrschein mit unbegrenzter Gültigkeit. Alexander zog durch Afrika und Asien, ohne sich von seinem Exemplar der Illias zu trennen; Historikern zufolge suchte er darin Rat und nährte seine Sehnsucht nach höherer Bedeutung. Die Lektüre eröffnete ihm, wie ein Kompass, Wege ins Unbekannte

Große Empfehlung für alle Bücher-Verrückten und Menschen mit Interesse für die Antike. Eine außergewöhnliche Weltgeschichte die meine Leseliste wieder immens befüllt hat. Ein Buch das sich auch ganz wunderbar verschenken läßt.

Klaus Cäsar Zehrer – Das Genie erschienen im Diogenes Verlag

1886 landet der junge ukrainische Einwanderer Boris Sidis in New York. Er hat keinen Cent in der Tasche, aber einen brillanten Geist und den großen Ehrgeiz, die Welt von Dummheit und Krieg zu befreien – durch Bildung. Wenige Jahre später, Boris ist inzwischen Harvard-Absolvent und ein berühmter Psychologe, wird sein Sohn geboren. Boris will an ihm demonstrieren, dass sich jedes Kind zum Genie erziehen lässt, wenn es von Anfang an die richtige Förderung bekommt. Der Erfolg ist durchschlagend: Der kleine William James bricht alle Rekorde, macht mit acht Jahren seinen High-School-Abschluss und wird als »Wunderjunge von Harvard« gefeiert. Doch als Erwachsener hat William nur noch einen Wunsch: ein selbstbestimmtes Leben nach seinen Vorstellungen zu führen, auch wenn er dafür mit den Erwartungen seiner Eltern und der Gesellschaft brechen muss. Kein einfaches Ziel in einer Zeit, in der Unangepasstheit nicht sonderlich geschätzt wird und zwei Weltkriege sowie eine schwere Wirtschaftskrise die Welt erschüttern. Ein biographischer Roman über die faszinierende, wahre Lebensgeschichte des exzentrischen Genies William James Sidis (1898–1944), bewegend und verblüffend aktuell.

Am besten, dachte er, wäre es, wenn man für jede wiederkehrende Situation im Leben eine eindeutige Handlungsanweisung hätte. Dann müsste man nie mehr überlegen, was man tun soll und wie. Er nahm ein Notizbuch und schrieb auf, wie er sich künftig verhalten wollte.

Krasse Geschichte und hätte ich nicht gewusst, dass es sich um einen biografischen Roman handelt, ich hätte niemals geglaubt, dass irgendjemand sein Kind erzieht wie es Boris Sidis mit seinem Sohn gemacht hat. Habe ich ebenfalls sehr gerne gelesen und kann es absolut empfehlen.

Das war ein sehr guter Lesemonat mit keinerlei Enttäuschungen.

Welches der Bücher kennt ihr bereits, auf welches konnte ich euch Lust machen? Freue mich immer sehr, von Euch zu hören.

Kopenhagen by the book

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Kopenhagen wird regelmässig zur glücklichsten Stadt der Welt gewählt und auf Instagram kann man den Bildern aus der Stadt gar nicht mehr ausweichen. Den Nordic-Virus hatten wir uns dieses Jahr schon heftig  in Stockholm eingefangen und wir nutzten das lange November Wochenende, um dem Virus weiter Futter zu geben und die Straßen der dänischen Hauptstadt unsicher zu machen.

Die Stadt ist wunderschön, gehört aber eindeutig zu den teuersten Hauptstädten Europas. Wir waren von Kopenhagen total begeistert – hier ein kurzer Überblick was diese Stadt so einzigartig macht:

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Die Københavener. Sie sind nicht nur wahnsinnig freundlich und offen, sie sind alle auch verdammt gutaussehend. Man kommt sich unweigerlich wie der Glöckner von Notre Dame vor. Und sie sind riesig. Wir kamen gelegentlich wie die Minions vor und mussten ab und an Hilfestellung von den großen Dänen bekommen, wenn irgendwelche Knöpfe oder Dinge außerhalb unserer Reichweite waren.

Design & Architektur. Die Dänen können nicht nur hygge, das ist auch wirklich alles wahnsinnig stylisch, die Architektur ganz oft ein sehr gelungener Mix aus alt und neu. Besonderes Highlight die Oper und die Königliche Bibliothek „The Black Diamond“.

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Eines der besten Abendessen unseres Lebens hatten wir im Høst, ein Restaurant das ihr Euch auf keinen Fall entgehen lassen solltet bei einem Besuch in Kopenhagen.

Der Vergnügungspark Tivoli versprüht wunderbar altmodischen Charme, gerade zu Halloween war das ein großer Spaß. Weniger spannend fanden wir die Freistadt Christiana, eine alternative Wohnsiedlung und vom Staat geduldete autonome Gemeinde. Man bekommt dort legal Drogen jeglicher Art, aber ansonsten hat es uns sehr an das Münchner Tollwood erinnert.

Buchläden gibt es reichlich in der Stadt, meist groß, hell und einladend und dänische und englische Bücher stehen bunt gemischt in den Regalen.

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Unbedingt ans Herz legen würden wir euch auf jeden Fall einen Besuch in der Cisterne einem ehemaligen Wasserspeicher, in dem das ganze Jahr über eine Ausstellung des dänischen Künstlerkollektivs Superflex stattfindet. Mit Sci-Fi Elementen haben die Künstler eine dystopische Welt geschaffen, in dem der Klimawandel die Gesellschaft drastisch verändert hat. Wirklich großartig.

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Foto: Cisterne

Wer mir an jeder Ecke der Stadt begegnete war die wohl bekannteste Schriftstellerin Karen Blixen. Geboren wurde sie 1885 etwa 20km außerhalb Kopenhagens in Rungstedlund, wo sie 1962 auch starb. Sie lebte 17 Jahre lang als Kaffeefarmerin in Kenia. Sie wurde berühmt durch ihr Buch „Out of Africa“, das 1985 unter dem Titel „Jenseits von Afrika“ mit Meryl Streep und Robert Redford verfilmt wurde.

Ihr Leben in Afrika war von außergewöhnlicher Liebe und Schönheit, aber auch von fürchterlichen Verlusten geprägt. Ihre Kaffeeplantage ging pleite, ihre Ehe war am Ende und ihr Liebhaber mit dem Flugzeug abgestürzt.

Sie kehrte nach Dänemark zurück und versuchte des Öfteren, Afrika zu besuchen, doch ihre Pläne zerschlugen sich immer wieder. Sie stürzte sich in ihre Karriere als Autorin. 1934 veröffentlichte sie ihr Debüt „Seven Gothic Tales“ unter dem Pseudonym Isak Dinesen. Die Geschichten hatte sie während ihres Aufenthaltes in Afrika geschrieben. Ihr zweites Buch wurde ihr erfolgreichstes – ihre Erinnerungen an Afrika.Als Reiselektüre hatte ich mir ihre Erzählungen „Nordische Nächte“ mitgenommen, die eine ihrer berühmtesten Erzählungen „Babettes Fest“ enthält.

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Die Geschichten haben etwas leicht beunruhigendes, ohne dass ich den Finger darauf legen könnte, was diese Unruhe bei mir auslöst. Das sind keinesfalls kuschelige Hygge-Geschichten, die man warm auf dem Sofa eingepackt kurz vorm Eindösen lesen könnte. Bei Blixen muss man stets aufmerksam und wach sein, denn hier zählt jedes Wort.

„Babettes Fest“ war auch zugleich meine Lieblingsgeschichte. Eine junge Frau namens Babette, ein Flüchtling vor dem Krieg in Frankreich, schlüpft bei zwei älteren religiösen Schwestern unter und bleibt bei ihnen jahrelang hängen. Sie kocht und sorgt für die beiden Damen. Irgendwann äußert sie die Bitte, ein Fest für die zwei und ihre Freunde veranstalten zu dürfen… Eine geheimnisvolle Geschichte gespickt mit leisem Humor, poetisch und provokant. Ein echter Leckerbissen, der mir große Lust auf die gleichnamige Verfilmung machte.

Neben „Babettes Fest“ finden sich noch 6 weitere Geschichten in der Sammlung. Den Geschichten merkt man Blixens Sehnsucht nach einer aristokratischen Weltordnung an. Ihre Geschichten sind nie ganz Teil der wirklichen Welt, sie lesen sich oft wie Märchen. Blixen ist eine Autorin, die einen Schritt zurücktritt, die Welt betrachtet und sie sorgsam destilliert. Ihre Geschichten sind stark formalisiert und man schwebt stets ein wenig im Ungewissen.

Ich habe die Erzählungen gerne gelesen, aber ich hatte häufig das Gefühl, als würde die Autorin kurz den Vorhang öffnen, der Leser sieht eine Weile dem Treiben der Geschichte zu und irgendwann macht sie den Vorhang wieder zu und die Geschichte ist vorbei. Große Bindung zu den Figuren oder Interesse hatte ich außer zu Babette eigentlich nicht.

Spannender noch als ihre Erzählungen ist das Leben der Autorin und ich mache mich umgehend auf die Suche nach einer Biografie. Eine Autorin, die gleich zweimal für den Literaturnobelpreis nominiert war, zu deren Fans neben Ernest Hemingway auch Truman Capote, Pearl S Buck und Arthur Miller zählte und die großen Spaß hatte, ihren Mythos der geheimnisvollen Gräfin zu pflegen, ist definitiv eine gute Kandidatin für eine spannende Biografie.

Ich danke dem Random House Verlag für das Rezensionsexemplar.

Habt ihr schon etwas von Karen Blixen gelesen oder könnt vielleicht eine Biografie empfehlen?

Stockholm by the Book

Mit vielem habe ich in Stockholm gerechnet, aber nicht mit diesem perfekten fast schon sommerlichen Wetter, mit dem uns die schwedische Hauptstadt begrüßte. Das war die zweite schöne Überraschung nach der Lektüre des SZ Magazins bei der Anreise, in der tatsächlich ausgerechnet das Hotel vorgestellt wurde, in dem wir gebucht hatten. Das Story Hotel war auch in der Tat ein wunderbar zentral gelegener und insgesamt sehr schöner Ausgangspunkt für unseren Ausflug.

Unsere „must sees“ für Stockholm hat Wonnie hier wunderbar auf den Münchner Küchenexperimenten zusammengefasst – inklusive eines kulinarischen Rückblicks. Ich werde mich hier mit den literarischen Seiten dieser tollen Stadt beschäftigen.

Ein paar Impressionen will ich aber auch da lassen:

 

Literarisch gibt es einiges zu entdecken.  Allen voran natürlich Astrid Lindgren, die jahrelang in Stockholm lebte und dort 2002 verstarb. Ihre Wohnung in der Dalagatan 46 kann mit vorheriger Anmeldung besichtigt werden. Über die Ostertage waren leider alle Termine vergeben.

Eine Statue der Autorin findet sich vor dem Kindermuseum Junibacken, in dem sich eine Pippi Langstrumpf Ausstellung befindet.

 

Skandinavien ist ja bekanntermassen ein Thrillerland und es hätte sicherlich zig Möglichkeiten gegeben, den diversen Tatorten in der Stadt zu folgen. Vor vielen Jahren las ich mit Begeisterung die Sjöwall-Wahlöö Romane und ich bin sicher, es hätte einen entsprechenden Spaziergang dazu gegeben. Wir entschieden uns aber für die Lisbeth Salander Tour, bei der wir mit einem entspechenden Plan ausgerüstet durch Södermalm düsten und die Schauplätze der Millennium Reihe von Stieg Larsson unter die Lupe nahmen.

Von der Millennium Redaktion über die Wohnung von Mikael Blomqvist und Lisbeth Salander über deren Lieblingscafes erwanderten wir einen sehr interessanten und wunderschönen Teil Stockholms. Es gibt auch eine offizielle geführte Tour, die man zB hier buchen kann, wir entschieden uns aber, das ganze auf eigene Faust zu machen und ohne Gruppe im Schlepptau ist das finde ich auch deutlich netter. Abends im Hotel haben wir dann nochmal „The Girl who played with fire“ geschaut und uns wie Bolle gefreut, wenn wir Locations entdeckten, die wir tagsüber gefunden hatten.

Dieses hier ist garantiert Salanders Lieblingsbuchladen. Der war sehr cool und ganz in der Nähe ihrer Wohnung – also bin ganz sicher 😉

Ein Theaterbesuch im Kungliga Dramatiska Teatern, im Volksmund einfach Dramaten genannt wäre schon sehr schön gewesen, aber zum Einen waren wir nicht organisiert genug, uns im Vorfeld um Tickets zu kümmern und unser nicht vorhandenes Schwedisch wäre auch ein Problem gewesen. Das Theater ist ein wunderschöner Jugendstil-Bau und hat so manche berühmte Persönlichkeit hervorgebracht. Dort spielten neben Bibi Andersson und Max von Südow zB auch Ingrid Bergmann und Greta Garbo.

Hier findet man auch eine Büste des wohl berühmtesten schwedischen Dramatikers August Strindberg:

Natürlich bin ich nicht ohne entsprechende Reiselektüre nach Stockholm gefahren. Es war meines Erachtens dringend an der Zeit, ein Werk der schwedischen Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf zu lesen. Habe als Kind natürlich Nils Holgersson verschlungen, aber sonst kannte ich gar nichts von ihrem literarischen Werk. Ich habe mich für den Happy Reader Tipp „The saga of Gösta Berling“ entschieden. Ich mag die Penguin Klassikausgaben ganz besonders, da sie immer eine sehr gute Einführung in das jeweilige Werk bieten.

Der Roman liest sich eher wie eine lose Sammlung an Kurzgeschichten, die sich stets um den seines Priesteramtes enthobenen Gösta Berling drehen. Er spielt im Värmland in den 1820er Jahren und Gösta wird zum Anführer der Kavaliere auf Ekeby. Das abenteuerliche Leben dieser Kavaliere, ehemalige Offiziere und verarmte Adlige, die auf Gut Ekeby eine Freistatt gefunden haben und ihre Tage mit Liebesabenteuern, Musizieren, Kartenspielen und ähnlichen Vergnügungen verbringen, wird in zahlreichen recht selbständigen Kapiteln vorgestellt. Die Geschichte Gösta Berlings, der nach mancherlei Erlebnissen und Erfahrungen zu einem besseren Menschen geläutert wird, bildet hierbei die Rahmenhandlung für eine Reihe eher lose verknüpfter Episoden.

Die Kritik war nach Veröffentlichung des Romans zunächst eher negativ, dennoch wurde dieser Roman ihr Durchbruch und fand auch sehr prominente Verfechter wie beispielsweise Thomas Mann.

In Gösta Berling schlägt die Autorin viele Themen an, die sie ihr Leben lang begleiten werden: Die Landschaft, in der Gösta Berling spielt, ist auch der Schauplatz späterer Romane, die segenreiche Wirkung der Arbeit und der Sieg der Liebe ein ohnehin durchgehendes Thema bei Selma Lagerlöf.

In stilistischer Hinsicht blieb Gösta Berling allerdings ein Einzelgänger. Ihre nächsten Romane sind von einem deutlich schlichteren Stil gepräg, den sie im Laufe ihres Lebens immer weiter vereinfachte.

An unserem Abreisetag machten wir einen Ausflug in das Freilichtmuseum Skansen und ich fühlte mich dort die ganze Zeit in Selma Lagerlöfs Roman hineinversetzt:

Der magische Realismus in „Gösta Berling“ war nicht ganz meins, ich glaube ich würde sehr gerne noch mehr über Selma Lagerlöf lesen, bin aber nicht sicher, ob ich noch unbedingt weitere Romane von ihr lesen möchte. Ihr Leben war allerdings richtig spannend. „Gösta Berling“ wurde 1924 mit Greta Garbo verfilmt, die es sich auch nicht nehmen ließ, die Autorin privat zu besuchen, Frau Garbo war ein sehr großer Fan von Selma Lagerlöf.

Hier ein Ausschnitt aus dem Film:

Stockholm ist eine tolle Stadt, die wir zusammen mit den unglaublich symphatischen Menschen sehr lieb gewonnen haben. Es ist glücklicherweise auch nicht mehr ganz so teuer, wie bei meinem ersten Besuch dort vor einigen Jahren. Die paar Tage haben uns auf jeden Fall Appetit auf mehr Schweden gemacht, ich könnte mir gut vorstellen, mal so ein kleines rotes Häuschen zu mieten und Astrid Lingdrens Rat zu beherzigen:

„Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.“

 

 

#WomeninSciFi (52) Kallocain – Karin Boye

Ich freue mich mich, dass es bei #Women in SciFi heute um einen sehr interessanten dystopischen Klassiker aus Skandinavien geht. Karin Boyes Roman ist immer wieder auf meinem Radar aufgetaucht – und wieder verschwunden. Um so glücklicher bin ich, dass ihn Jana vom Blog „Wissenstagebuch“ aufgestöbert und im Rahmen einer Twitter-Leserunde besprochen hat. Dem „Wissenstagebuch“ müßt ihr im Übrigen unbedingt einen Besuch abstatten – so viele spannende Reihen die Jana da präsentiert: über die Philosophische Hintertreppe und Klassiker zu #WirlesenFrauen und vielem mehr. Aber jetzt lasst uns nach Skandinavien reisen, gemütlich wird es allerdings nicht:

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Karin Boyes 1940 erschienener Roman „Kallocain“ gilt als Klassiker der dystopischen Literatur und wird mit Werken wie Aldous Huxleys „Brave New World“ und George Orwells „1984“ in eine Reihe gestellt. Im Rahmen der Twitter-Leserunde von 54books (#54readsKB) habe ich mir die schwedische Dystopie näher angeschaut.

Der Chemiker Leo Kall entwickelt ein Wahrheitsserum, das wirklich jeden zum Reden bringt. Nicht uneitel benennt er das Mittel nach sich selbst „Kallocain“. Als treuer Staatsbürger stellt er es sogleich dem herrschenden Regime zur Verfügung – mit fatalen Folgen für alle, deren Gedanken nicht im Gleichschritt marschieren.

Karin Boyes „Kallocain“ wurde zwar schon 1947 einmal ins Deutsche übersetzt, aber erst die Neuübersetzung 2018 durch Paul Barf – verbunden mit dem allgemeinen Interesse an dystopischer Literatur – hat den Roman zumindest in der Bloggosphäre stärker ins Bewusstsein gerückt. Die Geschichte nimmt viele Elemente von Orwells unermüdlich zitiertem Roman „1984“ vorweg (hier 10 Gründe, warum 1984 immer noch aktuell ist), reicht in seiner Bekanntheit aber bei Weitem nicht an den später erschienenen Roman heran. Warum?

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Vielleicht liegt es daran, dass Boye ihren Schwerpunkt nicht auf die Beschreibung und Ausgestaltung der von ihr erfundenen Welt, auf das Worldbuilding, legt. Bis weit in die Geschichte hinein hat der Leser nur eine vage Vorstellung davon, wie der Heimatstaat Leo Kalls organisiert ist, welche Machtstrukturen und politischen Seilschaften es gibt und was eigentlich das erklärte Staatsziel sein soll. Anachronistisch wirkt, dass die Institution der Familie sich bis zum Zeitpunkt der Geschichte bewährt hat und dass das Staatsleben trotz völliger Informationsabschottung seiner Bewohner (sogar geografische Informationen sind verboten) funktioniert.

Was Boye nicht in den Entwurf der von ihr geschaffenen Welt steckt, investiert sie in das Innenleben ihres Protagonisten Kall. Als Leser sieht man die Geschehnisse nach Erfindung des Kallocains durch seine Augen. Anfangs fühlt man sich so gar nicht wohl im Kopf des perfekten „Mitsoldaten“, der keinen Dienst verpasst und seine Frau Linda dafür hasst, dass kein offenes Gespräch mit ihr möglich ist, während er selbst jederzeit zum Denunzieren bereit ist. Langsam setzt dann ein Wandel in Kalls Denken ein; leise Zweifel melden sich an, bis er schließlich zum ersten Mal eigenen, frischen Gedanken Einlass in sein Bewusstsein gestattet.

Der Kopf des Einzelnen ist zweifellos der spannendste Ort im totalitären System. Boye gelingt es, ein Abbild des möglichen Denkens und Fühlens im nationalsozialistischen Deutschland und im Stalinismus zu schaffen. Beide Systeme kannte sie aus eigener Anschauung. Und doch fehlte es für meinen Geschmack an einer pointierten Darstellung. Einige der Figuren wagen es, über die Fehler des Systems zu sprechen, doch bleibt dies immer seltsam nebulös, geschieht nie in griffigen Worten. Insbesondere beim Scharfprozess gegen Kalls Kollegen Rissen hat Boye aus meiner Sicht die Gelegenheit verpasst „einen Punkt zu machen“. Vielleicht war dieses Verweilen im Unscharfen auch nötig, um das Manuskript durch die selbstauferlegte Zensur des nicht besetzten Schwedens der 40er Jahre zu schleusen. Etwas besser gelingt Boye der Drahtseilakt bei Lindas Reflexion über ihre Rolle als Frau, Mutter und Mitsoldatin – für mich die stärksten Worte im Roman.

Kallocain verdient sicher seinen Platz in der Reihe klassischer Dystopien/Romane mit dystopischen Elementen. In seiner Mahnwirkung reicht es für mich an „Brave New World“ und „1984“ aber nicht heran.

Karin Boye, Kallocain, 1940 (2018).

Die Geschichte der Bienen – Maja Lunde

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Die Pestizide lassen die Bienen sterben, ohne Bienen keine befruchteten Pflanzen und dann sind wir so gut wie tot. Man könnte Maja Lundes Roman „speculative fiction“ nennen, aber in dem Fall spiegelt der Roman erschreckenderweise fast die Realität wider und liest sich stellenweise wie ein Sachbuch, das Vorgänge beschreibt, die (noch) nicht passiert sind.
Maja Lunde gibt uns das Gefühl, dass wir schon zu zweidritteln über dem Abgrund hängen und damit ist sie leider nicht weit von der Realität entfernt. Das beunruhigende Gefühl von fast schon Wirklichkeit hat vielleicht auch damit zu tun, dass zwei der drei Erzählstränge in der Vergangenheit liegen.
Im Jahr 1852 treffen wir auf William, einen Samenhändler mit vielen Kindern, der depressiv im Bett liegt und es nicht mehr schafft seine Familie zu ernähren.

Die Ursache für seine Depressionen scheinen in der Tatsache zu liegen, dass der einst erfolgversprechende Biologe sich genötigt sah, seine zahlreiche Familie zu ernähren und seine Ambitionen, ein berühmter Biologe zu werden, den Bach runtergehen sieht. Symphatisch fand ich ihn nicht und man würde meinen, ein Biologe hätte mehr Ahnung davon, wie man der zum Teil zumindest unerwünschten Kinderschar Einhalt gebietet.

Seinen Durchbruch hat er dann mit einem neuartigen effizienten Bienenkorb. Die einzige symphatische in dem Teil der Geschichte ist seine Tochter, die später in seine Fußstapfen tritt und nach Amerika auswandert.

Foto: Louis Masai

 

155 Jahre später sind wir in Ohio und treffen auf einen anderen Vater, George, der sein Leben als traditioneller Farmer und Imker verbracht hat und all seine Hoffnung darauf setzt, dass sein Sohn Tom, sein Leben in der gleichen Weise weiterführt. Tom hat allerdings andere Ideen und als sei diese Abfuhr nicht genug, verschwinden eines Tages auch noch Georges Bienen während eines landesweiten Bienenkolonie-Kollaps.

Noch einmal 100 Jahre weiter erleben wir die drastischere Seite dieses Kollapses in China. Insekten sind mittlerweile ausgestorben, was zu weltweiten Hunger-Katastrophen führt. Menschen haben als menschliche Bienen das Bestäuben von Pflanzen übernommen, eine knochenharte Arbeit, die gerade so das Überleben sichert. Tao erhofft sich für ihren dreijährigen Sohn ein besseres Leben, doch in wenigen Jahren wird er genau wie sie als menschliche Arbeitsbiene im Akkord Blüten bestäuben müssen.
Foto: Savethebeesproject

An einem der seltenen Ruhetage wandert der kleine Junge für einen Moment davon und wird bei einem schrecklichen, mysteriösen Unfall schwer verletzt. Die Behörden bringen ihn nach Bejing, ohne die Eltern auf dem Laufenden zu halten. Tao folgt ihrem Sohn in die Stadt, die sehr an Cormac McCarthys Welt erinnert, in der Hoffnung ihn zu finden…

Lunde hat bislang Kinderbücher und Drehbücher geschrieben, was man eventuell an der Klarheit und Einfachheit der Sprache erkennen kann und dem soliden Verknüpfen sämtlicher loser Enden in der Geschichte.

Ich fand „Die Geschichte der Bienen“ stellenweise etwas klebrig-süß, aber dennoch ganz interessant, auch wenn ich den mega Trubel um das Buch nicht ganz nachvollziehen kann. Wobei ihr wahrscheinlich zurecht hauptsächlich wichtig ist, dass bei möglichst vielen Menschen die Message ankommt, dass wir uns um die Bienen und alle anderen Insekten kümmern müssen, wenn wir nicht demnächst vor die Hunde gehen wollen.

Die Gelegenheit nutzte ich im Übrigen, um noch ein weiteres Bienen-Buch aus meinem Bestand zu lesen und zwar den Thriller „The Prophecy of Bees“ von R. S. Pateman.

Der Autor hat einen atmosphärischen schaurigen und spannenden Thriller um alte Landhäuser, kleine englische Dörfer, Aberglaube, Prophezeiungen, Familien und Bienen geschrieben.

Als Lindy, eine kürzlich verwitwete Amerikanerin, die schon lange in England lebt, ein großes altes Landhaus in den Cotswolds kauft, erhofft sie sich damit einen Neuanfang für sich und ihre schwierige Tochter Izzy. Stagcote Manor ist ein großes Haus voller Geschichte und Lindy freut sich auf diesen Neuanfang.

Ihre Tochter Izzy ist da weniger überzeugt. Sie will zurück in den Trubel der Londoner Großstadt, zu ihren Freunden und den Goth-Clubs, in denen sie rumhängt. Außerdem ist da irgendetwas beunruhigendes am Haus, auch wenn Izzy noch nicht wirklich sagen kann was es genau ist. Als Izzy dann doch beginnt, sich mehr und mehr auf das Leben in Stagcote und die Dorfgemeinschaft einzulassen, merkt sie nach und nach, was für seltsame und beunruhigende abergläubische Ideen in den Köpfen der Einheimischen spuken und viele davon hängen direkt mit ihrem Landhaus zusammen.

Als Izzy beginnt, die Geschichte des Hauses zu erforschen, wird ihre Unruhe noch um einiges heftiger als die dunkle Vergangenheit des Landhauses und die Prophezeiungen der Bienen ans Licht kommt…

 

Foto: savethebees

 

Day 23 Book-a-Day Challenge: Favorite fictional Character

… and the winner is: Lisbeth Salander 🙂

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I would love to be a Hacker like her and the dragon tattoo is also cool. I prefer books where I can identify with somebody in the book. It doesn’t have to be the main protagonist and it is not so much that they need to be very similar to me, but something needs to resonate with me.

Either the way they think, the way they act or their ideas.

To learn more about Lisbeth I recommend Stig Larssons trilogy who died far too young a few years ago and the follow-up by David Lagercrantz „The Girl in the Spider Web“. You can find my review here:

https://bingereader.org/2015/10/01/the-girl-in-the-spiders-web-david-lagercrantz/

What is your favorite fictional character ?

Connection with Reader could not be established…

Nein, ich habe weder einen Igel noch rosafarbene Bettwäsche aber ich habe einen Herren-Hattrick hingelegt, drei Autoren zu denen ich wenig bis gar keine Bindung aufbauen konnte. Bei Herrn Saunders war es anscheinend so arg, ich habe gar vergessen ein Foto des Buches zu machen, so dass ich jetzt hier auf Kreta sitzend das Internet bemühen muss (Bild von thebooksmith).

„Tenth of December“ – George Saunders

Vielleicht hätte so ein kleiner bezaubernder Igel mir Herrn Saunders zugänglicher gemacht, ohne war ich einfach etwas lost. Dabei war ich so freudig gespannt. Die Kurzgeschichten wurden überall und ausnahmslos hochgelobt doch der hoffnungsfrohe Höhenflug wurde jäh gestoppt, Ich habe 3 Geschichten lang durchgehalten, fand die weder humorvoll (aber ok mir fehlt glaube ich auch zu weiten Teilen das Humorgen) noch interessant, noch irgendwas. Wir haben einfach etwas aneinander vorbeigelebt der Herr Saunders und ich. Stream of Conciousness oder auch Unconciousness, ich weiß es nicht. Vielleicht hätte ich ihm mehr Zeit geben müssen, es ist so ein hübsches Buch. Rough cut und so ein wunderbares schwarz-weißes Cover, aber nope wurde nichts.

Es flog in die Ecke, vielleicht versuchen wir es irgendwann noch einmal miteinander. Hat hier jemand ähnliche oder ganz andere Erfahrungen mit Herrn Saunders gemacht?
Soll ich ihm noch mal eine Chance geben ?

Auf zum nächsten Problemkandidaten, den habe ich immerhin zu Ende gelesen.
ABER

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Cryptonomicon – Neal Stephenson

1152 (!!!) Seiten – ich hatte schon Committment-Issues, bevor es los ging, dass ich das durchgehalten habe, grenzt an ein Weltwunder, das war mehr als harte Arbeit. Ein Tech-Cyperpunk Klassiker und Information-Dump vom Feinsten. Er spiegelt die Realität in der Tech-Welt deutlich wider, denn in dem Buch gibt es so gut wie keine Frauen, wenn, sind sie Randfiguren die keine größere Rolle spielen. Am Ende des Buches mußte ich wirklich mal kurz checken, ob ich mich nicht selbst beim Lesen in einen Mann verwandelt hatte.

Das Buch ist interessant, aber zu lang, zu viele Informationen, zu wenig wirklich spannende Handlung. Selbst eine Kurz-Zusammenfassung hat es in sich. Fast jede Seite enthält Mathematik für Fortgeschrittene und das ganze dann auf zwei Zeitebenen.

Zweiter Weltkrieg und eine Menge Kryptographie rund um Alan Turing und ein Sonderkommando der Alliierten, die versuchen, die Kommunikationscodes der Achsenmächte zu knacken.

Der andere Teil spielt in der Gegenwart, in der sich teilweise die Enkel der Helden aus dem zweiten Weltkrieg darum bemühen, in Südostasien eine Offshore-Datenoase zu schaffen.

Ich hab einiges gelernt und werde mich irgendwann auch an den Stephenson wagen, der hier noch rumsteht (Anathem), aber wirklich warm wurden wir beide nicht.

Ich wage mich jetzt an den nächsten Herren mit dem es nicht so recht klappen wollte und fürchte, hier werde ich eventuell die meiste Haue bekommen:

„Sterben“ – Karl Ove Knausgard

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So viele Menschen, deren Meinung ich schätze, haben ihn mir ans Herz gelegt und ich wollte auch so gerne, war so gespannt, aber es klappte einfach nicht. Ich konnte mich einfach nicht hineinfinden in die Knausgardsche Welt, fand es nicht spannend, wollte soviel über ihn nicht wissen und habe daher irgendwann einfach aufgegeben.

Ich stelle es mal auf Seite, vielleicht irgendwann nochmal, auf einer Reise nach Skandinavien oder so, eventuell packt es mich ja noch mal – aber für den Moment müssen Herr Knausgard und ich getrennte Wege gehen.

Er ist sicherlich ein interessanter Typ und ich würde auch durchaus mal ein Bier mit ihm trinken und eine Nacht durchdiskutieren, aber Hunderte und Hunderte von Seiten möchte ich glaube ich nicht über ihn lesen.

So, gibt es hier Stephenson’sche Leidensgenossen ? Knausgard Fans – könnt ihr mir verzeihen? Leute, die ihn nicht mögen gibt es glaube ich gar nicht, aber ich freue auf Euer Feedback.

Mit wem konntet ihr keine Verbindung aufbauen?

  • George Saunders – „Tenth of December“ ist auf deutsch unter dem Titel „Zehnter Dezember“ im Luchterhand Verlag erschienen.
  • Neal Stephenson – „Cryptonomicon“ ist auf deutsch unter dem gleichen Titel bei Goldmann erschienen
  • Karl Ove Knausgard – Sterben ist im Luchterhand Verlag erschienen

The Girl in the Spider’s Web – David Lagercrantz

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”Shut up and listen,” she said.

Das war die Stelle, an der ich wusste, ahhh alles gut. Das ist meine Lisbeth. Wie wir sie kennen und lieben. Die Stieg Larsson Trilogie hat mich vor ein paar Jahren wirklich umgehauen und ziemlich süchtig gemacht. Als ich hörte, es gibt eine Fortsetzung, habe ich in etwa so reagiert:

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Als Fan von Stieg Larssons schrägem Ermittlerduo, der genialen Punk Hackerin Lisbeth Salander und ihrem Ermittlungspartner Mikael Blomkvist, dem investigativen Journalisten des Magazins Millenium, wird man absolut nicht enttäuscht von dieser Fortsetzung, die aufgrund von Larssons Herztod im Jahr 2004 vom schwedischen Journalisten David Lagercrantz weitergeschrieben wurde und es hätte ja durchaus auch ordentlich in die Hose gehen können.

In „The Girl in the Spider’s Web“ werden die beiden in den Fall des geheimnisvollen Informatikers Frans Balder verwickelt. Er ist ein Experte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, der in eine globale Verschwörung verstrickt wird, die von der schwedischen Geheimpolizei, über die russische Mafia und Industriespione aus dem Silicon Valley bis zur NSA reicht.

Lisbeth hackt wieder und nicht irgendwen, sondern als stolze Hackerin natürlich niemand geringeren als die NSA. Als gäbe es nichts einfacheres und als sei die NSA der Kegelverein von gegenüber, gleitet sie durch deren Abwehrsysteme wie ein Messer durch die Sahnetorte. Das hetzt ihr erwartungsgemäss die Höllenhunde der  NSA auf den Hals und der Roman nimmt ordentlich Fahrt auf.

Auch Balder gerät in das Fadenkreuz der NSA und einer zwielichtigen Firma namens Solifon, die an sein Computerprogramm heran wollen, das auf seiner Forschung zur künstlichen Intelligenz basiert. Balder ist alleinerziehender Vater, der sich um seinen kleinen autistischen Sohn mit Savant-Syndrom kümmert. Der kleine August ist ein mathematisches Genie und zusätzlich noch in der Lage, unglaublich präzise Zeichnungen anzufertigen, die eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen.

Erwartungsgemäß denkt man das Salander, die super-intelligente Hackerin/Problemlöserin in der Geschichte, alles auflösen wird, aber es ist dann tatsächlich August, der den entscheidenden Hinweis geben kann. Die Interaktion zwischen August und der wahrscheinlich selbst irgendwo auf dem autistischen Spektrum angesiedelten Lisbeth gehören zu den berührensten Momenten im Roman.

Salander und Blomkvist treffen lange nicht aufeinander. Zehn Jahre sind seit ihrem letzten Zusammentreffen vergangen und es dauert bis etwa zum Ende des ersten Drittel des Buches, bis es ein Aufeinandertreffen der beiden gibt. Im ersten Teil geht es um Mikael und sein Magazin „Millenium“, das er mitgegründet hat und das in Schwierigkeiten gerät. Er ist die Art Journalist, die einem wirklich Hoffnung für diesen Berufsstand gibt.

Lisbeth hat dann mit „Shut up and listen“  ihren Auftritt und das macht er dann auch der Herr Blomkvist. Lange bleibt es bei kurzen email-Sequenzen und Telefonaten und lange fragt man sich, ob sie überhaupt aufeinander treffen werden in der Geschichte.

David Lagercrantz versteht es meiner Ansicht nach ganz ausgezeichnet, sich in Stieg Larssons Charaktere hineinzuversetzen. Er erfasst ihre Verletzlichkeiten, ihren Widerwillen und ihre Müdigkeit. Beide wollen Gerechtigkeit, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Salander aufgrund ihrer unbändigen Entschlossenheit, sich an denen zu rächen, die unterdrücken und missbrauchen. Typen, die es sexuell erregt, wenn sie Frauen oder Kinder schlagen, sollten hoffen, dass Salander niemals dahinter kommt, denn es könnte sonst schnell mit einem Stiefel am Hals oder einem Messer am Brustkorb enden und ihnen wird unweigerlich die Frage durch den Kopf gehen, wie zur Hölle ausgerechnet ein so zierliches Wesen ihnen das antun konnte.

Blomkvist dagegen kämpft für Gerechtigkeit, weil er einfach ein idealistischer Mensch ist, jemand der aus intrinsischen Motiven handelt und stets so, als hätte er nichts zu verlieren.  Das Millennium und sein Erfolg bei schönen Frauen entschädigen ihn für seinen Mut gelegentlich.

“we live in a twisted world where everything, both big and small, is subject to surveillance, and where anything worth money will always be exploited.”

“it’s always the wrong people who have the guilty conscience. Those who are really responsible for suffering in the world couldn’t care less. It’s the ones fighting for good who are consumed by remorse.”

Einige Kritiken beschweren sich über den Techie-Jargon im Buch und den vielen verschiedenen Hacker-Typen, die man nur schwer auseinanderhalten könnte, dies war für mich nicht wirklich nachvollziehbar. Lagercrantz hat meiner Meinung nach alles gut erklärt, den Kontext dargelegt und man erfährt eine Menge über künstliche Intelligenz, Autismus, das Savant-Syndrom, White und Dark Hat Hacking und vieles mehr.

Hier ein link zu „White Hat Hacking for Beginners“ falls ihr auf den Geschmack gekommen seid 😉

“Money talks, bullshit walks.”

Habe das Buch in nur zwei Tagen verschlungen. Tolle Geschichte, gut geschrieben, Lisbeth ist einfach nur verdammt cool und ich bin weiterhin ein bisschen verliebt 😉
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Foto: Weheartit

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Verschwörung“ im Heyne Verlag erschienen.

Der Susan Effekt – Peter Hoeg

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Die perfekte dänische Familie, die vor kurzem noch das Titelbild des „Times Magazines“ zierte, steckt plötzlich bis zum Hals in Schwierigkeiten. Die Protagonistin Susan, eine Experimentalphysikerin, sitzt in einem indischen Gefängnis und wird des versuchten Todschlags an ihrem indischen Liebhaber beschuldigt, ihre 17-jährige Tochter hat einen Mönch verführt und deren Zwillingsbruder wurde beim Handel mit gefälschten Antiquitäten erwischt. Auch der Herr Papa hat Dreck am  Stecken und die Polizei auf den Fersen und so lässt Susan sich auf einen Deal mit einem dänischen Offiziellen ein, der sie im Knast besucht und ihr und ihrer Familie Straffreiheit und die Rückkehr nach Dänemark garantiert, wenn sie sich bereit erklärt, das letzte Protokoll der dänischen Zukunftskommission aufzustöbern und ihm auszuhändigen.

„In der dänischen Gesellschaft steht der Mainstream über allem. Wer ihm folgt und tut, was alle andern tun, bekommt Oberwasser und Antrieb und Rückenwind. Man muß bloß seine Ausbildung beenden, bis man dreißig ist, sich einen Mann und eine paar Kinder und eine Villa sichern, bis man vierzig ist, seinen Alkoholverbrauch einteilen, die zwischenzeitlichen Krisen überleben, Standhaftigkeit beweisen und bereit sein, wenn die Kinder aus dem Haus sind, zum letzten langen Endspurt im dänischen Wettlauf anzusetzen, der da heißt „Wer am meisten hat, wenn er stirbt, hat gewonnen.“

Die Wahl ist nicht zufällig auf Susan gefallen, denn die hat eine sehr spezielle Gabe. Sie löst bei jedem absolute Aufrichtigkeit hervor und bringt ihr Gegenüber dazu, in sofortige Geständnisbereitschaft zu verfallen. Eine sehr nützliche Eigenschaft, wenn man hinter ein Geheimnis kommen will.

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„Manche glauben an die Psychologie, das tue ich nicht. Alles ist nur auf einem Substrat von quantenelektrischen Wirkungen beruhende Biochemie.“

Peter Hoeg ist bekannt dafür, starke Frauenfiguren zu erschaffen und Susan steht Fräulein Smilla in nichts nach. Sie ist eine mutige starke hochintelligente Wissenschaftlerin (die auch noch wundervoll kochen kann), die durch nichts aufzuhalten ist und sich da, wo ihre Muskeln nicht hinkommen, auch durchaus mal mit einem eisernen Kuhfuß weiterhilft.

„Es gibt so eine Art von Hintergrundgedudel, Laban. Und nicht nur hier, sondern überall in Dänemark, ich habe das immer gehört. Es ist ein Lied, das davon handelt, dass alles in bester Ordnung ist, keine Sorge, wir haben alles, was wir brauchen. Man kümmert sich u uns, der Herrlichkeiten ist kein Ende, wir brauchenuns nur zurückzulehnen und das Leben zu genießen. Ein Sirenengesang. Er soll uns vergessen lassen, dass wir in einem Zeitfenster leben, das nur ganz kurz offen steht. Er soll uns einen tiefen Hunger vergessen lassen. Aber nicht mit mir, Laban. Verstehst du, ich hab ewig Hunger.“

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Foto: weirdamigo.blogspot.com

Die Zukunftskommission entpuppt sich als eine Gruppe junger Wissenschaftler, Künstler, Spezialisten, die im Jahr 1972 von zwei Forscherinnen, eine davon Susans Lehrerin, die Nobelpreisträgerin Andrea Fink, gegründet wurde mit dem Auftrag, zukunftsgerichtete Gedankenmodelle und -szenarien zu entwickeln, Trends aufzuspüren und Prognosen zu entwerfen.

„Die Wirklichkeit ist eine labile Mischflüssigkeit…“
„Europa ist eine Komfortzone. Wir leben in einem Kino, in dem auf allen vier Wänden Familienfilme gezeigt werden. Der Zusammenbruch gehört nicht der Zukunft an. Er hat schon angefangen.“

Die Kommission fungiert im Untergrund, wählt neue Mitglieder selbständig aus, ist niemandem unterstellt. Die jungen Leute sind dann selbst am meisten überrascht, als mehr und mehr ihrer vorhergesagten Ereignisse tatsächlich eintreffen, wie die Ölkrise, der Golfkrieg etc.  Kein Wunder, dass die Geheimdienste neugierig werden und versuchen die Kommission unter ihre Fuchtel zu bringen.

Die Familie entrinnt bei der Suche nach dem letzten Protokoll nur knapp einem Mordanschlag und wie in bester Agatha Christie Mannier (nur wesentlich brutaler) wird ein Kommissionsmitglied nach dem anderen aus dem Weg geräumt. Ich hatte ein paar Tage lang echte Probleme mit unserer Waschmaschine. Diskusscheiben sind zum Glück keine in meinem Umfeld aufgetaucht, seit ich das Buch beendet habe.

Klingt alles eher unrealistisch und ziemlich durchgeknallt? Ja, das ist es auch. Weltverschwörungstheorien treffen auf Metaphysik, die Zwillinge Thit und Harald erinnern an Salingers Franny und Zooey und Susan wirkt wie eine Mischung aus Lisbeth Salander und Catwoman und doch macht dieser Roman einfach riesigen Spaß.

„Er zeigt auf den Mond, der beinahe voll ist und um die leuchtende Scheibe herum ein opalfarbenes Regenbogenphänomen aufweist, the circle of the moon.
Susan was siehst du? – Refraktion, den supernumerischen Bogen.
Er nickt gedankenvoll. Wir haben das schon öfter gemacht, es ist ein altes Spiel zwischen uns, ein Spiel, das auf die Zeit zurückgeht, als wir uns kennenlernten. Laban weist auf ein physisches Phänomen hin, und wir beschreiben füreinander, was wir sehen.
Wir haben niemals dasselbe gesehen.“

Ein schneller, unterkühlter, sehr eleganter und intelligenter Action-Thriller mit Humor für Leser mit Geek-Gen, die Spaß an schrägen Typen haben.

Das kleine Dänemark rettet die Welt und schenkt uns neben Lisbeth Salander, Pippi Langstrumpf, Smilla Jaspersen nun noch eine weitere skandinavische Powerfrau – Susan Svendsen. Die einzige Action-Heldin, die so viele Titel hat, dass ihre Visitenkarte A5 Format hat. ’nuff said…

Eine weitere tolle Rezension findet ihr hier.

Das Buch ist im Hanser Verlag erschienen.

Nichts – Janne Teller

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Dieses kleine Büchlein habe ich nach unserem Urlaub ganz überraschend in meinem Briefkasten gefunden und mich ganz wahnsinnig gefreut (an dieser Stelle noch einmal heißen Dank an stepanini).

So klein und dünn es auch daherkommt, dieses Buch hat es gewaltig in sich. Pierre Anthon ist 14 und beschließt eines Tages, dass absolut gar nichts im Leben etwas bedeutet. Und weil das so ist, macht es seiner Ansicht nach auch keinen Sinn, irgendetwas zu tun, er steht auf, verläßt das Klassenzimmer und setzt sich ab dem Zeitpunkt in einen Pflaumenbaum. Nichts und niemand kann ihn dazu bringen, wieder herunterzukommen und auch seine Ansicht, dass Nichts etwas bedeutet, ändert sich auch nur im Geringsten.

„Nichts bedeutet irgendetwas,
das weiß ich seit Langem.
Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.
Das habe ich gerade herausgefunden.“

Seine Schulfreunde versuchen ihm daraufhin zu beweisen, dass das Leben doch einen Sinn hat und versuchen, dies mit persönlichen Opfergaben zu erreichen. Den Anfang machen eine komplette Sammlung Dungeon & Dragons Bücher, eine geliebte Angelrute, ein Paar grüner Sandalen und ein Hamster. Doch in der verlassenen Lagerhalle aufeinandergestapelt, in der sie die Sachen sammeln, erscheinen diese einfach nur belanglos.

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Sie merken, dass kein Mensch es schafft, sich von wirklich wichtigen persönlichen Dingen zu trennen, wenn sie es selbst aussuchen können. Sie beschliessen, dass sie für einander entscheiden, was jeder abgeben muss. Die Opfergaben werden von Mal zu Mal extremer, alles verliert sich immer schneller in einem dunklen Strudel, die Schüler werden immer verzweifelter in ihren Handlungen, um Pierre wieder aus dem Pflaumenbaum zu bekommen. Werden sie es schaffen, Pierre zu überzeugen oder wird alles umsonst sein ? Oder noch viel schlimmer – könnte er vielleicht Recht haben ?

Pierre Anthon macht ihnen Angst. Große Angst. Sehr große Angst.

„Alles ist egal, schrie er eines Tages. Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist es mit allem. Die Erde ist vier Milliarden sechshundert Millionen Jahre alt, aber ihr werdet höchstens hundert! rief er an einem anderen Tag. Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert. Und er fuhr fort: Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun als ob – und eben genau dabei der Beste zu sein.“

a7a9c08e30cb3ce2930a9703e9ae52f1Foto: mabtv.com

Am Anfang des Buches war ich nicht sicher, ob der Ich-Erzähler ein Mädchen oder ein Junge ist. Im Laufe der Geschichte wird klar, dass Agnes eine Freundin von Pierre ist. Die Erzählweise ist extrem karg und einfach, was dem Buch sehr zu Gute kommt. Die kurzen Sätze wirken stark und ich habe länger über einzelne Sätze nachgedacht.

„Und selbst wenn ihr etwas lernt, damit ihr glaubt, ihr könntet etwas, ist immer jemand da, der das besser kann als ihr.“
„Halt den Mund“ rief ich zurück. „Aus mir wird bestimmt etwas! Und ich werde weltberühmt!“
„Selbstverständlich, Agnes.“ Pierre Anthons Stimme war freundlich, fast mitleidig. „Du wirst bestimmt Designerin und stöckelst auf hohen Schuhen herum und spielst die Smarte und überzeugst alle anderen, dass sie glauben, wenn sie nur in Sachen von Deiner Marke herumlaufen, seien sie auch smart.“ Er schüttelte den Kopf. „Aber du wirst feststellen, dass du ein Clown in irgendeinem überflüssigen Zirkus bist, wo alle versuchen, sich gegenseitig vorzumachen, es sei lebensnotwendig, in einem Jahr auf diese Weise gekleidet zu sein und im nächsten Jahr auf eine andere. Und Du wirst feststellen, dass aber innen nichts ist und dass es auch so bleiben wird, egal was du tust.“

„Was wollt ihr Mädchen eigentlich mit einem Freund?“, hatte er erst am Morgen gerufen, als ich Arm in Arm mit Marie-Ursula am Taeringvej 25 vorbeikam. „Erst verliebt man sich, dann geht man miteinander, dann hört die Verliebtheit auf, und dann trennt man sich wieder.“ …

„Und so geht es ein ums andere Mal, so lange, bis ihr die Wiederholung so satt habt, dass ihr so tut, als sei er, der gerade in der Nähe ist, derjenige welche. Dass ihr dazu Lust habt.“

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Es ist ein faszinierendes Buch, das total polarisiert. Man liebt oder hasst es und ich kann auch die ein wenig verstehen, die es überhaupt nicht mögen, denn es ist wirklich harter Tobak. Jugendbücher dürfen eckig und kantig sein und man kann sich beim Lesen auch mal blutige Schrammen holen. Dieser Roman jedoch führt zu gewaltigen Bewußtseins-Wachstumsschmerzen und daher ist es kein Buch for the faint-hearted. Es ist stellenweise richtig eklig, die Geschichte eskaliert sehr schnell, die geforderten Opfer werden immer absurder und brutaler und irgendwann gerät alles komplett außer Kontrolle. Ich hab wirklich ein paar Mal fast a bisserl Schnappatmung gehabt und ich bin jetzt nicht soooo zart besaitet glaube ich.

Es hat mich berührt, schockiert, sehr gefordert, intensivst zum nachdenken gebracht und es verfolgt mich noch immer, obwohl es jetzt fast zwei Wochen her ist, dass ich es gelesen habe. Ich brauchte auch erst einmal ein wenig Abstand, bevor ich mich an die Rezension gewagt habe. Trotz aller erlittenen Schrammen ist es ein großartiges Buch. Kontrovers, polarisierend, aber trotz aller Brutalität nicht kalt. Ein Buch für Erwachsene und Teenager, die sich und die Welt hinterfragen, und die sich trauen, dem Leben unter den Rock zu gucken,

Hier noch ein sehr spannendes Interview mit der Autorin aus der Zeit.