16. Türchen: Solaris – Stanislaw Lem

Ist das nicht die weltschönste Ausgabe dieses Klassikers? Da hat sich die Büchergilde wirklich ins Zeug gelegt. Der Sci-Fi Klassiker des berühmten polnischen Schriftstellers ist ein Buch, bei dem ich tatsächlich behaupten würde, da ist die Verfilmung (zumindest die aus dem Jahr 1972 von Andrei Tarkowski) mindestens genauso gut wie die Romanvorlage.

Er nimmt den langjährigen Traum von der Kontaktaufnahme mit Außerirdischen und dreht das Konzept komplett um. Sein (möglicherweise) planetengroßer lebender Ozean ist so komplett fremdartig und seltsam, dass es für Menschen absolut unmöglich ist, seine enorme Andersartigkeit zu verstehen oder eine Beziehung zu ihr aufzubauen.

Schlimmer noch, der Ozean scheint sich dafür nicht im Mindesten zu interessieren. Eines der schlimmsten Dinge, die man Menschen antun kann, ist, sie zu ignorieren. Als Spezies sehnen wir uns nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Aber im Gegensatz zu den Außerirdischen unserer Weltraumträume, die uns mal lieben, hassen oder verachten, scheint sich der Ozean von Solaris nicht besonders für uns zu interessieren. Das versetzt die Menschen in einen Rausch, der zu umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen führt. Versteht er uns nicht? Ist es ihm egal? Ist er primitiv? Ist er unglaublich fortschrittlich? Was ist das Problem? Sind wir nichts weiter als ein Ärgernis für ihn, Ameisen, die auf seiner Oberfläche krabbeln? Ist sie überhaupt lebendig? Was ist eigentlich „lebendig“?

Das Faszinierende an dieser Geschichte ist, dass wir nie eine Antwort bekommen. Der Ozean bleibt da, riesig und fremd, und seine Geheimnisse werden nicht gelüftet. Alles, was wir haben, sind Spekulationen und ein fast kindliches Staunen. Und die Frage, warum er die Menschen, die ihn erforschen, an den Rand des Wahnsinns zu bringen scheint und ihnen lebende Geister aus ihrer Vergangenheit schickt – im Fall des Psychologen Kris Kelvin seine längst verstorbene Frau Harey Rheya. Aber auch alle anderen Besatzungsmitglieder werden von Halluzinationen und Tagträumen heimgesucht. Warum? Wir wissen es nicht. Das Schöne und Besondere an diesem Buch ist, dass wir es nie erfahren. Es gibt Dinge, die wir vielleicht einfach nie werden verstehen können. Was uns als Spezies aber ausmacht, ist, dass wir es immer weiter und immer wieder versuchen werden.

Und diese Atmosphäre des Buches – es liest sich wie halluzinatorischer surrealistischer Fiebertraum, eines Alptraums, aus dem man nicht aufwachen kann, der mit Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeit einhergeht, bei dem man klaustrophobisch am Rande des eigenen Verstandes entlang schwankt.

Ein Buch für Menschen die gut mit Ambiguität umgehen können und die es aushalten nicht auf alles eine Antwort zu bekommen. Poetisch, seltsam, düster – ein wunderbares Buch um dem Alltag zu entfliehen. Große Empfehlung für ein ganz besonderes Schmuckstück unter dem Weihnachtsbaum.

Habt ihr Solaris schon gelesen oder welches ist euer Lieblingsroman von Stanislaw Lem?

Trick or Treat ?

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Dieses Jahr hatte ich Lust, mich Halloween thematisch stärker zu widmen. Mir ist gerade unabhängig von diesem „Feiertag“ gerade nach einer Prise Horror, Grusel, Düsterkeit. Daher gibt es bei momentan nicht nur mehr Vampir- und Horrorfilme als sonst, sondern auch entsprechende Lektüre.

Vampire dürfen zu Halloween nicht fehlen, auch wenn ich dieses Jahr keinen gelesen habe, filmisch habe ich mich von ihnen verführen lassen. Listen sind immer gut (habe ich auch gerade wieder bei Emily the Strange gemerkt, dazu aber später). Hier also eine Liste mit meinen liebsten Vampirfilmen:

  1. Only Lovers left alive von Jim Jarmusch
  2. The Hunger von Tony Scott
  3. Let the Right One in von Tomas Alfredson
  4. A Girl walks home alone at night von Ana Lily Amirpour
  5. Dracula von Francis Ford Coppola
  6. Interview with a Vampire von Neil Jordan
  7. Underworld von Len Wiseman
  8. From Dusk Till Dawn von Robert Rodriguez
  9. The Lost Boys von Joel Schumacher
  10. Gothic von Ken Russell
  11. Blade von Stephen Norrington
  12. Twilight von Catherine Hardwicke (ja ja I know, aber ich mag Kristen Stewart)
  13. Daybreakers von den Spierig Brothers

Neben Bram Stokers „Dracula“ darf bei einem Halloween-Special keinesfalls „Carmilla„, von Joseph Sheridan Le Fanu fehlen, den ich bereits Anfang des Jahres gelesen hatte. Würde ich jedem Vampirfreund ans Herz legen, ist mittlerweile auch als Web-Serie verfilmt worden.

Auch ohne Vampire habe ich es dunkel-schaurig angehen lassen und habe den dunklen Marathon mit der ausgezeichneten Graphic Novel „Black Hole“ von Charles Burns gestartet.

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Black Hole beschäftigt sich mit einer Gruppe Jugendlicher, die sich mit einer Art Virus anstecken, der sexuell übertragbar ist und die sie auf krasse Art mutieren lässt (den einen wachsen Schwänze, ein Mädchen häutet sich wie eine Schlange etc). Es geht um die Frage, wie eine Gesellschaft mit ihren Außenseitern umgeht und wie der Virus die Jugendlichen beeinflusst, die ohnehin überaus gehemmt und unsicher sind, was ihren Pubertätskörper so betrifft.

Ich fand die Frage spannend was passiert, wenn irgendwann keiner mehr makellos und selbstsicher ist.

Eine ziemlich düstere Graphic Novel mit phantastischen wuchtigen Bildern. Unbedingt lesen.

Die schwarz-weiß Zeichnungen erinnerten mich beim Lesen an eine ganz alte Liebe: „Emily the Strange“ von Rob Reger und zack waren alle literarisch-wertvollen Anwandlungen erstmal aus dem Fenster und ich habe mich Stunden am Stück Emily und ihren Abenteuern gewidmet.

In „Die verschwundenen Tage“ taucht Emily in einer Stadt namens Blackrock auf und kann sich an absolut nichts erinnern. Nicht wie sie heißt, wo sie wohnt – gar nix. Sie hat einzig ein Notizbuch und einen Stift und versucht zu rekonstruieren, was ihr wohl passiert sein könnte und warum sie in Blackrock ist.

Das Buch hat mich wirklich überrascht. Einfach, weil ich nicht wirklich großartig was erwartet hatte, außer etwas exzentrischer Unterhaltung, aber das Buch ist ein richtiger Roman mit spannender Story und interessanten Charakteren und Listen. Jede Menge davon. Ich hatte solchen Spaß mit dem Buch, mit den Listen und Emily, ich habe mir in der Bibliothek gleich zwei weitere Bände ausgeliehen, die große Literatur muss also noch ein paar Tage warten, ich muss erst noch ein paar Abenteuer mit Emily bestehen, dann bin ich wieder bereit.

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13 Elements you will find in the first Emily the Strange novel:
1. Mystery
2. A beautiful golem
3. Souped-up slingshots
4. Four black cats
5. Amnesia
6. Calamity Poker
7. Angry ponies
8. A shady truant officer
9. Top-13 lists
10. A sandstorm generator
11. Doppelgängers
12. A secret mission
13. Earwigs

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Bevor ich jetzt aber Vorwürfe bekomme, dass weder „Emily the Strange“ noch „Black Hole“ gruselig genug seien und man für Halloween schon andere Kaliber benötigt, den versuche ich jetzt mit einem Klassiker der amerikanischen Horror- und Gruselliteratur zu besänftigen. Schon seit ein paar Jahren befindet sich die wunderschöne Büchergilden-Ausgabe von Ambrose Bierce „Hinter der Wand“ in meinem Besitz.

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Ambrose Bierce ist neben Edgar Allen Poe der Meister des amerikanischen Gothics und war wohl nicht wirklich ein heiterer Zeitgenosse. Bekannt als „Bitter Bierce“ und Misanthrop erster Güte sind seine düsteren, schrägen Geschichten auch heute noch zeitgemäß. Sie haben einen sehr amerikanischen Touch, der Bürgerkrieg spielt in einigen Geschichten eine Rolle, die Expansion Richtung Westen und ab und an hatte ich Bilder aus dem Film „There will be Blood“ vor den Augen.

Die Büchergilden-Ausgabe ist ein absolutes Schmuckstück. Die Zeichnungen von Klaus Böttger geben dem Buch eine ganz besondere morbide Note. Hier passen Illustrationen und Geschichten perfekt zueinander.

Die Geschichten werden nahezu immer aufgeklärt, man fühlt sich gelegentlich an Sherlock Holmes erinnert, auch wenn diese Erklärungen weitaus weniger von Logik und Deduktion bestimmt sind, als von Horror, Übersinnlichem und Unerklärbarem.

Bierce eigenes Ende könnte einer seiner düsteren Kurzgeschichten entsprungen sein. Mit 70 unternimmt er noch einmal eine Reise nach Mexiko, gerät dort in die Revolution und scheint sich dem Revolutionär Pancho Villa angeschlossen zu haben. Um die Jahreswende 1913/14 verliert sich jede Spur von ihm, in seinem letzten erhaltenen Brief rechnet er mit seiner standrechtlichen Erschießung. Aber genaues weiß man nicht. Man hat nie eine Spur von ihm finden können.

Am besten haben mir die Geschichten „Der Tod Halpin Fraysers“, „Moxons Meister“, „Das Verfluchte Ding“ und „Die mondhelle Straße“ gefallen.

 

Zum Abschluss noch ein wunderschön illustriertes Märchen von Neil Gaiman.

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Ich bin kein großer Märchen-Fan. Der ganze niedliche Prinzessinnen-böse Stiefmütter-treudoofe Königinnen war nie meins, daher hatte ich keine übergroßen Erwartungen  für „Der Fluch der Spindel“, Neil Gaiman als Autor und die wunderschönen Zeichnungen waren allerdings Grund genug, dem ganzen zumindest eine Chance zu geben.

Die Geschichte ist eine Mischung aus Schneewittchen und Dornröschen. Die junge Königin erfährt von ihren drei treuen Gefolgsleuten , den Zwergen, dass das Nachbar-Königreich schon von Jahrzehnten von einer seltsamen Schlafkrankheit heimgesucht wurde, die sich jetzt auch in ihrem Königreich ausbreitet.

Im Gegensatz zu den ganzen Weichei-Königinnen bekannter Märchen nimmt diese junge Königin die Lösung des Problems selbst in die Hand und zieht mit den Zwergen los, um der Seuche Einhalt zu gebieten und ihrem Ursprung auf den Grund zu kommen.

Gaiman mischt hier die ursprünglich deutliche dunkleren Töne alter Märchen mit einigen progressiveren Elementen und bastelt daraus ein wunderbar melancholisch unheimliches  Märchen mit zauberhaften Bildern.

Ein letzter Tipp, weil ich sie euch einfach nicht vorenthalten kann: Shirley Jackson, die sowas wie die Urmutter des finsteren Horror/Gruselromans, was einem irgendwie ulkig vorkommt, wenn man bedenkt, dass sie eine Mittelklasse-Hausfrau aus Vermont war, deren erster Roman 1948 erschien. Besonders bekannt wurde sie mit ihre Kurzgeschichte „The Lottery“, die erstmals in der New York Times erschien und bergeweise Leserpost bescherte, die die Bedeutung der Geschichte zu erfassen versuchten. Sie hat nach wie vor großen Einfluss in diesem Genre, die „Tribute von Panem“-Trilogie zeigt beispielsweise große Parallelen zu der Kurzgeschichte auf.

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Ihr Roman „The Haunting of Hill House“ ist eines meiner Lieblingsbücher, unbedingt lesen, meine Rezension dazu findet ihr hier.

Hoffe ich konnte Euch etwas Lust machen auf die etwas dunkler melancholisch gruseligeren Seiten des Oktobers. Von wem lasst ihr euch gerne gruseln?

Trick or Treat? Happy Halloween allerseits 🙂

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Charles Burns – „Black Hole“ erschienen im Reprodukt Verlag
Rob Reger – „Emily the Strange: Die verschwundenen Tage“ erschienen im cbj Verlag
Ambrose Bierce – „Hinter der Wand“ erschienen bei der Büchergilde Gutenberg
Neil Gaiman – „Der Fluch der Spindel“ erschienen im Knesebeck Verlag

90 Jahre Büchergilde

 

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Eine der größten und wichtigsten Entscheidungen, die ich mit 18 getroffen habe, war nicht die erste Wahl, auch wenn die sicher nicht unwichtig war, es war meine Entscheidung in die Büchergilde einzutreten. Die Oma war besorgt, ob meiner finanziellen Situation und ich solle doch einfach bei meiner Leihbücherei bleiben. Nix da, ich habe mich durchgesetzt und es nicht bereut. Gelockt haben sie mich damals aber auch sehr mit dem Angebot 3 Bücher für 5 DM. Hammer! Und zack den Doppelband Erich Kästner eingesackt und noch zwei andere (an die ich mich jetzt leider nicht mehr erinnern kann).

Vier mal im Jahr ein Buch aus dem Repertoire zu kaufen, ist zwar nicht übermässig viel, denn einen enormen Bücherverschleiss hatte ich ja immer schon. Nur hatte ich ja keine Kohle. Hab es trotzdem immer geschafft und selbst meine Zeit in Schottland und England haben uns nicht trennen können. Statt viermal im Jahr haben wir uns einfach auf einmal im Jahr geeinigt und kurz vor Weihnachten führte mich mein erster Weg stets in die Büchergilde, um mich selbst und gelegentlich auch andere liebe Menschen mit guten Büchern zu versorgen.

Die Büchergilden in Mainz, Hamburg und München waren und sind immer ganz besondere Buchläden für mich gewesen.

In Mainz, wo mir die wunderbare Buchhändlerin die reduzierten Büchergilden-Bücher, die ich mögen würde, immer auf Seite gepackt hat und bei der ich damals sogar anschreiben lassen konnte, wenn es in manchen Monaten besonders eng war.

Oder in Hamburg, wo es immer wunderbar leckeres Russisch Brot zu knabbern gab zum Tee, während man sich in aller Ruhe umgeschaut hat.

Hier in München gibt es keine eigene Büchergilden-Buchhandlung, aber Literatur Moths bietet ihnen eine gute Heimat. Eine tolle Buchhandlung. Habe ich ja vor ein paar Tagen schon mal als einen meiner Lieblinge vorgestellt.

So, jetzt muß ich mir den neuen Katalog aber erst mal ordentlich zu Gemüte führen und mir überlegen was ich wohl unbedingt noch haben sollte. Empfehlen kann ich neben den wunderbar illustrierten und fast immer leinengebundenen Büchern auch die „Tollen Hefte“. Wer die nicht kennt, ab in die nächste Büchergilden-Filliale und angucken. Befehl von ganz unten 😉

Happy Birthday liebe Büchergilde – auf die nächsten 90 Jahre und zu meinen 90. könnte ich mir gut eine fette Party in der Buchhandlung vorstellen, alle Gäste verkleidet als meine Lieblings-Romanfiguren.

Der grosse Meaulnes – Henri Alain-Fournier

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Ich glaube wirklich, viele Bücher haben so ihre Zeit. Der grosse Meaulnes scheint mir ein solches zu sein. Ein coming-of-age Roman, der in Frankreich spielt um die Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts herum und diese 100 Jahre fühlen sich selbst auch wie ein fremdes Land an. Ich bin nicht so wirklich in das Buch reingekommen. Es ist stark autobiographisch, Alain-Fournier fiel im 1. Weltkrieg nur wenige Wochen nach dessen Beginn und die unglückliche Liebesgeschichte um die Figur Yvonne basiert wohl auf seinen Erfahrungen mit einem Mädchen, das Fournier kennenlernte, die aber jemand anderen heiratete.

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Foto: Truffiere

Ich habe viel gehört von der verträumten Atmosphäre und den immer wiederkehrenden Vergleichen mit dem „Catcher in the Rye“. Ich fand es stellenweise sehr gut, aber auch langatmig und ab und an bin ich fast eingeschlafen. Vom Tempo her mit manchen Murakami’s zu vergleichen, aber es war etwas zähes daran. Ich war so froh, als ich es geschafft hatte und durch war.

Ich bin nicht wirklich ein absoluter Realitäts-Freak, aber die Charaktere blieben mir einfach fremd. Die große Liebe, obwohl er mit dem Mädchen gerade mal ein paar Minuten spricht? Es wird sehr viel gelaufen und verlaufen im Roman, das große Suchen und Nicht-Finden wie es so ist am Ende der Pubertät. Das Ende war irgendwie sentimental und ich konnte mich auch für keinen der Charaktere so richtig erwärmen.

Vielleicht versuche ich es irgendwann nochmal, aber der grosse Meaulnes und ich wir sind nicht so richtig Freunde geworden, obwohl ich eine so schöne Büchergilden-Ausgabe habe und ich es doch so gerne unbedingt mögen wollte. Ich hab echt ein schlechtes Gewissen, bestimmt tue ich dem Buch Unrecht. So viele Franzosen können nicht irren. Das Buch ist gut, hört nicht auf mich, lest es selbst. Bin sicher es liegt an mir. Die ZEIT schreibt zum Buch:

„In sinnlich gesättigten Sprachbildern kündigt dieser Roman – das einzige Buch des Schriftstellers Alain-Fournier – die folgenschwere Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts im frühesten Augenblick der gesellschaftlichen Wende an: Ein Jahrhundertbuch“