Blackout – Marc Elsberg

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Strandlektüre, Liegestuhl, die Sonne brennt und ich versuche, mich in einen europaweiten Stromausfall mit Schneefall und Minusgraden hineinzuversetzen. Alles andere als einfach.

Ein gut durchdachtes und umfassend recherchiertes Gedankenexperiment was passieren würde, wenn Cyberterroristen das gesamte europäische Stromnetz lahmlegen würden. Ein Szenario, das mit unglaublicher Wucht klar macht, wie abhängig wir eigentlich vom Strom sind und wie schnell alles, unsere gesamte Zivilisation, zusammenbrechen würde, wenn einer uns den Saft nimmt. Wie selbstverständlich es für uns geworden ist, dass der Strom eben aus der Steckdose kommt. Fertig.

Ein Szenario, das vor ein paar Jahren vielleicht noch weit hergeholt erscheint hätte, fühlte sich gar nicht mehr so abwegig an in einer Welt, in der mittlerweile alle paar Tage von Terrorangriffen berichtet wird. Die Cyberterroristen in der Geschichte infiltieren das Internet, die Energiefirmen und deren Anlagen und legen ohne jede Vorankündigung oder späteren Bekennerschreiben den Schalter um und ganz Europa liegt im Dunkeln.

Ein italienischer Hacker geht der Sache auf den Grund und stößt auf Indizien für einen Anschlag und versucht, den Terroristen auf die Spur zu kommen.

Die meisten von uns denken bei einem Stromausfall wahrscheinlich am ehesten an Licht aus, TV, Kühlschrank und Computer fallen aus und dass das ganze ja vielleicht mit genug Kerzen sogar ganz romantisch sein kann. Aber das die Toiletten dann nicht mehr spülen, den Supermärkten ruckzuck die Lebensmittel ausgehen, weil auch das Nicht-Gefriergut nicht mehr herangeschafft werden kann, weil die Tankstellen nicht mehr funktionieren, die Heizungen ausfallen, die Wasserleitungen schon nach ein paar Tagen verkeimen und natürlich auch die Kernkraftwerke eine riesige Bedrohung darstellen, wenn diese nicht entsprechend gekühlt werden können, ich hatte das so nicht auf dem Schirm und fand es erschreckend, wie unglaublich angreifbar und verwundbar wir geworden sind.

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Dem Buch hätte allerdings ein Lektor gut getan. Es ist viel zu lang und ich habe mir stellenweise überlegt, ob Elsberg nicht vielleicht besser ein Sachbuch geschrieben hätte. Es platzt vor Informationen, Details und Listen und irgendwann hat man die einfach satt. Die Geschichte hat meiner Ansicht nach viel zu viele Protagonisten, springt von Land zu Land, ohne dem eigentlichen Plot zu mehr Tiefe zu verhelfen. Insbesondere am Anfang ist es schwierig, der Handlung zu folgen.

Nach 500 Seiten Apokalypse ist man als Leser der Story dann etwas müde und wie bei den Endlos-Wiederholungen von echten Katastrophen im Fernsehen wendet man sich irgendwann abgestumpft und ermattet ab.

In unserer hypervernetzten Welt erscheint ein Cyber Angriff wie der beschriebene leider durchaus möglich. Die Geschichte ist sehr gut recherchiert auch wenn der Schreibstil nicht unbedingt meiner ist, würde ich das Buch durchaus empfehlen.

Elsberg ist vom deutschen Innenministerium auf die CEBIT, vom Chef der Bundesnetzagentur und anderen Behörden und Verbänden eingeladen worden, um über „Blackout“ zu referieren und diskutieren. Es ist ein Buch, das weniger in Literatursendungen vorkommt, als in Wirtschafts-, Wissenschafts- und Informationsmedien. Eher ein Sachbuch als Belletristik in meinen Augen.

Daher halte ich es mit Hermann Hesse, der sagte „Man muß seine Bücher als Freunde und Lieblinge behandeln, jedes in seiner Eigenart schätzen und nichts von ihm verlangen, was dieser Eigenart fremd ist.“ Daher will ich Elsbergs Roman nichts abverlagen, was ihm fremd ist und ihn für das loben was er ist und nicht für das tadeln, was er nicht ist.

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Und jetzt gehe ich Konserven, Wasserflaschen und Batterien kaufen. Eine Taschenlampe habe ich freundlicherweise ja schon mit dem Buch von meinem Bücherwichtel mitgeschickt bekommen.

Blackout“ ist bei Blanvalet erschienen.

Fahrenheit 451 – Ray Bradbury

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Selten hat ein 50 Jahre altes Buch ein so erschreckend aktuelles Bild gezeichnet wie Fahrenheit 451. Die unermüdliche Suche nach dem Glück kann zum Fluch werden, für eine Gesellschaft, die das Glück zum Alleinzweck definiert. Ray Bradbury zeigt in seiner Dystopie eine Zukunft, in der niemand mehr Bücher liest. Anfangs, weil die Leute Unterhaltung und Informationen in immer kleiner zubereiteten Häppchen vorgesetzt bekommen wollten, bis am Ende nur noch Soundbites übrigbleiben, denn für mehr reicht die Aufmerksamkeit einfach nicht (klingt irgendwie bekannt, oder ?)

Irgendwann begannen sie in Büchern aber grundsätzlich einen Feind zu sehen, der unterschiedlichste Weltsichten, konkurrierende Ideen, Meinungen und Thesen vertritt, die Menschen damit überfordert und verwirrt.Dann doch lieber ein Leben als emotionslose Flatline, als diese ständigen Höhen und Tiefen und starken Gefühle, die häufig unglücklich machen.

Die Menschen beginnen ein immer schneller werdendes Leben zu führen, die in Super-Autos (Beetles – wie süß) durch die Gegend rasen, die alles umbringen, was ihnen in den Weg gerät. Ihre Kinder (wenn sie denn welche haben) sehen sie so gut wie nie, denn das raubt nur unnötig Zeit, die man doch lieber mit der Dauersoap „The Family“ zu Hause auf den lebensgroßen Bildschirmen verbringen möchte. Den ganzen Tag von der „Family“ berauscht, gehen sie abends dann mit Muscheln im Ohr ins Bett, die ohne Unterbrechung weitersenden, eine Dauer-Kakophonie aus bedeutungslosen News, Klatsch, Musik die die Leute betäubt.

“A book is a loaded gun in the house next door…Who knows who might be the target of the well-read man?”

“The terrible tyranny of the majority.”

Schlaf- und Beruhigungstabletten werden geschluckt, wie zu anderen Zeiten Süßigkeiten, Suizid weit verbreitet und kaum kommentiert. Montag, von Beruf Feuerwehrmann, dessen Job es nicht ist Feuer zu löschen, sondern Bücher zu verbrennen, trifft eines Tages auf ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft und beginnt ein Gespräch mit ihr. Dieses Gespräch, das erste richtige das er seit einer Weile überhaupt führt, da seine Frau nur noch im Tablettenrausch zwischen Soap und Muschelrauschen dahingleitet. Das Gespräch bringt ihn aus dem Gleichgewicht, bringt ihn zum Nachdenken und dazu, die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Why is it,“ he said, one time, at the subway entrance, „I feel I’ve known you so many years?“
„Because I like you,“ she said, „and I don’t want anything from you.

Er beginnt Bücher für sich zu entdecken und entschließt sich zum Kampf gegen die Gesellschaft, in der er lebt. Vielleicht sollten wir alle es so machen, wie die anderen Rebellen und ein uns wichtiges Buch auswendig lernen, nur für den Fall, dass wir es einmal brauchen könnten. Ich bin auf jeden Fall glücklich in einer Welt zu leben, in der Bücher noch einen sehr hohen Stellenwert haben, wobei ich glaube, dass wir dabei sind, die Fähigkeiten richtig zu lesen, zum „deep read“, zu verlieren, wenn wir nicht aufpassen.

“With school turning out more runners, jumpers, racers, tinkerers, grabbers, snatchers, fliers, and swimmers instead of examiners, critics, knowers, and imaginative creators, the word ‚intellectual,‘ of course, became the swear word it deserved to be.”

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“There must be something in books, something we can’t imagine, to make a woman stay in a burning house; there must be something there. You don’t stay for nothing.”

Die Kurzbiografie im Buch beschreibt einen Autor, der einen großen Teil seines Lebens in Bibliotheken verbracht hat. Bücher und Bibliotheken spielen eine große Rolle in einer Reihe seiner Werke und ich habe vor, noch einiges von ihm zu lesen. Ich habe gefühlt meine halbe Kindheit in einer Bücherei verbracht und werde für immer dankbar sein, für die Welt die sich mir dadurch erschlossen hat.

„The main thing to call attention to is the fact that I’ve been a library person all of my life.“

Fahrenheit 451 entstand auch im Keller einer Bibliothek, wo Bradbury eines Tages eine Münzschreibmaschine entdeckte, auf der er die Kurzgeschichte „The Fireman“ schrieb und immer 10-Centstücke nachwerfen musste, wenn die Zeitdauer überschritten war. Insgesamt kostete die erste Fassung 9,80 $.

Der Roman wurde 1966 von Francois Truffaut verfilmt und ich bin sehr gespannt darauf. Der Film weicht von der Romanvorlage etwas ab, aber eigentlich mag ich die Filme von Truffaut sehr gerne und bin gespannt.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem gleichen Titel im Diogenes Verlag.

The Drowned World – JG Ballard

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Heute mal wieder ein Schmankerl aus dem Archiv, das ich nach und nach hochladen will. Dieser absolut schrecklichste, nasseste und trübste Sommer ever in Bayern hat mich zu einem Sonnenfoto greifen lassen. Wie gerne würde ich jetzt dieses Buch noch einmal an diesem thailändischen Strand lesen!

JG Ballards „The Drowned World“ stand schon eine Weile auf meiner Leseliste, hatte es aber bislang nicht. Und wo finde ich dieses – ok etwas mitgenommene Exemplar? – in LAOS (!) in einem klitzekleinen Laden in dem man das weltbeste „Morning Glory“ essen konnte. Das lag da schon eine Weile und ich durfte es gerne mitnehmen.

Wo läßt sich „The Drowned World“ besser lesen, als im schwül-warmen Südostasien? Die Geschichte spielt in London, die Polarkappen sind geschmolzen, die Welt fast komplett abgesoffen und die Zivilisation so gut wie hin. Brennendes Sonnenlicht mit unglaublichen Temperaturen machen es nahezu unmöglich zu überleben. Unglaublich das diese Geschichte bereits 1962 geschrieben wurde, als noch kein Mensch von Klimawandel gesprochen hat.

Eine Gruppe von Außenseitern lebt an einem Sumpf oberhalb des gefluteten Londons. Dr. Keran wohnt in einem ehemaligen Hotel, Beatrice Dahl, mit der er gelegentlich eine Affaire hat, auf der anderen Seite und in der Nähe ist eine Militärbasis, auf der Experimente durchgeführt werden. Es ist gnadenlos heiß, es schwirren riesige Libellen durch die Luft und die ganze  Atmosphäre ist stickig, klebrig und die Hitze lähmt alles.

Die Atmosphäre schlägt allen aufs Gemüt und mehr und mehr setzt unter den Protagonisten eine durch Träume ausgelöste Form von Wahnsinn ein. Sie weigern sich, der Aufforderung des Militärs nachzukommen und mit diesen weiter Richtung Norden zu ziehen. Robert und Beatrice sind vollkommen lethargisch, schlafen fast nur noch, bis eine Gruppe Piraten auftaucht und anfängt die paar Überlebenden zu terrorisieren und die leerstehenden Gebäude auszurauben.

Auch bei ihnen beginnen irgendwann die Träume und sie merken, dass sie nach und nach den Halt verlieren und sich immer weiter von ihrer eigenen Menschlichkeit entfernen. Je amphibienhaft lethargischer sie werden, um so mehr beginnt die Natur um sie herum aufzublühen trotz oder gar aufgrund der widrigen Umweltbedingungen. Die Menschheit entwickelt sich zurück, unsere Zivilisation geht in die Knie, aber die Natur überlebt die Umweltkatastrophe.

Das Buch ist bei Weitem nicht fehlerfrei. Die Geschichte verliert etwas an Spannung in der Mitte, die Lethargie greift gelegentlich auch etwas auf den Leser über und man sollte nicht mit allzu hohen Logik-Ansprüchen an die Geschichte herangehen. Woher sie nach den vielen Jahren des Geflutet-Seins noch immer Nahrung, Alkohol und Benzin haben, hmmmmm.

Mir hat das Buch sehr gefallen, vielleicht oder gerade auch wegen der schwülen, traumartigen Atmosphäre im Buch und ich habe mich sehr an eine Star Trek TNG Folge erinnert gefühlt, in der sich die Besatzung, durch einen unbekannten Virus bedingt, auf ihre ursprünglichste Entwicklungsstufe zurückentwickelt.

Eine Dystopie, bei der man sich immer wieder einmal bewusst machen sollte, dass sie bereits in den 60er Jahren geschrieben wurde.

‚Did I or did I not try to kill myself?‘ One of the few existential absolutes, far more significant than ‚To be or not to be?‘, which merely underlines the uncertainty of the suicide, rather than the eternal ambivalence of his victim.“

„Nothing endures for so long as fear. Everywhere in nature one sees evidence of innate releasing mechanisms literally millions of years old, which have lain dormant through thousands of generations but retained
their power undiminished. The field rat’s inherited image of the hawk’s
silhouette is the classic example – even a paper silhouette drawn across a cage sends it rushing frantically for cover. And how else can you explain the universal but completely groundless loathing of the spider, only one species of which has ever been known to sting? Or hatred of snakes and reptiles? Simply because we all carry within us a submerged memory of the time when the giant spiders were lethal, and when the reptiles were the planet’s dominant life form.“

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Paradiese der Sonne“ in der Edition Phantasia erschienen