Double Français

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Ich hatte ursprünglich keine Ahnung, wie eng die beiden Bücher in vielfacher Hinsicht zusammengehören. Ich hatte mir Eribons „Rückkehr nach Reims“ zum Geburtstag gewünscht, es auch recht schnell gelesen und kurz drauf bekam ich vom Fischer Verlag Édouard Louis‘ „Im Herzen der Gewalt“ als Rezensionsexemplar zugeschickt und, obwohl so viele andere Bücher auf meinem Stapel lagen und eigentlich zuerst hätten gelesen werden müssen, las ich mich einfach fest.

Abgesehen davon, dass beide Bücher in Frankreich spielen, Protagonisten haben, die aus eher prekären Verhältnissen stammen und schwul sind, haben auch beide Bücher bei mir einen unfreiwilligen Regenguss abbekommen, als ich bei einem Gewitter vergessen hatte, das Fenster zu schließen und ja, schlussendlich sind die beiden Autoren auch miteinander befreundet, das fiel mir aber erst so richtig auf, als ich das Zitat von Eribon auf dem Buchrücken entdeckte und etwas recherchierte. Von daher erschien es mir naheliegend, die beiden Bücher auch gemeinsam hier zu rezensieren.

Die erste Hälfte von Didier Eribons Buch beschäftigt sich mit seiner Kindheit im Arbeitermilieu und die Hintergründe seiner Familie bis zurück in den 2. Weltkrieg. Wie er selbst in seinem Buch sagt, schreibt wohl kaum jemand über die dieses Milieu, der sich selbst nicht daraus emanzipiert hat.

Eribon hat das geschafft, er wurde ein erfolgreicher Soziologe und Autor, der Weg dorthin war alles andere als leicht. Er beschreibt die Schwierigkeiten, die nicht einfach nur materieller Natur sind, unglaublich passend. Dieses Gefühl, einfach nicht dazuzugehören, nicht die „richtigen“ Bücher, Filme, Musik zu kennen. Seinen Hintergrund nicht ständig zu verraten mit unbedachten Gesten oder einfach auch Unkenntnis und die ständige Angst, sich zu blamieren.

“Interesse für Kunst oder Literatur hat stets, ob bewusst oder unbewusst, auch damit zu tun, dass man das Selbst aufwertet, indem man sich von jenen abgrenzt, die keinen Zugang zu solchen Dingen haben; es handelt sich um eine „Distinktion“, einen Unterschied im Sinne einer Kluft, die konstitutiv ist für das Selbst und die Art, wie man sich selbst sieht, und zwar immer im Vergleich zu den anderen – den „bildungsfernen“ oder „unteren“ Schichten etwa.”

Ich kann mich an einigen Stellen des Buches sehr mit Eribon identifizieren, sein krasser Ekel seiner Abstammung gegenüber war mir allerdings teilweise zu heftig. Das Bildungsferne des „Arbeitermilieus“, die ich ebenfalls erlebt habe, ist etwas, was mir auch immer zu schaffen gemacht hat, vielleicht ist da etwas mehr der Stolz des lesenden Arbeiters meines Opas auf mich übergegangen, eine komplette Ablehnung meiner Herkunft kommt für mich nicht in Frage.

“Was mir vor allen Dingen unbestreitbar vorkommt, ist die Tatsache, das ein solches Ausbleiben des Klassengefühls eine bürgerliche Kindheit kennzeichnet. Die Herrschenden merken nicht, dass ihre Welt nur einer partikularen, situierten Wahrheit entspricht (so wie ein Weißer sich nicht seines Weißseins und ein Heterosexueller sich nicht seiner Heterosexualität bewusst ist).”

“Links zu sein, sagt Gilles Deleuze in seinem Abécédaire, das heiße, ‚eine Horizontwahrnehmung‘ zu haben (die Welt als ganze zu sehen, die Probleme der Dritten Welt wichtiger zu finden als die des eigenen Viertels). Nicht links zu sein hingegen bedeute, die Wahrnehmung auf das eigene Land, auf die eigene Straße zu verengen.”

Aber Eribon analyisert absolut treffsicher die Verfehlnisse der Linken. In seiner Kindheit wählten ausnahmslose alle in der Familie und in der Nachbarschaft die Kommunisten, das war Klassenbekenntnis. Dieses Bekenntnis gibt es nicht mehr und ist immer weiter nach rechts gerutscht. Seine Brüder wählen ganz selbstverständlich „National Front“ und selbst seine Mutter gibt zu, sie gewählt zu haben, um den Parteien eine Lektion zu erteilen. Dem beiläufigen Rassismus und der Homophobie, die ihn letztlich zum Ausbruch aus dem Milieu bringen, werden Struktur und Berechtigung gegeben durch Parteien wie die Front National.

“Man könnte es auch so zusammenfassen: Die linken Parteien mit ihren Partei- und Staatsintellektuellen dachten und sprachen fortan nicht mehr die Sprache der Regierten, sondern jene der Regierenden, sie sprachen nicht mehr im Namen von und gemeinsam mit den Regierten, sondern mit und für die Regierenden […] und zwar mit einer verbalen Gewalt, die von den Betroffenen durchaus als solche erkannt wurde. In den christsozialen oder philanthropischen Ausprägungen dieses neokonservativen Diskurses ließ man sich bestenfalls dazu herab, diejenigen, die gestern noch „unterdrückt“ oder „beherrscht“ gewesen waren und politisch „gekämpft“ hatten, als „Ausgeschlossene“ darzustellen, als „Opfer“ von „Armut, Prekarisierung und Ausgrenzung“ und somit als stumme potentielle Empfänger technokratischer Hilfsmaßnahmen.” 

Die Linke beschäftigte sich nicht länger mit Klassenfragen und die „einfachen Leute“ fühlten sich mehr und mehr unverstanden von den linken Parteien, was darin resultierte, dass aus dem alten klassenbezogenen „wir“ gegen „die“ ein nationales „wir“ gegen „die“ wurde.

“Man spürte förmlich, wie sich in ehemals kommunistisch dominierten Räumen der Geselligkeit und des Politischen eine rassistische Stimmung breitmachte, wie sich die Menschen allmählich einem politischen Angebot zuwandten, das vorgab, lediglich die Stimme des Volkes oder die Stimmung der Nation wiederzugeben, das eine solche Stimmung in Wahrheit aber erst herstellte, weil es Ressentiments und Affekte mit einem stabilen diskursiven Rahmen und gesellschaftlicher Legitimität versah.” 

Die zweite Hälfte des Buches beschäftigt sich mit seiner Jugend und was es bedeutet, in diesem Milieu als schwuler junger Mann aufzuwachsen. Foucault beschäftigt ihn sehr und er identifiziert sich stark mit ihm und seinen Ideen. Das Buch ist eine etwas ulkige Mischung aus Biografie und soziologischem Essay. Ich fand es wahnsinnig berührend und es ist eines der besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe.

Es hat mich stark an James Baldwin erinnert oder auch an Damian Barrs Biografie „Maggie & Me“ – das ich an dieser Stelle unbedingt noch einmal empfehlen möchte.

Eine weitere Rezension zum Buch findet ihr hier.

„Rückkehr nach Reims“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Als Édouard in einer kalten Dezembernacht auf dem Heimweg einem jungen Mann gegegnet möchte er eigentlich direkt nach Hause, doch die beiden kommen ins Gespräch und schnell wird klar, dass die spontane Begegnung in starke gegenseitige Anziehung umgschlagen ist und Édouard nimmt Reda, den algerischen Immigrantensohn, mit in seine Wohnung.

Was als zarter Flirt beginnt schlägt um in die schrecklichste Nacht, die Èdouard je erlebt hat. Ein Roman, der von Kindheit, Begehren, Rassismus, Gewalt und Migration erzählt und der, auch wenn es abgedroschen klingt, tatsächlich mitten ins Herz zielt.

Ein atemloser politischer Roman der auf drei Ebenen erzählt wird.  Édouard erzählt seiner (in der Realität nicht existierenden) Schwester detailliert von den Geschehnissen dieser Nacht, die diese wiederum ebenso ausführlich ihrem Mann erzählt, wobei sie von Èdouard belauscht wird, der hinter der Tür steht und das Erzählte kommentiert.

Das wirkt etwas gekünstelt, bewirkt aber, dass er durch die Figur der Schwester dem sozial benachteiligten Milieu eine Stimme gibt.

Es ist ein Roman über Schande, über das was gesagt wird, über die schändliche Vergewaltigung und was nicht gesagt wird. Èdouard überprüft seine Emotionen ständig, er korrigiert und klärt sie, bis er das Gefühl hat, sie akzeptieren zu können.

Er leidet darunter, keinen Sinn aus dieser schrecklichen Erfahrung ziehen zu können. Er ist jemand, der sich mit den Außenseitern identifiziert, der versucht, die Gewalt soziologisch zu erklären. Er geht mit der weit verbreiteten Homophobie in der Provinz ähnlich wie Eribon hart ins Gericht.

„In jener Nacht gelang es mir, mich von Reda zu befreien, aber erst sehr spät, nach sehr langer Zeit, und ebenso wie bei Temple war der wirklich Wille zur Flucht, der sich doch schon bei den ersten Anzeichen von Redas Wüterei hätte einstellen müssen, meine letzte Reaktion.“

Édouard erzählt seiner Schwester detailliert von der Nacht auf den 25. Dezember und die Schwester wiederum erzählt dies ebenso detailliert ihrem Mann, während Édouard den Monolog seiner Schwester – denn der Mann spricht nicht ein Wort – hinter der Tür belauscht. Überlagert wird die Stimme der Schwester durch die Gedanken Édouards, der das Erzählte als Figur kommentiert und manchmal selbst als Erzähler eingreift.

Édouard wirkt stellenweise recht arrogant in seiner naiven Begeisterung für alles Bildungsbürgerliche, aber das ist glaube ich einfach häufig ein Merkmal von Menschen, die sich den Weg ins Bildungsbürgertum hart erkämpfen mussten. Besonders gelungen sind die Passagen, in denen der Protagonist die Nachwirkungen der Vergewaltigung beschreibt. Seine Ängste, seine Scham, die sich auch nach der x-ten Dusche nicht abwaschen lassen und ihn verwundet und roh zurücklassen.

Der Roman ist eine heftige und präszise Analyse der Gewalt, der in Frankreich sehr gefeiert wird und bereits über 300.000 Exemplare verkauft hat.

Eine weitere Rezension zum Roman findet ihr hier.

Ich danke dem Fischer Verlag für das Rezensionsexemplar.

 

 

Nizza – Le weekend dans les livres

So ein verlängertes Wochenende kann sich im Glücksfall anfühlen wie eine ganze Woche Urlaub. Handgepäck mit Badehose, Sonnenbrille und nem kleinen Stapel Bücher und ab ging es am Freitag Abend ins wundervolle sonnig-warme Nizza.

Neben Strand und gutem Essen stand auch Kultur auf dem Programm. Eine Ausstellung des Streetart Künstlers Ernest Pignon Ernest und ein Besuch im Matisse Museum.

Ernest Pignon Ernests Ausstellung war richtig gut. Bin immer etwas zwiegespalten bei Streetart, die im Museum hängt, aber hier hat es wirklich gut funktioniert. Das vielleicht bekannteste Motiv von ihm ist ein Porträt von Rimbaud, das wir uns auch gleich als Poster gekauft haben. Mal schauen, ob wir ein schönes Plätzchen dafür finden:

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Neben ein paar sehr schönen Buchläden hatte Nizza auch eine Open Library zu bieten, bei der im Park Stühle und Bücherregale zum Schmökern einluden.

Ich bin in das Frankreich-Wochenende mit Marcelle Sauvageots „Fast ganz die Deine“ (Commentaire) eingestiegen. Ein wundervoller poetischer kleiner Brief-Roman. Marcelle Sauvageot wurde 1900 in Frankreich geboren und litt Zeit ihres Lebens an Tuberkulose. Als sie 1930 von Paris nach Hauteville ins Sanatorium zurückkehrt, erhält sie einen Brief ihres Geliebten, indem er ihr mitteilt: „Ich heirate… Unsere Freundschaft bleibt.

Melancholisch schön beschreibt Sauvegeot ihr Leiden, ihre Einsamkeit und denkt über die verschiedenen Formen der romantischen und sexuell motivierten Liebe nach. Sie schreibt einen Antwortbrief, den sie nie abschicken wird, analysiert ihre Verletzungen, ihre Wut, ihr Loslassen, bei dem sie wieder und wieder von einem Gefühl ins nächste taumelt. Es hat mich sehr beeindruckend wie treffend sie den ihren Liebeskummer beschreibt ohne jegliche Sentimentalität.

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„Das erste von einer Frau geschriebene Buch, aus dem nicht Unterwerfung spricht… Ein Buch voll erhabener Traurigkeit; ein Buch voller Würde! Großartig!“, schieb die Lyrikerin Clara Malraux sehr treffend.

Ein Abschied ohne Neuanfang. Unbedingt lesen !

„Die Theorie vom Marmeladenbrot“ von Titiou Lecoq sollte danach für etwas Leichtigkeit sorgen. Das Buch wurde mir dankenswerterweise von Herrn Brasch überlassen, dessen Rezension mich auf das Buch aufmerksam machte.

So ganz warm sind wir allerdings nicht miteinander geworden. Vielleicht hatte ich mir zuviel versprochen von einem Buch, das sich mit den Anfängen des Internets beschäftigte, die Entwicklung der Digital Natives, aber zum Teil verliefen die Erzählstränge für mich ins Leere und die Protagonisten blieben schablonenhaft.

Es war dennoch anregende Café-Lektüre und trotz der deprimierenden Theorie, die hinter dem Marmeladenbrot steckt, das schief geht, was schief gehen kann, hatte der Roman durchaus humorvolle Momente.

Der Roman beginnt 2006 und erzählt die miteinander verwobene Geschichte des rechtschaffenen Online-Journalisten Christophe, der Bloggerin Marianne, die als Opfer eines Sex-Videos unerwünschte Popularität erlangt, und dem jungen Hacker Paul, der gemeinsam mit Christophe versucht, Marianne zu helfen.

Alle drei versuchen, die Anonymität des Internets zu bewahren, ahnen aber bereits von der Ausweglosigkeit ihres Vorhabens. Wir treffen die drei im Jahr 2015 wieder. Sie sind noch immer befreundet, etwas erwachsener geworden vielleicht, aber nach wie vor gleicht ihr Leben dem Marmeladenbrot. Christophe hat nach wie vor Ärger im Job, wo Clicks mehr zählen als journalistische Qualität und seine Ehe ist am Zerbrechen.

Paul betreibt weiterhin im Internet sein lukratives halbseidenes Penis-Vergrößerungs-Geschäft, kann sich aber aufgrund einer Angststörung kaum aus der Wohnung bewegen und hat ebenfalls ordentliche Beziehungsprobleme.

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Marianne hat nach wie vor keinen Job und hält sich mit Botendiensten für Pauls Internetgeschäft über Wasser. Sie bloggt weiter ein wenig, hat mittlerweile eine Tochter mit ihrem schwulen Kumpel und dümpelt antriebslos durchs Leben.

Alle drei kommen an einen „Swim or Sink“ Moment in ihrem Leben, ob sie es schaffen, verrät das Buch uns nicht. Die Charaktere fand ich jetzt nicht weiter liebens- oder bemerkenswert, die Themen wie Netzanonymität, Big Data und der Wandel, den das Internet durchlaufen hat, waren ganz interessant.

Der Roman ist ganz unterhaltsam, unbedingt gelesen haben muss man ihn nicht.

Bringt mich zum letzten Roman „Ausweitung der Kampfzone“ von Michel Houellebecq. Auf meinen ersten Houellebecq war ich mächtig gespannt. Im Englischen wurde der Titel wohl mit „Whatever“ übersetzt, das würde es für mich ehrlich gesagt schon treffen.

Sicher habe ich auch den Fehler gemacht, das Buch am Strand zu lesen, es ist derart trost- und hoffnungslos, dass man durchaus Lust bekommt, sich im Meer zu ertränken. Ich fand es nicht schlecht, aber wirklich vom Hocker gehauen hat es mich nicht.

Die „Ausweitung der Kampfzone“ beschäftigt sich mit den (fehlenden?) Abenteuern eines 30jährigen IT Spezialisten (den ich eher für Mitte 50 gehalten hätte, wäre sein Alter nicht explizit genannt worden).

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Er verkauft langweile IT Programme an Kunden, die diese eigentlich nicht brauchen oder wollen, gibt gelangweilten Angestellten entsprechende IT Schulungen in der Provinz und nimmt an noch langweiligeren Abendveranstaltungen teil.

Er ist sexuell frustriert und ist dabei mit Raphael, einem  ziemlich hässlichen IT Kollegen, in bester Gesellschaft.  Der ist Mitte 20 nicht sehr charmant und wenig attraktiv und daher noch immer ein Jungmann. Jeglicher Versuch, sich dem weiblichen Geschlecht zu nähern schlagen fehl.

Aus irgendeinem Grund habe ich immer damit gerechnet, unser IT Protagonist würde Raphael nun zum Selbstmord animieren, war aber nicht so.

Es wird viel geraucht, getrunken und gekotzt, es gibt ein paar interessante Gedanken aber alles in allem kein so guter Start für mich. Hier stehen noch die „Elementarteilchen“ rum – kann mir das jemand empfehlen, oder soll ich aufgeben? Eine sehr interessante Rezension (die ich eben noch einmal nachgelesen habe findet man bei Sätze und Schätze)

Wären uns am Montag nachmittag nicht noch unsere strahlend blauen Leihräder gestohlen worden vor dem Restaurant, es wäre ein perfektes Wochenende gewesen. Aber mit diesem einen kleinen Wermutstropfen kann ich leben.

Nizza ist eine sehr schöne Stadt und wir hatten ein wundervolles Wochenende. Die Narben des kürzlich verübten Attentats an der Promenade kann man noch immer sehen und spüren, aber glücklicherweise schaffen die Terroristen es nicht, den Menschen den Lebensmut zu nehmen – wir sind und bleiben „en terrasse“

Liberte-egalite-fraternite-Fuck-terrorism

Marcelle Sauvageot „Fast ganz die Deine“ ist bei dtv erschienen
Titiou Lecoq „Die Theorie vom Marmeladenbrot“ ist im Ullstein Verlag erschienen
Michel Houllebecq „Ausweitung der Kampfzone“ ist bei Wagenbach erhältlich

Wenn einer eine Reise tut …

ihr kennt ja sicherlich Phileas Bücherkoffer, eine wunderbare Reihe in der Menschen ihre Bücherkoffer vorstellen, die sie für bevorstehende Reisen gepackt haben oder so packen würden. Bin so stolz, dass ich auch dabei sein durfte. Meinen Koffer habe ich für meine Reise nach Paris gepackt:

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https://phileablog.wordpress.com/2016/03/19/buecherkoffer-nr-30-von-sabinebinge-reading-more/#comment-9569

Ganz lieben Dank noch einmal Petra – es hat riesigen Spaß gemacht 🙂

The Red Notebook -Antoine Laurain

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Ich glaube, es war während unserer Bookclub Diskussion des Buches, das jemand meinte, das Büchlein erinnert ein wenig an diese niedlichen französischen Macarons. Klein, bunt, zuckersüß und schon kurz nach dem man sie verputzt hat, kann man sich schon kaum noch an sie erinnern. So ging es uns mehrheitlich mit diesem französischen Handtaschen-Macaron auch. Ich rezensiere hier alle Bücher die ich lese, daher keine Ausnahmen.

Der gutaussehende Pariser Buchhändler Laurent stolpert auf dem Weg zur Arbeit eines Morgens über eine Handtasche, die einsam am Straßenrand sitzt. Er ist sich sicher, es handelt sich um eine gestohlene Tasche, nimmt sie mit und durchlebt peinlichste Höllenqualen beim Tragen einer Damenhandtasche. Er ist fest entschlossen, Tasche und Besitzerin miteinander zu vereinen und räumt zu diesem Zweck die Tasche aus, untersucht jeden Gegenstand, findet aber keinerlei Hinweis auf einen Namen oder eine Adresse. Doch allein die Vielzahl (!) an Gegenständen macht ihm schnell klar, es scheint sich um seine Seelenverwandte zu handeln und die Suche nach dieser wird zu seinem Lebensmittelpunkt.

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Wird er die Unbekannte finden und sie gar in echt so hinreißend finden, wie in seiner Phantasie? Das Buch liest sich wie ein Script zu einer französischen Rom-Com und wir sind in Gedanken schon mögliche Besetzungen durchgegangen. Die Dame aus Amélie wäre natürlich überaus passend als Laure, Hugh Grant wurde in den Raum geworfen als Laurent, oder auch Mr. Darcy aus Bridget Jones, ein gallischer Kandidat wollte uns partout nicht einfallen.

Von der Geschichte inspiriert haben wir dann alle mal geschaut, was wir so in den Taschen haben und ob es ähnlich aufregend ist, wie Laures Tascheninhalt und dazu führt, dass irgendjemand uns UNBEDINGT wiederfinden will, aber es sah nicht soooo gut aus. USB-Sticks mit Flaschenöffner und ein Zeckenkamm waren die spannensten Dinge. Ich sehe ja schwarz, dass für uns jemand die Klamotten aus der Reinigung holt und die halbe Stadt unsicher macht. Wir überlegen aber momentan, ob wir nicht ggf. einfach eine sehr spannende Sache in unsere Tasche legen, so für alle Fälle.

Bei seiner Suche trifft Laurent auch auf Patrick Modiano, das hat uns immerhin einen tollen Schriftsteller in Erinnerung gerufen, den wir bisher noch nicht gelesen haben.

Ich bin jetzt nicht so der Rom-Com Typ, daher hat es nicht ganz meinen Geschmack getroffen, aber sicher gibt es da draußen den einen oder anderen, der damit sehr glücklich werden würde. Daher verlose ich das Buch unter allen, die mir hier oder auf Facebook in den Kommentaren für meine Paris-Reise im März einen Tipp geben, was ich keinesfalls verpassen sollte. Ich reise im Übrigen ohne Handtasche, aber immer mit Notizbuch 😉

Ausgelost wird am nächsten Donnerstag, 03.03. Bonne chance …

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Liebe mit zwei Unbekannten“ im Knaur Verlag erschienen.

Abschiedsbrief

Vor ein paar Tagen habe ich auf Maria Popova’s brilliantem Blog „Brainpickings“ den Abschiedsbrief gesehen, den Simone de Beauvoir 1950 an Nelson Algren schrieb. Er ist einer der berührensten Abschiedsbriefe die ich kenne:

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I am better at dry sadness than at cold anger, for I remained dry eyed until now, as dry as smoked fish, but my heart is a kind of dirty soft custard inside.

[…]

I am not sad. Rather stunned, very far away fro myself, not really believing you are now so far, so far, you so near. I want to tell you only two things before leaving, and then I’ll not speak about it any more, I promise. First, I hope so much, I want and need so much to see you again, some day. But, remember, please, I shall never more ask to see you — not from any pride since I have none with you, as you know, but our meeting will mean something only when you wish it. So, I’ll wait. When you’ll wish it, just tell. I shall not assume that you love me anew, not even that you have to sleep with me, and we have not to stay together such a long time — just as you feel, and when you feel. But know that i’ll always long for your asking me. No, I cannot think that I shall not see you again. I have lost your love and it was (it is) painful, but shall not lose you. Anyhow, you gave me so much, Nelson, what you gave me meant so much, that you could never take it back. And then your tenderness and friendship were so precious to me that I can still feel warm and happy and harshly grateful when I look at you inside me. I do hope this tenderness and friendship will never, never desert me. As for me, it is baffling to say so and I feel ashamed, but it is the only true truth: I just love as much as I did when I landed into your disappointed arms, that means with my whole self and all my dirty heart; I cannot do less. But that will not bother you, honey, and don’t make writing letters of any kind a duty, just write when you feel like it, knowing every time it will make me very happy.

Well, all words seem silly. You seem so near, so near, let me come near to you, too. And let me, as in the past times, let me be in my own heart forever.

Your own Simone

Mitten ins Herz – Francoise Sagan

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Da hat einiges nicht gestimmt mit dem Buch. Zum einen sieht es aus wie eine absolute Kitsch-Schmonzette, der Titel ist auch nicht gerade einer, der mich vom Hocker haut und dann auch noch Bastei Lübbe. Hmmm. Hätte ich nicht vor vielen Jahren sehr begeistert Sagan’s „Bonjour Tristesse“ gelesen, dieses Büchlein hätte keine Chance gehabt. Es war glaube ich auch eine Papiermüll-Rettungsaktion und mit knapp 200 Seiten, habe ich mich einfach mal heran gewagt.

Es war auch besser als ich dachte, wenn auch lange nicht so gut wie ich „Bonjour Tristesse“ in Erinnerung habe. Mathieu, der Protagonist erhält von seinem Arzt die Prognose, unheilbar an Lungenkrebs erkrankt zu sein und nur noch 6 Monate zu leben. Daraufhin begleiten wir Mathieu durch diesen Tag, an dem er sich mit dieser Tatsache abzufinden versucht, viel Introspektive betreibt und sich von den wichtigen Frauen in seinem Leben verabschiedet.

Boah ging er mir dabei teilweise auf den Keks. Mathieu gibt sich einerseits sehr Camus‘ „Der Fremde“-mässig, so cool mit Kippe im Mundwinkel als kühler Denker durch die Gegend schreitend, sich mit hübschen Frauen schmückend und dann ist da so ganz und gar nichts cooles an ihm, wenn er mit den Frauen über seinen drohenden Tod spricht. Er ist ein Egoist durch und durch, aber er sagt ab und an ein paar sehr lesenswerte Sätze, daher konnte ich das ganz gut verzeihen. Ich habe es bei Goodreads auch immerhin mit 4 Sternen bewertet, denn obwohl der Egoist Mathieu mich streckenweise nervte und das Ende echt grottig ist, haben mich die paar guten Sätze ganz positiv gestimmt.

Dieses kurze Büchlein kann man gut mal zwischendurch schieben, aber wenn man es nicht gelesen hat, dann geht die Welt auch nicht unter.

Hier ein paar der Sätze die ich mochte:

„Zu jener Zeit, nebenbei bemerkt, war es nicht mehr üblich, Lokalrunden auszugeben. Ohne wirklich wichtigen Grund lud man seine Umgebung nicht mehr einfach so auf ein Glas ein. Es war eben nicht die Zeit für Geschenke. Geschenke wurden von der Steuer weder gebilligt noch entschuldigt, geschweige denn überhaupt zugelassen.“

„Er fühlte sich nämlich so lebendig wie noch nie, was sicher am Weißwein lag, am Alkohol, dem man in diesem Jahrhundert so ungerechtfertigterweise so viel Übles nachsagte, ihm, der doch der Freund des Menschen, das Wundermittel für dessen Seele und der Verbündete seines Körpers war.“

„Es war nicht der rechte Zeitpunkt, sich zu langweilen, das wußte er!“

„Schluß mit der Grübelei! Es lebe das Leben!“

Der grosse Meaulnes – Henri Alain-Fournier

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Ich glaube wirklich, viele Bücher haben so ihre Zeit. Der grosse Meaulnes scheint mir ein solches zu sein. Ein coming-of-age Roman, der in Frankreich spielt um die Jahrhundertwende des 20. Jahrhunderts herum und diese 100 Jahre fühlen sich selbst auch wie ein fremdes Land an. Ich bin nicht so wirklich in das Buch reingekommen. Es ist stark autobiographisch, Alain-Fournier fiel im 1. Weltkrieg nur wenige Wochen nach dessen Beginn und die unglückliche Liebesgeschichte um die Figur Yvonne basiert wohl auf seinen Erfahrungen mit einem Mädchen, das Fournier kennenlernte, die aber jemand anderen heiratete.

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Foto: Truffiere

Ich habe viel gehört von der verträumten Atmosphäre und den immer wiederkehrenden Vergleichen mit dem „Catcher in the Rye“. Ich fand es stellenweise sehr gut, aber auch langatmig und ab und an bin ich fast eingeschlafen. Vom Tempo her mit manchen Murakami’s zu vergleichen, aber es war etwas zähes daran. Ich war so froh, als ich es geschafft hatte und durch war.

Ich bin nicht wirklich ein absoluter Realitäts-Freak, aber die Charaktere blieben mir einfach fremd. Die große Liebe, obwohl er mit dem Mädchen gerade mal ein paar Minuten spricht? Es wird sehr viel gelaufen und verlaufen im Roman, das große Suchen und Nicht-Finden wie es so ist am Ende der Pubertät. Das Ende war irgendwie sentimental und ich konnte mich auch für keinen der Charaktere so richtig erwärmen.

Vielleicht versuche ich es irgendwann nochmal, aber der grosse Meaulnes und ich wir sind nicht so richtig Freunde geworden, obwohl ich eine so schöne Büchergilden-Ausgabe habe und ich es doch so gerne unbedingt mögen wollte. Ich hab echt ein schlechtes Gewissen, bestimmt tue ich dem Buch Unrecht. So viele Franzosen können nicht irren. Das Buch ist gut, hört nicht auf mich, lest es selbst. Bin sicher es liegt an mir. Die ZEIT schreibt zum Buch:

„In sinnlich gesättigten Sprachbildern kündigt dieser Roman – das einzige Buch des Schriftstellers Alain-Fournier – die folgenschwere Entwicklung des zwanzigsten Jahrhunderts im frühesten Augenblick der gesellschaftlichen Wende an: Ein Jahrhundertbuch“