Es ist wohl kaum möglich gewesen nicht mitzubekommen, dass ich der weltgrößte Fan der Sci-Fi/Science-Thriller-Serie „Orphan Black“ bin. Orphan Black ist sowas wie das utopische Gegenstück zu Margaret Atwoods Dystopie „The Handmaid’s Tale“ und hat jede Menge vielschichtiger, spannender, intelligenter Frauen sowie LGBT Charaktere zu bieten, deren Sexualität stets weniger wichtig als ihre tatsächlichen Persönlichkeiten sind. Auch Cast und Crew sind stetige „loud and proud allies“ für die LGBT Community und damit in diesen finsteren Zeiten ein absoluter Lichtblick, mit der uns die kanadische TV Szene da beglückt hat. In der Serie geht es Sarah Manning, eine Frau, die die Identität ihres Klons Elizabeth Childs annimmt, nachdem sie deren Selbstmord beobachet hat. Die Schauspielerin Tatiana Maslany spielt in der Serie eine Vielzahl an Menschen, die Klone sind. Im Laufe der Serie stellt sich heraus, dass in geheimen medizinische Versuchsreihen das Klonen von Menschen gelungen war und die Klone sich nach und nach ihrer wahren Identität bewusst werden. Die Serie wirft Fragen auf, die sich um die Themen Moral, die ethischen Implikationen menschlichen Klonens und den Effekt dessen auf die persönliche Identität drehen. Was kann und darf Wissenschaft? Darf man menschliches Erbgut patentieren lassen? Hier ein TED Talk zu diesem Thema, der unter anderem zeigt, wie wichtig die Wissenschaft für die Macher von Orphan Black ist: https://www.ted.com/talks/tania_simoncelli_should_you_be_able_to_patent_a_human_gene Die Serie hat eine wissenschaftlicher Beraterin, Cosima Herter, die als lebendige Vorlage für einen der Klons in der Serie, Cosmia Niehaus, diente. Neben der herausragenden Schauspielkust der Hauptdarstellerin Tatiana Maslany und den überdurchschnittlich guten Drehbüchern wurde immer wieder gerade die Genauigkeit gelobt, wenn es um die Wissenschaft in Orphan Black ging.
Herwig war auch an einem Buch beteiligt, mit dem Titel „The Science of Orphan Black“, das sich mit sämtlichen Fragen rund um Genetik, Eugenetik, Cloning etc. in der Serie beschäftigte und zeigt, wie die wissenschaftlichen Aspekte tatsächlich sind und wo es in der Serie gelegentliche notwendige dramaturgische Abweichungen gab. Das Buch ist sicherlich kein Ersatz für „richtige“ wissenschaftliche Bücher zu den Themen, aber ich bin einfach begeistert davon, wie sehr ein Serien-Begleitbuch Wert auf wissenschaftliche Genauigkeit legt und zugleich Lust auf Wissenschaft macht. Davon bitte unbedingt mehr. Ein weiteres Begleitbuch zur Serie hat sich mit den philosophischen Fragen hinter der Serie beschäftigt. Richard Greene ist Professor für Philosophie an der Weber State University und beschäftigt sich mit den Fragen „Was macht eine Person einzigartig?“, „Ist es unmoralisch, Klone vorsätzlich mit Gen-Defekten zu erschaffen?“, „Was sagt uns das Verhalten der Clone Club Mitglieder mit Blick auf die Nature vs Nature Debatte?“ und viele weitere spannende Themen.
Orphan Black zeigt uns Probleme der Biotechnolgoie, die in nicht allzu ferner Zukunft unsere tagtäglichen Fragestellungen sein könnten. Was für eine Zukunft ist das, in der wir – wie wir es jetzt bereits ansatzweise mit Crispr-Cas9 erleben – in der Lage sein werden, unser Genom zu editieren? Wie werden wir künftig mit wissenschaftlich-religiösen Kults wie Neolution oder den Prolethians umgehen? Sollte es Biotech Firmen erlaubt sein, die menschliche DNA zu patentieren und welcher Moral werden wir folgen, wenn wir vielleicht irgendwann nicht einmal der Polizei mehr trauen können? Der New Yorker hat sich schon früh positiv mit der Serie beschäftigt und blickt in diesem Artikel auf die dunkle Eugenetik-Geschichte der USA, mit der sich auch die Zeitschrift Nature in diesem Artikel beschäftigt. In Orphan Black selbst geht es aber auch immer wieder um Bücher. Eines der wichtigsten für Science-Geek Cosima ist Charles Darwins „The Origin of Species“ – das Buch ist insbesondere in der ersten Staffel allgegenwärtig, wo die Titel der einzelnen Episoden nach Kapiteln aus Darwins Buch benannt sind. Hier geht es übrigens zu meiner Hirngymnastik „Genetik“ bei der ich mich neben Darwin auch mit dem Buch „What we talk about when we talk about Clone Club“ von Gregory E Pence beschäftigt habe.
Die Titel der zweiten Staffel sind Zitate von Francis Bacon, die der dritten Staffel beziehen sich auf die Abschiedsrede von Dwight Eisenhower, in der vierten Staffel beziehen sie sich auf die Arbeiten der feministischen Wissenschaftlerin Donna Haraway und die letzte Staffel nutzt Zitate aus Ella Wheeler Wilcox Gedicht „Protest“:
To sin by silence, when we should protest, Makes cowards out of men. The human race Has climbed on protest. Had no voice been raised Against injustice, ignorance, and lust, The inquisition yet would serve the law, And guillotines decide our least disputes. The few who dare, must speak and speak again To right the wrongs of many. Speech, thank God, No vested power in this great day and land Can gag or throttle. Press and voice may cry Loud disapproval of existing ills; May criticise oppression and condemn The lawlessness of wealth-protecting laws That let the children and childbearers toil To purchase ease for idle millionaires.
Therefore I do protest against the boast Of independence in this mighty land. Call no chain strong, which holds one rusted link. Call no land free, that holds one fettered slave. Until the manacled slim wrists of babes Are loosed to toss in childish sport and glee, Until the mother bears no burden, save The precious one beneath her heart, until God’s soil is rescued from the clutch of greed And given back to labor, let no man Call this the land of freedom.
Solche intellektuellen Spielereien mag ich sehr und sind einer der Gründe für mein heftiges Fangirling. Aldous Huxleys 1932 erschienener weltberühmter Roman „Brave New World“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Serie. Der Roman antizipiert Entwicklungen in der Fortpflanzungsmedizin und deren ethischer Implikationen mit Blick auf menschliches Klonen. Die Serie verneigt sich vor Huxley, in dem sie dem intriganten Wissenschaftler Aldous Leekie seinen Vornamen verpasst, der Nachname könnte eine Referenz auf den Anthropologen Louis Leakey sein, auch wenn der sich etwas anders buchstabiert.
Zudem hat Huxley ein Gedicht mit dem Titel „Leda“ veröffentlicht, das Bezug nimmt auf die griechische Mythologie und von der Liebesaffaire zwischen der Königin Leda, der Mutter von Helena von Troy und ihrem Schwan, bei dem es sich um den verkleideten Zeus handelt. Leda bringt später zwei Eier zur Welt, aus dem einen schlüpft ein paar menschlicher sterblicher Zwillinge, aus dem anderen Ei ein paar göttliche Zwillinge mit übermenschlichen Kräften. Das zweite Projekt „Castor“ diente der Schaffung einer männlichen Klonreihe, Castor ist der Name eines der menschlichen Zwillinge, die Leda auf die Welt bringt.
Eine Menge los bei Orphan Black und langsam fangen die Gehirnzellen an zu rauchen, oder? Wir müssen uns aber auf jeden Fall noch mit H. G. Wells „The Island of Dr Moreau“ beschäftigen. Das Buch, das dem Gründungsforscher Dr. Ethan Duncan gehörte, taucht immer wieder auf, es enthält Symbole, die außer ihm nur ein weiterer Klon namens Rachel teilweise entziffern kann. Die Symbole bringen Sara auf die Spur von Kendall Malone, die als Chimäre (Organismus, der aus genetisch unterschiedlichen Zellen aufgebaut ist und dennoch ein einheitliches Individuum darstellt) das eigentliche Original ist, aus deren DNA die Klone erzeugt wurden.
Fotos: BBC America
Die fünfte Staffel beginnt auf der Insel, die genau wie im Buch Heimat eines durchgeknallten Professors ist und Menschen in einem Dorf beherbergt, an denen der Professor ohne deren Wissen medizinische Versuche durchführt. Der verrückte Professor heißt PT. Westmoreland und ist Autor diess Buches
und der eigentliche Marionettenspieler hinter den Kulissen. In den fünf Staffeln der Serie kommt man kaum zum Durchatmen, kaum ist ein Teil des Puzzles gelöst, entstehen gleich wieder drei neue. Eine Show mit viel Adrenalin, wahnsinnig guter Besetzung, viel Brainpower und jeder Menge Literaturtipps.
Hier noch ein spannender Artikel aus der LARB „Epigenetic Television: The Penetrating Love of Orphan Black„
Der Abschied von den Sestras ist mir enorm schwer gefallen, aber dank DVDs, Büchern und Comics werde ich dem Clone Club immer wieder mal einen Besuch abstatten. In diesem Interview spricht Maslany über ihren Abschied von der Serie und sollte sich Dr. Delphine Cormier jemals als praktische Ärztin niederlassen, ich werde ihre allererste Patientin werden…
Thanks for the ride and the Science, Sestras!
Welche der vorgestellten Bücher kennt ihr und habt ihr einen Lieblingsklon in Orphan Black?
- Casey Griffin / Nina Nesseth – „The Science of Orphan Black“
- Rachel & Richard Greene – Orphan Black & Philosophy
- Charles Darwin – „The Origin of Species“ ist auf deutsch unter dem Titel „Die Entstehung der Arten“ erschienen
- Aldous Huxley – „Brave New World“ ist auf deutsch unter dem Titel „Schöne Neue Welt“ im Fischer Verlag erschienen
- H. G. Wells – „The Island of Dr Moreau“ ist auf deutsch unter dem Titel „Die Insel des Dr. Moreau“ erschienen