November Lektüre

Wieder ein wirklich hervorragender Lesemonat! Dieses Mal sogar noch besser als zuletzt – kein einziger Flop, nicht mal in Sichtweite. Alle Bücher lagen stabil zwischen 4 und 5 Sternen, und jedes einzelne hat mich auf ganz eigene Weise überrascht, bewegt oder begeistert. Würde ich mich für ein „Buch des Monats“ entscheiden müssen, wäre das fast unmöglich, denn die Qualität war durchgehend beeindruckend. Ein paar Favoriten kristallisieren sich trotzdem heraus, aber selbst da trennen sie nur Nuancen.

Hier die Bücher in alphabetischer Reihenfolge – los geht’s:

Balle, Solvej – Über die Berechnung des Rauminhalts II erschienen im Matthes & Seitz Verlag, übersetzt von Peter Urban Halle

If you know, you know. Wer einmal in diese seltsam klar leuchtende Zeitschleife geraten ist, den lässt sie nicht mehr los. Auch der zweite Band knüpft nahtlos an Tara Selters ewigen 18. November an ein Tag, der für alle anderen neu ist, nur für sie nicht. Und doch fühlt sich dieser Band anders an: ruhiger, wacher, fast schon meditativ.

Balle lässt Tara durch Europa ziehen, auf der Suche nach Jahreszeiten, die ihr verwehrt bleiben. Sie ahmt Feiertage nach, jagt Schneeflocken im Norden und Herbstlicht im Süden wie jemand, der verzweifelt versucht, seinem inneren Kalender zu glauben. Besonders stark ist, wie der Roman unsere fixen Erwartungen an Zeit, Wetter, Traditionen auseinandernimmt. Die Idee, dass Jahreszeiten psychologische statt meteorologische Phänomene sind?

Gleichzeitig schleicht sich ein dunklerer Ton ein: Tara als „Monster auf der Wanderschaft“, das die Welt verbraucht, weil nichts wieder aufgefüllt wird. Eine fast schon ökologische Parabel über Konsum, Spuren, Verantwortung – alles verdichtet in einem einzigen, endlosen Tag.

Es ist windstill, und ich denke, es muss die Stille sein, die mich weckt, die Abwesenheit der Geräusche. Das ist sicher so, weil es schneit, aber ich verstehe es nicht, denn wie kann der Schnee Geräusche dämpfen, wenn sowieso alles still ist.

Und dann wieder diese Momente, in denen Tara akzeptiert, dass ihre Zeit nicht fließt, sondern ein Raum ist ein Gefäß, in dem man sich einrichten kann. Vielleicht, weil wir alle unsere eigenen Räume in der Zeit haben, ob wir wollen oder nicht.Vielleicht ist das das Berührendste an diesem Band: die langsame, verletzliche Annäherung an ein Leben außerhalb des Bekannten.

Vielleicht brauchen wir Balle-Zeitreisenden irgendwann ein gemeinsames Erkennungszeichen, mit dem wir rund um die Erde den 18. November feiern. Ich weiß nur eines: Für die nächsten beiden bereits erschienenen Bände warte ich garantiert nicht wieder bis zum 18.11. ich will jetzt mit Tara weiterreisen. Seid ihr auch dabei?

Baltasar, Eva – Mammut erschienen im Schöffling Verlag, übersetzt von Petra Zickmann

Ein Buch wie ein Schlag in die Magengrube – es packt einen total und man weiß gar nicht genau warum, denn es ist roh, sperrig und unangenehm. Eva Baltasar wagt in Mammut etwas radikal Eigenes: Eine Protagonistin, die mit entwaffnender Klarheit weiß, was sie will und gleichzeitig jede Art von menschlicher Nähe verachtet. Zu ihrem 24. Geburtstag plant sie, durch einen One-Night-Stand schwanger zu werden; später flieht sie aus Barcelona, sie löst sich von der Stadt wie von einem alten, unpassenden Mantel um aufs Land zu fliehen, um endlich irgendetwas zu spüren.

Was dann passiert, ist bizarr, düster, manchmal fast satirisch und immer kompromisslos. Baltasar kreeirt eine Figur, die ihr Leben mit kühler Pragmatik in die Hand nimmt und dabei permanent an die Grenzen des Erträglichen stößt – und uns mitreißt, obwohl wir nie ganz greifen können, warum. Genau das macht diese Figur so faszinierend: freundlich und menschenverachtend zugleich, brutal ehrlich, verletzlich ohne Sentimentalität.

Aber: Mammut ist kein Buch für jeden. Die Gewaltszenen besonders die gegenüber Tieren – haben mich abgestoßen, also hier echt mal Trigger Warning. Baltasar zeigt Natur und Mensch als ungeschönt brutal, fern jeder romantischen Dorfidylle. Leben ist hier immer auch Sterblichkeit, ob im Altenheim oder zwischen Schafen, Gicht und Einsamkeit.

Ein verstörendes, eigenwilliges Buch und vielleicht darum ziemlich einzigartig. Es ist der dritte Teil einer Trilogie, die aber komplett unabhängig voneinander gelesen werden kann. Große Empfehlung mit kleinen Abstrichen. Bin auf die anderen beiden Bände „Boulder“ und „Permafrost“ schon sehr gespannt.

Ich danke dem Schöffling Verlag für das Rezensionsexemplar.

Eng, Tan Twan – The House of Doors auf deutsch unter dem Titel das Haus der Türen im Dumont Verlag erschienen, übersetzt von Michaela Grabinger

Auf Tan Twan Engs „The House of Doors“ hab ich mich schon lange gefreut und es hat mich umgehend gepackt mit einer leisen, fast hypnotischen Intensität, die einen unmerklich in eine andere Zeit und Welt zieht. Schon nach wenigen Seiten war ich mitten in der flirrenden Hitze Malaysias, konnte das Rascheln der Palmen hören und den Geruch von Regen und Meer beinahe spüren.

Ich habe eine besondere Schwäche für Romane, in denen Schriftsteller selbst zu Figuren werden – Geschichten über das Erzählen, über die Macht und die Verantwortung, die mit dem Schreiben einhergehen und genau das bietet The House of Doors auf meisterhafte Weise. Im Zentrum steht Lesley Hamlyn, die in den 1940ern auf einer Farm in Südafrika lebt und auf ihr früheres Leben im kolonialen Penang zurückblickt. Dort begegnet sie 1921 William Somerset Maugham „Willie“, der mit seinem Sekretär und Lebensgefährten Gerald Haxton reist. Maugham, 1874 in Paris geboren und einer der meistgelesenen britischen Autoren seiner Zeit, ist auf der Suche nach Geschichten, nach den feinen Rissen hinter den Fassaden menschlicher Beziehungen. Haxton begleitet ihn seit Jahren auf all seinen Reisen, ihre Beziehung bewegt sich zwischen tiefer Zuneigung, Abhängigkeit und dem permanenten Druck, ihre Liebe in einer Zeit der gesellschaftlichen Enge verbergen zu müssen.

Willie’s words had polished the lens through which I had always viewed my husband, and yet, at the same time, they shifted him slightly out of focus.

Tan Twan Eng beschreibt diese beiden mit einer Zartheit und Genauigkeit, die weit über bloße Hommage hinausgeht. Seine Beobachtungsgabe erinnert an Maugham selbst doch Eng nutzt die Perspektive der Kolonisierten, um die moralischen und kulturellen Bruchstellen dieser Welt offenzulegen. Lesley, gefangen zwischen Loyalität, Schuld und dem Wunsch nach Wahrheit, steht am Schnittpunkt dieser Spannungen. Das titelgebende „Haus der Türen“ ist dabei weit mehr als ein Schauplatz: Es ist ein Sinnbild für Erinnerung und Erzählung, für die unzähligen Türen, die wir im Leben öffnen oder verschlossen halten. Eng gelingt es, historische Begebenheiten die Begegnung mit dem Revolutionär Sun Yat-sen, den realen Mordfall Ethel Proudlock mit fiktionaler Raffinesse zu verweben, ohne den emotionalen Kern aus den Augen zu verlieren.

Der Roman liest sich wie ein fein komponiertes Musikstück, getragen von Melancholie, von der Schönheit des Vergehens und der Frage, wie aus Leben Literatur wird. Tan Twan Eng, selbst in Penang geboren, beweist einmal mehr sein Gespür für Atmosphäre, für leise Zwischentöne und das Unsagbare zwischen den Zeilen. Am Ende hat mich The House of Doors nicht nur berührt, sondern auch ganz schön neugierig gemacht – auf Maugham selbst, auf seine Romane, seine Kurzgeschichten und vor allem auf das faszinierende, widersprüchliche Leben eines Mannes, der wie kaum ein anderer wusste, dass jede Geschichte zwei Seiten hat: die erzählte und die verschwiegene.

Ich habe das Buch für den Bookclub und den „Read around the World“ Stopp in Malaysia gelesen.

Harpman, Jacqueline – I Who Have Never Known Men auf deutsch unter dem Titel Ich, die ich Männer nicht kannte im Klett-Cotta Verlag erschienen, übersetzt von Luca Homburg

Was für ein großartiges, wiederentdecktes Juwel aus den 1980er-Jahren. Der Roman folgt 40 Frauen, eingesperrt in einem Bunker, ohne irgendeine Erklärung weder für sie noch für uns. Unsere Erzählerin ist die Jüngste unter ihnen, aufgewachsen in Gefangenschaft, ohne Erinnerung an eine Welt davor. Und genau hier liegt die eigentliche Sprengkraft des Buches: Es verweigert sich jeder Form von Auflösung. Wer Antworten braucht, klare Strukturen, eine Art „Aha, deshalb“, wird hier garantiert scheitern. Aber wer bereit ist, durch die Finsternis zu gehen und sich vom Nichtwissen tragen zu lassen, wird mit einer Erfahrung belohnt, die einen noch lange verfolgt.

Trotz des dystopischen, beinahe außerweltlichen Settings ist „I Who Have Never Known Men“ zutiefst menschlich. Harpman stellt große Fragen, ganz ohne philosophisches Trommelwirbel:
Was macht uns eigentlich zu Menschen? Wie verändern sich Zeit, Erinnerung und Identität, wenn die Welt unverständlich wird?

Besonders faszinierend ist die Dynamik zwischen der Erzählerin und den anderen Frauen. Während die 39 Gefährtinnen noch ums Festhalten an früheren Leben ringen, kennt die Erzählerin diese Welt nur aus ihren bruchstückhaften Erinnerungen. Das macht sie analytischer, neugieriger und auf eine seltsame Weise freier. Die Beziehungen zwischen den Frauen, ihr ständiges Anpassen, ihr Zusammenwachsen und Zerfallen: Das alles wirkt gleichzeitig zart und gnadenlos.

I was forced to acknowledge too late, much too late, that I too had loved, that I was capable of suffering, and that I was human after all.

Und ja, das Buch ist düster. Richtig düster. The Road wirkt dagegen fast gemütlich. Harpman erspart uns jede Form von Trost. Keine Erklärungen, keine Erlösungen, keine epische Enthüllung am Ende. Nur die Frage, was bleibt, wenn alles, was wir für menschlich halten: Liebe, Nähe, Hoffnung einfach weg ist.

Die Stille in diesem Roman ist lauter als jedes World-Building. „I Who Have Never Known Men“ ist brillant, zutiefest verstörend, philosophisch – ein Roman mit einem letzten Satz, der einem quasi in die Magengrube haut.

Im Grunde könnte meine Rezension lauten: I who have never known a book like that.
Jacqueline Harpman ist eine Autorin die man unbedingt wiederentdecken sollte.

Hertmans, Stefan – Dius erschienen im Diogenes Verlag übersetzt von Ira Wilhelm

Es gibt Zufälle, die so schräg sind als wäre kurz ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum entstanden und man zweifelt, ob das Buch sich vielleicht ins echte Leben ausgedehnt hat. Während ich Stefan Hertmans’ „Dius“ las ein Buch, in dem Vittore Carpaccios Bilder eine recht zentrale Rolle spielen fand ich auf meinem täglichen Spaziergang mit der kleinen Gasthündin im offenen Bücherschrank ausgerechnet einen Bildband dieses Malers. Carpaccio, nicht da Vanci oder Michaelangeo, ein Maler, den man nun wirklich nicht an jeder Ecke erwartet. Plötzlich wurde aus einer ohnehin schon intensiven Lektüre ein kleines multimediales Erlebnis: Musik über die Playlist, die beim Diogenes-Zoom-Abend mit dem Autor empfohlen wurde, Hertmans’ Worte im Buch und dann diese Bilder, die direkt daneben aufschlugen und die mich wirklich sehr fasziniert haben.

Im Zentrum des Romans steht Anton, ein Kunsttheoretiker voller Sehnsucht, der oft eher beobachtet als handelt. Schon früh gibt es eine Szene, die sich ins Gedächtnis brennt: ein Autounfall, ein Hirsch, eine beinahe tödliche Bewegung. Hertmans schreibt das mit einer Intensität, die einen sofort in Antons Kopf zieht. An seiner Seite steht Dius, zunächst sein Student, dann sein Freund impulsiver, unmittelbarer, ein Künstler, der die Welt mit den Händen begreift. Zwischen den beiden entsteht eine enge, zugleich fragile Verbindung, getragen von Gesprächen über Kunst und Natur, aber auch von all dem, was unausgesprochen bleibt. Am Ende geht Dius nach Italien, Anton bleibt zurück – und die Lücke zwischen ihnen erzählt ebenso viel wie ihre gemeinsamen Jahre.


Hertmans verankert diese Freundschaft in einem alten Bauernhaus in den weiten Westflämischen Poldern, einer Landschaft, die wie ein Resonanzraum wirkt, Seine Naturbeschreibungen sind präzise und voller Zärtlichkeit, und immer wieder stellt der Text die Frage, wie man Schönheit überhaupt fassen kann – ob Sprache reicht, um zu vermitteln, was Kunst, Landschaft oder ein Mensch in uns auslösen können.

In solchen Momenten weiß ich warum Dius in mein Leben treten musste: weil wir beiden den Durst nach längst vergangenen Zeiten teilen, die uns durch die frühen Erinnerungen irgendwie in den Körper eingeschrieben sind und uns unbehaust werden lassen im Lärm unserer Gegenwart. Kultur ist etwas Unbegreifliches; das Höchste ist mit dem Abgründigsten verwandt, und voll all den Jahrhunderten voller Schmerz, Verzückung und Verwirrung bleibt uns am Ende nur diese himmlische Musik, bei der sich mein Herz vor Verlangen zusammenkrampft, während ich unter der leichten Daunendecke liege….


Anton, ist Kunsttheoretiker, der oft an den Rändern des Lebens entlanggleitet. Einer, der eher denkt als handelt, der seine Sehnsüchte und seine Melancholie mit sich herumträgt und im Gegensatz Ein Gegenpol, lebendig, impulsiv, handfest im besten Sinn. Er denkt nicht nur über Kunst nach, er greift nach ihr, verschmilzt mit Material und Werkzeug, ein Mensch, der mit seiner Umgebung in eine Art physischer Resonanz tritt. Zwischen den beiden entsteht eine Freundschaft, die nicht idyllisch ist, sondern vibrierend; eine Beziehung, in der Nähe und Verrat, Inspiration und Verletzlichkeit von Anfang an mitschwingen.

Gerade weil Dius kein klassisch plotgetriebenes Buch ist, wirkt das, was geschieht, umso intensiver. Hertmans schildert ein Leben, das von Verlust, Erinnerung und dem Bedürfnis nach Nähe geprägt ist aber auch von dem Versuch, sich über Kunst und die Betrachtung der Welt neu zu verorten. Durch die kunsthistorischen Exkurse, die Musik und die Naturbeobachtungen entsteht ein Geflecht, das gleichzeitig poetisch, scharf und berührend ist. Es ist ein Buch über das Sehen im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Dius hat mich sehr berührt, und als Nächstes wartet nun Hertmans’ Krieg und Terpentin auf mich. Danke an Susanne vom Diogenes Verlag für ihre treffsichere Empfehlung und natürlich an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Dius war außerdem die Lektüre für meinen Read around the World Belgien Stop.

Kim, Monika – Das Beste sind die Augen erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag, übersetzt von Jasmin Humburg

Ich hatte mich durchaus auf Horror eingestellt – aber was Monika Kim in diesem Debüt abliefert, hat meine Vorstellung doch noch mal ordentlich übertroffen. Es geht um die koreanisch-amerikanische Schülerin Ji-won, die versucht, ihre Familie zusammenzuhalten, während sie sich gleichzeitig durch alltägliche Mikroaggressionen, Fetischisierung und unterschwelligen Rassismus kämpft. Und irgendwo auf diesem Weg kippt etwas in ihr – langsam, aber unaufhaltsam.


Ji-won ist keine Karikatur und keine reine Horrorfigur, sondern eine vielschichtige, verletzte, wütende junge Frau die irgendwann einen Weg wählt, der definitiv ins Dunkle führt. Und ja, es geht um Augen. Um das Essen von Augen. Um eine Obsession, die eng mit dem neuen Freund ihrer Mutter zusammenhängt, einem weißen Mann, der die Familie so unverhohlen exotisiert, dass es einem schon beim Lesen unangenehm wird.

Stark fand ich die Stellen, in denen Kim zeigt, wie unterschiedlich Rassismus aussehen kann: Der offensichtliche, laute Typ wie George – aber auch die Sorte, die sich hinter vermeintlichem „Ich bin doch einer von den Guten“ versteckt. Diese leisen, schmierigen, hohlen Gesten, die sich erst später als echte Gefahr entpuppen.

Männer wie George sind nicht wie wir. Nicht wie ich, nicht wie Ji-hyun. Nicht einmal mein Vater, ein anderer Mann, kann George das Wasser reichen, da seine Macht nicht allein der Tastsache entspringt, dass er einen Penis hat. Sie basiert auf seiner weißen Haut. Für uns ist diese Art der Bestimmtheit und Selbstsicherheit unmöglich. Uns Mädchen wird von klein auf eingebläut, dass wir nachweislich weniger wert sind als unsere männlichen Zeitgenossen. Wir sind kleiner, schwächer, dümmer. Wenn wir Erfolg haben, dann nur, weil Männer es uns erlauben. Und als asiatische Frauen sind wir besonders machtlos und fremdartig, mit unserer vermeintlichen Porzellanhaut, der zierlichen Figur, der „Schlitzaugenpussy“ und dem ruhigen, unterwürfigen Naturell.

Allerdings wirken einige der Charaktere ziemlich schablonenhaft und bestimmte Wendungen waren schon früh vorhersehbar. Noch eine Warnung: wer empfindlich auf Splatter reagiert, sollte sich auf etwas gefasst machen. Einige Szenen gehen wirklich an die Grenze selbst mir wurde es zwischendurch mulmig und so ganz schnell geht das bei mir eigentlich nicht.

„Das Beste sind die Augen“ ist mutig, ungewöhnlich und wagt eine Perspektive, die man so selten liest. Ji-wons Abstieg ist verstörend, aber zugleich auch nachvollziehbar erzählt und weckt sogar stellenweise Mitgefühl. Und ganz ehrlich: Wenn wir seit Jahrzehnten empathisch erzählte Serienkiller-Stories über weiße Typen lesen, dann ist es absolut an der Zeit, dass auch andere Stimmen diesen Raum bekommen.

Ich danke dem Kiepenheuer & Witsch Verlag für das Rezensionsexemplar.

Toller, Ernst – Eine Jugend in Deutschland erschienen im Rowohlt Verlag

Ernst Toller war ein Mensch, der das Wort „Humanität“ nicht nur schrieb, sondern lebte. Geboren 1893 in Samotschin, aufgewachsen in einer bürgerlich-jüdischen Familie, erlebte er als junger Mann den Ersten Weltkrieg an der Front – ein Erlebnis, das ihn zutiefst prägte und zum Pazifisten machte. Aus dem patriotischen Studenten wurde ein Suchender, ein Zweifler, ein Kämpfer für eine gerechtere, menschlichere Welt.

Sein autobiographisches Werk „Eine Jugend in Deutschland“ ist nicht nur Erinnerungsbuch, sondern ein erschütterndes, poetisches Bekenntnis. Toller beschreibt darin den Weg eines sensiblen, idealistischen Menschen, der den Krieg als Wahn erkennt und im Chaos der Nachkriegszeit versucht, durch Mitgefühl und Phantasie politische Verantwortung zu übernehmen.

In München wird er einer der führenden Köpfe der Räterepublik – nicht aus Machtstreben, sondern aus der Hoffnung heraus, eine neue, menschlichere Gesellschaft zu schaffen. Sein Leitsatz bleibt unverrückbar:

Wir kämpfen für eine gerechtere Welt, wir fordern Menschlichkeit, wir müssen menschlich sein.

Doch die Geschichte war grausam zu denen, die zu früh zu viel wollten. Nach dem Scheitern der Räterepublik wird Toller wegen Hochverrats zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Bedingungen sind entsetzlich – Hunger, Kälte, Isolation –, und doch entstehen in dieser Dunkelheit einige seiner hellsten Texte. In der Zelle schreibt er Antikriegsstücke wie „Masse Mensch“ und das zarte, tröstende „Schwalbenbuch“.

Zwei Schwalben fliegen vor mein Gitter,
sie bauen ihr Nest an der grauen Wand.
Ich sehe sie, wie sie fliegen und singen,
und mein Herz fliegt mit ihnen hinaus.

Diese Zeilen fassen alles, was Toller ausmacht: die Sehnsucht nach Freiheit, das Vertrauen in das Leben, selbst dort, wo es keine Hoffnung zu geben scheint.

Als er 1924 entlassen wird, ist er erst knapp dreißig Jahre alt – durch die Haft aber gealtert, innerlich wie äußerlich. Bis zu seiner Ausbürgerung 1933 schreibt er mehrere Dramen, in denen er die Fragen nach Verantwortung, Gewalt und Mitgefühl unermüdlich weiterstellt.

Im Exil – zunächst in England, dann in den USA – verliert er alles: seine Heimat, seine Sprache, seine Freunde, und zuletzt den Glauben, noch etwas bewirken zu können. 1939, in einem New Yorker Hotelzimmer, beendet er sein Leben – verlassen, bettelarm, und, wie er glaubte, überflüssig geworden.

Es ist eine bittere Wahrheit, dass Ernst Toller nach dem Krieg in der Bundesrepublik kaum Anerkennung fand. Die Bühnen, die ihn hätten ehren sollen, schwiegen. Dabei ist er ein Autor, dessen Werk – getragen von moralischem Mut und poetischer Zärtlichkeit – heute aktueller ist denn je.

„Eine Jugend in Deutschland“ ist ein Vermächtnis. Es ruft uns in Erinnerung, dass Menschlichkeit auch in Zeiten der Verzweiflung möglich bleibt, dass Widerstand ohne Hass denkbar ist. Toller war ein Dichter, ein Politiker, ein Idealist – und vor allem: ein Mensch, von deren Format wir heute mehr denn je brauchen.

Was waren eure Highlights im November und konnte ich euch auf das eine oder andere Buch Lust machen? Freue mich auf eure Rückmeldungen.

Februar Lektüre

Diesen Monat war ich überall: in Italien mit den Mann-Brüdern, in Israel mitten in einer moralischen Zwickmühle, in einem japanischen Teehaus mit Franka Potente – und sogar auf Großwildjagd im Kongo – ein Hörbuch, das mich völlig überrascht hat. Truman Capote nahm mich mit in ein sonniges Baumhaus. Mit Deniz Ohde sah ich den Industrieschnee fallen, und die poetischen Worte und Bilder von Robert Macfarlane und Jackie Morris ließen mich staunen.

Welche Bücher davon kennt ihr und welche landen vielleicht auf eure Leseliste?

Beteigeuze – Barbara Zeman erschienen im dtv Verlag

Barbara Zemans „Beteigeuze“ ist ein sprachgewaltiger Roman, der mich wirklich komplett in seinen Bann gezogen hat. Ich habe in den letzten Tagen quasi in dem Buch gewohnt. Ein Buch, das man nicht nur liest, sondern erlebt – funkelnd, irrlichternd, poetisch. So unfassbar wie schön. Ohne zu zögern habe ich ihm fünf Sterne gegeben, denn es ist ein Werk, das auf eine Weise leuchtet, die in der Literatur selten geworden ist.

Beteigeuze, der rote Riesenstern im Sternbild Orion, trägt den Hauch der Vergänglichkeit in sich. Er ist ebenso flimmernd, poetisch und irrlichternd wie dieser Roman.

Das letzte Mal, dass ich ihn hier an dieser Stelle sah, da stand er höher. Rotes Scheibchen Beteigeuze, links unterhalb des Mondes. Wie ich mich auf den Winterhimmel freue. Da machen sich die Sterne in der Dunkelheit groß wie die Goldäpfel im Märchen, dass ich sie mir aus dem Himmel brocke und einen nach dem anderen verspeise, wenn ich denn einen essen will.

Wenn der rote Riese schließlich explodiert, wird der Himmel für Wochen in einem überirdischen Leuchten erstrahlen. Ein kosmischer Abgang, ein letztes Feuerwerk. Doch noch glimmt sein Feuer. Noch trotzt er der Dunkelheit. Und genau diese Vergänglichkeit, dieses Flackern und Leuchten spiegelt sich in Zemans Roman wider. Die Protagonistin Theresa Neges, deren Name übersetzt „Du solltest Nein sagen“ bedeutet, lebt in einer kleinen blauen Wohnung in Wien. Ohne festen Beruf, ohne Geld, mit einem Freund, den sie vielleicht liebt, aber nicht wirklich besitzt. In ihrem großen grauen Mantel streift sie durch die Stadt, legt sich im Hallenbad auf den Beckengrund und übt das Luftanhalten, sucht den Schwindel auf einem Karussell – sie möchte ins Leichte, ins Schwebende, näher an Beteigeuze, diesen brennenden Riesen, der ihr seit ihrer Kindheit vertraut ist.

Immer zärtlicher nimmt sie den Schnee wahr als etwas zur ihr Gehöriges. Ihre Adern, die sind winzige, eisig blaue Flüsse. Gefrierend knisternd. Und ihre Gedanken sind schwer, verlieren alle Schnelligkeit. Welch schöne Muster der Frost ihnen gibt. Wie von Zauberhand sind sie zu Kristallen gereiht.

Zeman schreibt nicht einfach eine Geschichte. Sie erschafft ein Sprachkunstwerk, aufgespannt zwischen Weltraum und Unterwasserwelt, zwischen Absturz und Schweben. Es funkelt in hell und dunkel, im Zentrum ein tanzender Stern. Die Sprache vibriert, schillert, greift nach den Lesenden. Es ist einer dieser seltenen Romane, bei denen es mir komplett egal ist, worum es geht – weil jeder einzelne Satz schon Grund genug ist, das Buch zu lieben. Barbara Zeman, geboren 1981 im Burgenland, lebt in Wien. Sie ist Historikerin, Journalistin und erhielt 2012 den Wartholzpreis. Ihr Debüt „Immerjahn“ erschien 2019, und mit einem Auszug aus „Beteigeuze“ war sie 2022 für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert.

Sie versteht es, mit Sprache umzugehen, wie es nur wenige tun. Ihre Sätze sind ein Kaleidoskop aus Bildern und Tönen, manchmal messerscharf, manchmal melancholisch verwaschen – eine Supernova von einem Roman.

„Beteigeuze“ ist ein Roman, der in mir nachglüht wie sein namensgebender Stern. Er schwankt zwischen Explosion und Erlöschen, zwischen Schönheit und Schmerz. Ein poetisches Meisterwerk, das man vermutlich entweder nach ein paar Seiten entnervt in die Ecke wirft oder feiert.

Die Grasharfe – Truman Capote erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Friedrich Podszus und Annemarie Seidel

Truman Capote war ein Meister der poetischen Prosa, ein Schriftsteller, der mit wenigen Worten ganze Welten erschaffen konnte. Sein Roman „Die Grasharfe“ ist ein gutes Beispiel dafür. Capote, bekannt für Werke wie „Frühstück bei Tiffany“ und „Kaltblütig“, schöpft hier aus seinen eigenen Erinnerungen an seine Kindheit im Süden der USA. Der Roman trägt eine autobiografische Note, denn Collin Fenwick, der Erzähler, weist deutliche Parallelen zu Capotes eigenem Werdegang auf: ein vaterloser Junge, der bei exzentrischen Verwandten aufwächst und in der Natur eine Zuflucht findet.

Dieses kleine Buch ist ein sonnendurchfluteter Spätsommerroman, voller Nostalgie und Lebensweisheit. Es erzählt die Geschichte von Dolly Talbo, einer sanften, intuitiven Frau, die sich von ihrer dominanten Schwester Verena abwendet, um mit ihrer Catherine, die sie ein Leben lang begleitet sowie ihrem Neffen Collin in einem Baumhaus Zuflucht zu suchen. Sie werden bald von zwei weiteren Außenseitern begleitet: Riley Henderson, ein draufgängerischen Jungen aus der Stadt, und Richter Charlie Cool, einem alten Mann, der nach einem Leben voller Urteile endlich Freiheit sucht. Gemeinsam bilden sie eine provisorische Familie, eine Gemeinschaft jenseits gesellschaftlicher Zwänge.

Was mich an Die Grasharfe am meisten berührt hat, ist die Atmosphäre. Capote gelingt es, die Natur als einen lebendigen, atmenden Raum darzustellen – ein Ort des Friedens, aber auch der Erkenntnis. Die leise flüsternden Grashalme, die Titel gebende „Grasharfe“, scheinen Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen, Geschichten von Verlorenen und Suchenden. Es ist ein Buch über Zugehörigkeit, über Liebe und die Wahl, seinen eigenen Weg zu gehen. Dabei bleibt die Erzählung immer leicht, schwebend, durchzogen von einem feinen Humor, aber auch von einer tiefen Melancholie.

Es war ein Schiff, und wenn man dort oben saß, konnte man die wolkengesäumten Küsten aller Träume entlangsegeln.

Jedes Wort dieses kleinen Romans ist mit Bedacht gewählt, jeder Satz trägt eine poetische Kraft. Man spürt man die Wehmut in jeder Zeile. Man möchte wieder Kind sein, durch Felder streifen, sich in den Ästen eines Baumes verstecken und den Stimmen der Natur lauschen. Der Roman ist kein großes Drama, kein aufwühlendes Epos – er ist eine kleine stille Meditation über das Leben und die Menschen, die es prägen. Dennoch bleibt er spannend, weil Capote es versteht, dass die Leser*innen sich den Figuren verbunden fühlen. Besonders Dolly ist eine sehr faszinierendste Figur, herzlich mit einer fast tiefen Verbindung zur Natur. Es gibt eine Szene, in der Collin beschreibt, wie Dolly das Wetter vorhersagen, Pilze und Wildhonig finden und die süßesten Früchte aufspüren kann – als wäre sie selbst ein Teil des Waldes. Diese sanfte Weisheit ist es, die sie so unvergesslich macht.

Während Capote oft mit seinen düsteren Reportagen und Charakterstudien in Kaltblütig oder Frühstück bei Tiffany in Verbindung gebracht wird, zeigt er hier seine lyrische Seite. Es war sein zweiter Roman und sein erster kommerzieller Erfolg. Die Grasharfe liest sich fast wie ein langes Gedicht, voller Bilder, die nachhallen. Und ja – es macht Lust, ein Baumhaus zu bauen, einen Ort der Freiheit zu schaffen, an dem man den Zwängen der Welt entfliehen kann.

Wer dieses Buch liest, sollte sich Zeit nehmen. Es ist kein Roman, den man hastig konsumiert. Er will in der Sonne gelesen werden, mit dem Wind in den Haaren und dem Rascheln der Blätter im Hintergrund. Es ist ein literarisches Kleinod, das von Freiheit, Freundschaft und den Geschichten erzählt, die in uns weiterleben.

Längst fällige Verwilderung – Simone Lappert erschienen im Diogenes Verlag

In Simone Lapperts Lyrik vermoosen Gedanken und leuchtet der Mond siliziumhell. Die Liebe schmeckt nach Quitte, die Katastrophe nach Erdbeeren, und die Dichterin fragt sich, fragt uns: ›sag, wie kommt man noch gleich ohne zukunft durch den winter?‹ Gedichte über Aufbrüche, Sehnsüchte, Selbstbestimmung und die fragile Gegenwart. Alle Sinne verdichten sich, aller Sinn materialisiert sich in diesen Texten voller Schönheit, Klugheit und Witz.

Ein sehr schöner Gedichtband, den ich gerne gelesen habe. Habe noch zwei Romane im Regal stehen von Simone Lappert, auf die freue ich mich jetzt noch mehr. Eine Autorin die wunderbar mit Sprache spielen kann, die einen Gedichtband verfasst hat, den ich vielleicht auch Leuten in die Hand drücken würde, die sich sonst nicht wirklich an Lyrik herantrauen. Wirklich schön.

Teufels Bruder – Matthias Lohre erschienen im Piper Verlag

Matthias Lohres Roman „Teufels Bruder“ ist die Geschichte über die beiden Brüder Thomas und Heinrich Mann, die gemeinsam eineinhalb Jahre in Italien verbringe. Das wird nicht nur spannend, sondern auch atmosphärisch dicht erzählt und es scheint so viel italienische Sonne durch den Roman, man möchte direkt los reisen.

Lohre gelingt es unwahrscheinlich gut, historische Fakten mit literarischer Fiktion zu verweben. Er zeichnet die Beziehung der beiden Brüder in all ihren Facetten: die Rivalität, die Bewunderung, die unterschiedlichen Lebensentwürfe. Heinrich, der ältere, bereits als Schriftsteller anerkannte Bruder, der sich in die Schauspielerin Lina verliebt, und Thomas, der suchende, schwankende jüngere Bruder, der sich immer wieder in seiner Faszination für einen lockigen melancholischen Jüngling verliert. Gerade diese Passagen fand ich anfangs faszinierend, irgendwann aber etwas zu ausschweifend. Das ständige Hinterherschleichen und die intensiven Grübeleien hätten für meinen Geschmack etwas gestrafft werden können – aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Was Lohre besonders gut macht, ist die psychologische Tiefe seiner Figuren. Thomas Mann wird nicht als der überlebensgroße Literat dargestellt, sondern als junger Mensch, der seinen Platz in der Welt sucht, zwischen bürgerlichen Erwartungen und künstlerischer Ambition. Man spürt seinen inneren Zwiespalt, die Bewunderung für den älteren Bruder, die Unsicherheit, das Staunen über die eigene wachsende Schaffenskraft. Dass diese Reise nicht nur einen literarischen, sondern auch einen persönlichen Wendepunkt für ihn darstellt, wird immer deutlicher, je weiter der Roman voranschreitet.

Heinrich leerte sein Glas in wenigen Zügen und ließ sich den Weg zu den Waschräumen zeigen. Auch wenn der Verlegersohn nur aussprach, wovon er selbst überzeugt ar, war dessen Gestus doch anstössig. Junior schien unter der Schlechtigkeit der Menschen nicht zu leiden, sondern sie zu genießen.

Die Atmosphäre des südlichen Italiens fängt Lohre hervorragend ein. Man fühlt sich in die Hitze Neapels versetzt, hört das geschäftige Treiben Roms und spürt die Melancholie Venedigs. Gerade die Szenen in Palestrina, wo Thomas Mann dem „Bösen schlechthin“ begegnet, haben eine fast unheimliche Intensität. Es bleibt unklar, was genau dort geschah, aber die Andeutungen reichen aus, um die Schwere dieses Erlebnisses zu erahnen.

Besonders gelungen fand ich die literarischen Bezüge. Wer Thomas Manns Werk kennt, wird hier viele Motive und Anklänge wiederfinden – sei es an „Buddenbrooks“, „Tod in Venedig“ oder „Doktor Faustus“. Doch auch ohne Vorkenntnisse funktioniert der Roman, denn Lohre erzählt eine eigenständige Geschichte, die sich nicht in literarischen Anspielungen verliert, sondern ihre ganz eigene Kraft entfaltet.

Insgesamt ist „Teufels Bruder“ ein großartiger Roman, der sowohl als fiktionale Biografie als auch als eigenständige Erzählung überzeugt. Er hätte vielleicht 100 Seiten kürzer sein können, aber das ändert nichts daran, dass ich ihn sehr mochte. Eine klare Leseempfehlung und ich möchte nach „Felix Krull“ das mich letztes Jahr so begeistert hat dieses Jahr unbedingt die „Buddenbrooks“ lesen. Lohre hat mir da echt Lust drauf gemacht.

Antarctica – Claire Keegan auf deutsch unter dem Titel „Wo das Wasser am tiefsten ist“ im Steidl Verlag erschienen

Mit Claire Keegans Debüt Kurzgeschichten Band bin ich überhaupt nicht warm geworden. Die erste titelgebende Geschichte war krass, sehr düster und an die denke ich immer noch. Alle anderen haben nicht gefunkt bei mir und sind irgendwie alle ineinander geflossen. Ich mochte ihren Schreibstil, möchte auch gerne noch einen ihrer Romane lesen, aber bei den Kurzgeschichten bin ich raus.

Hat einer von euch etwas von Claire Keegan gelesen? Welchen Roman würdet ihr empfehlen?

Löwen wecken – Ayelet Gundar-Goshen erschienen im Kein & Aber Verlag übersetzt von Ruth Achlama

Der Roman den ich für den Stopp in Israel auf meiner literarischen Weltreise gelesen habe. Meine Rezension dazu könnt ihr hier nachlesen.

Zehn – Franka Potente erschienen im Piper Verlag

Wir hatten ein paar wirklich graue Tage in München und irgendwann habe ich beschlossen eine kleine „Reise nach Japan“ zu unternehmen und unser wunderschönes japanisches Teehaus zu besuchen. Entsprechende Reiselektüre habe ich auch eingepackt und Franka Potentes Kurzgeschichten haben mich gut unterhalten. Zehn feine kleine Geschichten mit Beobachtungen aus dem japanischen Alltag, viel Augenmerk auf Essen und Heizgeräte 😉

Besonders gern mochte ich die erste Kurzgeschichte „Götterwinde“ über eine Frau die einen Laden für handgemachte Fächer hat und eine besondere Begegnung mit einem Kunden hat. Perfekte Begleitlektüre für meinen Ausflug.

Streulicht – Deniz Ohde erschienen im Suhrkamp Verlag

Industrieschnee markiert die Grenzen des Orts, eine feine Säure liegt in der Luft, und hinter der Werksbrücke rauschen die Fertigungshallen – Deniz Ohde entwirft in ihrem Debütroman Streulicht eine Kulisse, die mir seltsam vertraut ist. Ich bin und bleibe wohl eine Identifikationsleserin. Und selten habe ich mich einer Protagonistin so nahe gefühlt wie hier.

Ohde erzählt von einer jungen Frau, die in einem westdeutschen Arbeiterhaushalt aufwächst, deren Vater tagein, tagaus Aluminiumbleche beizt, deren Mutter irgendwann ihre Koffer packt und verschwindet, deren Großvater an seiner eigenen Stille und Unbeweglichkeit fast erstickt. Sie erzählt von einem Mädchen, das sich in einem Bildungssystem behaupten muss, das Chancengleichheit verspricht, aber (unsichtbare) Hürden aufbaut, die für manche kaum zu überwinden sind. Vom frühen Schulabbruch, von der Anstrengung, sich durchzukämpfen, von der Angst, nicht zu genügen, und der Scham, wenn man doch immer wieder zurückverwiesen wird auf den Platz, den andere für einen vorgesehen haben.

Ich kenne dieses Gefühl so gut. Es ist das Gefühl, mit jedem Schritt, den man geht, gegen eine unsichtbare Wand zu laufen. Das Gefühl, dass der eigene Hintergrund sich wie ein bleierner Schatten über alle Ambitionen legt. Deniz Ohde hat es geschafft, all das in eine Sprache zu fassen, die so unfassbar präzise ist, dass man das Gefühl hat sich manchmal blutige Schrammen zu holen. Ihre Sätze sind zurückgenommen und gleichzeitig eindringlich, jede Beobachtung sitzt, jedes Detail erzählt eine eigene Geschichte.

Und während ich lese, denke ich auch zurück. Ich bin nicht schaumgeboren, sondern ölofendunstgeboren. Der Geruch, der mich sofort in meine Kindheit zurückkatapultiert, ist der von Öl, das aus der Kanne in den Ofen gegossen wird. Dieser alles durchdringende, stechende Geruch, der nicht nur im Keller bei den riesigen Öltanks vorherrschte, sondern sich auch in unser Essen schlich. Denn meine Oma lagerte aus Platzmangel unsere Vorräte im Keller – Kartoffeln, Karotten, Kohl, direkt neben den Tanks.

Der eingebaute Schrank, in dem die Ölkannen standen. Heizungsölgeruch in den Klamotten und immer die Sorge, andere können das an einem riechen. Wir lebten in einer Reihe von vier Mietskasernen, doch nur unsere Reihe hatte keine Heizung. Sie war für die Aussiedler und Flüchtlinge vorgesehen. Heute sind es Eigentumswohnungen – ein absurdes Schicksal für diese Bauten, oder? Krass, wie sehr die Orte, in denen wir aufwachsen, uns formen, wie tief sich ihre Geschichten in unsere Körper einschreiben.

Ohde beschreibt diese Welt ohne Pathos, aber mit einer Wahrhaftigkeit, die manchmal schwer auszuhalten ist. Sie zeigt, was es bedeutet, wenn Herkunft nicht nur eine Tatsache, sondern ein Stigma ist. Wie Klassismus sich in feinen, kaum sichtbaren Rissen im Selbstbewusstsein eingräbt. Wie er sich als verinnerlichte Abwertung manifestiert – und wie schwer es ist, sich davon zu befreien. Und dann sind da noch die anderen Linien der Ausgrenzung: subtiler Rassismus, Armut, psychische Krankheiten, alles ineinander verschränkt, alles spürbar in jeder Begegnung, jedem Blick, jeder Geste.


Wenn einem etwas angetan wird, dann ist er nicht selbst schuld daran; wenn einer in einem System versagt, das von vornherein auf sein Versagen angelegt ist, liegt die Schuld nicht bei ihm. Für wen ist das Netz gebaut. Für wen ist es ein Fangnetz, und für wen ist der Abgrund darunter bestimmt.

Ich habe diesen Roman nicht nur gelesen – ich habe ihn durchlebt. Ich saß mit der Protagonistin im Klassenzimmer und habe die Lehrer verflucht, ich sah mit ihr auf den Industriepark mit seinen hohen Schloten, ich spürte ihre Resignation auf meinen eigenen Schultern lasten. Und ich ging mit ihr mühevolle Schritte mit dem Gefühl, falsch zu sein, selbst schuld zu haben, durchs Raster gefallen zu sein – in einem Land, das gleiche Bildungschancen proklamiert.

Deniz Ohde hat meinen tiefsten Respekt für diesen Roman. Es ist eine Geschichte, die bleiben wird, weil sie nicht nur erzählt, sondern auch entblößt. Weil sie einen nicht nur an die Hand nimmt, sondern einem auch einen Spiegel vorhält. Und weil sie mich – und sicher viele andere – an Dinge erinnert, die sonst oft unsichtbar bleiben. Ich bin gespannt auf alles, was sie noch schreiben wird. Denn wenn Streulicht eines bewiesen hat, dann das: Es gibt Literatur, die uns nicht nur etwas über andere erzählt, sondern uns mit jedem Wort mehr über uns selbst verrät. Was für ein Roman!

Die verlorenen Wörter – John Macfarlene & Jackie Morris erschienen bei Naturkunden im Matthes & Seitz Verlag, übersetzt von Daniela Seel

Es gibt Bücher, die man liest, bewundert und dann wieder ins Regal stellt. Und es gibt Bücher wie „The Lost Words/Die verlorenen Wörter“ von Robert Macfarlane und Jackie Morris, die man nicht nur liest, sondern immer wieder zur Hand nimmt, weil sie einen ganz tief berühren. Dieses Buch ist mehr als eine Sammlung von Versen und Illustrationen – es ist ein Zauberbuch, das verlorene Worte und damit verlorene Welten zurückruft.

Die Geschichte hinter diesem Buch ist ein bißchen traurig, hat enthält aber auch einen Hauch Hoffnung: Als das Oxford Junior Dictionary 2007 Wörter wie „Eichel“, „Dachs“ und „Königsfischer“ strich, um Platz für Begriffe wie „Broadband“ und „Voicemail“ zu machen, war das ein bezeichnendes Zeichen unserer Zeit. Ein Kind, das keine Worte für die Natur hat, verliert nicht nur die Fähigkeit, sie zu benennen, sondern auch, sie wirklich wahrzunehmen. Sprache formt unsere Vorstellungskraft, und wenn uns die Worte für das Wilde, das Ursprüngliche fehlen, wird es Stück für Stück unsichtbar.

Macfarlane und Morris haben darauf mit einer poetischen „Rebellion“ geantwortet. Sie haben nicht einfach ein Kinderbuch geschaffen – sie haben eine Sammlung von „Zaubersprüchen“ geschrieben, Verse, die die verlorenen Worte zurückholen und ihnen neues Leben einhauchen. Jackie Morris’ Illustrationen sind wunderschön, detailverliebt und von einer tiefen Liebe zur Natur durchdrungen. Würde so gerne so zeichnen können! Jedes Bild, jede Seite ist ein kleiner Zauber, der die Magie der Sprache und der Wildnis feiert.



Ja, es ist eigentlich ein Kinderbuch – aber es weckt eine tiefe Sehnsucht nach der Natur, egal wie alt man ist. „Die verlorenen Wörter“ sollte vielleicht vom Arzt als Antidepressiva verschrieben werden, als Gegenmittel gegen Doom-Scrolling, Betontristesse und die allgemeine Entzauberung der Welt.

Dieses Buch zaubere ich jetzt in jedes Klassenzimmer, jede Bibliothek, jedes Zuhause. Es ist eine Einladung, die Natur wieder zu entdecken. Denn nur was wir benennen können, können wir auch lieben. Und nur was wir lieben, werden wir bewahren.

Geschafft! Was waren eure Februar Highlights? Freue mich von euch zu hören!

Sonnige Juni Lektüre

Der Juni war literarisch gesehen ein ausgezeichneter Monat. Viele spannende, interessante und bereichernde Bücher haben mich begleitet. Anfang Juni waren wir noch in England unterwegs, und die Reiseberichte aus Cornwall, Devon sowie Bath und Oxford werden bald folgen.

Hier wieder im Schnelldurchlauf die gelesenen Bücher aus dem Juni in alphabetischer Reihenfolge. Bin wie immer gespannt. Welche kennt ihr? Wie fandet ihr sie? Auf welche konnte ich euch neugierig machen?

Über die Berechnung des Rauminhalts I/Om udregning af rumfang #1 – Solvej Balle aus dem dänischen übersetzt von Peter Urban-Halle, erschienen im Matthes & Seitz Verlag

In „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ von Solvej Balle, meisterhaft aus dem Dänischen von Peter Urban-Halle übersetzt, wird die Geschichte von Tara Selter erzählt, einer Buchhändlerin, die nach dem Besuch einer Antiquariatsmesse in Bordeaux in eine mysteriöse Zeitschleife gerät. Während der Rest der Welt, einschließlich ihres Mannes Thomas, den 18. November immer wieder neu erlebt, ist Tara gefangen in einer ständigen Wiederholung dieses Tages. Diese einzigartige Prämisse bietet Balle die Möglichkeit, tief in die Mechaniken und die Monotonie einer solchen Zeitschleife einzutauchen und gleichzeitig eine ungewöhnliche Liebesgeschichte zu erzählen.

Obwohl Geschichten, die auf dem „Groundhog Day“-Prinzip beruhen, mich durch ihre Wiederholungen oft in den Wahsinn treiben, hat mich Balles Werk erstaunlicherweise komplett gefesselt. Die Ruhe und Poesie ihrer Sprache verleihen der Erzählung eine meditative Qualität, die mich sofort gepackt hat und auch tief bewegend ist. Der Text strahlte eine leise, Melancholie aus, die sich sehr mit meiner aktuellen inneren Wetterlage deckt.

„Das plötzliche Gefühl etwas Unerklärliches zu teilen, die Verwunderung, dass es den anderen gibt – den Menschen, der alles so einfach macht -, das Gefühl, Ruhe gefunden zu haben und gleichzeitig in Turbulenz versetzt worden zu sein.“

Balle beschreibt nicht nur die äußere Wiederholung, sondern auch die innere Entwicklung von Tara. Während die ersten sechzig Tage des „Schwindels“ für Tara noch eine Art Freiheit darstellen, beginnt sie allmählich die Konsequenzen ihrer Situation zu erkennen. Die Zeit bleibt für Thomas stehen, während Tara altert und sich verändert. Diese Diskrepanz führt zu einer schmerzhaften Distanz zwischen den beiden, die zuvor so innig miteinander verbunden waren. Die Beziehung des Paares wird auf eine harte Probe gestellt, als Tara zunehmend versessen darauf wird, aus der Zeitschleife auszubrechen.

Ein weiteres bemerkenswertes Element ist die Art und Weise, wie Balle die Protagonistin und den Leser dazu zwingt, eine besondere Sensibilität für Details zu entwickeln. Die repetitive Natur der Erzählung lenkt den Fokus auf die Feinheiten des Alltags und den Umgang mit der Umwelt.

Es entsteht eine „existenzielle Parabel“, die nicht nur die stille Panik der Heldin einfängt, sondern auch eine tiefere Reflexion über das menschliche Dasein anstößt.

Die Übersetzung von Peter Urban-Halle fängt den rhythmischen und tastenden Balle-Sound nahezu verlustfrei ein, was wesentlich zur Wirkkraft des Romans beiträgt. Minimalistisch und doch mit einem großen literarischen Rhythmusgefühl schafft es Balle, die stille Panik und die innere Zerrissenheit ihrer Protagonistin darzustellen.

Besonders spannend finde ich, dass „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ nur der erste Band eines groß angelegten siebenbändigen Romanprojekts ist. Ich freue mich schon sehr auf die weiteren Bände. Balle hat mit diesem Werk nicht nur die Fiktion von der Wirklichkeit befreit, sondern auch eine faszinierende Geschichte über Zeit, Veränderung und Liebe geschaffen.

Insgesamt hat mich „Über die Berechnung des Rauminhalts I“ tief beeindruckt und berührt. Es ist ein Buch, das trotz seiner repetitiven Struktur eine meditative Ruhe ausstrahlt und den Leser in eine poetische Welt voller leiser Melancholie entführt. Solvej Balle hat ein Meisterwerk geschaffen, das die Mechaniken der Zeit auf faszinierende Weise erkundet und dabei eine ungewöhnliche und berührende Liebesgeschichte erzählt.

Schlafen – Theresia Enzensberger erschienen im Hanser Verlag

Theresia Enzensbergers Buch ist ein philosophischer Streifzug durch die Nacht – und eine persönliche Erkundung der Schlaflosigkeit. Als langjährige, eigentlich lebenslange Schlaflosigkeitsveteranin weiß ich, wovon ich spreche, und man kann meiner Empfehlung hier vertrauen: Dieses Buch ist großartig und eine ganz große Empfehlung.

Enzensberger beginnt in der zähneknirschenden Leichtschlafphase mit einem Essay über die Moralisierung von Schlaf, Traum als politische Metapher und die Folgen allgemeinen Schlafmangels. Schlaf wird hier als gesellschaftlich und politisch aufgeladener Zustand dargestellt, der oft als persönliches Versagen gewertet wird, obwohl er viele komplexe Ursachen haben kann.

Fast unmerklich wird der Text in der Tiefschlafphase privater und innerlicher. Enzensberger eröffnet eine intensivere, persönlichere Sicht auf die Welt, die Kunst und die Literatur, indem sie ihre eigenen Erfahrungen mit Schlaflosigkeit reflektiert und mit den Gedanken anderer Künstler und Denker verknüpft. Diese Phase wirkt wie ein stilles Gespräch mit dem Leser, in dem Enzensberger ihre tiefsten Gedanken und Gefühle teilt.

Der Traum und die REM-Phase sind die Momente, in denen Enzensberger den Raum des Realen verlässt und etwas Neues wagt. Hier wird das Buch besonders spannend, da sie beginnt, die Essenz eines menschlichen Grundbedürfnisses zu begreifen, das sich unserer Macht entzieht. Sie nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Welt der Träume und zeigt, wie diese unsere Wachwelt beeinflussen und widerspiegeln.

Enzensbergers Buch ist nicht nur eine persönliche Erzählung, sondern auch eine gesellschaftskritische Analyse. Sie zeigt, wie Schlaflosigkeit in unserer modernen Gesellschaft oft pathologisiert wird und welche wirtschaftlichen und politischen Interessen dahinterstehen. Der Leser erfährt, wie Schlafmangel genutzt wird, um gesellschaftliche Strukturen zu stützen, und wie dies unsere Wahrnehmung und Behandlung von Schlaflosigkeit beeinflusst. Enzensberger bietet aufschlussreiche Perspektiven zur Pathologisierung der Insomnie.

„Ich habe Phasen. Manchmal gleiche ich wochenlang einer Person, die von all diesen Problemen noch nie gehört hat – ich lege mich hin, mache die Augen zu und bin weg. Dann aber kommt verlässlich eine insomnische Phase. Es ist unmöglich, vorher zu wissen, wie lange sie dauern wird, aber immer ist sie gekennzeichnet durch nächtelanges Wachliegen und ein paar Stunden gnädigen Schlafs am Morgen. An Tag drei oder vier setzt die Verzweiflung ein, es wird immer schwieriger zu funktionieren. Meine Gedankenwelt wird obsessiv und panisch, und mich verfolgt die irrationale Frage: Was, wenn ich nie wieder schlafen kann?“

Schlaf wird nur dann gewürdigt wird, in unserer kapitalistischen Gesellschaft, wenn er die Arbeitskraft wiederherstellt; ansonsten wird er herabgewürdigt, auch sprachlich. Diese Gedanken sind nicht ganz neu, aber sie sind dennoch relevant und gut in den Kontext der modernen Gesellschaft eingebettet.

Zusammenfassend ist Theresia Enzensbergers Buch eine tiefgründige, fürsorgliche und bewegende Auseinandersetzung mit einem Thema, das viele Menschen betrifft, aber selten so ehrlich und umfassend behandelt wird. Ihre klugen Beobachtungen und persönlichen Einblicke machen das Buch zu einer wertvollen Lektüre für alle, die sich mit Schlaflosigkeit auseinandersetzen – sei es aus persönlicher Erfahrung oder aus Interesse an den gesellschaftlichen und philosophischen Implikationen.

Leben auf dem Land/A Country Year – Sue Hubbell übersetzt von Barbara Heller erschienen im Diogenes Verlag

„Leben auf dem Land“ von Sue Hubbell, aus dem Amerikanischen von Barbara Heller übersetzt und ergänzt durch ein Vorwort der Autorin sowie ein Nachwort von Literatur-Nobelpreisträger J.M.G. Le Clézio, ist ein charmantes und informatives Buch über das Landleben und die faszinierende Welt der Natur. Sue Hubbell, die einst als Bibliothekarin arbeitete und später zur Bienenzüchterin wurde, nimmt uns mit auf ihre Reise in die Ozark Mountains im südlichen Missouri, wo sie nach dem Ende ihrer dreißigjährigen Ehe ein neues Leben beginnt.

Das Buch ist mehr als eine einfache Erzählung über das Landleben; es ist eine Liebeserklärung an die Natur mit einem feinen Sinn für Humor und einer beeindruckenden naturwissenschaftlichen Kenntnis. Sie beschreibt das Zusammenspiel von Bienen, Insekten, Pflanzen und anderen Tieren. Ihre Begeisterung für diese kleinen Wunder der Natur ist wirklich ansteckend. Wer hätte gedacht, dass sechzigtausend Bienen, die gleichzeitig ihre Flügel schlagen, einen sanften Wind erzeugen, oder dass Fledermäuse mit Nachtfaltern kommunizieren – ihren potenziellen Mahlzeiten?

„Alles in allem aber hat die Welt meinen Versuchen, sie zu retten, listig und vergnügt widerstanden.“

Hubbell’s Mischung aus persönlichen Erlebnissen und wissenschaftlichen Beobachtungen macht das Buch besonders lesenswert. Sie erzählt ehrlich und mit einem trockenen Humor von den Herausforderungen und Freuden des Lebens auf einer einsamen Farm. Ihre Beschreibungen sind authentisch und erfrischend ungekünstelt, was das Buch umso sympathischer macht. Anstatt das Landleben idyllisch zu verklären, zeigt sie es in seiner ganzen Realität – mit all seinen schönen, aber auch anstrengenden Seiten.

Die vielen Spinnen, die im Buch vorkommen, könnten manchen Lesern etwas zu viel sein, aber die Bienen machen echt Lust sich selbst mal mit der Imkerei zu beschäftigen (das ging mir bei „The Offing“ auch gerade so) – ein Zeichen?

The Lowland – Jhumpa Lahiri auf deutsch unter dem Titel „Das Tiefland“ im Rowohlt Verlag erschienen

Jhumpa Lahiris Roman „The Lowland“ hat mich tief beeindruckt und stellt ein weiteres Highlight in meinem herausragenden Lesejahr 2024 dar.

Many thanks to @leila.ganesan for being an absolute gorgeous book model 🙂

Der Roman entfaltet eine vielschichtige Geschichte, die sowohl persönliche als auch politische Dimensionen berührt. Lahiri erzählt von den Brüdern Udayan und Subhash, die in den 1960er Jahren in Kalkutta aufwachsen. Während der jüngere Udayan sich der radikalen Naxaliten-Bewegung anschließt, bleibt der ältere Subhash zurückhaltend und pragmatisch. Udayans Tod durch die Polizei markiert einen Wendepunkt, der das Leben beider Brüder und ihrer Familien nachhaltig prägt.

Die Beziehung zwischen Bela und ihrer Mutter Gauri ist besonders eindrucksvoll und komplex geschildert. Gauri, die schwangere Witwe Udayans, wird von Subhash geheiratet, um sie vor dem Druck der konservativen Familie zu schützen. Doch trotz dieser Rettung bleibt Gauri emotional distanziert und konzentriert sich auf ihre akademische Karriere. Bela wächst mit dem Gefühl des Verlusts und der Entfremdung auf, geprägt von der Abwesenheit und emotionalen Kälte ihrer Mutter. Lahiri gelingt es, diese Mutter-Tochter-Beziehung mit großer Sensibilität und Tiefe darzustellen, was mich nachhaltig beschäftigt hat.

Udayans Engagement in der Naxaliten-Bewegung und sein tragisches Ende verdeutlichen, wie politische Ideologien und Kämpfe das individuelle Schicksal und die Familienbande beeinflussen können. Subhashs Flucht in die USA und sein Versuch, ein ruhigeres, geordnetes Leben zu führen, kontrastieren stark mit Udayans leidenschaftlichem, aber zerstörerischem Engagement.

„Were her mother ever to stand before her, even if Bela could choose any language on earth in which to speak, she would have nothing to say. But no, that’s not true. She remains in constant communication with her. Everything in Bela’s life has been in reaction. I am who I am, she would say, I live as I do because of you.“

Lahiris Prosa ist dabei von einer melancholischen Schönheit geprägt, die die Schauplätze lebendig werden lässt. Die Beschreibungen der Küstenlandschaften Neuenglands und die Erinnerungen an die Lowlands Kalkuttas sind besonders eindrucksvoll und man hat sofort einprägsame Bilder im Kopf. Die narrative Struktur des Romans, die zwischen verschiedenen Zeiten und Perspektiven wechselt, verleiht der Geschichte eine besondere Tiefe und Vielschichtigkeit.

„The Lowland“ ist kein epischer Roman im herkömmlichen Sinne, sondern eher eine intime Erzählung über die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen und die tiefen Wunden, die politische Konflikte hinterlassen können. Die Charaktere wirken in ihrer Misere oft isoliert und gefangen in ihrer persönlichen Trauer. Besonders Gauri bleibt in ihrer undurchsichtigen Art faszinierend und rätselhaft.

Lahiri hat mit „The Lowland“ einen Roman geschaffen, der durch seine emotionale Intensität und die feinfühlige Darstellung komplexer familiärer Beziehungen besticht. Es ist ein Buch, das nachhallt und zum Nachdenken anregt, nicht nur über die Charaktere und ihre Schicksale, sondern auch über die größeren politischen und sozialen Zusammenhänge, in denen sie sich bewegen. Ein wahrhaft bemerkenswertes Werk, das meinen Lesehorizont in diesem Jahr bereichert hat und ganz sicherlich nicht der letzte Roman den ich von Jhumpa Lahiri lesen werde.

Up at the Villa – W. Somerset Maugham auf deutsch unter dem Titel „Oben in der Villa“ im Diogenes Verlag erschienen

„Up in the Villa“ von W. Somerset Maugham ist ein packender Kurzroman, der einen von Anfang bis Ende nicht loslässt. Die Geschichte spielt in den malerischen Hügeln über Florenz und dreht sich um Mary Leonard, eine junge englische Witwe, die vor einer wichtigen Entscheidung steht. Maugham zeigt hier wieder einmal seine meisterhafte Erzählkunst und sein Gespür für menschliche Abgründe und Schicksalswendungen.

Mary wird von einem reichen, älteren Freund um ihre Hand gebeten, zögert aber mit ihrer Antwort. Bei einer abendlichen Fahrt in die Hügel trifft sie auf einen gut aussehenden, aber verzweifelten deutschen Flüchtling. Diese Begegnung löst eine Kette von Ereignissen aus, die Marys Leben komplett auf den Kopf stellen. Innerhalb weniger Stunden muss sie sich mit Leidenschaft, Gewalt und moralischen Dilemmas auseinandersetzen.

Maughams klarer und flüssiger Schreibstil macht das Buch zu einem echten Pageturner. „Up in the Villa“ ist nicht nur eine Geschichte über Liebe und Verlangen, sondern auch über das flüchtige Glück und die schwierigen Entscheidungen im Leben.

W. Somerset Maugham, geboren 1874 in Paris, war ein vielseitiger Autor, der oft die dunkleren Seiten des menschlichen Lebens in seinen Werken thematisierte. Seine zahlreichen Reisen und vielfältigen Erfahrungen fließen in seine Geschichten ein und geben ihnen Authentizität und Tiefe.

Die Verfilmung des Romans aus dem Jahr 2000, unter der Regie von Philip Haas, fängt die Atmosphäre und die emotionalen Nuancen des Buches hervorragend ein. Kristin Scott Thomas glänzt in der Rolle der Mary und bringt die inneren Konflikte der Figur überzeugend zur Geltung. Der Film bleibt der Vorlage treu und ergänzt sie durch beeindruckende Bilder der toskanischen Landschaft.

„The Princess gave him another of those quiet smiling looks of hers in which there was the indulgence of an old rip who has neither forgotten nor repented of her naughty past and at the same time the shrewdness of a woman who knows the world like the palm of her hand and come to the conclusion that no one is any better than he should be.“

„Up in the Villa“ hat mich wirklich überrascht und begeistert. Es war mein erstes Buch von Maugham, aber sicher nicht mein letztes. Die spannende Geschichte und die tiefgründigen Charaktere machen Lust auf mehr von diesem großartigen Autor.

The Offing – Benjamin Myers auf deutsch unter dem Titel „Offene See“ im Dumont Verlag erschienen, übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Bin mir nie sicher, ob ich Dulcie sein möchte oder gerne eine Dulcie in meinem Leben hätte. Auch beim zweiten Lesen wieder so so schön. Auf dem Balkon sitzen, in Gedichtbänden blättern, Weißwein trinken und fluchen dass die Farbe von der Wand fällt – perfekt!

„There is poetry in silence but most of us don’t stop to hear it. They must talk, talk, talk, but say nothing because they are afraid of hearing their own heartbeat.

Let poetry and music and wine and romance guide the way. Let liberty prevail.“

Der junge Robert weiß schon früh, dass er wie alle Männer seiner Familie Bergarbeiter sein wird. Dabei ist ihm Enge ein Graus. Er liebt Natur und Bewegung, sehnt sich nach der Weite des Meeres. Daher beschließt er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, sich zum Ort seiner Sehnsucht, der offenen See, aufzumachen. Fast am Ziel angekommen, lernt er eine ältere Frau kennen, die ihn auf eine Tasse Tee in ihr leicht heruntergekommenes Cottage einlädt. Eine Frau wie Dulcie hat er noch nie getroffen: unverheiratet, allein lebend, unkonventionell, mit sehr klaren und für ihn unerhörten Ansichten zu Ehe, Familie und Religion. Aus dem Nachmittag wird ein längerer Aufenthalt, und Robert lernt eine ihm vollkommen unbekannte Welt kennen.

Das wurde ganz überraschend für mich ein richtiges Herzensbuch. Jede:r von uns braucht eine Dulcie im Leben. Ein Buch das ich ganz besonders in diesen dunklen Zeiten empfehlen kann. Es macht die Welt ein kleines bisschen besser.

Mit brennender Geduld/El cartero de Neruda – Antonio Skármeta übersetzt von Willi Zurbrüggen erschienen im Piper Verlag

Antonio Skármetas Roman „Mit brennender Geduld“ ist eine liebevolle Hommage an den großen chilenischen Dichter Pablo Neruda und erzählt die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft. Der junge Mario Jiménez, ein träumerischer Briefträger in dem kleinen Dorf Isla Negra, hat nur einen einzigen Kunden: den weltberühmten Dichter Neruda. Zwischen dem naiven Mario und dem erfahrenen Literaten entwickelt sich eine tiefe Freundschaft. Mit Hilfe von Nerudas Gedichten gewinnt Mario das Herz seiner geliebten Beatriz. Die beiden heiraten, und Neruda wird Pate ihres ersten Sohnes.

Die politische Lage in Chile spiegelt sich in der Geschichte wider. Nach Salvador Allendes Wahlsieg 1970 wird Neruda Botschafter in Paris und gewinnt 1971 den Nobelpreis für Literatur. Nach dem Militärputsch unter Pinochet kehrt Neruda zurück nach Chile, das in Terror und Gewalt versinkt. Auch Marios Welt zerbricht, und Neruda stirbt wenige Tage nach dem Putsch unter mysteriösen Umständen.

Der Roman ist poetisch und melancholisch, eine Feier der Poesie und des Lebens. Skármeta erzählt die Geschichte mit einer Intensität, die tief unter die Haut geht.

Der Roman wurde zweimal verfilmt, wobei die zweite Verfilmung „Il Postino“ von Michael Radford besonders bekannt und einer meiner absoluten Lieblingsfilme ist. Der Film verlegt die Handlung von Chile in die 1950er Jahre an die Amalfi Küste.

Der Film, der auf den Inseln Procida und Salina im Golf von Neapel gedreht wurde, begeistert mich durch seine malerische Kulisse und die bewegende Geschichte.

Als ich kürzlich während meines Pompeij Aufenthaltes in Sorrento war, bin ich überraschend auf das Wohnhaus von Beatrice gestossen 😉

Das Buch und der Film ergänzen sich wunderbar. Während das Buch tief in die chilenische Geschichte eintaucht, bietet der Film eine romantische Interpretation in einem wunderschönen italienischen Setting. Beide Versionen machen Lust darauf, Nerudas Gedichte wieder hervorzukramen und sich von ihrer Magie verzaubern zu lassen.

Hier mein Lieblingsgedicht von Neruda:

Tonight I can write the saddest lines.

Write, for example, ‚The night is starry and the stars are blue and shiver in the distance.‘

The night wind revolves in the sky and sings.

Tonight I can write the saddest lines.
I loved her, and sometimes she loved me too.

Through nights like this one I held her in my arms.
I kissed her again and again under the endless sky.

She loved me, sometimes I loved her too.
How could one not have loved her great still eyes.

Tonight I can write the saddest lines.
To think that I do not have her. To feel that I have lost her.

To hear the immense night, still more immense without her.
And the verse falls to the soul like dew to the pasture.

What does it matter that my love could not keep her.
The night is starry and she is not with me.

This is all. In the distance someone is singing. In the distance.
My soul is not satisfied that it has lost her.

My sight tries to find her as though to bring her closer.
My heart looks for her, and she is not with me.

The same night whitening the same trees.
We, of that time, are no longer the same.

I no longer love her, that’s certain, but how I loved her.
My voice tried to find the wind to touch her hearing.

Another’s. She will be another’s. As she was before my kisses.
Her voice, her bright body. Her infinite eyes.

I no longer love her, that’s certain, but maybe I love her.
Love is so short, forgetting is so long.

Because through nights like this one I held her in my arms
my soul is not satisfied that it has lost her.

Though this be the last pain that she makes me suffer
and these the last verses that I write for her.

Translation by W. S. Merwin

Nah genug weit weg – Antje Rávic Strubel erschienen im Wallstein Verlag

In „Nah genug weit weg“ nimmt uns Antje Rávik Strubel auf eine spannende Reise durch die Bedeutung von Orten in der Literatur mit. Strubel ist eine Autorin, die für ihre tiefgründigen und oft politisch angehauchten Romane bekannt ist. Ihre Geschichten entstehen meistens in fremden Gegenden, wo sie sich selbst nicht wiedererkennt – genau dort, wo die Orientierung fehlt und neue Sichtweisen entstehen können.

Bei ihren Lichtenberg-Poetikvorlesungen in Göttingen im Februar 2023 sprach Strubel über ihren kreativen Prozess. Sie erklärte, wie aus persönlichen Erfahrungen literarisches Material wird und wie sich diese Erfahrungen poetisch umsetzen lassen. Besonders spannend ist ihre Frage, wie politisch Literatur heutzutage sein kann oder sogar sein sollte.

Strubel ist überzeugt, dass Orte und Landschaften einen großen Einfluss auf Menschen und ihre Denkweise haben. Sie fragt sich, ob die konkrete Erfahrung eines Ortes auch die Art und Weise beeinflusst, wie ihre Figuren sprechen und handeln. Und was passiert eigentlich an den Übergängen zwischen verschiedenen Orten? Ihre Werke zeigen, dass manche Orte vielleicht nur deshalb existieren, weil jemand über sie geschrieben hat – eine ziemlich interessante Idee.

„Und mit Virginia Woolf ließe sich hinzufügen: „Als Frau habe ich kein Land. Als Frau ist mein Land die ganze Welt“ Besitz, Herkunft, familäre Zugehörigkeit taugten nicht als Kriterien, um die Beziehung von Frauen zu Orten zu beschreiben. Frauen besaßen nichts, und wenn sie heirateten, tauschten sie den Wohnsitz der Herkunftsfamilie gegen den des Mannes. Sie wurden verschickt.
Wer aber kein Land hat, hinterlässt auch keine Spuren. Da ist keine feste Burg, in der man sich verschanzen, keine Mauern, denen etwas einprägt, keine Erde, der etwas eingepflanzt werden könnte, auf der man etwas hinterlässt.“

„Ein Holzhaus aus der Jahrhundertwende. Eine Schäreninsel. Ein Schiff. Ein Plattenbau. Felsen und Moore.“ Diese Orte haben für Strubel eine besondere Bedeutung und prägen ihre Geschichten. Sie lässt uns darüber nachdenken, wo wir uns selbst beim Schreiben oder Lesen befinden.

„Nah genug weit weg“ ist ein faszinierender Einblick in Strubels kreative Welt und zeigt, wie Orte nicht nur Kulisse, sondern auch Motor für Geschichten sein können.

Lichte Tage/Tin Man – Sarah Winman übersetzt von Elina Baumbach erschienen im Klett-Cotta Verlag

„Lichte Tage“ von Sarah Winman, im Klett-Cotta Verlag erschienen und von Elina Baumbach ins Deutsche übersetzt, ist ein wunderbares Buch, das mich sehr berührt hat. Es erzählt eine Geschichte über Freundschaft, Liebe und das Erwachsenwerden, die gleichzeitig melancholisch und voller Licht ist. Ich habe das Buch gelesen, weil ich dringend mehr lichte Tage brauchte, und es hat seinen Auftrag definitiv erfüllt.

Alles beginnt mit einem Gemälde: „Fünfzehn Sonnenblumen“ von Van Gogh. Dora Judd, eine Nebenfigur im Roman, hängt es an die Wand ihres Wohnzimmers und damit nimmt die Geschichte ihren Lauf. Dieses Bild wird zum Symbol für die Sehnsucht nach Kunst und Schönheit, die Ellis und Michael durch ihr ganzes Leben begleitet.

Ellis und Michael lernen sich in Oxford kennen, einem eher grauen und tristen Ort, aus dem sie beide entfliehen wollen. Ihre Freundschaft ist sofort tief und besonders, und gemeinsam machen sie sich auf den Weg in den sonnigen Süden Frankreichs. Dort, unter der warmen Sonne und umgeben von Poesie, entdecken sie, wer sie wirklich sind und was sie vom Leben wollen. Diese Reise ist nicht nur eine Flucht vor ihrem Alltag, sondern auch eine Suche nach sich selbst und nach Freiheit.

„Die erste Liebe hat so etwas an sich, nicht wahr?“ sagte sie. „Sie ist unantastbar für die, die nicht dabei waren. Aber sie ist der Maßstab für alles, was kommt.“

Im ersten Teil des Buches erfahren wir viel über Ellis. Er ist mittlerweile 46 Jahre alt und arbeitet in einer Autowerkstatt in Oxford. Seine Träume, Künstler zu werden, wurden nach dem Tod seiner Mutter von seinem strengen Vater zerschlagen. Jetzt ist er ein einsamer Mann, der immer noch um seine verstorbene Frau trauert. Seine Erinnerungen an die Vergangenheit sind sowohl schmerzhaft als auch schön.

Im zweiten Teil wechselt die Perspektive zu Michael. Er erzählt von seinem Leben in London und seiner besonderen Beziehung zu Ellis. Ihre kurze, aber intensive Liebesaffäre in Südfrankreich ist eine Mischung aus jugendlicher Sehnsucht und der bittersüßen Erkenntnis, dass manche Träume nie wahr werden. Michael erinnert sich an diese Zeit mit großer Wärme und Bedauern.

Sarah Winman schreibt mit einer Sensibilität und Einfühlsamkeit, die einen wirklich berührt. Ihre Beschreibungen von Beziehungen und Landschaften sind voller Energie und doch zurückhaltend. Besonders mochte ich, wie sie die Themen sexuelle Identität und die AIDS-Epidemie der 1980er Jahre behandelt – mit viel Verständnis und Mitgefühl.

„Lichte Tage“ ist ein Roman über die Möglichkeiten und verpassten Chancen des Lebens. Es geht um die Suche nach Identität, die Kraft der Freundschaft und die vielen Facetten der Liebe. Winman hat es geschafft, mit ihrer klaren Sprache und ihrem tiefen emotionalen Verständnis ein Buch zu schreiben, das lange nachhallt. „Lichte Tage“ hat mich daran erinnert, dass trotz aller Verluste und Schmerzen immer noch Hoffnung und Schönheit in der Welt existieren. Wenn du gerade lichte Tage brauchst, dann ist dieses Buch genau das Richtige für dich.

Der Salzpfad/The Salt Path – Raynor Winn übersetzt von Heide Horn und Christa Prummer-Lehmair erschienen im Goldmann Verlag

„Der Salzpfad“ von Raynor Winn ist eine inspirierende Geschichte, die zeigt, wie man auch in den dunkelsten Zeiten neuen Mut finden kann (!?). Raynor und ihr Mann Moth verlieren nach über 30 Jahren Ehe plötzlich alles: Ihr Haus wird gepfändet und Moth wird mit einer unheilbaren Nervenkrankheit diagnostiziert. In dieser ausweglosen Lage packen sie ihre Sachen und beschließen, den South West Coast Path zu wandern – einen mehr als tausend Kilometer langen Küstenpfad in Südengland.

Dieser Weg ist kein Spaziergang im Park. Er ist Englands längster Fernwanderweg, mit Höhenmetern, die dem vierfachen Aufstieg des Mount Everest entsprechen. Die beiden leben dreieinhalb Monate lang von Moths kleiner Rente, zelten wild und ernähren sich oft nur von Brombeeren und Löwenzahn. Doch „Der Salzpfad“ ist kein Überlebensratgeber. Es geht vielmehr darum, wie die beiden auf ihrer Reise wieder Hoffnung und neuen Lebenssinn finden.

Raynor beschreibt ihre Erlebnisse und Begegnungen mit den Menschen entlang des Weges mit viel Humor und einem scharfen Blick für Details. Ob Landwirte, Surfer, Soldaten oder Outdoor-Enthusiasten – die Vielfalt der Charaktere, denen sie begegnen, macht das Buch sehr interessant. Die Reise führt sie an den Rand der Gesellschaft und lässt sie das Leben aus einer ganz neuen Perspektive sehen.

Während unseres Urlaubs in England kürzlich sind wir an der Englischen Riviera ein Stück des Weges gewandert – großes Highlight!

Die Dialoge sind oft kurz und treffend, und Raynor erzählt ihre Geschichte mit einer angenehmen Portion Selbstironie. Gleich zu Beginn des Buches gibt es einen interessanten historischen Exkurs über die Verfolgung von Bettlern und Landstreichern in Großbritannien, was ihre eigene Situation als unfreiwillige Vagabunden in einen größeren Zusammenhang stellt.

Das Buch beginnt mit einem Zitat aus der Odyssee: „Muse, erzähl mir vom Manne, dem wandlungsreichen, den es oft abtrieb vom Wege.“ Dieser Satz passt perfekt zu der Geschichte von Raynor und Moth, die ohne klares Ziel losziehen und dabei nicht nur ihre Würde, sondern auch neue Lebensfreude finden. Raynor scheut sich nicht vor emotionalen Momenten, aber sie wird nie kitschig oder rührselig.

„Der Salzpfad“ ist ein warmherziger und menschlicher Reisebericht, der zeigt, dass Hoffnung und ein neuer Anfang möglich sind, selbst wenn alles verloren scheint. Raynor Winn nimmt uns mit auf eine Reise, die uns lehrt, uns der Schönheit der Natur und der Stärke des menschlichen Geistes bewußt zu werden. Kein Wunder, dass dieses Buch in Großbritannien so erfolgreich ist – es trifft mitten ins Herz und macht unfassbar Lust darauf selbst die Wanderschuhe zu schnüren – auf den Teil mit der Obdachlosigkeit und dem kompletten Bankrott würde ich nach Möglichkeit gerne verzichten.

Gerne gelesen, aber ich war nicht „blown-away“, muss die weiteren Bände nicht zwangsläufig lesen, würde es aber, wenn sie mir irgendwie, irgendwo in die Finger fallen.

So, falls ihr es tatsächlich bis hier unten ausgehalten habt – Respekt! Sorry ist doch a bisserl lang geworden fürchte ich. Hoffe ich konnte euch auf das eine oder andere Buch Lust machen und in ein paar Tagen gibt es dann den ersten Reisebericht. Kommt ihr mit?

Lektüre April

Der April war ein richtig guter Lesemonat. Das gruselige Wetter draußen hat für viel Lesezeit gesorgt, der freie Freitag ebenso. Ich habe gemerkt, wie gerne ich ein bißchen thematisch lese und habe mir durch Wald & Naturbücher versucht den Frühling eben literarisch ein bißchen ins Haus zu holen. War das schon eine Hirngymnastik oder nur ein thematischer Lesemonat? Wer weiß das schon und wen kümmert es. Lasst uns starten – ich stelle euch wieder kurz und knapp in alphabetischer Reihenfolge vor was ich diesen Monat gehört und gelesen habe:

Heimkehr – Wolfgang Büscher erschienen im Rowohlt Verlag

Wolfgang Büscher macht den Traum seiner Kindheit wahr. Er zieht in den Wald und erlebt dort Frühjahr, Sommer, Herbst. Ein Fürstenhaus an der hessisch-westfälischen Grenze, wo Büscher aufwuchs, überlässt ihm eine Jagdhütte – mitten im Wald, mitten in Deutschland. Hier schlägt er sein Feldbett auf. Kein Strom, kein fließend Wasser. Er richtet sich auf eine stille Zeit ein, auf Holzhacken und Feuermachen, eine Jagd ab und zu, eine Wanderung, ein Schützenfest, auf radikale Einsamkeit und eine Schwärze der Nächte, die in der Stadt unbekannt ist. Das Jahr wird ungeahnt dramatisch, Sturm, Hitze und Käferplage bringen den halben Wald um.

Das klang sehr vielversprechend, hat für mich aber so gar nicht gehalten was ich mir versprochen hatte. Da war eine Menge los im Wald und von Ruhe und Einsamkeit konnte keine Rede sein. Ich wollte wohl doch nichts von Schützenfesten und Jagdausflügen mit Fürsten lesen. Keine Empfehlung – ich fand es langweilig.

„Und wenn es so zugeht, wenn auf dem Wühltisch der Identitäten so einiges herumliegt und lockt, wenn gar nicht genau gesagt werden kann, wer einer ist – ist das dann alles, was über ihn gesagt werden kann?“

Die Fledermaus – Gunnar Decker erschienen im Berenberg Verlag

Eine Fledermaus im Schlaf­zimmer – nur stoische ­Naturen bleiben da unbeeindruckt. Nachdem sich bei Gunnar Decker der erste Schreck gelegt hatte, wurde er neugierig und wollte mehr über die unheimliche Herrin des Nachthimmels in Erfahrung bringen. Über ihre erstaunliche Fähigkeit, sich in stockdunklen Räumen zu orientieren, zu fliegen, obwohl sie keine Federn wie der Vogel, sondern Arme und Beine wie der Mensch hat. Über ihre zuneh­men­de Gefährdung und die Tatsache, dass die Fledermaus ein Wildtier ist, zu dem man – in beider­seitigem ­Interesse – den nötigen Abstand bewahren sollte. (Man holt sich schließlich auch keinen Wolf in die Wohnung.) Und über die zahllosen Legenden und Mythen. Denn natürlich gilt: Am Vampir kommt kein Fledermaus-Forscher vorbei.

Spannende Mischung aus Tierporträt, informativem Sachbuch und umfassender Kulturgeschichte – hat mir gut gefallen und ich habe noch so einiges über Fledermäuse erfahren, was ich nicht wußte. Finde sie weiterhin unendlich faszinierend, werde aber auch weiterhin respektvoll Abstand halten.

„Der Ruhepuls einer Fledermaus sinkt im Winterschlaf auf 3 bis 5 Herzschläge pro Minute, davon träumt jeder indische Yogi-Meister. Ihr normaler Puls im Wachzustand liegt bei 400 Schlägen pro Minute, im Jagdflug steigert er sich dann bis auf tausend Herzschläge pro Minute!“

The Geometer Lobachevsky – Aiden Duncan erschienen im Tuskar Rock Verlag

Nikolai Lobatschewski erkundet 1950 ein Moor in den irischen Midlands, wo er Landvermessungen vornimmt. Eines Nachmittags, kurz nach seiner Ankunft, erhält er ein Telegramm, das ihn zu einem „besonderen Termin“ nach Leningrad zurückruft.

Lobatschewski mag kein großes Genie sein, aber er erkennt ein Todesurteil, wenn er es sieht, und geht auf eine kleine Insel im Mündungsgebiet des Shannon, wo die Inselfamilien Seetang ernten und sich mit dem Spalten von Steinen abmühen. Hier muss Lobachevsky über den Tod nachdenken, darüber, wie er ihn vermeiden kann und ob er seine Heimat jemals wiedersehen wird.

Unsere April Bookclub Lektüre habe ich auf dem Kindle gelesen und es ist mir unfassbar schwer gefallen es zu Ende zu bringen. Ständig sind meine Gedanken abgeschweift, es war einfach wirklich wahnsinnig langweilig und ich möchte in diesem Leben nichts mehr über Landvermessung und Seetang lesen. Das letzte Kapitel wirkte als hätte er dringend noch den Bus bekommen müssen und hat dann im Laufen die letzten 10 Seiten geschrieben. War auch im Bookclub nicht wirklich der Renner, zwei mochten es sehr, die meisten empfahlen es als gut wirkendes Schlafmittel.

Zur See – Dörte Hansen erschienen im Penguin Verlag

Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.

Das erste Drittel des Romans habe ich wirklich gerne gelesen, dann flachte mein Interesse ein kleines wenig ab. Hätte mir vielleicht etwas mehr stringente Handlung gewünscht, empfand es als etwas unzusammenhängende kurze Episoden. Altes Land gefiel mir etwas besser, aber Frau Hansen kann schreiben und selbst ein Buch das nicht vollends vom Hocker haut, ist immer noch ein sehr gutes.

“Alle Inseln ziehen Menschen an, die Wunden haben, Ausschläge auf Haut und Seele. Die nicht mehr richtig atmen können oder nicht mehr glauben, die verlassen wurden oder jemanden verlassen haben. Und die See soll es dann richten, und der Wind soll pusten, bis es nicht mehr wehtut.”

Quallen – Samuel Hamen erschienen im Matthes & Seitz Verlag

Von den direkten Gezeiten über die küstennahe Kontinentalschelfzone, von der Oberfläche des offenen Meeres bis hinab in dessen tiefste, kaum erforschte Bereiche bringen sie mit ihren ungeheuer reizbaren, »wie Hirnmasse in Häute verwandelten Leibern« nicht nur das Wasser zum Leuchten: Quallen. Seit Menschengedenken entziehen sich die Medusen jeglicher Festschreibung. Sie winden und wandeln sich wie organisiertes Wasser in den sie umströmenden Wellen und lassen die Imagination Funken sprühen. Doch gleich, ob als Störfaktor oder Symbol des Digitalen und Immersiven, als gestalterische Idee des Art Déco, als rückgratloses Schreckbild, Alien des Meeres, queeres Wappentier oder alarmistisches Emblem eines radikalen Wandels, bei dem selbst Wissenschaftler:innen mitunter an ihre Grenzen stoßen – Quallen, so zeigt Samuel Hamen in diesem schillernden Portrait, zucken nicht mit Wimpern, sondern mit Tentakeln, die je nach Art schon bei flüchtigem Kontakt starke Verbrennungen verursachen können. Wer es dennoch wagt, ihren Schwebebewegungen zu folgen, dem offenbart sich ein Einblick in die früheste Erdgeschichte wie auch in alle erdenkbaren Zukünfte.

Ich liebe Quallen und habe diesen Band wahnsinnig gerne gelesen. Wirklich spannend, gut geschrieben und sehr schön illustriert. Die Naturkunden Reihe ist eine kleine Schatztruhe an wunderschön gestalteten gut recherchierten Büchern – irgendwann möchte ich sie alle haben 🙂

„Die Blase von der die Rede ist, ist höchstwahrscheinlich der obere Teil der Physalia physalis, die gemeinhin Portugiesische Galeere genannt wird. Wem dieser Ausdruck noch nicht bellizistisch genug ist: Im Englischen trägt sie den Kosenamen Floating Terror. Von ihrem länglichen, halb durchsichtigen Körper, der an eine Boje erinnert und mit einer Gasmischung gefüllt ist, hängen angelschnurähnliche Tentakel herab, die üblicherweise eine Länge von acht bis zehn Metern erreichen und hochwirksame Gase absondern können.“

The Fifth Season – N. K. Jemisin unter dem Titel „Zerrissene Erde“ im Heyne Verlag erschienen übersetzt von Susanne Gerold

Inmitten einer sterbenden Welt hat die verzweifelte Essun nur ein Ziel: ihre Tochter aus den Händen eines Mörders zu befreien, den sie nur zu gut kennt.
Seit sich im Herzen des Landes Sansia ein gewaltiger Riss voll brodelnder Lava aufgetan hat, dessen Asche den Himmel verdüstert, scheinen immer mehr Menschen dem Wahnsinn zu verfallen. So lässt der Herrscher seine eigenen Bürger ermorden. Doch nicht Soldaten haben Essuns kleinen Sohn erschlagen und ihre Tochter entführt – sondern ihr eigener Ehemann! Essun folgt den beiden durch ein Land, das zur Todesfalle geworden ist. Und der Kampf ums nackte Überleben steht erst noch bevor.

Ich hatte es langsam bereits geahnt und das Buch hat er jetzt wohl final für mich bestätigt. Ich lese nicht so wahnsinnig gerne Space Operas. Das Buch ist wirklich gut geschrieben, es ist wahnsinnig intelligent und ich kann es Fans von Ursula LeGuin, Frank Herbert oder Octavia Butler nur ans Herz legen, aber ich freue mich auf eine Verfilmung, denn ich liebe SciFi und Space Opera – im Film, aber lese es einfach nicht so gerne. Daher werde ich die Trilogie auch nicht beenden und drücke mir und uns die Daumen, dass die Verfilmung nicht mehr allzu lange auf sich warten läßt.

“For all those that have to fight for the respect that everyone else is given without question.”

Wald – Doris Knecht erschienen im Rowohlt Verlag


Eine Frau allein in einem abgelegenen Haus in den Voralpen: Marian hat alles verloren. Die Krise und eigene Fehler trieben sie in den Bankrott, zum völligen Rückzug. Aber auch ihr Versuch, im geerbten Haus wieder zu sich zu finden, wird zum Überlebenskampf. Mühsam lernt Marian, sich zu versorgen, sie fischt, wildert, stiehlt Hühner, und dann ist da Franz …
Eine starke, gefallene Frau mit dem Willen zum Neuanfang, und das Landleben als Spiegel einer brüchigen bürgerlichen Welt – Doris Knecht erzählt mit unverwechselbarem Ton und auf mitreißende Weise davon, wie es ist, wenn man sein schönes Leben auf einen Schlag verliert.

Gelegentlich fremdel ich ja etwas mit deutscher Gegenwartsliteratur aber Frau Knecht ist genau wie Frau Hansen ganz mein Ding. Ein sehr intelligenter Roman der der Leser:in tief in die Seele schaut und den Finger in die Wunde unserer brüchigen bürgerlichen Welt hält mit ihren Unzulänglichkeiten und ihrer Doppelmoral. Große Empfehlung.

„Die Zeiten waren nicht normal, nicht ihre, und da es ihr nicht gelang, Sorgen und Furcht mit der Erinnerung an etwas Schönes zu kalmieren, vertrieb sie sie eben mit der Erinnerung an ein großes Scheitern.“

Der Klang der Wälder – Natsu Miyashita erschienen im Insel Verlag übersetzt von Sabine Mangold

Als der junge Tomura einem Klavierstimmer bei der Arbeit lauscht, fühlt er sich durch den Klang in die hohen, rauschenden Wälder seiner Kindheit zurückversetzt, und fortan prägt die Leidenschaft für die Musik sein Leben. Er lernt das Handwerk des Klavierstimmens, doch bei aller Hingabe ist da doch stets die Angst vor dem Scheitern auf der Suche nach dem perfekten Klang. Als er das Klavier der beiden Schwestern Kazune und Yuni stimmen soll, muss er erkennen, dass es dabei um mehr geht als um technische Versiertheit – und es »den einen« perfekten Klang nicht gibt. Und als er Kazune, die angehende Konzertpianistin, dann spielen hört, spürt er die Bestimmung seines Lebens: ihr Spiel zum Strahlen zu bringen.

Ein wunderschöner kleiner poetischer Roman, bei dem man sofort erkennt, dass es ein japanischer Roman ist, selbst wenn es keine Namen und Ortsbezeichnungen gebe. Leise und anmutig kommt es daher und ich habe ich sehr gerne gelesen.

„Mein Los war das Klavierstimmen, das mir den Duft der Wälder offenbart hatte. Ich konnte nicht mehr in die Berge zurück.“

The Shepherd’s Life – James Rebanks auf deutsch erschienen unter dem Titel „Mein Leben als Schäfer“ im Penguin Verlag übersetzt von Maria Andreas

James Rebanks‘ Familie lebt seit Generationen im englischen Hochland, dem Lake District. Die Lebensweise ist seit Jahrhunderten von den Jahreszeiten und Arbeitsabläufen bestimmt. Im Sommer werden die Schafe auf die kahlen Berge getrieben und das Heu geerntet; im Herbst folgen die Messen, wo die Herden aufgestockt werden, im Winter die Anstrengung, dass die Schafe am Leben bleiben, und die Erleichterung, die mit dem Frühling kommt, wenn die Lämmer geboren werden und die Tiere wieder in die Berge getrieben werden.

James Rebanks erzählt von einer archaischen Landschaft, von einer tiefen Verwurzelung an einen Ort. In eindrucksvoll klarer Prosa schildert er den Jahresablauf eines Hirten, bietet uns einen einzigartigen Einblick in das ländliche Leben. Er schreibt auch von den Menschen, die ihm nahestehen, Menschen mit großer Beharrlichkeit, obwohl sich die Welt um sie herum vollständig verändert hat.

Ich folge James Rebanks und seiner Frau seit geraumer Zeit auf Instagram und habe mich lange auf das Buch gefreut. Ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe eine ganze Menge über den Lake District und das Leben der Menschen dort gelernt. Ein großartiges Buch, das ich rundum empfehlen kann.

„Frankly, every time I see a dog off a lead I am left fretting and fearing the worst until I see it back on the lead and packed into its owner’s car. So I suffer, even on the nine out of ten occasions when it all ends ok. Paranoid, maybe, but it is my job to fret about my sheep’s safety, and responsible visitors know that this fear exists and act accordingly. One person’s freedom is another man’s misery.“

Verwobenes Leben – Merlin Sheldrake erschienen im Ullstein Verlag übersetzt von Sebastian Vogel

Sie sind in der Erde, in der Luft, in unserem Körper. Pilze sind überall, aber man übersieht sie leicht. Sie halten uns am Leben, bauen Schadstoffe in der Atmosphäre ab und verändern das Verhalten von Tieren. Sie beeinflussen, wie wir Menschen fühlen und denken und sind für alle Lebensformen unverzichtbar. Sie existieren an der Grenze zwischen Leben und Tod. Der größte bekannte Pilz umfasst zehn Quadratkilometer, wiegt mehrere Hundert Tonnen und ist zwischen 2.000 und 8.000 Jahre alt. Pilze verfügen über eine eigene Intelligenz ohne zentrales Gehirn und können ihre Umwelt manipulieren. Merlin Sheldrake dringt ein in das verborgene Netzwerk der Pilze.

Ein wirklich erhellendes Buch das einen in die geheimnisvolle Welt er Pilze mitnimmt und mich stellenweise mit vor Staunen weit offenem Mund zurückgelassen hat. Man hat einfach keine Vorstellung, was es mit diesem Mycel auf sich hat, wozu Pilze so fähig sind und ich bin ziemlich sicher, wenn es nicht die Oktopoden sind, die die Weltherrschaft irgendwann übernehmen, dann werden es die Pilze sein. Unbedingt lesen!

„A mycelial network is a map of a fungus’s recent history and is a helpful reminder that all life-forms are in fact processes not things. The “you” of five years ago was made from different stuff than the “you” of today. Nature is an event that never stops. As William Bateson, who coined the word genetics, observed, “We commonly think of animals and plants as matter, but they are really systems through which matter is continually passing.”

„The Hobbit“ – JRR Tolkien erschienen unter dem Titel „Der kleine Hobbit“ im Klett Kotta Verlag übersetzt von Wolfgang Krege

Ohne große Ansprüche lebt Bilbo Beutlin im Auenland, bis er von dem Zauberer Gandalf und einer Horde Zwerge aus seiner Beschaulichkeit und seinem gemütlichen Alltag gerissen wird. Auf einmal findet er sich mitten in einem Abenteuer wieder, das ihn zu dem riesigen und gefährlichen Drachen Smaug führt, der einen kostbaren Schatz in seinen Besitz gebracht hat und eifersüchtig hütet. Der Hobbit ist der Anfang aller modernen Fantasy und erzählt die Vorgeschichte zum Herrn der Ringe.

Der Hobbit war diesen Monat mein Hörbuch, denn für mich bedeutet das Auenland irgendwie immerwährenden Frühling. Je ungemütlicher es draußen war, desto mehr bekam ich Lust trotz Regen mit dem Hörbuch auf den Ohren in meinem persönlichen Auenland den Isarauen herumzulaufen und mit Bilbo Beutlin große Abenteuer zu bestehen. Ich hatte es vor vielen Jahren immer Sonntags als Hörspiel im Radio gehört und war gespannt, ob es mir wohl genauso gut gefällt wie beim ersten Hören und Lesen und ich wurde nicht enttäuscht. Wo mir der „Herr der Ringe“ oft viel zu kampflastig ist und ich die vielen Szenen mit Schlachtgetümmel überblätterte ist der Hobbit eines meiner liebsten Fantasy Bücher. Wer den Regen nicht mehr sehen kann, sollte sich mit dem Hobbit ins Auenland begeben, da wo der ewige Frühling wohnt 😉

“There is nothing like looking, if you want to find something. You certainly usually find something, if you look, but it is not always quite the something you were after.”

Unter freiem Himmel – Markus Torgeby erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Maximilian Stadler

Im Freien schlafen, umgeben von Bäumen, Dunkelheit und angenehmer Kälte. Dabei hoch zu den Sternen blicken und sehen, wie sich die Atemluft wie eine feine Wolke vor den Augen kräuselt. Vielleicht verpassen wir ja etwas, wenn wir immer nur in temperierten Räumen mit vier Wänden und einer Decke liegen. Markus Torgeby war ein erfolgreicher Langstreckenläufer, als er der Zivilisation den Rücken kehrte, in den Wald zog und fortan unter freiem Himmel schlief. Eine Erfahrung, die sein Leben und seinen Blick auf die Welt veränderte.

Mit dem Buch bin ich noch gar nicht fertig, aber ich wollte es hier schon mal hinein schmuggeln, denn es passt thematisch einfach so gut. Während ich mit meinen ganzen Waldbüchern beschäftigt war, habe ich dieses im öffentlichen Bücherschrank gefunden und da musste es natürlich mit. Ein wunderschön gestaltetes Buch und eine interessante Mischung aus Biografie und Ratgeber für alle die gerne mal unter freiem Himmel schlafen oder leben wollen. Mir reichen allerdings Wanderungen im Wald, das Bedürfnis da auch zu schlafen und gar noch auf nacktem Boden hält sich doch sehr in Grenzen. Insbesondere durch die Bilder ein wirklich schönes Buch.

„Im Jämtland, wo ich lebe, gibt es viele Nadelbäume und zwischendrin ein paar Birken. Ich gehe zuerst zu einer Birke und schäle ein paar Rindenfasern ab. Es fühlt sich ein bisschen so an, als würde man lose Haut abziehen. Wenn eine Tasche meiner Jacke voll ist, habe ich genug, um ein Feuer zu entfachen. Danach breche ich streichholzdünne Fichtenzweige ab, sie wachsen immer ganz unten und dicht am Stamm. Knackt es, wenn man sie abbricht, sind sie ausreichend trocken – es spielt keine Rolle, ob es aus Kübeln gießt, die Äste weiter oben schützen die dünnen Zweige darunter.“

Der Wald – Peter Wohlleben erschienen im Heyne Verlag

Peter Wohlleben, Förster aus Passion, zeigt den Wald, wie er ist und wie er sein könnte. Denn was wir irrtümlich für unberührte Natur halten, ist viel zu oft nur eine Ansammlung von Bäumen, die den Zwecken von Forstwirtschaft und Jagd zu dienen hat. Natürlich wachsende Bäume gedeihen in einer Lebensgemeinschaft, die alles umfasst, von den Geheimnissen des Waldbodens bis zu den höchsten Wipfeln. Peter Wohlleben lässt uns den Zauber der Natur wiederentdecken und vermittelt ein tiefes Verständnis vom Leben und Zusammenleben der Bäume.

Mein zweites Buch des Autors und wieder ein Fund aus dem Bücherschrank. Peter Wohlleben ist was den Wald angeht für mich das was Jamie Oliver seinerzeit fürs Kochen für mich war. Ich lerne viel, gehe mit offenen Augen durch den Wald bzw meine Isarauen und beschäftige mich deutlich intensiver mit den Bäumen um mich herum. Dieses Buch war deutlich biografischer als „Das geheime Leben der Bücher“ und ich fand es sehr spannend, was er über seine Ausbildung zum Förster schreibt, wie sich er Berufsstand in den letzten Jahren verändert hat und wie wichtig die Jagd für einen gesunden Wald ist.

„Die Chance, es so weit zu schaffen, beträgt für jeden Buchenembryo, der in einer Buchecker im Herbst zu Boden fällt, durchschnittlich 1:1,7 Millionen. Hungrige Tiere, die strenge Erziehung oder Unglücksfälle dezimieren die Baumjugend so stark, dass in 400 Jahren nur ein Baum ein komplettes Leben durchläuft. Aber das reicht zur Arterhaltung völlig aus.

Habt ihr es wirklich bis hier unten durchgehalten – dann Respekt. Das war ein wirklich umfangreicher Monat und ich bin gespannt, was ihr sagt. Konnte ich euch auf das eine oder andere Buch Lust machen? Habt ihr bei dem einen oder anderen eine änliche oder ganz andere Meinung? Freue mich immer von euch zu hören und jetzt Jacke an, Schuhe an und ab in den Wald…

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Die liebsten, die spannensten, die mich am meisten zum Nachdenken angeregt haben und es fehlen im Bild die verliehenen oder die, die ich als Hörbuch gehört habe:

Was waren eure liebsten in 2021? Ich freue mich auf ein weiteres Jahr mit Euch und danke für die Treue, die Kommentare, das Feeback, die Freundschaft. Ich wünsche Euch allen von Herzen ein tolles 2022 mit viel Glück, Gesundheit und Zeit zum lesen und nachdenken.

Große gemischte Tüte

Ian McEwan ist der Naturwissenschaftler unter den Romanautoren. Immer wieder beschäftigt er sich in seinen Werken damit, woher die menschliche Erkenntnis kommt, wie zugänglich die Erkenntnisse der Wissenschaften für uns Leser sind, gibt es eine universelle menschliche Natur? In diesem Bändchen finden sich fünf Essays, die sich mit Wissenschaft, Literatur und Religion beschäftigen.

My own particular hero is E.O. Wilson” sagte der britische Schriftsteller Ian McEwan einmal in einem Interview. Es mag etwas überraschen, dass der „Held“ eines Literaten kein Dichter oder Romancier ist, sondern ein amerikanischer Biologe, der für die Entwicklung der Soziobiologie, einer Verschmelzung von Natur- und Sozialwissenschaften, berühmt ist. Doch wenn man sich McEwans Werk ansieht, wird deutlich, dass er zwar selbst ganz klar Literat ist, sich aber sehr für wissenschaftliche Themen interessiert. Für seine Romane Saturday und Enduring Love wählte er sogar zwei Wissenschaftler als Protagonisten, die der Erzählung ihr rational-wissenschaftliches Weltbild aufdrücken. Gleichzeitig geraten beide Protagonisten in einen Konflikt mit der Literatur.

„Über die Entstehung, in dreizehn Monaten geschrieben, ist das Resultat einer enormen intellektuellen Anstrengung: ausgereifte Einsichten, umfassendes Wissen und präzise Beobachtungen, die Darbietung aller Fakten, die Erläuterung geradezu unwiderleglicher Argumente im Dienste einer profunden Kenntnis natürlicher Abläufe. Darwins Zögern, gegen Emmas religiöse Überzeugungen zu verstoßen, den theologischen Gewissheiten seiner Kollegen zu widersprechen oder sich in der unpassenden Rolle eines Bilderstürmers wiederzufinden, eines radikalen Abweichlers in der viktorianischen Gesellschaft – all diese Bedenken warf er über den Haufen, weil er fürchtete, jemand anderes könne ihm zuvorkommen und die Anerkennung für Überlegungen einheimsen, die er für die seinen hielt.“

Darwin bildet ein wenig den roten Faden zwischen den einzelnen Vorträgen bzw. Artikeln, bzw. der Vergleich der Arbeit eines Wissenschaftlers mit der eines Autors, dennoch stehen die Essays in keinem bestimmten zeitlichen oder inhaltlichen Bezug zueinander. Trotzdem habe ich sie sehr gerne gelesen – eine sehr anregende Lektüre, die mich dazu bringt, dieses Jahr aber wirklich endlich Darwins „The Origins of Species“ zu lesen, das schon viel zu lange ungelesen in meinem Regal steht.

Ich danke dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Gilbert hat einen Alptraum, indem seine Frau untreu ist, er erwacht schwer empört und konfrontiert sie im Laufe des Tages mit ihrer Untreue. Sie jedoch leugnet jegliche eheliche Abschweifung, woraufhin er von ihrer Untreue weiterhin tief überzeugt, seine seine Tasche packt, seinen Pass nimmt, zum Flughafen fährt und den erstbesten verfügbaren Interkontinentalflug bucht. Er landet in Tokio, wo Gilbert – ein Forscher in Sachen Bart – versucht, ein Gespräch mit einem seltenen jungen Japaner anzufangen, der erste, den er sieht, der einen kleinen Bart trägt. Yosa war gerade im Begriff, Selbstmord zu begehen, aber als Gilbert ihn anspricht, verbietet es die Höflichkeit, mit seinem Plan fortfahren. Ausgestattet mit zwei Büchern, Bashos berühmtem Reiseführer über das Hinterland Japans und einem japanischen Selbstmord-Handbuch, beginnen die beiden Männer eine Reise durch Japan auf der Suche nach den seit Basho bedichteten berühmten Kiefern.

Über den Weg, der neben dem Schild vom Hauptweg abzweigte, spannte sich ein dünner Faden, der offenbar eine Sperre versinnbildlichen sollte. Yosa hob das Sinnbild an, bückte sich darunter durch, und Gilbert tat es ihm gleich, auf einmal von heißem Trotz gegen eine Maßregelung durch schlaffe Bindfäden erfüllt. Sie brauchen ihm jetzt wirklich nicht mit der Albernheit zu kommen, ihn mittels Bindfäden gängeln zu wollen, er hielt sich an ausreichend viele Vorschriften, wenn auch widerstrebend, und bei einem Waldspaziergang benötigte er keine Kontrolle und keine Bevormundung. Er überholte Yosa und stapfte wütend den Pfad entlang durch unübersichtliches, verbotenes Gebiet.

Der Roman ist ein kleines Meisterwerk. Witzig, skurril, großartig beobachtet. Ich weiß nicht, wie Poschmann es geschafft hat, sie fängt mit atemberaubender Perfektion exakt die verwirrende Erfahrung ein, die einen als Besucher des Landes permanent begleitet. Ich hatte vor der Lektüre schon eine Ahnung, dass es mir gefallen könnte, aber es dürfte eines der Highlights des Jahres sein, kann es nur jedem ans Herzen legen und je weniger man vorher über den Roman weiß, desto besser glaube ich.

Marion Poschmann erzählt in „Nimbus“ von den Verheerungen, denen die Natur durch den Menschen ausgesetzt ist. Ihre poetischen Illuminationen lassen die Magie der Natur sinnlich werden. Diese Gedichte haben eine unfassbar schöne Rhythmik und die Sprache malt passende atmosphärische Bilder dazu. Ich habe keine Ahnung, wie man Gedichte bespricht, daher einfach nur: Kauft diesen Gedichtband, lasst euch hineinfallen und legt ihn nie zu weit außer Reichweite, ihr werdet immer wieder einmal darin lesen wollen!

Farnfraktal – wie Flügel gegen sinkendes Abendlicht.
Und wir, wir wichen schüchtern den Schritt zurück
ins Dunkle, wo die Farnspiralen
ausharrten, dicht in sich eingewunden,

genügsam, lautlos. War ich denn jemals so –
so eingerollt in mich, völlig eingehegt
in Wald, der an mich grenzte, Wald, der
Gegenfarn bildete, größer, stiller.

Diese erstaunliche Frau führte ein sehr beeindruckendes Leben. Anne Beaumanoir war im Zweiten Weltkrieg im kommunistischen Widerstand gegen die Nazi-Besatzung Frankreichs, half vielen ihrer jüdischen Mitmenschen dem Nazi-Terror, der Gefangenschaft und dem sicheren Tod zu entkommen, arbeitete als Neurologin, war im algerischen Unabhängigkeitskampf gegen den französischen Kolonialismus aktiv und wurde dafür zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, lebte viele Jahre in Tunesien und Algerien im Exil und half in den Anfangsjahren der algerischen Unabhängigkeit beim Aufbau des algerischen Gesundheitssystems. Heute ist sie 97 Jahre alt und traf bei einer Veranstaltung auf die Autorin Anne Weber, der sie ihr Leben erzählte.

„Zu lange waren Angst Erschöpfung Einsamkeit
ihre einzigen Begleiter. Sie kann nicht mehr. Im
Parc Monceau findet sie, statt der Ruhe, die sie sucht,
eine noch nie empfundene Beklemmung. Kein
Mensch in dieser großen Stadt, die sie mit kleinen
Schritten monatelang durchmessen hat, von der sie
jeden Winkel, jeden Außenbezirk kennt, kein Mensch,
der sich im Geringsten um sie schert, der sie was fragt
oder sich vielleicht Gedanken um sie macht, nichts,
niemand – Leere. Hat Kommunismus nicht mit
Gemeinsamkeit zu tun? Als sie noch handelte und
etwas Sinnvolles vollbrachte – etwas, wovon sie
hoffte, dass es sinnvoll war -, da ging es noch. Und
jetzt?

Die Form erhebt Beaumanoir in die Höhen einer griechischen Heldin, aber gleichzeitig macht der Inhalt sie zu einer sehr modernen Figur, die nicht nur durch die Zeit in der sie lebte geformt wurde, sondern die sich auch mit Fragen wie Identität und Ideologie beschäftigte. Die Sprache ist poetisch, aber, in Anbetracht der Form, nicht sehr stilisiert und sehr zugänglich. Die ganze Mischung ist ein überaus fesselndes Erlebnis.

In The Heat of the Day erschafft Elizabeth Bowen auf brillante Weise die angespannte und gefährliche Atmosphäre Londons während der Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs.

Viele Menschen sind aus der Stadt geflohen, und diejenigen, die zurückgeblieben sind, finden sich in einer seltsamen, aus der Krise geborenen Intimität zusammen. Stella Rodney ist eine von denen, die sich entschieden haben, zu bleiben. Aber für sie wird das Gefühl der bevorstehenden Katastrophe plötzlich sehr persönlich, als sie entdeckt, dass ihr Geliebter Robert verdächtigt wird, Geheimnisse an den Feind zu verkaufen, und dass der Mann, der ihn verfolgt, Stella als Preis für sein Schweigen zu seiner Geliebten machen will. Gefangen zwischen diesen beiden Männern und nicht sicher, wem sie glauben soll, gerät Stellas Welt aus den Fugen, als sie erfährt, wie wenig wir wirklich über die Menschen um uns herum wissen können.

„Beide waren in ihrem Element, und als sie sich kennenlernten gleich noch viel mehr. Es war typisch für dieses Leben im Augenblick und um des Augenblicks willen, daß man Menschen gut kannte, ohne allzuviel von ihnen zu wissen. Das Vakuum hinsichtlich der Zukunft entsprach dem Vakuum hinsichtlich der Vergangenheit; Lebensgeschichten wurden als unnützer Ballast abgeworfen, und aus verschiedenen Gründen kam das sowohl ihr als auch ihm entgegen.“

Bowen hat einen ungewöhnlichen Schreibstil, der mich immer wieder mal an Virginia Woolf erinnerte. Manchmal kamen die Worte geradezu in Maschinengewehrsalven auf einen zu, dann wieder ihre Sätze fast träge wie wie ein schwüler Spätsommertag. Dies ist mein erster Roman von Elizabeth Bowen, aber sicher nicht meine letzter. Der Roman ist eine spannende Mischung aus Noir-Spionage mit einem Spritzer Liebesroman.

Dieses kleine Buch wurde 1938 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht und wurde noch zu Lebzeiten der Autorin zum Klassiker. Die Erstveröffentlichung hat wegen der darin enthaltenen Wahrheiten – und der Warnungen – immer wieder an Popularität gewonnen.

A short time before the war, some cultivated, intellectual, warmhearted German friends of mine returned to Germany after living in the United States. In a very short time they turned into sworn Nazis. They refused to listen to the slightest criticism about Hitler. During a return visit to California, they met an old, dear friend of theirs on the street who had been very close to them and who was a Jew. They did not speak to him. They turned their backs on him when he held his hands out to embrace them. How can such a thing happen? I wondered. What changed their hearts so? What steps brought them to such cruelty?

These questions haunted me very much and I could not forget them. It was hard to believe that these people whom I knew and respected had fallen victim to the Nazi poison. I began researching Hitler and reading his speeches and the writings of his advisors. What I discovered was terrifying. What worried me most was that no one in America was aware of what was happening in Germany and they also did not care. In 1938, the isolationist movement in America was strong; the politicians said that affairs in Europe were none of our business and that Germany was fine. Even Charles Lindbergh came back from Germany saying how wonderful the people were. But some students who had returned from studying in Germany told the truth about the Nazi atrocities. When their fraternity brothers thought it would be fun to send them letters making fun of Hitler, they wrote back and said, “Stop it. We’re in danger. These people don’t fool around. You could murder one of these Nazis by writing letters to him.”

So erklärte Kathrine Kressmann Taylor die Inspiration zu „Adresse unbekannt“, das heute als eines der grundlegenden Werke der Anti-Nazi-Literatur gilt. Ursprünglich 1938 veröffentlicht, wurde die Kurzgeschichte in Form eines Briefwechsels auf dem Höhepunkt des Aufstiegs des Nationalsozialismus in Deutschland zwischen zwei Geschäftspartnern und Freunden geschrieben. Martin, der kürzlich nach Deutschland zurückgekehrt ist, wird nach und nach von der Nazi-Ideologie indoktriniert, sein Freund Max ist Jude, der in Amerika zurückgeblieben ist, um das Geschäft weiterzuführen.

Die Geschichte beschäftigt sich mit den Themen Fanatisierung, Faschismus und Rache und wie leicht der Spieß auch umgedreht werden könnte, wenn man andere verunglimpft. Leider ist dieses Buch auch heute noch so relevant wie eh und je, wo faschistische Ideale wieder auf dem Vormarsch sind und durch Social Media leicht verbreitet und akzeptiert werden.

Ich hoffe, in dieser gemischten Tüte war etwas dabei für euch? 6 sehr unterschiedliche, aber allesamt überaus empfehlenswerte Bücher die ich euch ans Herz legen möchte.

Hier noch einmal in der Übersicht:

  • Erkenntnis und Schönheit von Ian McEwan erschienen im Diogenes Verlag
  • Die Kieferninseln von Marion Poschmann erschienen im Suhrkamp Verlag
  • Nimbus von Marion Poschmann erschienen im Suhrkamp Verlag
  • Annette, ein Heldinnenepos von Anne Weber erschienen im Matthes & Seitz Verlag
  • In der Hitze des Tages von Elizabeth Bowen erschienen im Schöffling Verlag
  • Adressat unbekannt von Kressmann Taylor erschienen im Rowohlt Verlag

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Another gem of the „Naturkunden“ series by Matthes & Seitz Verlag. At some stage I think I really want them all. I was never particularly interested in snails but that certainly changed after reading this funny, insightful and beautiful little book.

There is so much more to these fascinating creatures than their chalky little shells would make you believe. So let’s get closer to  dsiscover the creature that is hidden most of the time and let’s carefully open up the entrance so we can carefully and slowly ever so slowly sneak into the entwined coils to have a proper look.

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We admire the snail for its beautiful spiral shell, we laugh about their slow method of locomotion are disgusted by their slimy body but enjoy eating them with garlic butter. We have a highly ambivalent relationship to the snail so it was high time to get closer to it and better understand this highly fascinating creature.

Florian Werner takes up it’s trail from an cultural-historical point. He visits the World Snail Racing Competion in England, an eco snail farm in France and he explains the virtuosity of snail sex. He is not only checking out the outstanding position the snail had in the history of Architectur or movies he also looks into their participation in founding the financial system and brass music.

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Maybe the tenacity and persistance of the snail is the perfect antidote for our hectic and restless times.

You can really tell that Judith Schalansky has a hand in this series and I highly recommend to check out her books for example her beautiful and interesting „Verzeichnis einiger Verluste“ or her „Atlas der abgelegenen Inseln“ that I introduced here a few days ago.

Can’t wait to read another one from this series, I am quite keen on „Korallen“ and have high hopes to read one about the „Octopus“ or about „Jellyfish“ pretty soon.

Have you read any of the titles? Which one would you recommend?

Gehen – Tomas Espedal

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Wild und poetisch trifft es. Ein Buch das einen neidisch macht, weil man vielleicht auch gerne den Mut hätte einfach hinter sich zuzumachen und die Straße lang zu gehen immer einen Schritt vor den nächsten und zu gehen. Zu Reisen bis man ankommt, abseits von klimatisierten Hotels oder Sterne-Restaurants, Reisen einfach des Weges willen und nicht um anzukommen.

Espedal geht und hört sich dabei beim Denken zu. Er geht meist alleine, gelegentlich mit einem ihm recht ähnlichen Lauf-Kumpan und philosophiert, analysiert die Werke anderer Dichter und Geher. Er geht um ein anderer zu werden. Anfangs dachte ich er geht auch um seinem Alkoholismus-Problem zu entgehen, aber eigentlich geht er hauptsächlich um dichten zu können, und dazu braucht er die Straße unter seinen Füßen und gelegentlich ein Bett in dem er liegen und lesen kann, ohne jegliche Verpflichtung. Es ist ein sprödes Buch, ein irgendwie sehr nordisches und so wirkt auch sein Autor auf mich. Ich sehe ihn vor mir. Groß und hager und schwierig wie er  im schwarzen Anzug die staubig karge Straße entlanggeht. Er läuft bis ihm die Füße bluten, durchstreift die halbe Welt zu Fuß mehr obdachloser Vagabund als in High Tech gewandteter Profi-Walker und fühlt sich anderen wandernden gehenden Dichtern verbunden.

Beim Lesen habe ich gelegentlich fast einen Kater bekommen, bei den Alkohol-Mengen er sich da so gegeben hat und ich wäre wohl überwiegend kopfwehkrank im Bett liegen geblieben, aber er scheint es ja zu vertragen. Er schreibt klar und kantig und seine Sätze sind im besten Sinne rein und geschliffen. Es macht Lust zu wandern und zu lesen und es gab einfach so viel zu entdecken in diesem Buch. Eines das ich nochmals lesen werde. Es macht Lust sich auch auf eine Wanderung des Geistes zu begeben und den Büchern der anderen wandernden Poeten zu folgen.

„Du wirst dein Leben lang mit dir selbst leben. Du kannst eine neue Geliebte finden, du kannst Freunde und Familie verlassen, verreisen, eine neue Stadt und neue Orte finden, du kannst verkaufen, was du besitzt, und dich von allem trennen, was dir nicht passt, aber solange du lebst, wirst du dich nie von dir selber trennen können.“

„Ein Beruf. Endlich. Mit Bruce Chatwin ist das Gehen zu einer Arbeit geworden, denke ich; es erfordert keine Bewerbung, keine Zeugnisse, man macht sich einfach auf den Weg, zur Tür hinaus, jederzeit, geradeaus, in irgendeine Richtung, die offene Straße hinab, auf zwei langsamen Füßen.“

Rousseau ist nicht anders, er macht sich anders, der Schriftsteller, der uns glauben machen möchte, dass er ein Kind der Natur ist, entpuppt sich als der künstliche Held schlechthin; ein Provokateur, ein Flaneur, ein echter und wahrer Proseur: „Einzig und allein ich. Ich fühle mein Herz – und ich kenne die Menschen. Ich bin nicht gemacht wie irgendeiner von denen, die ich bisher sah, und ich wage zu glauben, dass auch ich nicht gemacht bin wie irgendeiner von allen, die leben. Wenn ich nicht besser bin, so bin ich doch wenigstens anders. Ob die Natur gut oder übel daran getan hat, die Form zu zerbrechen, in der sie mich gestaltete, das wird man nur beurteilen können, nachdem man mich gelesen hat.“

Wir denken weniger, wenn wir weit gehen, wir gleiten in den Rhythmus des Gehens, und die Gedanken enden, werden zu einer konzentrierten Aufmerksamkeit, die darauf gerichtet ist, was wir sehen und hören, was wir riechen; diese Blume, der Wind, die Bäume, als würden die Gedanken umgeformt und zu einem Teil dessen werden, was ihnen begegnet; ein Fluss, ein Berg, ein Weg.“

Gehen“ ist im Matthes & Seitz Verlag erschienen.