Dystopien & Skurriles

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Es gab Kriege und die Zivilisation ist in finstere Zeiten zurückgefallen. Die Leute überleben irgendwie, einige haben alles verloren andere sind kurz davor alles zu verlieren.

”A haggard man used one of the huts as a home. He lay on a sagging mattress, his head on his pack, surrounded by rubbish–paper, porcelain shards, food remains, and unidentifiable debris. His hand was over his eyes. He looked like a failed soldier. Dirt seemed so worked into him that the lines of his face were like writing.”

Und dann sind da noch die verwaisten Kinder, die in der Stadt zusammenleben, die sich zusammen geschlossen haben, um irgendwie zu überleben.

Der Vater des Jungen ist ein Schlüsselmacher. Er macht Schlüssel, die in alte Maschinen passen. Er macht Schlüssel für Wettermaschinen, für Schlösser, die Herzen öffnen und alles was er tut ist geheimnisvoll und mysteriös. Aberglaube ist die neue Religion, genau wie ein Voodoo-Zauber nur funktioniert, wenn man an ihn glaubt.

Der Junge lebt oben auf dem Berg. Das macht ihn zu einem „Uphiller“. Er hat Dinge gesehen und er weiß Dinge über seinen Vater, die ihm keiner glaubt.

”I knew that, by whatever means he’d killed it, it was not to eat. I wanted to cry; I stood still.“

Da ist dieses Loch in der Höhle, ein tiefes Loch ohne Boden. Ein Loch, das vielleicht bis zum Mittelpunkt der Erde geht. Als seine Mutter verschwindet, bekommt er Alpträume.

”I thought of my mother’s hands hauling her up. Of her climbing all grave-mottled and with her face scabbed with old blood, her arms and legs moving like sticks or the legs of insects, or as stiff as toys, as if maybe when you die and come back you forget what your body is.”

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Aber sein Vater behauptet steif und fest, die Mutter würde noch leben. Als der Mann, der die Menschen zählt kommt, sieht der Junge in ihm die einzige Chance herauszubekommen, was mit seiner Mutter passiert ist. Was das eigentliche Geheimnis seines Vaters ist.

“He said, You’ll write it not because there’s no possibility it’ll be found, but because it costs too much to not write it.”

Das ist eines der abgefahrensten, merkwürdigsten Bücher die ich seit langem gelesen habe und ich fand es großartig. Es ist sehr kafkaesk in dem Gefühl, dass man keine Möglichkeit hat, den Ereignissen zu entkommen. Es dauert eventuell, bis man hineinfindet in diese düstere Welt, aber irgendwann hebt sich der Nebel.

Für mich hätte das Buch gut noch ein paar Hundert Seiten haben können, ich hätte zu gerne gewusst, wie es weitergeht. Ich hätte nur zu gerne das verschwundene Notizbuch gefunden …

Der Roman hat auch durchaus Gothic Elemente, die Schatten, das bedrohliche Unbekannte, der sich ständig aufbauende blanke Horror. Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen, wollte unbedingt einen Weg finden, dem Jungen zu helfen, vom Berg zu entkommen.

Das wird ganz sicher nicht mein letzter Miéville sein, ich habe Blut geleckt. Hat eigentlich noch jemand das Bild oben in seinem Buch gehabt? Oder lag nur meinem eines bei? Es sieht so sehr aus wie ich mir die Brücke zur Stadt vorgestellt habe, dass ich auf der einen Seite annehme, es handelt sich um eine Beilage zum Buch vom Verlag, auf der anderen Seite sieht es aus wie ein ganz normales Foto – hinten steht auf jeden Fall „The census maker“ und ein Datum drauf. Sehr mysteriös – wie das Buch.

Auf deutsch erschien das Buch unter dem Titel „Dieser Volkszähler“ beim Liebeskind Verlag.

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Bei Margaret Atwoods Nachfolger zum weltberühmten „The Handmaids Tale“ sollte man vor Lektürebeginn ganz klar seine Erwartungshaltung in den Griff bekommen. „The Testaments“ ist spannende Unterhaltung, aber eventuell keine Weltliteratur wie sein Vorgänger.

Es unterscheidet sich von dem 1985 erschienenen „The Handmaids Tale“ was den Ton, und die Stimme der Protagonisten und auch was die literarische Güte angeht. Der frühere Roman hat eine Kraft und eine Gewichtigkeit, mit der „The Testaments“ nicht mithalten kann.

Offred war so sehr Gefangene ihrer Umstände, ihre Isolation für den Leser unmittelbar beklemmend spürbar. Sie ist völlig passiv, hält die Füße still und versucht nur von einem Tag zum nächsten zu überleben, während andere Charaktere im Buch (Moire zum Beispiel oder Ofglen) deutlich aktiver versuchen, das Regime in Gilead zu unterwandern. Offred war eine absolute Durchschnittsfrau, die den Leser stets mit der Frage konfrontiert „Was hättest Du in meiner Situation gemacht – und mach Dir bloß nix vor“.
Der Roman war völlig hoffnungslos, die Kraft des Romans lag in seinem intimen Portrait völliger Hilflosigkeit.

„The Testaments“ ist dagegen viel Action geladener, viel hoffnungsvoller und dadurch aber vielleicht auch deutlich weniger realistisch. Man folgt den Stimmen dreier unterschiedlicher Protagonisten, die alle drei absolut bereit sind, sich dem System zu widersetzen. Sie riskieren alles, um die Patriarchie zu beenden. Zwei der drei Protagonistinnen sind Teenager, ich glaube, auch Margaret Atwood sieht unsere einzige Hoffnung auf Rettung in der Jugend.

Dieser Wandel wird insbesondere den Fans der TV Serie „The Handmaids Tale“ bekannt vorkommen. Wahrscheinlich haben sowohl Margaret Atwood als auch die Produzenten der Serie das Gefühl, dass die Menschen jetzt einfach Hoffnung und eine Katharsis brauchen, die ein gewonnener Kampf gegen all die Vollidioten in der Welt mit sich bringt.

Nein, keine große Literatur – aber ein sehr unterhaltsames Buch, das ich sehr gerne gelesen habe.

Auf deutsch erschien der Roman unter dem Titel „Die Zeuginnen“ beim Piper Verlag.

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The October Country ist eine Sammlung an Kurzgeschichten ohne jeglichen Science Fiction Bezug, die eher im Bereich des Okkulten, Makabren und Düsteren anzusiedeln sind.

 “The October Country … that country where it is always turning late in the year. That country where the hills are fog and the rivers are mist; where noons go quickly, dusks and twilight linger, and midnights stay. That country composed in the main of cellars, sub-cellars, coal bins, closets, attics and pantries faced away from the sun. That country whose people are autumn people, thinking only autumn thoughts. Whose people passing at night on the empty walks sound like rain.”

Die Kritiken überschlagen sich für diese Sammlung an Kurzgeschichten und sie sind auf jeden Fall gut geschrieben. Es sind definitiv keine „Horrorgeschichten“, denn sie sind nicht sonderlich gruselig, aber sie sind skuril und sie haben teilweise etwas verstörendes.

Passende Lektüre für den Horroctober, kurz vor Halloween. Besonders mochte ich die Geschichten „Skeleton“, „The Emissary“ und „The Scythe“. Ein unterhaltsamer Kurzgeschichtenband, aber komplett umgehauen war ich jetzt nicht.

Auf deutsch erschien dieser Kurzgeschichten-Band unter dem Titel „Familientreffen“ im Diogenes Verlag.

Was ist für euch perfekte Halloween-Lektüre?

Meine Woche

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Gesehen: „Belle“ (2013) von Amma Asante. Beruht auf der wahren Geschichte von Dido Elizabeth Belle der farbigen unehelichen Tochter eines Navy Generals im England des frühen 19. Jahrhunderts.

The Hills have Eyes“ (2006) von Alexandre Aja gelungene Neuverfilmung von Wes Cravens Horror-Klassiker. Gelegentlich gab es „hinterm-Sofakissen-Versteck-Alarm“.

Good Business“ Sci-Fi Shortfilm von Ray Sullivan basierend auf dem Comic von Simon Roy.

Gehört: „Sleep all Summer“ – St. Vincent & The National, „Like Author, like Daughter“ – Midwife, „Qumrah“ – Marifa, „Ruination“ – Old Tower, „Saturday“ – Chromatics

Gelesen: diesen Artikel über Sylvia Plath, diesen poetischen Artikel über die Grand Unified Theory in der Physik, diesen Artikel über Ray Bradbury, warum Sci-Fi mehr als Eskapismus ist, Motivation is overvalued, Environment often matters more und Missverständnisse zum bedingungslosen Grundeinkommen

Getan: allen Mut zusammen genommen und Tacheles geredet, fast die ganze Woche mit Kopfweh und oder Migräne gekämpft, einen Blockchain Workshop gehostet, den Bookclub bewirtet und mit Freunden getroffen

Geplant: ein Regal anfertigen lassen

Gegessen: Kräuter-Fritatta

Getrunken: White Russian

Gelacht: Everything I like is either illegal, immoral, fattening, addictive, expensive or impossible

Geärgert: über gefühlte Wahrheiten

Gefreut: ich glaube diese Woche ist ein Knoten geplatzt und ich habe Tickets für Perfume Genius gewonnen

Geklickt: auf diesen TED Talk von Alan Watkins „Why you feel what you feel“

Gekauft: dieses Buch und dieses Buch

Gewünscht: dieses Regal und dieses Container-Haus

Gefunden: Das doppelte Lottchen im Papiermüll

Gestaunt: über die Bilder von den Gravitationswellen

Kurzgeschichten für lange Nächte


Ich bin kein großer Kurzgeschichten-Fan, ich glaube das ist – wie bei Gedichten auch – so ein „aquired taste“ wie Rotwein, Whisky, Blauschimmel-Käse. Kurzgeschichten haben es nicht leicht bei mir, drohen immer mal wieder in die Ecke zu fliegen, wenn ich in die Geschichten nicht reinkomme (wie kürzlich beispielsweise bei George Saunders), daher wiegen die hier aufgelisteten für mich um so mehr, denn die haben mich in der Regel von der ersten Zeile nicht mehr losgelassen.

Eine liebe Freundin hat mir vor kurzem einen Kurzgeschichten Band zugeschickt: Victoria Hislops Sammlung mit Kurgeschichten von Frauen und zu meinem Entzücken fand ich dort meine Lieblingsgeschichte „The Lottery“ wieder, was mich auf den Gedanken brachte, meine Bibliothek zu durchforsten, um meine persönliche Sammlung aus den für mich besten Kurzgeschichten der Welt hier zu präsentieren.

Einige kann man im Internet finden, da habe ich den link ensprechend angehängt und bin jetzt sehr gespannt, ob Euch meine Sammlung gefällt, welche ihr davon kennt und vielleicht auch mögt oder eben auch nicht. Fehlt euch etwas? Freue mich sehr auf Eure Kommentare und etwaigen Ergänzungen. So long äh short 😉

Isaac Asimov – The Martian Way
Margaret Atwood – Torching the Dusties
Margaret Atwood – Death by Landscape
Margaret Atwood – The Martians claim Canada
Paul Auster – Augie Wren’s Christmas Story
James Baldwin – The Outing
Karen Blixen – The Monkey
Wolfgang Borchert – Nachts schlafen die Ratten doch
Jorge Luis Borges – Die Bibliothek von Babel
Octavia Butler – The Morning, and the evening and the night
TC Boyle – Dogology
Ray Bradbury – The Veldt
Ray Bradbury – A sound of Thunder
Ray Bradbury – The Million-Year Picnic
Albert Camus – The Artist at Work
Truman Capote – Handcarved Coffins
Truman Capote – Miriam
Raymond Carver – Neighbors
Angela Carter – The Bloody Chamber
Ted Chiang – Story of Your Life
Roald Dahl – Lamb to the Slaughter
Philip K Dick – The Golden Man
Philip K Dick – The Minority Report
Charles Dickens – The Signal-Man
Charles Dickens – A Christmas Carol
Denis Diderot – Gründe meinem alten Nachtrock nachzutrauern
Joan Didion – On Self-Respect
Emma Donoghue – Words for Things
Fjodor Dostojewski – Weihnachtsbaum und Hochzeit
Fjordor Dostojewski – Weiße Nächte
Arthur Conan Doyle – The Adventure of the Blue Carbuncle
Agatha Christie – The Witness for the Prosecution
Jennifer Egan – Safari
Harlan Ellison – I have no mouth and I must scream
Sheridan Le Fanu – Green Tea
William Faulkner – A Rose for Emily
F Scott Fitzgerald – The Curious Case of Benjamin Button
Gillian Flynn – The Grownup
EM Forster – The Machine Stops
Neil Gaiman – Der Fluch der Spindel
Neil Gaiman – Snow, Glass, Apples
Ursula LeGuin – Coming of Age in Karhide
Ursula LeGuin – The ones who walk away from Omelas
Graham Greene – The Third Man
Ernest Hemingway – The Snows of Kilimanjaro
Ernest Hemingway – A clean well-lighted place
O. Henry – The Robe of Peacej
Patricia Highsmith – The stuff of Madness
Aldous Huxley – Young Archimedes
Washington Irving – The Legend of Sleepy Hollow
Mary Gaitskill – The Other Place
Charlotte Perkins Gilman – The Yellow Wallpaper
Maria Dahvana Headley – See the Unseeable, Know the Unknowable
Judith Hermann – Kaltblau
Siri Hustvedt – Mr. Morning
Henry James – The Turn of the Screw
Shirley Jackson – The Lottery
Franz Kafka – Die Verwandlung
Franz Kafka – In der Strafkolonie
Stephen King – Rita Hayworth and Shawshank Redemption
Stephen King – Children of the Corn
Stephen King – The eerie aftermath of a mass exit
Stephen King – The Road Virus heads north
Heinrich Kleist – Die Marquise von O
Lautréamont – Die Gesänge des Maldoror
Stanislaw Lem – Test
Hengtee Lim – The Girl at the Bar
Jack London – The Red One
HP Lovecraft – Cool Air
HP Lovecraft – The Dunwich Horror
Guy de Maupassant – Der Horla
Herman Melville – Bartleby, the Scrivener
Laurie Moore – How to become a writer
Daphne Du Maurier – Don’t look back
Daphne Du Maurier – The Birds
Haruki Murakami – Kinos Bar
Haruki Murakami – Yesterday
Haruki Murakami – The Elephant Vanishes
Vladimir Nabokov – Terra Incognita
Joyce Carol Oates – Where are you going, where have you been?
Dorothy Parker – Sentiment, A Telephone Call
Sylvia Plath – Johnny Panic and the Bible of Dreams
Edgar Allan Poe – The Tell-Tale Heart
Edgar Allan Poe – The Pit and the Pendulum
Annie Proulx – Brokeback Mountain
Karen Russell – Vampires in the Lemon Grove
Karen Russell – Reeling for the Empire
JD Salinger – For Esme
JD Salinger –  A Perfect Day for a Banana-Fish
Oliver Sacks – Altered States
Jean-Paul Sartre – The Room
Jean-Paul Sartre – The Wall
Arthur Schnitzler – Traumnovelle
Ali Smith – Free Love
Robert Louis Stevenson – The Body Snatcher
Bram Stoker – Dracula’s Guest
Donna Tartt – The Ambush
James Tiptree Jr – And I awoke and found me here on the Cold Hill’s side
Mark Twain – Cannibalism in cars
Jules Verne – Der ewige Adam
Kurt Vonnegut – Harrison Bergeron
Kurt Vonnegut – The Drone King
HG Wells – Empire of the Ants
Jeanette Winterson – Days like this
Virginia Woolf – A mark on the wall
Richard Yates – Saying Goodbye to Sally
Banana Yoshimoto – Lizard
Stefan Zweig – Die Schachnovelle
Stefan Zweig – Brief einer Unbekannten

2015 – The Year in Books

Ja nee hat super geklappt mit meiner Wahl der 10 Lieblingsbücher. Ich kann mich partout nicht entscheiden und schicke jetzt immer zwei ins Rennen. Die Kombi ist eventuell nicht immer einleuchtend, gibt aber schönen Einblick in meine abstrusen Synapsen-Schaltungen.

Es sind die Bücher, die mich am intensivsten beschäftigt haben in diesem Jahr, nicht automatisch die, die mir am besten gefallen haben. Habe nicht viele Bücher gelesen, die mir gar nichts gesagt haben oder die ich schlichtweg schlecht fand.

Vielleicht könnt ihr mir ja helfen mit der Entscheidung. Unter allen die in den Kommentaren hier oder bei Facebook abstimmen verlose ich eines der zur Wahl stehenden Bücher hier (nach Wunsch). Am 10.1. guck ich dann mal, ob es Entscheidungen und einen Gewinner gibt.

Hier kommen die Teilnehmer:

https://bingereader.org/2015/01/31/the-goldfinch-donna-tartt/

oder

https://bingereader.org/2015/06/07/die-kunst-des-feldspiels-chad-harbach/

https://bingereader.org/2015/02/16/fahrenheit-451-ray-bradbury/

oder

https://bingereader.org/2015/04/22/the-bone-clocks-david-mitchell/

https://bingereader.org/2015/12/14/geliebtes-wesen-briefe-von-vita-sackville-west-an-virginia-woolf-louise-desalvo-mitchell-a-leaska/

oder

https://bingereader.org/2015/03/16/anais-nin-die-tagebucher-1927-1929-und-1931-1934/

https://bingereader.org/2015/12/03/the-master-and-margarita-mikhail-bulgakov/

oder

https://bingereader.org/2015/11/07/the-strange-library-die-unheimliche-bibliothek-haruki-murakami/

https://bingereader.org/2015/03/27/9-stories-j-d-salinger/

oder

https://bingereader.org/2015/03/21/meistererzahlungen-stefan-zweig/

https://bingereader.org/2015/03/23/the-paying-guests-sarah-waters/

oder

https://bingereader.org/2015/11/03/auf-den-koerper-geschrieben-jeannette-winterson/

https://bingereader.org/2015/07/05/cannery-row-john-steinbeck/

oder

https://bingereader.org/2015/09/09/der-susan-effekt-peter-hoeg/

https://bingereader.org/2015/11/20/die-frau-die-nein-sagt-francoise-gilot/

oder

https://bingereader.org/2015/04/14/bossypants-tina-fey/

Was wirklich Spaß macht ist, sich die jeweiligen „Konkurrenten“ bei einem Treffen vorzustellen. JD Salinger und Herr Zweig beim gediegenen Whisky im Club-Sessel oder Tina Fey die der vornehmen Madame Gilot versehentlich ein Glas Rotwein über die Hose kippt…

Fahrenheit 451 – Ray Bradbury

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Selten hat ein 50 Jahre altes Buch ein so erschreckend aktuelles Bild gezeichnet wie Fahrenheit 451. Die unermüdliche Suche nach dem Glück kann zum Fluch werden, für eine Gesellschaft, die das Glück zum Alleinzweck definiert. Ray Bradbury zeigt in seiner Dystopie eine Zukunft, in der niemand mehr Bücher liest. Anfangs, weil die Leute Unterhaltung und Informationen in immer kleiner zubereiteten Häppchen vorgesetzt bekommen wollten, bis am Ende nur noch Soundbites übrigbleiben, denn für mehr reicht die Aufmerksamkeit einfach nicht (klingt irgendwie bekannt, oder ?)

Irgendwann begannen sie in Büchern aber grundsätzlich einen Feind zu sehen, der unterschiedlichste Weltsichten, konkurrierende Ideen, Meinungen und Thesen vertritt, die Menschen damit überfordert und verwirrt.Dann doch lieber ein Leben als emotionslose Flatline, als diese ständigen Höhen und Tiefen und starken Gefühle, die häufig unglücklich machen.

Die Menschen beginnen ein immer schneller werdendes Leben zu führen, die in Super-Autos (Beetles – wie süß) durch die Gegend rasen, die alles umbringen, was ihnen in den Weg gerät. Ihre Kinder (wenn sie denn welche haben) sehen sie so gut wie nie, denn das raubt nur unnötig Zeit, die man doch lieber mit der Dauersoap „The Family“ zu Hause auf den lebensgroßen Bildschirmen verbringen möchte. Den ganzen Tag von der „Family“ berauscht, gehen sie abends dann mit Muscheln im Ohr ins Bett, die ohne Unterbrechung weitersenden, eine Dauer-Kakophonie aus bedeutungslosen News, Klatsch, Musik die die Leute betäubt.

“A book is a loaded gun in the house next door…Who knows who might be the target of the well-read man?”

“The terrible tyranny of the majority.”

Schlaf- und Beruhigungstabletten werden geschluckt, wie zu anderen Zeiten Süßigkeiten, Suizid weit verbreitet und kaum kommentiert. Montag, von Beruf Feuerwehrmann, dessen Job es nicht ist Feuer zu löschen, sondern Bücher zu verbrennen, trifft eines Tages auf ein junges Mädchen aus der Nachbarschaft und beginnt ein Gespräch mit ihr. Dieses Gespräch, das erste richtige das er seit einer Weile überhaupt führt, da seine Frau nur noch im Tablettenrausch zwischen Soap und Muschelrauschen dahingleitet. Das Gespräch bringt ihn aus dem Gleichgewicht, bringt ihn zum Nachdenken und dazu, die Welt mit anderen Augen zu sehen.

Why is it,“ he said, one time, at the subway entrance, „I feel I’ve known you so many years?“
„Because I like you,“ she said, „and I don’t want anything from you.

Er beginnt Bücher für sich zu entdecken und entschließt sich zum Kampf gegen die Gesellschaft, in der er lebt. Vielleicht sollten wir alle es so machen, wie die anderen Rebellen und ein uns wichtiges Buch auswendig lernen, nur für den Fall, dass wir es einmal brauchen könnten. Ich bin auf jeden Fall glücklich in einer Welt zu leben, in der Bücher noch einen sehr hohen Stellenwert haben, wobei ich glaube, dass wir dabei sind, die Fähigkeiten richtig zu lesen, zum „deep read“, zu verlieren, wenn wir nicht aufpassen.

“With school turning out more runners, jumpers, racers, tinkerers, grabbers, snatchers, fliers, and swimmers instead of examiners, critics, knowers, and imaginative creators, the word ‚intellectual,‘ of course, became the swear word it deserved to be.”

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“There must be something in books, something we can’t imagine, to make a woman stay in a burning house; there must be something there. You don’t stay for nothing.”

Die Kurzbiografie im Buch beschreibt einen Autor, der einen großen Teil seines Lebens in Bibliotheken verbracht hat. Bücher und Bibliotheken spielen eine große Rolle in einer Reihe seiner Werke und ich habe vor, noch einiges von ihm zu lesen. Ich habe gefühlt meine halbe Kindheit in einer Bücherei verbracht und werde für immer dankbar sein, für die Welt die sich mir dadurch erschlossen hat.

„The main thing to call attention to is the fact that I’ve been a library person all of my life.“

Fahrenheit 451 entstand auch im Keller einer Bibliothek, wo Bradbury eines Tages eine Münzschreibmaschine entdeckte, auf der er die Kurzgeschichte „The Fireman“ schrieb und immer 10-Centstücke nachwerfen musste, wenn die Zeitdauer überschritten war. Insgesamt kostete die erste Fassung 9,80 $.

Der Roman wurde 1966 von Francois Truffaut verfilmt und ich bin sehr gespannt darauf. Der Film weicht von der Romanvorlage etwas ab, aber eigentlich mag ich die Filme von Truffaut sehr gerne und bin gespannt.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem gleichen Titel im Diogenes Verlag.