Auf den Körper geschrieben – Jeanette Winterson

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Merken wir wirklich erst wie wichtig uns etwas ist, wenn es nicht mehr länger da ist? Und dass das Maß der Liebe der Verlust ist? Das sind Fragen, mit denen Jeannette Winterson sich und uns beschäftigt. Nicht alle Menschen denke und hoffe ich. Was aber sicherlich stimmt ist, dass es einfacher ist, über eine Beziehung oder Affäre zu schreiben, wenn sie vorbei ist.

Wer Lust hat, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, wird hier fündig. Menschen die ohne großartigen Plot nervös werden, denen müsste ich eigentlich abraten, wobei ich selbst normalerweise auch ein Plot-Freak bin, bei Winterson allerdings mache ich da immer wieder eine Ausnahme. Winterson lesen ist für mich wie in die Oper gehen. Ich liebe ihre barocke Sprache, ihre überbordenden Bilder und ihre betrunkenen Metaphern.

Das Geschlecht des Erzählers wird uns nicht verraten, was irgendwie ein wenig nervig ist, da eigentlich nur eine Frau als Protagonistin in Frage kommt, so wie sie spricht und agiert. Sie erzählt von ihrer Affäre mit einer verheirateten Frau, Louise, die für sie ihren Mann verlässt. Kurz darauf sieht sich sich allerdings gezwungen Louise wieder freizugeben, da sie erfährt, dass diese an Knochenkrebs leidet und nur ihr Mann, ein Onkologe, sie heilen kann. Das Buch beginnt mit dem Abschiedsbrief an Louise.

„Du sagtest Ich liebe Dich. Warum ist das Unoriginellste, was wir einander sagen können, immer noch das, was wir unbedingt hören wollen? „Ich liebe Dich“ ist stets ein Zitat. Du bist nicht der erste Mensch, der es gesagt hat, ich auch nicht und dennoch: Wenn du es sagst und wenn ich es sage, sprechen wir wie Wilde, die drei Wörter entdeckt haben und sie anbeten. Ich habe sie angebetet, doch nun bin ich allein auf einem Fels, aus meinem eigenen Körper gehauen.“

Beschreibt Winterson in ihrem Buch wirklich die Liebe oder ist es nicht viel mehr Obsession? Oft hatte ich den Eindruck, die Protagonistin ist verliebt in die Idee und das Konzept von Liebe, dass diese ihr kostbarer wird, je unerreichbarer und unerfüllbar sie ist.

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„Louise, in diesem Einzelbett, zwischen diesen knallbunten Laken, werde ich eine Schatzkarte voller Verheißungen finden. Ich werde dich erforschen und in dir schürfen, und du wirst mich nach deinem Willen neu kartographieren. Wir werden jedes des anderen Grenzen überschreiten und uns zu einer Nation machen. Schöpf mich in deine Hände, denn ich bin gute Erde. Iß von mir und laß mich dir süß munden.

Ein Rezensent attestierte der Autorin eine geglückte Mischung aus Virginia Woolf und Charles Bukowski zu sein und ich fand diesen Vergleich sehr treffend.

Bei dem Roman mußte ich unweigerlich an Wintersons Affäre mit Pat Kavanagh, der Ehefrau von Julian Barnes denken, Anfang der 90er Jahre, wobei es sich hier wohl eher nicht um einen Schlüsselroman handelt. Winterson hat in einem Interview bestätigt, ihre Beziehung in ihrem Roman „The Passion“ verarbeitet zu haben. So, genug in der Gerüchteküche gerührt. Ich kann den Roman empfehlen, mich hat er bewegt und die Sprache verzaubert und ich wünsche ihm jede Menge Leser.

„Betrug ist leicht. Man braucht sich nichts einzubilden auf Untreue. Am Anfang kostet es nichts, eine Anleihe zu nehmen, auf das Vertrauen, das jemand in dich gesetzt hat. Du kommst damit davon, du nimmst dir ein bißchen mehr und noch ein bißchen mehr, bis es nichts mehr zu nehmen gibt. Das Seltsame ist, daß deine Hände voll sein müßten von all dem Genommenen, aber wenn du sie öffnest, ist nichts da.“

Hier ein kurzes inspirierendes 5-minütiges Interview, in dem Jeannette Winterson gegrillt wird und in dem ich erfahren habe, dass sie tatsächlich auch eine Opernliebhaberin ist, wie passend 😉

Haruki Murakami and the Music of Words – Jay Rubin

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Hmmm, mich hat das Buch ziemlich verwirrt. Ich habe nicht so richtig verstanden, was es nun sein wollte. Teils Biografie, teils Literaturkritik, ausführliche Inhaltsangabe sämtlicher Romane und Kurzgeschichten von Murakami, dann aber wenig Einblick in die Symbole und die immer wiederkehrenden Themen die auftauchen und gerade darauf war ich eigentlich sehr gespannt.

Auch hatte ich gehofft, das mehr auf einzelne Musiktitel eingegangen wird in dem Buch, vielleicht war das dem Titel und dem Cover geschuldet. Ich bin nicht wirklich glücklich geworden mit diesem Werk. Mag meiner fehlgeleiteten Erwartungshaltung geschuldet sein oder aber dem merkwürdigen Nicht-Fisch-Nicht-Fleisch des Buches, ich weiß es nicht. Vielleicht hätte eine deutlichere Zweiteilung in Biografie und Kritik geholfen.

Am besten ist es wahrscheinlich, die jeweilige Kritik zu einem Buch oder einer Kurzgeschichte parallel zu lesen, da es doch noch ein paar Werke von Murakami gibt, die ich bislang nicht gelesen habe, hat mich die ausführliche Beschreibung eher gestört und Leute mit Spoiler-Phobie sollten dann eher die Finger davon lassen.

Ich habe auf Spekulationen gehofft, was es mit bestimmten wiederkehrenden Symbolen und Themen auf sich hat. Das Verschwinden von Frauen, die Brunnen, die vielen Selbstmorde, die kleinen Leute, die Ohren etc etc. Aber vielleicht sollte ich mich dazu einfach mal mit ein paar Harukinisten treffen zu einer einfachen Mahlzeit und ein paar Flaschen Bier und dann diskutieren wir uns die Köpfe heiß, das klingt doch nach einem wunderbaren Plan.

Jay Rubins „Haruki Murakami and the Music of Words“ sollte in keinem auf Vollständigkeit bedachten Harukini-Haushalt fehlen, aber kein unbedingtes „Must-Read“ für alle.

Until I Find You – John Irving

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Puh – was war denn hier los? Wurde der Editor von der Mafia entführt, durch Bahnstreiks von seinem Arbeitsplatz ferngehalten oder war Herr Irving eventuell der Meinung er brauche keinen? Dieses Buch hat mich verzweifelt sprachlos zurückgelassen. Ich habe selten einen Roman gelesen, auf den ich mich auf der einen Seite so gefreut habe, weil die ganzen einzelnen Zutaten genau meinem Geschmack entsprechen und der dann so sehr daneben gegangen ist.

Um es gleich vorweg zu nehmen – wer Kritiken nur liest, wenn der Rezensent das Buch auch zu Ende gelesen hat, der kann jetzt den roten Knopf betätigen und hier per Schleudersitz aussteigen. Auf Seite 480 etwa bin ich ausgestiegen  – ich konnte und wollte nicht mehr. Durch Treibsand waten klang zu dem Zeitpunkt nach einem verlockenden Vergnügen!

„Owen Meany“ ist eines meiner Lieblingsbücher. Ich liebe Tattoos, Orgelmusik von Bach und Händel – yes please! und ich habe eine große Affinität zu Büchern, die sich mit schwierigen oder nicht-existenten Kind-Elternteil-Beziehungen beschäftigen. Es hätte wirklich ein perfekt auf mich zugeschnittenes Lesevergnügen werden können, wurde dann aber eine über 800 Seiten andauernde dröge Beweisführung des dem Roman vorgestellten Romans zur Unzuverlässigkeit von Erinnerungen.

„Until I find you“ ist glaube ich der persönlichste und autobiographischste Roman von John Irving und vielleicht liegt genau da das Problem. Es fehlt der Abstand und es fehlt ein guter Editor, der John Irving darauf aufmerksam macht. Der kleine Jack startet mit seiner Mutter Alice, einer Tätowiererin, eine umfassende Suche nach seinem biologischen Vater. Der ist Orgelspieler, ein Tattoo-Fetischist und, was die Damenwelt angeht, kein Kind von Traurigkeit. Nach monatelanger Suche, in dem der Vater ihnen jedesmal um Haaresbreite durch die Lappen geht, kehren sie nach Kanada zurück und geben mehr oder weniger auf.

Wovor auch immer man im Leben die größte Angst hat (Verlustangst z.B.), kommt immer wieder bei allem durch, was man tut und denkt. Man sieht das Leben einfach immer durch diese Brille. Das was uns Angst macht, zeigt wer wir eigentlich sind. Diese Dinge lassen Dich nie wieder los, die kommen immer wieder durch! Das wurde mir klar beim Lesen dieses Romans und das war für mich die wichtigste Erkenntnis aus diesem Buch. Ansonsten fand ich noch alles rund um die Geschichte und die Kunst des Tätowierens spannend. Mit Jack’s Mutter Alice – ja, also mit der wär ich durchaus gerne mal ein Bier trinken gegangen. Eine spannende, vielschichtige Frau und soviel interessanter als Jack, den man irgendwie an der Nabelschnur durchs Leben ziehen musste.

Dieser erste Teil der Suche hat mir gut gefallen, ab da ging es für mich bergab. Selbst die Standardzutaten, die jeden Irving-Roman prägen (Prostituierte, seltsame Sexpraktiken wie Inzest oder obsessives Penishalten, sehr junge Männer mit Hang zu älteren Frauen und Ringen) haben irgendwann einfach nur noch genervt. Wo waren eigentlich die Bären? Kamen die später noch? Bis zu Seite 480, oder wo auch immer ich genau ausgestiegen bin, sind zumindest keine aufgetaucht. Vielleicht hätten die Bären ja noch was gerissen.

“In increments both measurable and not, our childhood is stolen from us — not always in one momentous event but often in a series of small robberies, which add up to the same loss.”

Wie schade. Hatte nach langer Zeit wieder mal Lust auf einen John Irving. „Owen Meany“ ist ein Meisterwerk, ich mochte „The Hotel New Hampshire“, „Cider House Rules“ oder auch Garp, aber diesen (über weite Strecken) editor-freien Schreib-Durchfall äh Unfall, den sollte man idealerweise ganz schnell vergessen. Ich fürchte fast Mr Irving unsere Wege trennen sich hier 😦

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Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Bis ich dich finde“ im Diogenes Verlag erschienen.