Januar Lektüre

Neues Jahr, neue Bücher! Nach einem herausragenden Lesejahr 2024, in dem ich bereits im Januar drei Jahreshighlights entdecken durfte, startete 2025 etwas durchwachsener. Zwar gab es keinen völligen Reinfall, aber die beiden 5-Sterne-Bücher waren „Re-Reads“ – trotzdem war der Januar insgesamt ein interessanter und abwechslungsreicher Lesemonat.

Auf dem Bild oben fehlt im Übrigen leider F Scott Fitzgeralds „This side of Paradise“. Glatt vergessen auf dem Gruppenfoto. Aber in der Einzelbesprechung wird’s dabei sein. Heute glaub ich machen wir das einfach mal alphabetisch rückwärts, damit es hier keinem langweilig wird.

Und los geht’s:

Butter – Asako Yuzki erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich habe Butter von Asako Yuzuki fast in einem Rutsch gelesen – was irgendwie passend ist, wenn man bedenkt, wie sehr Essen und Genuss im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Die Geschichte kombiniert Elemente eines Krimis mit tiefgehender Sozialkritik und ich bewundere jeden, der es schafft diesen Roman zu lesen ohne permanent hungrig zu sei. Ich mußte sogar die Lektüre unterbrechen um mir Reis mit Butter zu kochen.

Die Handlung dreht sich um Rika Machida, eine ehrgeizige Journalistin, die sich an einem spektakulären Fall die Zähne ausbeißt: die mysteriöse Manako Kajii, die mehrere Männer umgebracht haben soll. Kajii ist eine faszinierende Figur – talentierte Köchin, Femme fatale und zugleich Ziel von unerbittlicher medialer Hetze wegen ihres Aussehens und ihrer Lebensweise.

Was mich besonders an Butter beeindruckt hat, ist, wie Yuzuki den Fokus auf die Themen Misogynie, Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen richtet. Während Rika Kajii immer wieder im Gefängnis besucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Recherche und persönlicher Obsession. Die Gespräche der beiden Frauen sind mal provokativ, mal tiefsinnig, und sie zeigen, wie Essgewohnheiten und Selbstwahrnehmung oft von Kindheitstraumata und gesellschaftlichen Zwängen geprägt sind.

Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise. Je aufwändiger sie kochten, desto besser gelang es ihnen, die Außenwelt auszuschließen und eine innere Festung zu errichten. Mit Klingen und Flammen rückten sie den Zutaten zu Leibe, um sie nach ihrem Willen zu formen.

Die Parallelen zwischen Rika und Kajii fand ich dabei spannend, aber auch beklemmend. Während Rika immer tiefer in die Welt von Kajii eintaucht, wird sie selbst zur Zielscheibe ähnlicher Kritik: Ihr wachsender Appetit und die Gewichtszunahme werden von ihrem Umfeld kommentiert und abgewertet – ein Spiegel dessen, was Kajii erlebt hat. Das macht die Geschichte nicht nur persönlich, sondern auch universell, denn es geht um viel mehr als einen Mordfall: Es geht darum, wie Frauen in Japan (und weltweit) zwischen widersprüchlichen Erwartungen zerrieben werden. Ich konnte es gar nicht fassen, dass die Protagonistin mehrfach als unfassbar fett betitelt wird und dabei kaum 60kg auf die Waage bringt.

Asako Yuzuki, geboren 1981 in Tokio, ist eine recht bekannte japanische Autorin, die sich durch ihre scharfsinnigen gesellschaftlichen Analysen einen Namen gemacht hat. Bevor sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, arbeitete sie selbst als Journalistin, was man in Butter spürt: Die Recherche, die Tiefe und die Präzision in ihrer Darstellung von Medien und Gesellschaft wirken authentisch und fundiert. Butter wurde in Japan zu einem Bestseller und zeigt, wie Yuzuki mit feministischen Themen auf leise, aber eindringliche Weise umgeht.

Mir hat der Roman gefallen, er hätte aber gut und gerne 1/3 kürzer sein können, er war stellenweise etwas repetitiv.

„Butter“ von Asako Yuzuki habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Japan“ gelesen.

Tram 83 – Fiston Mwanza Mujila erschienen im Zsolnay Verlag, übersetzt von Katharina Meyer und Lena Müller

Tram 83 von Fiston Mwanza Mujila ist ein wilder Fiebertraum, ein literarisches Abenteuer, das mich anfangs fast überforderte – und dann vollständig in seinen Bann zog. Der Roman spielt in einer heruntergekommenen Großstadt, die stark an Kinshasa erinnert, und führt uns mitten hinein in das pulsierende Herz dieser Welt: den Nachtclub „Tram 83“. Hier treffen sich Ex-Kindersoldaten, Glücksritter, Kleinkriminelle, Babyhuren, Touristen und Schriftsteller, alle auf der Suche nach Ablenkung, Überleben oder schnellem Geld. Der Club ist laut, chaotisch, voller Musik und Wortfetzen – und genauso fühlt sich auch das Buch an.

Anfangs fragte ich mich immerzu: Hä? Wer spricht? Worüber? Doch genau in diesem Durcheinander liegt der Reiz. Der Roman vermittelt ein Gefühl von Überforderung, von Orientierungslosigkeit – als ob man selbst zum ersten Mal in diese Stadt kommt, den Stimmen lauscht, die Leuchtreklamen betrachtet, aber nicht alles versteht. Mujilas Sprache hat einen fieberhaften Rhythmus, der wie eine Jazzimprovisation immer wiederkehrende Motive und Melodien aufgreift. Es ist chaotisch, manchmal schwer fassbar, aber gleichzeitig unglaublich lebendig.

Requiem war noch immer nicht zurück. Der Mann mit den Dampflokschuhen kam nur nach Hause, um Kohlen abzuladen oder welche zu holen

Im Zentrum der Geschichte stehen Lucien, ein idealistischer Schriftsteller, und sein Freund Requiem, ein charmanter Gauner. Während Lucien versucht, inmitten von Korruption und Gewalt seiner Berufung treu zu bleiben, bewegt sich Requiem geschickt durch die Abgründe dieser „Bordellstadt“. Ihre Dynamik, eingebettet in die explosive Atmosphäre von „Tram 83“, verleiht dem Buch eine erzählerische Tiefe, die hinter der scheinbaren Oberflächlichkeit der Kulisse überraschend vielschichtig ist.

Die Nacht trug Bikini und Unterwäsche, die sie nicht ausgewrungen hatte

Mujila zeichnet ein groteskes, schillerndes Porträt eines postkolonialen Afrikas, das von Kriegen, Korruption und Globalisierung geprägt ist. Dabei wird die Stadt selbst zu einem Charakter – lebendig, gewalttätig und unvergesslich. Der Roman ist nicht leicht zugänglich, aber gerade das macht ihn so aufregend. Am Ende fühlte ich mich, als hätte ich tatsächlich einen Abend im „Tram 83“ verbracht – überwältigt, ein wenig verloren, aber fasziniert und voller Eindrücke, die noch lange nachhallen.

Wenn du Familie bei der Bahn hast, arbeitest du bei der Bahn, ansonsten zerschellst du wie ein Schiff am Ufer der Hoffnung.

Tram 83 ist ein Buch wie Musik: chaotisch, rhythmisch und unverwechselbar. Ein literarisches Erlebnis, das den Leser fordert – und belohnt.

The Poisonwood Bible – Barbara Kingsolver auf deutsch unter dem Titel „Die Giftholzbibel“ im Piper Verlag erschienen, übersetzt von Ruth Frank

The Poisonwood Bible von Barbara Kingsolver ist ein fesselnder Roman, der die komplexe Geschichte der Familie Price erzählt, die 1959 aus den USA in den Belgisch-Kongo zieht. Nathan Price, ein starrköpfiger und fanatischer Missionar, will das Christentum in eine kleine Dorfgemeinschaft bringen, doch seine Ignoranz gegenüber der lokalen Kultur und Umwelt bringt unvorhersehbare Konflikte und tiefgreifende Tragödien mit sich.

Erzählt wird die Geschichte aus den Perspektiven von Nathans Frau Orleanna und ihren vier Töchtern – Rachel, Leah, Adah und Ruth May. Besonders Adah, die durch ihre poetische, introspektive Sichtweise hervorsticht, hat mich tief berührt. Ihre Wortspiele und ihr besonderer Blick auf die Welt, geprägt von ihrem körperlichen Handicap und ihrer Intelligenz, machen sie zu einer einzigartigen Erzählerin. Auch ihre Zwillingsschwester Leah, die zwischen Loyalität zu ihrem Vater und der Liebe zum Kongo hin- und hergerissen ist, hat mich beeindruckt. Beide Schwestern spiegeln die inneren Konflikte und das Spannungsfeld zwischen Kolonialismus, Familie und persönlicher Identität eindrucksvoll wider.

Everything you’re sure is right can be wrong in another place.

Der erste Teil des Romans, der überwiegend im Kongo spielt, hat mich besonders fasziniert. Kingsolver schildert die Landschaft und das Leben im Dorf so lebendig, dass ich mich mitten in der Wildnis wiederfand. Leider empfand ich die Zeitsprünge in der zweiten Hälfte des Buches als zu groß und etwas abrupt. Während die Schwestern in alle Winde verstreut werden und ihre Mutter zunehmend in den Hintergrund rückt, geht der Zusammenhalt der Familie verloren – etwas, das ich als sehr schmerzlich empfand. Dieser Verlust an Nähe und Vertrautheit, der durch die Erzählstruktur noch verstärkt wird, hat mich beim Lesen melancholisch gestimmt.

As long as I kept moving, my grief streamed out behind me like a swimmer’s long hair in water. I knew the weight was there but it didn’t touch me. Only when I stopped did the slick, dark stuff of it come floating around my face, catching my arms and throat till I began to drown. So I just didn’t stop.

Trotz dieser Kritik bleibt The Poisonwood Bible ein beeindruckendes Werk, das auf vielschichtige Weise die Themen Kolonialismus, kulturelle Missverständnisse und die Dynamik von Macht und Familie beleuchtet. Für meine literarische Weltreise in den Kongo ist dieses Buch ein bewegender, wenn auch bittersüßer Halt, der noch lange nachklingt.

Tram 83 und die Poisonwood-Bibel habe ich im Zuge meines Projektes „Read around the World – Kongo“ gelesen.

Mascha Kaléko – In meinen Träumen läutet es Sturm erschienen im dtv Verlag

Mein erstes 5-Sterne-Buch für dieses Jahr. Es war ein „Re-Read“ des Gedichtbandes „In meinen Träumen läutet es Sturm“ der wunderbaren Mascha Kaléko.

Kaléko zählt für mich zu den beeindruckendsten Stimmen der deutschen Literatur. Gemeinsam mit Kästner, Tucholsky und Irmgard Keun gehörte sie zu den wichtigsten Vertreter*innen der Neuen Sachlichkeit und der Gebrauchslyrik im Deutschland der 1920er Jahre. Ihre Werke sind geprägt von einem feinen, oft melancholischen Humor, messerscharfer Gesellschafts-kritik und einer ganz eigenen Sanftheit, die ihre Gedichte so besonders macht.

Mascha Kaléko wurde 1907 in Galizien geboren und wuchs in Berlin auf, wohin ihre Familie vor den politischen Unruhen in ihrer Heimat floh. In den goldenen Zwanzigern blühte sie in der Berliner Literaturszene auf und schrieb für verschiedene Zeitungen. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde ihr jüdischer Hintergrund zur Gefahr. 1938 emigrierte sie mit ihrer Familie nach New York. Dort arbeitete sie weiterhin als Dichterin, fand jedoch nie wieder die gleiche Resonanz wie in ihrer Berliner Zeit. Ihre Gedichte, die oft wie kleine, bittersüße Momentaufnahmen des Lebens wirken, handeln von Liebe, Verlust, Exil, Sehnsucht und dem Leben in der Fremde.

Es sprach zum Mister Goodwill
ein deutscher Emigrant:
„Gewiß, es bleibt dasselbe,
sag ich nun land statt Land,
sag ich für Heimat homeland
und poem für Gedicht.
Gewiß, ich bin sehr happy;
Doch glücklich bin ich nicht“

Ein Gedichtband, der mich immer wieder aufs Neue berührt und den ich anläßlich des Konzertes mit den großartigen Vertonungen der Gedichte von @dota_kehr wiedergelesen habe. Große Empfehlung!

Tove Jansson – Mumins einsame Insel erschienen im Reprodukt Verlag übersetzt von Annette von der Weppen

In diesem Buch beschließen die Mumins, eine unbewohnte Insel mit einem verlassenen Leuchtturm zu erkunden. Die romantische Vorstellung eines idyllischen Insellebens wird jedoch bald von rauen Winden, unerwarteten Herausforderungen und melancholischer Einsamkeit überschattet. Während Mumin-Papa sich mit der Geschichte des Leuchtturms beschäftigt und nach Bedeutung sucht, kämpft Mumin mit Gefühlen der Unsicherheit. Mumin-Mama hingegen findet Trost und Halt in den Büchern, die sie an Bord des Piratenschiffes findet – ich kann sie da sehr sehr gut verstehen. Das Buch ist eines der späteren Mumin-Werke und hat eine nachdenklichere, melancholische Atmosphäre als die früheren Abenteuer. Es geht um Selbstfindung, Einsamkeit und die Sehnsucht nach einem Platz in der Welt.

Tove Jansson (1914–2001) war eine finnlandschwedische Schriftstellerin, Malerin und Illustratorin. Die Mumin-Bücher, die sie zwischen 1945 und 1970 schrieb, machten sie weltberühmt. Ihr Werk vereint skandinavische Naturverbundenheit, philosophische Tiefe und feinsinnigen Humor. Jansson war selbst eine Inselbewohnerin – sie verbrachte viele Sommer mit ihrer Partnerin auf einer kleinen Insel im finnischen Schärengarten, was sich in ihren Geschichten widerspiegelt. Neben den Mumin-Büchern schrieb sie später auch Erzählungen für Erwachsene.

Tove Janssons langjährige Lebensgefährtin war Tuulikki Pietilä (1917–2009), eine finnische Künstlerin und Grafikerin. Die beiden lernten sich in den 1950er-Jahren kennen und verbrachten gemeinsam viele Sommer auf der kleinen Insel Klovharun im finnischen Schärengarten. Ihre Beziehung war nicht nur privat, sondern auch künstlerisch sehr inspirierend – Pietilä half unter anderem bei der Gestaltung von Mumin-Illustrationen und Modellen für Ausstellungen.

Tuulikki Pietilä diente als Vorbild für die Figur Too-ticki in den Mumin-Büchern. Too-ticki ist eine pragmatische, kluge und ruhige Gestalt mit einer Vorliebe für den Winter und praktisches Handwerk. Too-ticki verkörpert Gelassenheit und einen pragmatischen Lebensansatz, der im Kontrast zu der oft verträumten und emotionalen Mumin-Familie steht.

Das „eins zum Einschlafen“ bezieht sich hier nicht auf ihre Lektüre in der Hand, sondern auf die Frage wieviel Rum getrunken werden soll 😉 Und nur dass ihr Bescheid wisst, ich bin ganz und gar dafür, dass die Mumin-Mama die Weltherrschaft übernimmt und werde sie fest dabei unterstützen – ich gehe einfach mal davon aus, dass ihr damit kein Problem habt 😉

F. Scott Fitzgerald – This side of Paradise auf deutsch unter dem Titel „Diesseits vom Paradies“ im Diogenes Verlag erschienen, übersetzt von Martina Tichy und Bettina Blumenberg

F. Scott Fitzgeralds Debütroman „This Side of Paradise“ (1920) ist ein Bildungsroman, der die Entwicklung des jungen Amory Blaine begleitet – von seiner privilegierten, aber exzentrischen Kindheit über seine Zeit an der Princeton University bis hin zu seinen ersten beruflichen und romantischen Enttäuschungen. Der Roman ist stark autobiografisch geprägt und reflektiert Fitzgeralds eigene Erfahrungen und Beobachtungen der amerikanischen Gesellschaft der 1910er und frühen 1920er Jahre.

Amory ist ein junger Mann auf der Suche nach Identität, sowohl intellektuell als auch emotional. Er probiert verschiedene Denkweisen, Ideologien und Liebesbeziehungen aus, stets auf der Jagd nach einer Art „Enlightenment“. .

Auch muss er erkennen, dass Erfolg und gesellschaftlicher Aufstieg weniger mit Talent oder Fleiß zu tun haben als mit Geburtsprivilegien und Zufällen. Dies führt ihn schließlich zu einer fast zufälligen Annahme sozialistischer Ideen – nicht aus tiefer Überzeugung, sondern aus der Hoffnung heraus, dass eine Revolution ihm vielleicht zufällig einen Platz weiter oben in der Hierarchie zulosen könnte.

I’m a cynical idealist.

Fitzgerald porträtiert in This Side of Paradise eine Generation, die desillusioniert und auf der Suche nach Sinn ist – ein Motiv, das später in The Great Gatsby noch stärker ausgearbeitet wird. Der Roman war zu seiner Zeit ein Bestseller, weil er das Lebensgefühl der jungen Nachkriegsgeneration einfing: die Ablehnung traditioneller Werte, das Streben nach Individualität und die schmerzhafte Erkenntnis, dass gesellschaftliche Strukturen schwer zu durchbrechen sind.

Besonders interessant ist die Parallele zur heutigen Zeit: Wenn immer deutlicher wird, dass soziale Mobilität ein Mythos sein kann und dass Privilegien oft vererbt werden, steigt die Gefahr, dass Menschen nicht an Reformen, sondern an den totalen Zusammenbruch glauben.

And he could not tell why the struggle was worthwhile, why he had determined to use the utmost himself and his heritage from the personalities he had passed…He stretched out his arms to the crystalline, radiant sky.I know myself,“ he cried, „But that is all.

Fitzgeralds einziger Bestseller zu Lebzeiten – geliebt vom Publikum, skeptisch beäugt von Kritikern ist ein Muss für alle, die sich für Fitzgeralds Werk oder für die Geburtsstunde der „verlorenen Generation“ interessieren. Ich habe den Roman sehr gerne gelesen, an den „Great Gatsby“ kommt er für mich aber nicht heran.

Helen Dunmore – A spell of winter auf deutsch unter dem Titel „Der Duft des Schnees“ im Bastei Lübbe Verlag erschienen, übersetzt von Lore Pilgram

Achtung: Hier gibt es einen Spoiler – wer das Buch noch lesen möchte, der sollte den zweiten Absatz überspringen!
Helen Dunmores A Spell of Winter wird als Gothic-Roman bezeichnet, doch für mich blieb er in dieser Hinsicht hinter den Erwartungen zurück. Zwar bringt der Roman viele klassische Elemente mit – ein düsteres, halb verfallenes Herrenhaus, eine bedrückende Familiengeschichte, Geheimnisse, Isolation –, doch das, was für mich einen wirklich fesselnden Gothic-Roman ausmacht, fehlte weitgehend: die unheilvolle Atmosphäre, die stetig wachsende Spannung, das Gefühl des Unausweichlichen.

Stattdessen ist A Spell of Winter eher eine melancholische Charakterstudie, ein leiser, introspektiver Roman über Verlust, Einsamkeit und die zerstörerische Macht familiärer Bindungen. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Cathy, die mit ihrem Bruder Rob in einem alten Haus lebt, von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Ihre Eltern sind verschwunden – die Mutter fortgegangen, der Vater in einer Anstalt gestorben –, und so wachsen die beiden Geschwister unter der strengen Aufsicht ihres Großvaters und einer Gouvernante auf. Dass ihre Beziehung nicht nur geschwisterlich bleibt, sondern eine Grenze überschreitet, ist eines der dunklen Geheimnisse des Romans. Doch genau an dieser Stelle hätte Dunmore für mich intensiver werden müssen. Der Schrecken dieser verbotenen Liebe wird eher angedeutet als wirklich spürbar gemacht, und statt ein Gefühl von Bedrohung oder fataler Leidenschaft zu erzeugen, bleibt die Erzählweise fast distanziert.

You have to keep on with a house, day after day, I think. Heating, cleaning, opening and closing windows, making sounds to fill the silence, cooking and washing up, laundering and polishing. As soon as you stop, there may as well never have been any life at all. A house dies as quickly as a body.

Dunmores Sprache ist zweifellos poetisch, stellenweise wunderschön, doch mir fehlte das Bedrückende, das Bedrohliche, das man von einem Roman erwartet, der sich in der Tradition der Gothic Fiction bewegt. Die Kälte, die das Buch thematisiert – Winter, Einsamkeit, emotionale Erstarrung –, wird immer wieder beschrieben, aber selten wirklich fühlbar. Selbst die Momente des Verfalls und des Schreckens, die durchaus vorhanden sind, haben nicht die durchdringende Intensität, die mich als Leserin völlig in ihren Bann gezogen hätte.

Was bleibt, ist ein Roman, der eher durch seine stille Melancholie als durch echte Spannung besticht. Insgesamt aber ein etwas lauwarmes Lesevergnügen.

John Banville – Snow erschienen bei Faber & Faber UK, bislang nicht auf deutsch erschienen

John Banvilles Snow ist ein klassischer Krimi mit viel Atmosphäre, doch leider hat er mich nicht wirklich überzeugt. Die Geschichte beginnt vielversprechend: Ein Mord in einem alten Landhaus, eine wohlhabende Familie mit dunklen Geheimnissen und ein Ermittler, der in dieser Welt ein Fremder bleibt. Das klingt nach perfektem Stoff für einen spannenden Whodunit – doch leider blieb die Geschichte für mich letztlich etwas blutleer.

Inspektor St. John Strafford ist ein kühler, distanzierter Ermittler, und genau das machte es mir schwer, eine Verbindung zu ihm aufzubauen. Er bleibt blass, wirkt fast teilnahmslos, und seine Ermittlungen haben für mich nicht die Sogwirkung entfaltet, die ich mir von einem Krimi wünsche. Die übrigen Figuren sind zwar gut gezeichnet, doch keiner von ihnen hat mich wirklich berührt oder nachhaltig beeindruckt.

His life was a state of peculiar calm, of tranquil equilibrium. His strongest drive was curiosity, the simple wish to know, to be let in on what was hidden from others. Everything to him had the aspect of a cipher. Life was a mundane mystery, the clues to the solving of which were strewn all about, concealed or, far more fascinatingly, hidden in plain view, for all to see but for him alone to recognize. The dullest object could, for him, flare into sudden significance, could throb in the sudden awareness of itself.

Auch die Auflösung des Falls ließ mich eher unbeeindruckt zurück. Banville versteht es zweifellos, eine dichte, stimmungsvolle Kulisse zu erschaffen – die eisige Kälte des Winters, die düstere Atmosphäre des Herrenhauses –, doch die eigentliche Handlung plätschert eher vor sich hin. Ich hatte nie das Gefühl echter Dringlichkeit oder unbedingt wissen zu wollen was passiert ist – wie es ein guter Kriminalroman eigentlich bieten sollte. Stattdessen bleibt Snow eine stilistisch makellose, aber letztlich eher unaufgeregte Lektüre. Interessant fand ich, dass ich die Geschichte viel früher verortet hätte als die 1950er Jahre. Es schien in seinem Setting für mich ein „Golden-Age-Krimi“ zu sein, merkte erst im Nachhinein dann, dass er eigentlich Anfang der 1950er Jahre spielen sollte. Nun gut.

Banvilles Sprache ist natürlich elegant, und sein Talent für stimmungsvolle Beschreibungen ist unbestritten. Wer sich von der Atmosphäre eines langsam erzählten, subtilen Krimis einfangen lassen kann, wird hier sicher zufrieden sein. Für mich aber fehlte es an Spannung, an Charakteren mit echtem Sog und an einem Kriminalfall, der mich wirklich mitgerissen hätte. Solide Unterhaltung, ja – aber leider nicht mehr als das.

OK – das wars. Es fehlt noch die Rezension des Hörbuchs das ich gelesen habe, aber die kommt in den nächsten Tagen im Zuge des nächsten Weltreise-Stopps.

Welche der Bücher kennt ihr? Wie haben sie euch gefallen und/oder konnte ich euch auf das eine oder andere Lust machen? Was war euer Januar-Highlight.

Read around the world: Japan

Im Jahr 2016 reisten wir für drei unvergessliche Wochen durch Japan – ein Land, das uns immer wieder überrascht und manchmal auch vor Herausforderungen gestellt hat. Taxifahren war zum Beispiel jedes Mal ein kleines Abenteuer. Aus irgendeinem Grund schien es, als wären sämtliche Taxifahrer mindestens 80 Jahre alt. Sie trugen stets makellose weiße Handschuhe, und die Autos waren mit weißen Häkeldeckchen auf den Sitzen dekoriert. Schon das Einsteigen war besonders, da die Türen automatisch öffneten – ein Detail, das uns jedes Mal aufs Neue verblüffte.

Was die Navigation anging, wurde es allerdings kurios: Statt moderner Navigationssysteme griffen die Fahrer zu Papierkarten und teilweise riesigen Lupen, um die Adressen zu finden. In Kyoto erlebten wir gleich zwei skurrile Taxifahrten hintereinander: Der erste Fahrer war so verloren, dass er uns höflich wieder aus dem Auto bat. Der zweite machte sich immerhin auf den Weg, hielt aber nach kurzer Zeit bei einer Polizeistation an, um sich den Weg zu unserem AirBnB erklären zu lassen. Dieser Mischung aus Höflichkeit, Improvisation und Entschlossenheit begegneten wir des Öfteren auf unserer Reise

Kulinarisch gesehen war Japan eine Offenbarung. Wir haben durchweg gut gegessen – von Sushi, Kobe Rind und Ramen bis hin zu weniger bekannten lokalen Spezialitäten. Allerdings mögen die Japaner ihr Essen offensichtlich sehr frisch. So frisch, dass es uns manchmal die Sprache verschlug.

Ein Erlebnis, das wir nicht so schnell vergessen werden, war in einem Restaurant, in dem am Nachbartisch ein noch lebender Fisch serviert wurde. Der Fisch war in einer speziellen Halterung fixiert und zappelte noch, während ihm bei lebendigem Leib Sushi-Stücke herausgeschnitten wurden. Wir saßen mit offenem Mund da und mussten uns wirklich zusammenreißen, nicht ohnmächtig zu werden. Es war ein Moment, der uns tief verstörte – kulturelle Unterschiede hin oder her.

Auch die Auswahl an Snacks war… eigenwillig. Das rosafarbene Zeug, das auf einem Bild oben zu sehen ist, waren vermutlich dünn geschnittene und getrocknete Quallen, die in Bars oft als kleine Häppchen auf der Theke standen. Der Geschmack? Fischig-würzig, nicht schlecht, aber definitiv gewöhnungsbedürftig.

Die Bars in Japan sind oft winzig – manche kaum größer als ein Handtuch – und haben eine unverwechselbare Atmosphäre. Besonders beeindruckt hat uns die Auswahl an hochwertigen lokalen Whiskys, die an vielen Orten serviert wurde. Einzig der ständig dudelnde Jazz, der oft recht chaotisch klang, ging mir manchmal ein bisschen auf den Zwirn. Es war, als ob die Musik das Gegenteil der japanischen Perfektion widerspiegelte, die wir in anderen Bereichen des Lebens erlebten.

Eine weitere Entdeckung, die uns faszinierte, waren die Buchläden. Egal, welche Stadt wir besuchten – Tokio, Kyoto oder Kobe – Buchhandlungen waren allgegenwärtig, und noch beeindruckender war die schiere Größe der Manga-Abteilungen. Mangas sind in Japan ein Massenphänomen, das sich durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten zieht. Manche Manga-Bände waren so dick wie Telefonbücher, und in der U-Bahn konnte man leicht einen Blick über die Schulter der anderen Passagiere werfen, die in ihre Geschichten vertieft waren.

Allerdings waren wir überrascht, wie brutal und explizit viele der Mangas sind – sowohl was Gewalt als auch Sexualität betrifft. Manche Inhalte hätten bei uns wahrscheinlich ganze Debatten ausgelöst, in Japan gehören sie jedoch zum Alltag.

Ein Highlight der Reise war eine mehrtägige Wanderung im Hinterland von Kyoto. Die üppige Natur, die uralten Wälder und die ruhige Atmosphäre entlang der Wege boten einen faszinierenden Kontrast zu den pulsierenden Städten. Übernachtet haben wir in traditionellen Ryokans, den japanischen Herbergen, die einen tiefen Einblick in die Kultur des Landes geben. Der Aufenthalt in einem Ryokan folgt einem festen Ritual: Nach der Ankunft nimmt man ein heißes Bad in einem Onsen, legt anschließend den bereitgelegten Yukata (eine Art leichter Kimono) an und genießt das Abendessen zusammen mit anderen Gästen. Dabei sitzt man auf den klassischen niedrigen Tatami-Matten, die zunächst ungewohnt, aber erstaunlich bequem sind. Die Mahlzeiten, ein Kunstwerk aus regionalen Spezialitäten, waren durchweg köstlich – bis auf das rohe Pferdefleisch, auf das wir rückblickend gerne verzichtet hätten. 😉

Was uns besonders überraschte, war die Tatsache, dass selbst in einer kosmopolitischen Stadt wie Tokio nur wenige Menschen Englisch sprechen. Außerhalb der Hauptstadt war es fast unmöglich, sich verbal zu verständigen. Und doch klappte alles erstaunlich gut, denn in Japan scheint alles darauf ausgelegt zu sein, intuitiv verstanden zu werden. Das U-Bahn-Netz in Tokio ist beispielsweise so gut durchdacht, dass man sich mit etwas Orientierungssinn selbst ohne Sprachkenntnisse zurechtfindet. Auch die Plastikmodelle der Gerichte vor den Restaurants waren ein wahrer Segen: Man wusste immer, was man bestellte – zumindest, wie es aussehen würde!

Ein unerwartetes kulturelles Hindernis stellten Tätowierungen dar. In Japan sind sie nach wie vor stark stigmatisiert, da sie traditionell mit der Yakuza (japanische Mafia) assoziiert werden. Viele Onsen verweigern daher den Zutritt, wenn man sichtbare Tätowierungen trägt. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass diese Regel tief in der Geschichte verwurzelt ist, fanden wir es dennoch etwas befremdlich, dass keinerlei Unterschiede zwischen harmlosen Touristen und Mitgliedern der Unterwelt gemacht werden. Aber gut – andere Länder, andere Sitten.

Eine Sache, die uns nachhaltig beeindruckt hat, war der unglaubliche Perfektionismus, der in so vielen Aspekten des japanischen Alltags sichtbar wird. Der Shinkansen, der Hochgeschwindigkeitszug, fährt buchstäblich auf die Sekunde genau ab und bringt einen in Windeseile von Tokio nach Kyoto. Dabei ist er nicht nur effizient, sondern auch durchdacht: Die Sitze lassen sich drehen, sodass man stets in Fahrtrichtung sitzt, und der Service an Bord ist makellos. Auch der Umgang mit Müll war bemerkenswert: Die Menschen nehmen ihren Abfall überall selbstverständlich mit nach Hause oder händigen ihn auf dem Bahnsteig dem warttenden Personal aus.

Japan fasziniert durch seine Gegensätze: die pulsierende Hektik in Tokio und die meditative Ruhe eines Ryokans; die futuristische Technologie des Shinkansen und die zeitlose Tradition der Teezeremonie. Es ist ein Land, das uns nicht nur zum Staunen brachte, sondern auch eine Lektion darin lehrte, wie harmonisch Gegensätze miteinander koexistieren können.

Japan besteht aus insgesamt 6.852 Inseln, von denen die vier größten – Honshu, Hokkaido, Kyushu und Shikoku – etwa 97% der Gesamtfläche ausmachen. Eine Besonderheit Japans ist seine Gebirgslandschaft: Rund 75% der Landesfläche sind von Bergen oder Wäldern bedeckt. Der höchste Gipfel, der ikonische Mount Fuji, ragt 3.776 Meter in die Höhe und wird von Einheimischen und Besuchern gleichermaßen verehrt.

Mit einer Bevölkerung von etwa 126 Millionen Menschen (Stand 2023) ist Japan das 11. bevölkerungsreichste Land der Welt. Die Bevölkerungsdichte liegt bei etwa 333 Einwohnern pro Quadratkilometer, was deutlich über der Dichte Deutschlands liegt, die bei etwa 232 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt. Japan ist allerdings auch von einem demografischen Wandel geprägt: Die Bevölkerung schrumpft und altert rapide, was Herausforderungen für die Wirtschaft und das soziale Gefüge des Landes mit sich bringt.

Japan blickt auf eine über 2.000-jährige Geschichte zurück, die von Kaiserdynastien, Samurai-Traditionen und einer außergewöhnlichen Mischung aus Isolation und Offenheit geprägt ist. Im 19. Jahrhundert gelang Japan mit der Meiji-Restauration ein beispielloser Modernisierungssprung, der das Land zu einer der führenden Industrienationen der Welt machte.

Traditionen spielen trotz des technologischen Fortschritts eine zentrale Rolle. Rituale wie die Teezeremonie oder das Hanami (Betrachten der Kirschblüte) sind tief in der japanischen Kultur verwurzelt. Auch die japanische Religion, eine Mischung aus Shintoismus und Buddhismus, prägt den Alltag vieler Japaner.

Japan gehört zu den größten Volkswirtschaften der Welt und ist insbesondere für seine Technologie- und Automobilindustrie bekannt. Marken wie Toyota, Sony und Nintendo haben das Land zu einem Synonym für Innovation gemacht. Trotz dieser Modernität bewahrt Japan eine starke Verbindung zu seinen handwerklichen Traditionen, sei es in der Herstellung von Katana-Schwertern, Keramik oder Seide.

Trotz seiner dichten Besiedlung hat Japan atemberaubende Naturlandschaften zu bieten. Neben dem Mount Fuji sind die heißen Quellen (Onsen), die Wälder von Yakushima und die malerischen Dörfer in den japanischen Alpen besonders sehenswert. Japan ist auch ein Land der Extreme: Es liegt am sogenannten Pazifischen Feuerring und ist regelmäßig von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis betroffen.

Japan ist ein Land der Gegensätze und Harmonie: Moderne Megastädte wie Tokio und Osaka stehen im Kontrast zu den stillen Schreinen und Tempeln, während die Hightech-Wirtschaft durch tiefe Traditionen ergänzt wird. Mit seiner reichen Kultur, faszinierenden Geschichte und beeindruckenden Natur ist Japan nicht nur ein beliebtes Reiseziel, sondern auch ein Land, das in vielerlei Hinsicht einzigartig ist.

Hier noch ein paar Fakten:

  • Fläche: Japan (377.975 km²) ist etwas größer als Deutschland (357.022 km²).
  • Bevölkerung: Japan hat etwa 125 Millionen Einwohner, während Deutschland rund 84 Millionen zählt.
  • Bevölkerungsdichte: Japan (334 Personen/km²) ist dichter besiedelt als Deutschland (233 Personen/km²).
  • Wirtschaft: Japan ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt (nach den USA und China), während Deutschland auf Platz 4 folgt.

Die japanische Literaturszene ist vielfältig und reich an Stimmen, die weltweit Anerkennung finden. Ich lese wahnsinnig gerne Literatur aus Japan und sie ist auch weit verbreitet in deutschen Buchläden. Ich würde sagen Literatur aus Japan erlebt einen wahnsinnigen Boom (neben Südkorea) und Autor*innen wie Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, Yogo Ogawa, Syaka Murate, Fuminori Nakamura um nur ein paar zu nennen, sind auch aus der deutschen Literaturlandschaft nicht mehr wegzudenken. Literatur hat in Japan einen hohen Stellenwert; Buchhandlungen und Lesekultur sind tief in der Gesellschaft verankert, und Autoren genießen großes Ansehen, insbesondere für ihre Fähigkeit, die menschliche Erfahrung in poetischer Klarheit darzustellen.

Da ich ein Buch vorstellen wollte, das ich bisher noch nicht gelesen habe, entschied ich mich für Butter von Asako Yuzuki.

Butter – Asako Yuzki erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich habe Butter von Asako Yuzuki fast in einem Rutsch gelesen – was irgendwie passend ist, wenn man bedenkt, wie sehr Essen und Genuss im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Die Geschichte kombiniert Elemente eines Krimis mit tiefgehender Sozialkritik und ich bewundere jeden, der es schafft diesen Roman zu lesen ohne permanent hungrig zu sei. Ich mußte sogar die Lektüre unterbrechen um mir Reis mit Butter zu kochen.

Die Handlung dreht sich um Rika Machida, eine ehrgeizige Journalistin, die sich an einem spektakulären Fall die Zähne ausbeißt: die mysteriöse Manako Kajii, die mehrere Männer umgebracht haben soll. Kajii ist eine faszinierende Figur – talentierte Köchin, Femme fatale und zugleich Ziel von unerbittlicher medialer Hetze wegen ihres Aussehens und ihrer Lebensweise.

Was mich besonders an Butter beeindruckt hat, ist, wie Yuzuki den Fokus auf die Themen Misogynie, Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen richtet. Während Rika Kajii immer wieder im Gefängnis besucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Recherche und persönlicher Obsession. Die Gespräche der beiden Frauen sind mal provokativ, mal tiefsinnig, und sie zeigen, wie Essgewohnheiten und Selbstwahrnehmung oft von Kindheitstraumata und gesellschaftlichen Zwängen geprägt sind.

Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise. Je aufwändiger sie kochten, desto besser gelang es ihnen, die Außenwelt auszuschließen und eine innere Festung zu errichten. Mit Klingen und Flammen rückten sie den Zutaten zu Leibe, um sie nach ihrem Willen zu formen.

Die Parallelen zwischen Rika und Kajii fand ich dabei spannend, aber auch beklemmend. Während Rika immer tiefer in die Welt von Kajii eintaucht, wird sie selbst zur Zielscheibe ähnlicher Kritik: Ihr wachsender Appetit und die Gewichtszunahme werden von ihrem Umfeld kommentiert und abgewertet – ein Spiegel dessen, was Kajii erlebt hat. Das macht die Geschichte nicht nur persönlich, sondern auch universell, denn es geht um viel mehr als einen Mordfall: Es geht darum, wie Frauen in Japan (und weltweit) zwischen widersprüchlichen Erwartungen zerrieben werden. Ich konnte es gar nicht fassen, dass die Protagonistin mehrfach als unfassbar fett betitelt wird und dabei kaum 60kg auf die Waage bringt.

Asako Yuzuki, geboren 1981 in Tokio, ist eine recht bekannte japanische Autorin, die sich durch ihre scharfsinnigen gesellschaftlichen Analysen einen Namen gemacht hat. Bevor sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, arbeitete sie selbst als Journalistin, was man in Butter spürt: Die Recherche, die Tiefe und die Präzision in ihrer Darstellung von Medien und Gesellschaft wirken authentisch und fundiert. Butter wurde in Japan zu einem Bestseller und zeigt, wie Yuzuki mit feministischen Themen auf leise, aber eindringliche Weise umgeht.

Mir hat der Roman gefallen, er hätte aber gut und gerne 1/3 kürzer sein können, er war stellenweise etwas repetitiv.

Mein Filmtipp für Japan dürfte wenig überraschend sein für alle, die mich ein bißchen kennen, denn ich habe diesen Film schon massig empfohlen und hochgelobt: „Perfect Days“ von Wim Wenders – einer meiner absoluten Lieblingsfilme 2024:

Perfect Days von Wim Wenders ist ein ruhiges, poetisches Porträt eines introvertierten Toilettenreinigers in Tokio, der durch die kleinen Momente des Alltags und seine Liebe zu Büchern und Musik die Schönheit des Lebens feiert.

Musikalisch kann es für mich nur eine Band aus Japan geben: MONO – eine ikonische Post-Rock-Band bekannt für ihre epischen, emotionalen Klanglandschaften. Seit ihrer Gründung im Jahr 1999 haben sie zahlreiche Alben veröffentlicht und ich hatte auch schon das Glück sie live zu erleben. Alben wie Hymn to the Immortal Wind (2009), eine Mischung aus orchestralen Arrangements und intensiven Gitarrenwänden, und You Are There (2006), ein Meisterwerk voller melancholischer Schönheit, gehören zu ihren wichtigsten Werken. Ihre Musik ist introspektiv, dramatisch und zeitlos – ein Erlebnis, das unter die Haut geht.

Habt ihr jetzt vielleicht Lust bekommen, euch noch mal auf die anderen Stationen der Weltreise zu begeben? Dann bitte hier entlang:

Großen Applaus für alle, die bis hier hin durchgehalten haben. Ich hoffe euch hat der Ausflug nach Japan Spaß gemacht – ich habe auf jeden Fall riesige Lust mal wieder hinzufahren. Eines meiner aufregensten Reiseerlebnisse bisher.

Möchtet ihr noch ein bißchen in Japan bleiben? Hier sind weitere japanische Bücher die ich hier rezensiert habe: Tatsuki Fujimoto – Goodbye Eri, Waka Hirako – My broken Mariko, Yasushi Inoue – Der Tod des Teemeisters, Natsu Miyashita – Der Klang der Wälder, Lucy Fricke – Takeshis Haut, Haruki Murakami – Mr. Aufziehvogel, Erste Person Singular, Von Beruf Schriftsteller, Sayaka Murata – Convenience Store Woman, Fuminori Nakamura – The Thief, Die Maske, Sosuke Natsukawa – The cat who saved books, Yoko Ogawa – The Memory Police, Marion Poschmann – Die Kieferninseln, Franka Potente – Zehn, Natsume Soseki – Der Bergmann, Rin Usami – Idol Burning, Edmund de Waal – Der Hase mit den Bernsteinaugen, Banana Yoshimoto – NP, Ein seltsamer Ort

Seid ihr schon mal nach Japan gereist? Wie hat es euch gefallen? Welche japanischen Autor*innen / Bands / Filme könnt ihr empfehlen? Ich freue mich sehr von euch zu hören.

Der nächste Stopp ist etwa 8000km entfernt – kommt ihr wieder mit?

Januar by the Book

Im frostigen Januar tauchte ich tief ein in die Welt der Bücher die mir eine gemütliche Flucht vor der winterlichen Kälte boten. Mit Barbara Kingsolver lernte ich unfassbar viel über die Opioid Krise in den USA, Naomi Aldermans blickte auf Tech Milliardäre, Macht und Gesellschaft, mit Haruki Murakamis reiste ich in ein faszinierendes Paralleluniversum, während Cho Nam-Joo mich mit ihrem Blick auf die südkoreanische Gesellschaft nachdenklich stimmte. Hörbücher über Caspar David Friedrich und gruselige Leuchttürme komplettierten meine literarische Reise, die mich von der Ostsee über Dresden bis hin zu den Weiten der USA führte. Das war ein richtig guter Lese Monat mit gleich mehreren 5 Sterne Büchern und keinem einzigen Ausfall – so mag ich das.

Jetzt wieder wie gewohnt in alphabetischer Reihenfolge durch den Lesemonat Januar:

The Future – Naomi Alderman erschienen im Heyne Verlag übersetzt von Barbara Ostrop

Ich habe „The Future“ inhaliert und innerhalb von 36 Stunden beendet. Was Bücher angeht ist 2024 richtig großartig bisher. Ich werde versuchen, hier nicht zu viel zu verraten, also schnallt euch an:
In The Future geht es darum, wie sich fiktive Versionen von Techno-Giganten wie Jobs, Bezos und Zuckerberg auf ein möglicherweise bevorstehendes apokalyptisches Ereignis vorbereiten. Sie haben geheime Bunker auf der ganzen Welt in denen sie sich vom Rest der Welt isolieren könnten, falls die Kacke mal wieder am Dampfen ist. Eine Gruppe von Menschen die diesen CEOs nahe stehen, erkennen dass es ebendiese CEOs sind, die an der Situation Schuld sind und zu ihrem Entstehen beigetragen haben auch weil sie komplett immun sind was die Probleme angeht denen der Rest der Welt gegenübersteht. Diese Gruppe wird zu Freund*innen die einen waghalsigen Plan aushecken um zu verhindern, dass wirklich alles den Bach runtergeht. Der Roman strotzt vor großartiger Ideen und spannenden Einsichten. Ich hab unfassbar viel gelernt. Alderman ist eine Brainbox und ich finde „The Future“ ist ein würdiger Nachfolger von „The Power“.

„Wie entsteht Vertrauen zwischen Menschen? Es ist ein Geben und Nehmen. Es fängt damit an, dass man sich in eine Lage begibt, in der man verletzlich ist, wenn auch zunächst nur ein wenig. Man prüft, ob der andere das ausnutzt. Vertrauen entsteht, wenn Menschen sich einander zuwenden und im selben Moment lachen. Es ist, als fertigte man in seinem Inneren ein Modell der anderen Person an, setzte es sich auf die Hand, betrachtete es von allen Seiten und sagte sich: Ja, ich sehe die Fehler und Gefahren, aber hier wird mir nichts geschehen.“

Wer Lust auf einen intelligenten, tiefgründigen Technothriller hat, der Hoffnung gibt in diesem grauen Januar, der ist hier genau richtig. Einzige Kritik – jeez hatten die Protagonisten teilweise Namen: Lenk Skettlish, Zimri Nommik, Si Packship ähmmm ok 😉

The Lighthouse Witches – CJ Cooke bislang nicht auf deutsch erschienen

Jaaaa ich weiß, ich weiß. Gerade hab ich noch gesagt jetzt erst mal keine Gothic Novels mehr und hier bin ich mit einer Gothic Novel. Aber zu meiner Ehrenrettung muss ich sagen, ich hab das Audiobook schon vor Weihnachten angefangen und gestern als München so leise eingeschneit wurde und ich das Bücherregal sortiert hab, war es einfach der perfekte Moment es zu Ende zu hören. Erfreulicherweise hat es sich auch richtig gelohnt, der Roman hat mir sehr gefallen CJ Cooke did it again 🙂

The Lighthouse Witches spielt in auf einer rauen Hochseeinsel in Schottland und die Sprecher des Audiobooks hatten einen so wunderbaren schottischen Akzent, dass alleine das dem Roman schon Bonuspunkte gebracht hat.

Ich liebe den schottischen Akzent so sehr, man könnte mir wahrscheinlich auch das Telefonbuch von Inverness vorlesen und ich würde 5 Sterne vergeben.

The Lighthouse Witches spielt auf drei Zeitebenen. Da ist zum einen Liv die in einer Nacht- und Nebelaktion ihre drei Töchter ins Auto packt und düst mit ihnen auf die abgelegene schottische Insel Black Isle wo sie in einem Leuchtturm ein Mural malen soll.
Die Insel ist nicht wirklich idyllisch. Rau, dunkel, einsam und ein Ort voller Mythen und düsteren Ereignissen.

„I used to tell myself that I regretted the choices I’d made in my life. But every choice, including the wrong ones, made me who I was… -both the good and bad experiences strengthened you, shaped you. We are not just made of blood and bone- we are made of stories. Some of us have our stories told for us, other write their own- you wrote yours.“

Ein gelungener Mix aus schottischer und nordischer Folklore, eine Höhle in der Frauen die der Hexerei angeklagt waren festgehalten und gefoltert wurden, bevor man sie verbrannte, Wildlings, Hexen, Flüche und Kinder die verschwinden.

Es dauert nicht lange, bis auch Livs Töchter verschwinden und in einer weiteren Timeline treffen wir Luna eine ihrer Töchter wieder, die nach über 20 Jahren den Anruf erhält, dass ihre verschwundene Schwester wiedergefunden wurde, allerdings ist diese nach wie vor ein Kind von 7 Jahren.

In der dritten Timeline hören wir aus Patricks Tagebuch was im 17. Jahrhundert während der Verhaftungen der Frauen als Hexen, der Anklage und letztendlich der Hinrichtungen tatsächlich passierte.

CJ Cooke verbindet all das zu einer spannenden Geschichte die viel Atmosphäre hat und sehr gut an einem kalten Winterwochenende gehört oder gelesen werden kann. Empfehlung!

Zauber der Stille – Florian Illies erschienen im S. Fischer Verlag

Ein zauberhaftes Buch, dass mir eigentlich gar nicht hätte gefallen sollen. Denn wer hier eine stringent erzählte Geschichte erwartet wird bitter enttäuscht. Es handelt sich eher um lose Vignetten, die Momente aus Friedrichs Leben oder den Menschen erzählen die mit seinen Bildern zu tun hatten, sie liebten oder verachteten. Und sowas mag ich eigentlich nicht.

Hier hat es aber richtig gut funktioniert. Habe den Roman als Hörbuch gehört (Sprecher #stephanschad) und konnte gar nicht aufhören von den spannenden, teilweise zutiefst traurigen, aber auch witzigen und überraschenden Momenten aus Friedrichs Leben zu erzählen.
All den Menschen da draußen, denen ich in den letzten Tagen als Friedrich Fangirl auf den Zwirn gegangen bin – sorry 😉

„Es ist vielleicht das kostbarste Gut der schönsten Gemälde Friedrichs, dass sie keine Antworten geben und nur Fragen stellen.“

Seine Bilder habe ich schon immer geliebt, das aber lange für eine meine zu wenig entwickelte künstlerische Ader zu halten, die doch lieber „schwierige“ moderne Kunst mögen sollte, als diese „einfachen“ zugänglichen Bilder. Half aber nix, mochte #casperdavidfriedrich und seine schwarz-romantischen Bilder schon immer.

Er ist mir sehr ans Herz gewachsen, der schwierige Caspar, der schon als Kind schreckliche prägende Erlebnisse machen musste, der ein Goethe-Fanboy war und gar keine Gegenliebe bekam, dem er dann irgendwann aber auch einen zackigen Korb verpasste.

Ich war faszinierend vom Brandschutzbeauftragten Friedrich, der Feuer so sehr fürchtete und dessen Bilder so oft dem Feuer zum Opfer gefallen sind.

Ich danke meiner lieben Freundin Barbara sehr, die mir diesen Roman sehr ans Herz gelegt hat. Recht hatte sie!

Wenig können wir momentan so sehr brauchen wie etwas mehr Stille und ich freue mich schon auf den nächsten Hamburg Besuch, damit ich die Friedrichs mal wieder besuchen kann in der Hamburger Kunsthalle.

Große Empfehlung für dieses Buch – es erweitert den Blick, spendet Ruhe und macht große Lust auf einen Besuch im Museum.

Demon Copperhead – Barbara Kingsolver auf deutsch im dtv Verlag erschienen, übersetzt von Dirk van Gunsteren

Ich habe das Buch nur gelesen, weil es die Januar Lektüre unseres Bookclubs ist und hatte eigentlich gar keine Lust drauf. Aus irgendeinem Grund hatte ich Vorurteile gegen Barbara Kingsolver, befürchtete irgendwie süßliche Familiengeschichten in denen viel gekocht, eingemacht und geheiratet wird und wurde wieder einmal gründlich überrascht.

Demon Copperhead ist die Geschichte eines Jungen der in den Appalachians in einem Trailerpark zur Welt kommt. Seine Mutter ist eine junge drogensüchtige Frau selbst noch minderjährig.
Demon erlebt schreckliche Ungerechtigkeiten und die Unzulänglichkeiten des Systems mit Blick auf Pflegefamilien, Kinderarbeit und die systemische Ausbeutung von Menschen.

Kingsolvers Blick ist voller Empathie für ihre Figuren und die Menschen in Appalachia, auf die in der Regel voller Häme und Überheblichkeit herabgesehen wird. Dieses Buch macht wütend, insbesondere auf die Pharma-Industrie die sehenden Auges Millionen Menschen aus Profitgier in die Abhängigkeit gestürzt hat.

„Certain pitiful souls around here see whiteness as their last asset that hasn’t been totaled or repossessed.”

Ich habe unfassbar viel gelernt in diesem Buch, konnte es überhaupt nicht aus der Hand legen und ich glaube ich vermisse Demon, Jules, Annie und Angus noch eine ganze Weile.
Ich habe Dickens „David Copperfield“ vor vielen Jahren gelesen und Kingsolver ist eine mehr als würdige Nachfolgerin.

Ein großartiger Roman den ich euch sehr ans Herz legen möchte.
Gehet, kaufet und leset 😉

Maniac – Benjamín Labatut erschienen im Suhrkamp Verlag, übersetzt von Thomas Brovot

Maniac von Benjamín Labatut schlug bei mir ein wie eine Bombe. Mensch vs Maschine und die Suche nach den Anfängen der Künstlichen Intelligenz. Er verknüpft das Schicksal des Physikers Paul Ehrenfest in den 1930er Jahren, den die wachsende Macht der Nazis immer panischer werden lässt mit dem des genialen dämonischen Begründer der Spieltheorie, dem Geburtshelfer der Atombombe, KI Pionier und Teil der ungarischen Wissenschaftler die „die Ausserirdischen“ genannt wurde.
Wahrscheinlich war von Neumann zu Lebzeiten wohl dem am nächsten was man eine künstliche Intelligenz nennen konnte.

Von Neumann besaß eine zutiefst rationale aber auch unmenschliche Intelligenz, der die innersten Bedürfnisse des Menschen gleichgültig sind. Labatut beleuchtet die Geschichte der KI und – insbesondere im letzten Teil des Buches in dem es um den koreanischen Go-Spieler Lee Sedol und seinem Kampf Mensch gegen Maschine – wohin die Reise der KI gehen könnte. Das Buch wirft viele Fragen auf, man kommt aus dem Nachdenken nicht heraus und ist dabei überaus lesbar und eingängig. Große Empfehlung. Auch für Menschen die ggf in der Schule nicht so viel mit Mathematik oder Physik am Hut hatten. Lesen und danach (nochmal) Oppenheimer sehen, man wird viele Bekannte aus dem Buch im Film wiederfinden.

„Er lächelte nur und sagte mit leiser Stimme, genau dann, in den dunkelsten Zeiten, könne man am weitesten sehen“

Habe Herrn Labatut bei einer Lesung im Literaturhaus „kennengelernt“ und habe mein Buch signieren lassen. Ein interessanter Autor, bin aber nicht sicher, ob ich unbedingt ein Bier mit ihm trinken möchte. Muss ich aber auch nicht. Er soll einfach weiter Bücher schreiben. Kann er gut.

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer – Haruki Murakami erschienen im Dumont Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich bin dieses Mal nicht komplett warm geworden mit dem Protagonisten, dem Buch und schon gar nicht mit der Stadt. Klingt jetzt alles schlimmer, als es ist – denn auch ein Murakami mit dem ich nicht vollumfänglich warm geworden ist, ist immer noch ein schönes Leseerlebnis und ich habe auch sehr viele durchweg positive Stimmen gehört, ich denke, es liegt in diesem Fall wirklich mehr an mir als am Buch.
Das Buch soll eine Art Weiterführung von „Hard Boiled Wonderland“ sein – ein Roman der auch nicht zu meinen Favoriten gehört, da liegt vermutlich der Grund fürs fremdeln.

Ich mochte die olle Stadt nicht, wollte nicht so viel Zeit in ihr verbringen mit dem Protagonisten der seinen Schatten aufgegeben hatte und seine Augen am Tor zur Stadt operieren lassen musste um in der örtlichen Bibliothek alte Träume lesen zu können. Die Bibliothek hat keine Bücher (!), und der Grund warum er in die Stadt gelangt, war natürlich eine verschwundene Frau die er in der Bibliothek auch wieder trifft, die ihn aber nicht erkennt und die irgendwie insgesamt ziemlich farblos bleibt und ich nicht nachvollziehen kann, warum er sein Leben lang so derart fasziniert von ihr ist.

„In meinem Kopf tobte ein heftiger Kampf zwischen Wirklichem und Unwirklichem. Ich stand jetzt an der Schwelle zwischen Bewusstem und Unbewusstem, und musste mich entscheiden, zu welcher Welt ich gehören wollte.“

Der zweite Teil des Romans war schon etwas mehr nach meinem Geschmack und enthielt zumindest in homöopathischen Dosen die für mich so notwendigen Zutaten für mein rauschhaftes Murakami-Erlebnis: es wurde zumindest gelegentlich gekocht – einfache Mahlzeiten natürlich, ein Glas Chablis getrunken, in einer Bibliothek MIT Büchern gearbeitet (!), gelesen und Musik gehört. Es war alles in allem eine Geschichte die mir wie ein etwas größer geratener Macaron vorkam: zart, leicht süß aber kaum im Mund ist er auch schon weg (vielleicht entsteht die Assoziation auch durch das pastellige Cover – gegessen habe ich allerdings bei der Lektüre nach Jahren mal wieder einen Blaubeer-Muffin der war auch ein bißchen süß.)

Ein 3,5 Sterne Murakami das ist durchaus solide und ich freue mich schon auf alle weiteren Romane die noch kommen. Bei den einfachen Mahlzeiten, dem ausreichenden Schlaf und dem vielen Sport den er treibt wird er doch sicher 120 🙂 Großartig übersetzt wieder von der wunderbaren Ursula Gräfe.

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah – Cho Nam-Joo erschienen im KiWi Verlag, übersetzt von Jan Henriks Dirk

Manis lebt als Mittdreißigerin noch immer zu Hause mit ihren Eltern in einem der der ärmsten Stadtteile von Seoul. Ihr Vater arbeitet in einem Imbiss und ihre Mutter ist Hausfrau. Als kleines Mädchen wollte Mani Sportgymnastin werden, inspiriert durch die Olympiade 1988 in Seoul. Ihre Mutter ermöglicht ihr unter schwierigen Umständen das Training muss aber schnell einsehen, dass sie im Vergleich zu anderen nur wenig Talent hat. Und wenig Talent reicht oft reicheren Menschen aus, weil sie die Mittel haben trotzdem weiterzumachen, Nachhilfe zu bekommen, Förderung etc aber ein armes Mädchen wie Mani hat eigentlich nur eine Chance. Übergroßes Talent und großes Glück. Und beides hat sie nicht. Sie führt ein einfaches, langweiliges Leben und der Roman schafft es aus meiner Sicht genau diese Lethargie, diese Kraftlosigkeit der Manis dieser Welt zu transportieren, denen einfach die Energie fehlt sich weiter groß anzustrengen. Für die es kein Entkommen gibt aus der Armut.

Mani erwartet wenig vom Leben und bekommt auch nicht viel.

In Seoul liegen bittere Armut und riesiger Reichtum ganz nah beieinander, anders als in „Saltburn“ oder „Parasite“ gibt es hier keine dramatischen unerwarteten Wendungen sondern Mani bekommt mehr oder weniger vom Leben das was sie auch erwartet.

„Armselig bis auf die Knochen … Diese Angewohnheit, ohne Rücksicht auf die Qualität partout das Billigste zu wählen. Selbst wenn wir eine Milliarde, ach was, zehn Milliarden Won im Lotto gewonnen hätten – einfach mal richtig schön essen gehen wäre vermutlich trotzdem nicht drin gewesen. Ganz gleich, ob wir so verzagt geworden waren, weil wir arm waren, oder ob wir glaubten, dass wir unserer Armut – hipp, hipp, hurra! entkommen könnten, wenn wir so verzagt lebten.“

Die Müdigkeit, das fehlende Selbstvertrauen, die Hoffnungslosigkeit die Mani ausstrahlt zieht sich durch den Roman und macht den Roman zu keiner einfachen, aber sehr lohnenswerten Lektüre.
Arm bleibt Arm – viel zu oft.

Aber man muss sich auf diverse Körperflüssigkeiten und Toilettengänge mit Detailbeschreibungen einlassen. Die bieten auf jeden Fall eine Menge Comic Relief.
Ich danke dem KiWi Verlag für dieses Rezensionsexemplar / unbezahlte Werbung

Das war also der Januar und jetzt freue ich mich wieder von Euch zu hören. Was davon habt ihr auch gelesen / wollt ihr noch lesen? Wo unterscheiden sich unsere Meinungen, wo decken sie sich? Konnte ich Euch auf das eine oder andere Buch neugierig machen?

Türchen 19: Gesammelte Tshirts – Haruki Murakami

Herr Murakami ist mir mit dieser Idee zuvor gekommen! Ich könnte und würde schon auch gerne mal ein Buch machen zu meinen gesammelten Tshirts. Im Gegensatz zu ihm ziehe ich die aber alle an. Und mangels Haus oder gar Häuser muss ich mich auch schweren Herzens trennen, wenn Bandshirts aus den 90ern vom Leib fallen oder man selbst mit viel Anstrengung nicht mehr erkennen kann, was überhaupt zu sehen sein sollte auf dem Shirt.

Eine liebe Freundin aus dem Bookclub hat mich (neben einem anderen spannenden Buch – doch dazu demnächst hier mehr) mit diesem Kleinod des Murakamischen Kaleidoskops als Secret Santa überrascht.

Das Buch bietet einen Überblick über die megalomanische Sammlung an Tshirts im Hause Murakami. Der Mann ist anscheinend der geborene Sammler. Ob Shirts, Platten, Bücher, Autos, Flipperautomaten, Laufveranstaltungen – er kann nicht genug bekommen. Seltsam eigentlich für einen ansonsten so asketisch agierenden Herren, der stets nur einfache Mahlzeiten zu sich nimmt mit maximal einem kleinen Bier oder Whisky und der spätestens um 21.00 Uhr im Bett liegt nachdem er 50km gelaufen ist.

Oh und er spricht wirklich nicht gern über sich, aber auch grundsätzlich glaube ich nicht so wahnsinnig gerne mit anderen Leuten. Da lässt er lieber seine Shirts sprechen, die tatsächlich eine Menge über ihn verraten. Also zum Beispiel wie wenig gerne er mit anderen spricht, oder noch schlimmer von anderen angesprochen werden möchte, wie er es schon als junger Mann geschafft hat soviel Zeit in seinem Leben ohne Lohn-Arbeit zu verbringen (die Sache auf die ich bei ihm am allerneidischsten bin – behalte all dein Geld, deine Häuser, deine Autos – ich will nur deine ZEIT!) und wie sehr er auf sein Geld achtet, egal wieviel er mittlerweile davon wahrscheinlich hat.

Das Buch selbst hat nur zwei Tshirts auf meinen Shirt-Wunschzettel geworfen, ansonsten haben Herr Murakami und ich auch weiterhin eine erstaunlich kleine Schnittmenge was Shirts, Musik und Autos angeht. Bei Büchern ist sie deutlich größer.

Das perfekte Geschenk für alle Hardcore Murakami Fans, die ihre Sammlung komplettieren wollen, oder Lust haben noch ein bisschen mehr über den introvertierten Meister zu erfahren. Erschienen ist „Gesammelte Tshirts“ im Dumont Verlag, übersetzt wurde es von Ursula Gräfe.

Ach ja und Vorbestellungen für mein Buch „Bingereaders gesammelte Tshirts“ können hier direkt aufgegeben werden 😉

Die Chroniken des Aufziehvogels – Haruki Murakami

Der Grund für die Neuauflage des Aufziehvogels war die Neuübersetzug der obersten Instanz in Murakami Fragen, der Übersetzerin Ursula Gräfe. Sie übersetzte das Werk direkt aus dem Japanischen, im Gegensatz zur früheren Ausgabe, die vom Japanischen ins Amerikanische und dann erst ins Deutsche übersetzt wurde.

Zu meiner großen Schande muss ich gestehen, dass ich üblicherweise nicht super sensibel bin, was Übersetzungen angeht. Habe schon im Bookclub des Öfteren erstaunt geschaut, wenn meine englischsprachigen Mitstreiterinnen überzeugt waren, ein Buch hätten ihnen gegebenenfalls besser oder schlechter gefallen und es würde an der Übersetzung liegen.

Wahrscheinlich sollte ich das als Literatur-Bloggerin nicht zugeben, aber ich lese Bücher zumeist ihrer Atmosphäre wegen und/oder auf der Suche nach Erkenntnisgewinn. Schöne Sprache nehme ich schon wahr und erfreue mich an ihr, aber allein der schönen Sprache wegen glaube ich würde ich ein Buch nicht lesen, wenn mir die Atmosphäre nicht gefällt, die Story mich nicht fesselt oder ich keinen wirklichen Erkenntnisgewinn habe.

Herr Buchrevier hatte einzelne Sätze aus der alten und der neuen Ausgabe miteinander verglichen und ja, im direkten Vergleich kann ich schon sagen, welche Version ich schöner finde, aber ich glaube nicht, dass es einen so großen Unterschied bei mir machen würde, wie gut ein Buch mir gefällt, wie das bei vielen anderen Menschen der Fall zu sein scheint.

Ich habe den Aufziehvogel wieder sehr gerne gelesen, hatte mein altes Exemplar leider nicht mehr, da es eine gebrauchte Taschenbuchausgabe war, die das mehrfache Lesen nicht überlebt hatte und sich in Einzelteile aufgelöst hatte.

Es ist nicht mein Lieblings-Murakami – auch beim nochmaligen lesen nicht – dafür sitzt er mir dann doch einen Ticken zu lange im Brunnen und ich bin noch immer genervt von den endlosen Kriegskapiteln, die ich (wieder) überblättert habe.

Der Titel des Buches „Die Chroniken des Aufziehvogels“ bezieht sich auf einen merkwürdigen Vogel, den nie jemand tatsächlich zu Gesicht bekommt und dessen Ruf irgendwie ein Überbringer schlechter Nachrichten zu sein scheint. Die Geschichte ist nicht einfach wiederzugeben. Man wird von Anfang an in eine Art hypnotischen Strudel hineingezogen, in dem sich das Suchen nach verschwundenen Katzen, Menschen und Gegenständen im Zentrum befindet.

Toru Okada, ein Mann in Tokio Anfang 30, hat keinen Job, keinerlei Ambitionen und eine Ehe, die langsam aber sicher zerbröselt. Als ihre Katze verschwindet, sucht er auf Anraten seiner Frau Hilfe bei dem merkwürdigen Geschwisterpaar Malta und Kreta Kano, die ihm ab da weder im echten Leben, noch im Traum,  von der Seite weichen.

Seine Frau verlässt ihn plötzlich und ohne jegliche Erklärung, er hängt viel mit einer pupertierenden Schulabbrecherin ab, die sich unaufhörlich mit dem Tod beschäftigt und die für eine Perückenfabrik arbeitet.

Toru versucht seine Frau zu finden, versucht, all die verschiedenen Sachen zu verstehen, die ihm in letzter Zeit so passiert sind und um besser nachdenken zu können, begibt er sich auf den Boden eines Brunnens in der Nachbarschaft. Dort unten in der absoluten Einsamkeit macht er bizarre Erfahrungen, die wirklich sind oder auch nicht. Er wird irgendwann von Kreta Kano gerettet und im Laufe der Geschichte verbringt Toru mehr und mehr Zeit im Hotel oder in einem mysteriösen Hotelzimmer, das vermutlich nur in seiner Phantasie existiert. Es wird immer schwieriger zu unterscheiden, was wirklich ist und was nicht.

Murakami versteht es meisterhaft Flashbacks, Träume, Zeitungsartikel, Internet Chats, Briefe und Berichte in seine Geschichte einzubauen.

Die Frauen in seinen Büchern sind immer die stärkeren, geheimnisvolleren, die regelmäßig verschwinden und auf deren Suche der meist recht antriebslose Protagonist gehen muss.

Murakami lesen und ganz besonders auch den Aufziehvogel ist, als würde man sich auf eine Achterbahnfahrt durch die Träume eines anderen Menschen bewegen. Das mag man oder eben auch nicht. Einige dieser Bilder lassen mich gar nicht mehr los. Einige sind wiederkehrende Motive seiner Bücher und ich bekomme die verwinkelten labyrinthartigen Hotelflure nicht mehr aus dem Kopf, den trockenen Brunnen, den Vogel in der merkwürdigen Gasse, die keinen Durchgang hat, der Rossini pfeifende Kellner, das Teenager-Mädchen beim ewigen Sonnenbad in den verwunschen anmutenden Gärten und leider vergesse ich auch das Hautabziehen am lebendigen Leib nicht mehr.

„Je beschränkter der geistige Horizont eines Mannes ist, desto mehr Macht kann er in einem Land gewinnen.“

Ich danke dem Dumont Verlag für das Rezensionsexemplar.

11