Octavian ist ein junger Bücherwurm, eher an Philosophie als an Politik interessiert, schmächtig und häufig krank. Als sein Großonkel Caesar ermordet wird, findet er sich plötzlich damit konfrontiert, der mächtigste Mann Roms zu werden. Es gibt natürlich fiese Machtkämpfe, blutige Kämpfe and Tragödien, aber es scheint sein Schicksal zu sein, das korrupte Rom zu tansformieren und einer der größten Herrscher des Römischen Reiches zu werden.
Als „Augustus“ von John Williams bei unserer letzten Abstimmungsrunde im Bookclub als einer der Gewinner über die Ziellinie lief, musste ich innerlich ein bisschen weinen und hatte schon kurz mit dem Gedanken gespielt, das Buch zu schwänzen, denn fette historische Romane gehören nicht üblicherweise zu meinem Beuteschema und ich hatte gehörig Respekt vor diesem Buch.
John Williams – ein Autor der alle paar Jahre einmal wiederentdeckt wird – hat es aber unglaublich gut geschafft, der historischen Figur wirklich Leben einzuhauchen. Er zeigt die Protagonisten von ihrer menschlichen Seite, wir erleben Höhen und Tiefen, ihre Erfolge, Sehnsüchte und Schicksalsschläge mit ihnen. Man fühlt sich beim Lesen des Buches als würde man durch ein Kaleidoskop schauen. In fiktiven Briefen, Tagebucheintragungen, Gedichten, Memos, Militärische Befehle, Petitionen und ärztliche Rezepte sehen wir die unterschiedlichen Facetten der Protagonisten. Der Kontext verändert sich ständig und nach und nach setzt sich das Bild der Charaktere zusammen, um sich durch den nächsten Brief vielleicht komplett zu verändern.
„Augustus“ ist weniger ein Roman als eine Collage mit Dokumenten, Briefen und Fragmenten, die schimmernden Reflektionen verwirren, es ist nie ganz klar wo wir gerade sind, sowohl zeitlich, örtlich oder wer gerade an wen schreibt, aber im Laufe des Buches wird das einfacher und John Williams‘ Sprache ist so konkret, schnörkellos und doch poetisch, ich kam aus dem Unterstreichen gar nicht mehr heraus.
“It seems to me that the moralist is the most useless and contemptible of creatures. He is useless in that he would expend his energies upon making judgments rather than upon gaining knowledge, for the reason that judgment is easy and knowledge is difficult. He is contemptible in that his judgments reflect a vision of himself which in his ignorance and pride he would impose upon the world. I implore you, do not become a moralist; you will destroy your art and your mind.”
“Horace once told me that laws were powerless against the private passions of the human heart, and only he who has no power over it, such as the poet or the philosopher, may persuade the human spirit to virtue.”
Ich hätte mir wirklich nicht träumen lassen, dass ich gar nicht mehr aufhören wollte weiterzulesen. Der erste Teil des Buches handelt von Augustus‘ Aufstieg, beschrieben unter anderem aus der Sicht seiner besten Freunde Marcus Agrippa, Salvidienus Rufus und Gaius Octavius.
Im zweiten Teil kommen die Gefühle und Gedanken der Protagonisten stärker zur Sprache, hier lernen wir eher die persönliche Seite Augustus‘ kennen sowie die Frauen in seinem Leben, insbesondere hören wir die Stimme seiner Tochter Julia, die er über alles liebte, sie – ganz unüblich zu dieser Zeit – von den besten Lehrern ausbilden ließ und die er am Ende brutal verbannte. Wie unfrei die Frauen in Rom waren, selbst wenn sie den mächtigsten Häusern angehörten, war erschütternd für mich zu lesen. Sie wurden von klein auf strategisch verheiratet, als Geburtsmaschinen eingesetzt und hatten gefühlt nicht viel mehr Rechte als Sklaven.
„That which we call our world of marriage is, as you know, a world of necessary bondage; and I sometimes think that the meanest slave has had more freedom than we women have known.“
Foto: Wikipedia
John Williams hat den Frauenfiguren in „Augustus“ eine deutlich klarere Stimme gegegeben als den Männern, insbesondere im ersten Teil des Buches. Julia, Octavia, Livia zum Beispiel sind wunderbar herausgearbeite dreidimensionale Figuren, die mich enorm faszinierten.
Im dritten Teil kommt endlich Augustus selbst zu Wort. Man wird mit seiner existentiellen Einsamkeit konfrontiert und entdeckt wieder neue Nuancen seiner Persönlichkeit. Augustus ist eine Persönlichkeit, über die wir nach wie vor jede Menge und doch kaum etwas wissen und der geradezu einlädt, die Lücken phantasievoll aufzufüllen.
Ein Mann, der mit 25 Jahren bereits nahezu alles erreicht hat und als Imperator in die Geschichte eingehen wird, der seine Macht durch dynastische Ehen sicherte, die dem öffentlichen Augustus halfen, für die der private Augustus teilweise einen hohen Preis zahlen musste.
“I have come to believe that in the life of every man, late or soon, there is a moment when he knows beyond whatever else he might understand, and whether he can articulate the knowledge or not, the terrifying fact that he is alone, and separate, and that he can be no other than the poor thing that is himself.”
Ein Briefroman, den ich auch Menschen ans Herz legen kann, die nicht üblicherweise gern historische Romane lesen. John Williams ist ein außergewöhnlicher Schriftsteller und ich freue mich, dass „Stoner“ und „Butcher’s Crossing“ noch vor mir liegen.
Das Buch erschien auf deutsch unter dem gleichen Titel im dtv Verlag.
Hm, vielleicht sollte ich mich doch heranwagen, wenn du es so empfiehlst! Das vielgelobte Buch Stoner war nicht so ganz mein Fall.
Ich war auch eine der wenigen Leserinnen, die Stoner nicht begeistern konnte. Augustus ist wirklich ganz anders, nicht nur vom Inhalt, sondern auch vom Erzählstil her. Ein absolut grandioses Buch, sehr sehr empfehlenswert!
Danke! Ihr habt mich beide überzeugt, dass ich es lesen muss!
Wow! Welch gründliche gute Beschreibumg!Respekt.
Ich freue mich so auf dieses Buch! Ich bin ja ein Geschichtsfreak und die Julianer sind neben den Tudors meine historische Lieblingsfamilie 🙂 Ich kann noch den genialen Roman „Ich, Claudius“ von Robert Graves empfehlen, in dem Augustus und Livia eine große Rolle spielen. Auch über Julia gibt es ein kleines Buch der Historikerin Traute Petersen (Julia, Glanz und Tragik einer Kaisertochter). Es ist aus Julias Sicht in der Verbannung geschrieben und meiner Meinung nach wirklich gelungen 🙂
Hats mich dazu gebracht evtl. doch den fetten Historienschinken zu benagen. Obwohl Stoner und Butchers Crossing genial waren bin ich vor Augustus bisher zurückgeschreckt. Mir ist auch nicht mehr nach historischem. Mal sehn.
Ich mag auch keine historischen Romane – aber du hast diesmal mein Interesse geweckt! Liebe Grüße, Andrea
Bei „Butcher’s Crossing“ kann ich auch das Hörbuch empfehlen. Johann von Bülow liest es wie ich finde ausgezeichnet:) ansonsten blutig und perfekt passend in mein Western-Regal. Danke dir für den Buchtipp, momentan wollt ich mich zur Antike belesen und stellte fest, wie wenig es dazu wirklich gibt…