Lektüre August 2022

Der August hat mit einigen längeren Zugfahrten und zwei längeren Wochenenden für mehr Lesezeit gesorgt und mich mit überaus spannender und guter Lektüre versorgt. Hier wieder im Schnelldurchlauf von A-Z.

Rumaan Alam – Leave the world behind auf deutsch erschienen unter dem Titel „Inmitten der Nacht“ übersetzt von Eva Bonné, erschienen im Ecco Verlag.

Alam lässt in dieser apokalyptischen Geschichte über eine weiße Familie, die ein Haus auf Long Island von einem älteren schwarzen Ehepaar mietet vieles offen. Die Vermieter stehen nachts genau in dem Moment vor der Tür, als die Dinge eine wirklich seltsame Wendung finden. Wir erfahren nie genau, worum es sich bei der Katastrophe handelt und es ist einerseits eine recht typische Horrorgeschichte, bei der man als Leser*in immer wieder sagt: „Lasst euch nicht trennen“, aber trotz fehlender Erklärungen und vielleicht der einer oder anderen nicht ganz nachvollziehbaren Situation eines meiner Lese-Highlights dieses Jahr.

Ich mochte die Atmosphäre des Buches, das ständig jeden Moment etwas bedrohliches komplett unbekanntes passieren könnte.

Konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Wäre auf die Diskussion im Bookclub gespannt, denn im Hause Bingereader wurde der Roman einmal mit müden zwei und einmal mit fünf Sternen ausgezeichnet, leider findet die Diskussion während unseres Urlaubs statt – aber ich lasse mir berichten, könnte mir gut vorstellen, dass es recht kontrovers diskutiert wird.

Ich möchte es euch ans Herz legen, wenn euch Geschichten wie „Station Eleven“ gefallen, wobei bei Alam noch deutlich weniger klar ist, was genau passiert ist man ahnt nur dystopische Ausmaße.

You never know when a time is the last time, because if you did you could never go on with life.

Julia Armfield – Our Wives under the sea erschienen im Picador Verlag, aktuell noch nicht auf deutsch erschienen.

Mein Hörbuch diesen Monat und ebenfalls eines in dem es sehr atmosphärisch zugeht, aber man nur wenige Erklärungen bekommt. Wer gerne alles rational erklärt bekommt, sollte wahrscheinlich bei den ersten beiden Büchern direkt die Finger weglassen. Ich fand es richtig großartig, ein weiteres Lesehighlight dieses Jahr – der August war wirklich ein toller Lesermonat.

Miri glaubt, dass sie ihre Frau zurück hat, als Leah nach einer Tiefseemission, die in einer Katastrophe endete, endlich zurückkehrt. Es wird jedoch bald klar, dass Leah nicht mehr dieselbe ist. Was auch immer in dem Uboot passiert ist, was auch immer es war, das sie erforschen sollten, bevor sie auf dem Meeresgrund gestrandet sind, Leah hat einen Teil davon mit an Land und in ihr Haus gebracht.

Während sie sich durch etwas bewegt, das normalen Leben nur noch entfernt ähnelt, wird Miri klar, dass das Leben, das sie vorher hatten, wahrscheinlich nicht mehr da ist und eventuell auch nie wieder zurückkehren wird. Obwohl Leah äußerlich noch da ist, spürt Miri, wie die Frau, die sie liebt, ihr immer mehr entgleitet.

Our Wifes under the sea ist der Debütroman von Julia Armfield, die eine poetische, melancholische Geschichte über die Liebe, den Verlust, die Trauer und das Leben in den Tiefen des Meeres geschrieben hat.

I used to think there was such a thing as emptiness, that there were places in the world one could go and be alone. This, I think, is still true, but the error in my reasoning was to assume that alone was somewhere you could go, rather than somewhere you had to be left.

Oliver Burkeman – 4000 Weeks. Time Management for Mortals auf deutsch unter dem Titel „4000 Wochen. Das Leben ist zu kurz für Time Management“ übersetzt von Henning Dedekind und Heike Lutosch erschienen im Piper Verlag

Das Leben ist kurz, aber das ist kein Grund zur Sorge

Die Zeit reicht nicht aus – niemals. Gerade einmal 4000 Wochen haben wir auf der Erde, und das auch nur, wenn wir um die achtzig werden. Kein Wunder, dass wir unaufhörlich versuchen, möglichst viel in diese kurze Zeit hineinzupressen. Dabei verlieren wir genau die Dinge aus dem Blick, die uns wirklich wichtig sind und uns vor allem glücklich machen. Oliver Burkeman führt geistreich und kurzweilig vor, wie wir dem Zeit- und Effizienzdruck widerstehen – und damit der unerhörten Kürze und den schillernden Möglichkeiten unseres Lebens gerecht werden können.

Ein intelligentes, gut geschriebenes Buch das einem teilweise den Spiegel vorhält und den Finger in die Wunde und uns einlädt das Hamsterrad zu stoppen, mal durchzuatmen und einfach öfter mal in Ruhe durch die Natur zu laufen und nachzudenken.

Oliver Burkeman, schrieb jahrelang für den Guardian eine wöchentliche Kolumne woher ich ihn kenne, denn die habe ich immer sehr gerne gelesen. Seit einiger Zeit lese ich auch seinen wöchentlichen Newsletter und er ist einfach ein Mensch, der mich immer wieder ins Grübeln bringt. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen. Burkeman lebt in New York City.

Productivity is a trap. Becoming more efficient just makes you more rushed, and trying to clear the decks simply makes them fill up again faster. Nobody in the history of humanity has ever achieved “work-life balance,” whatever that might be, and you certainly won’t get there by copying the “six things successful people do before 7:00 a.m.” The day will never arrive when you finally have everything under control—when the flood of emails has been contained; when your to-do lists have stopped getting longer; when you’re meeting all your obligations at work and in your home life; when nobody’s angry with you for missing a deadline or dropping the ball; and when the fully optimized person you’ve become can turn, at long last, to the things life is really supposed to be about. Let’s start by admitting defeat: none of this is ever going to happen. But you know what? That’s excellent news.

Caroline Kebekus – Es kann nur eine geben erschienen im Kiwi-Verlag.

Ich bin ja wirklich nicht bekannt für mein Interesse an lustigen Themen, kann mit den allermeisten Comedians wenig bis gar nix anfangen, aber diese Frau hat mit ihrem Hörbuch dafür gesorgt, dass ich gelegentlich Angst hatte aus dem Bus zu fliegen, weil ich lauthals lachen musste.

Selten habe ich auf so witzige Art so derart viel gelernt und da sind einige Themen dabei, bei denen einem auch immer wieder das Lachen im Hals stecken bleibt.

Eigentlich klingt es ganz leicht: Frau ist begabt und klug, also kann sie es schaffen, ganz nach oben zu kommen. Aber oft genug ist der eine Platz schon besetzt, es scheint nämlich ein höchst dämliches Gesetz zu geben, das lautet: Eine Frau reicht, mehr brauchen wir nicht. Die große Komikerin, Sängerin, Schauspielerin und Feministin schreibt pointiert, unmissverständlich und gleichzeitig wahnsinnig komisch, dass die Zeit überreif ist, alte (Männer-)Gesetze auf den Müll zu werfen.

Wohin man auch schaut, immer ist es die eine Frau, die sich durchsetzt. In der Bibel ist es die jungfräuliche Maria, damit fing das Unheil an. Im Märchen gibt es immer die eine Prinzessin, sehr schön und sehr blöd. Die sündige Eva aus der Bibel und die böse Stiefmutter oder Hexe lassen wir mal hübsch beiseite, denn die sollen nur als Beispiele dafür dienen, was passiert, wenn Frauen nach Macht streben: Sie werden aus dem Paradies geworfen oder verbrannt. Mit dieser Prägung entlässt man Frauen ins Leben und wundert sich dann über die ständige Konkurrenz unter Frauen um diese begrenzten Plätze. Dann wird so getan, als wären Frauen von Natur aus eben stutenbissig und selbst schuld an dieser Rivalität. Carolin Kebekus kommt diesem bösen Spuk auf die Spur, sie untersucht alte und neue Geschichten, um zu zeigen, warum uns Frauen eingetrichtert wird, dass wir um den einen Platz – im Fernsehen, in der Firma, im Karneval usw. – konkurrieren müssten.

Ein Buch von höchster Wichtigkeit, das aufklärt und gleichzeitig unterhält.

Stanislaw Lem – Solaris übersetzt von Irmtraud Zimmermann-Göllheim, illustriert von Anna Stähler, erschienen in der Büchergilde Gutenberg

Solaris zählt zu den ganz großen Klassikern nicht nur der Science-Fiction, sondern der gesamten Literatur des 20. Jahrhunderts. Der Roman ist eine faszinierende Reise in die Weiten des Kosmos und in die Tiefen unserer Wünsche und Träume. Zum 100. Geburtstag von Stanisław Lem gibt die Büchergilde eine aufwendig gestaltete, illustrierte Neuausgabe heraus.

Über Solaris scheinen zwei Sonnen, eine rote und eine blaue. Die gesamte Oberfläche des Planeten ist von einem geheimnisvollen Ozean bedeckt, von dem viele sagen, er sei ein lebendiges Wesen. Kris Kelvin macht sich in einer Raumkapsel auf den weiten Weg von der Erde zu Solaris. Wie viele WissenschaftlerInnen vor ihm will er hinter das Geheimnis des Himmelskörpers kommen. Doch als er in der Forschungsstation eintrifft, warnen ihn seine Kollegen vor einer rätselhaften Gefahr.

Lems Schreiben zeichnet sich durch eine reiche literarische Sprache und philosophische Tiefe aus. Solaris ist ein faszinierender und ungewöhnlicher Roman über Leben auf fernen Planeten, das ganz anders ist als die typischen Darstellungen von Außerirdischen aus Literatur und Film, die oft Menschen oder Tiere zum Vorbild haben. Der Ozean auf Solaris sprengt die menschliche Vorstellungskraft. Er hat nichts mit dem gemein, was wir als Lebewesen kennen, und trotzdem spricht alles dafür, dass er eines ist. Lem interessiert vor allem, wie die Menschen auf dieses Phänomen reagieren, und thematisiert dabei ganz grundsätzliche Fragen: Wie nähern wir uns etwas, das uns fremd ist? Wie gehen wir mit dem um, was wir nicht verstehen?

Die rote Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden, und die schaumgekrönten Wellen verschwammen zu tintiger Wüste. Der Himmel loderte. Über dieser zweifarbigen, unbeschreiblich trostlosen Landschaft fluteten Wolken mit lilafarbenem Saum

Francesca Wade – Square Haunting erschienen im Faber Verlag, aktuell noch nicht auf deutsch erschienen.

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen fünf Frauen, die alle zu verschiedenen Zeitpunkten zwischen den Weltkriegen am Mecklenburgh Square in London lebten. Das Bindeglied (abgesehen von dem Platz und der Tatsache, dass sie alle der Mittelschicht angehören) ist das Thema der weiblichen Autonomie, und es zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Es gibt zwei Akademikerinnen: die Historikerin Eileen Power und die Klassizistin Jane Harrison. Die Dichterin und Romanautorin Hilda Doolittle (HD). Die Romanautorin und Schriftstellerin Dorothy L. Sayers. Und schließlich natürlich Ms Bloomsbury, her one and only Virginia Woolf.

Der Platz liegt in der Nähe des Britischen Museums, und sie alle nutzten zeitweise den dortigen Lesesaal. Der Titel ist einem Tagebucheintrag von Woolf aus dem Jahr 1925 entnommen.

‚I like this London life . . . the street-sauntering and square-haunting. –Virginia Woolf, diary, 1925

Ich hatte den Eindruck, dass der Abschnitt über Virginia Woolf zu viel von dem wiederholt, was bereits über sie geschrieben wurde. Die überzeugendsten Porträts waren für mich die von Hilda Doolittle, bekannt als HD, und Dorothy Sayers – und die Verbindungen zwischen ihnen sind faszinierend. Das Konzept des „eigenen Zimmers“ wird durchgehend verwendet, um die Kämpfe und Kosten der weiblichen Unabhängigkeit zu verdeutlichen, aber dieses Zimmer könnte wahrscheinlich genauso gut in einem Oxbridge-College wie in Bloomsbury sein.

Daher war ich von der Bloomsbury-Verbindung als Daseinsberechtigung für das Buch nicht komplett überzeugt – aber die Lebensläufe geben interessante Einblicke in das Leben der Frauen, die den Status quo ihrer Zeit herausforderten und umstürzten und ich habe es sehr gerne gelesen.

Youth is an unsatisfactory period, full of errors, uncertainties and distress. You will grow out of it. What’s more, you were meant to grow out of it, into something more mature and satisfactory. Don’t let middle-aged people get away with the story that this is the best time of your life and that after it there is nothing to look forward to … Go on doing the thing you think you ought, or want, to be doing at the moment, and at about 40 you may discover that you actually are doing it and settle down to enjoy it

Iris Wolff – So tun, als ob es regnet erschienen im Klett Cotta Verlag

Der Erste Weltkrieg bringt einen österreichischen Soldaten in ein Karpatendorf. Eine junge Frau besucht nachts die „Geheime Gesellschaft der Schlaflosen“. Ein Motorradfahrer ist überzeugt, dass er sterben und die Mondlandung der Amerikaner versäumen wird. Eine Frau beobachtet die Ausfahrt eines Fischerbootes, das nie mehr zurückkehren wird. – Über vier Generationen des 20. Jahrhunderts und vier Ländergrenzen hinweg erzählt Iris Wolff davon, wie historische Ereignisse die Lebenswege von Einzelnen prägen. Zwischen Freiheit und Anpassung, Zufall und freiem Willen erfahren ihre Protagonisten: Es gibt Dinge, die zu uns gehören, ohne dass wir wüssten, woher sie kommen. Und es gibt Entscheidungen, die etwas bedeuten, Wege, die unumkehrbar sind, auch wenn wir nie wissen werden, was von einem Leben und den Generationen vor ihm bleiben wird.

Ich habe das Buch gerne gelesen, die Sprache hat mir sehr gefallen, aber den einzelnen Personen bin ich nicht wirklich nahe gekommen. Es ist auch kein Buch das mir noch lange nachgegangen ist, dennoch eine gute kurzweilige Lektüre.

Lea Ypi – Frei übersetzt von Eva Bonné erschienen im Suhrkamp Verlag

Ich traue es mich gar nicht mehr zu schreiben, aber das war tatsächlich auch noch mal ein Lese-Highlight für mich. Was für ein großartiges, fesselndes Buch – das Porträt einer sehr außergewöhnlichen Frau, die einen bemerkenswerten Weg gegangen ist.

Albanien 1989: Der letzte stalinistische Außenposten in Europa, ein isoliertes Land, das man nur schwer besuchen und noch schwerer verlassen kann. Es herrschen Mangelwirtschaft, Geheimpolizei und das Proletariat. Der Kommunismus hat den Platz der Religion übernommen. Für die zehnjährige Lea Ypi ist dieses Land ihr Zuhause: ein Ort der Geborgenheit, des Lernens, der Hoffnung und der Freiheit.

Alles ändert sich, als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana Enver Hoxhas Statue vom Sockel stürzt. Jetzt können die Menschen wählen, wen sie wollen, sich kleiden, wie sie wollen, anbeten, was sie wollen. Aber die neue Zeit zeigt bald ihr unfreundliches Gesicht: Skrupellose Geschäftemacher ruinieren die Wirtschaft, die Aussicht auf eine bessere Zukunft löst sich auf in Arbeitslosigkeit und Massenflucht. Als das Land im Chaos zu versinken droht und in ihrer Familie Geheimnisse ans Licht kommen, beginnt Lea sich zu fragen, was das eigentlich ist: Freiheit.

In hinreißender Prosa erzählt Lea Ypi von ihrem Erwachsenwerden im poststalinistischen Albanien und in einer schillernden Familie, deren Geschichte eng mit der des Landes verwoben ist. Frei ist ein fesselndes Memoir und eine scharfsinnige Reflexion über die Grenzen des Fortschritts und die Last der Vergangenheit, über glänzende Ideale und harte Realitäten. Vor allem aber über die Leben von Menschen, die vom Sturm der Geschichte erfasst werden.

For some, leaving was a necessity that went under the official name of ‘transition’. We were a society in transition, it was said, moving from socialism to liberalism, from one-party rule to pluralism, from one place to the other. Opportunities would never come to you, unless you went looking for them, like the half-cockerel in the old Albanian folk tale who travels far away, looking for his kismet, and in the end returns full of gold. For others, leaving the country was an adventure, a childhood dream come true or a way to please their parents. There were those who left and never returned. Those who went and came back soon after. Those who turned the organization of movement into a profession, who opened travel agencies or smuggled people on boats. Those who survived, and became rich. Those who survived, and continued to struggle. And those who died trying to cross the border

So geschafft – das war wie gesagt ein außergewöhnlich großartiger Lesemonat. War für euch was dabei? Welche kennt ihr schon? Welche mochtet ihr oder auch nicht oder auf welche konnte ich euch Lust machen?

16. Türchen: Solaris – Stanislaw Lem

Ist das nicht die weltschönste Ausgabe dieses Klassikers? Da hat sich die Büchergilde wirklich ins Zeug gelegt. Der Sci-Fi Klassiker des berühmten polnischen Schriftstellers ist ein Buch, bei dem ich tatsächlich behaupten würde, da ist die Verfilmung (zumindest die aus dem Jahr 1972 von Andrei Tarkowski) mindestens genauso gut wie die Romanvorlage.

Er nimmt den langjährigen Traum von der Kontaktaufnahme mit Außerirdischen und dreht das Konzept komplett um. Sein (möglicherweise) planetengroßer lebender Ozean ist so komplett fremdartig und seltsam, dass es für Menschen absolut unmöglich ist, seine enorme Andersartigkeit zu verstehen oder eine Beziehung zu ihr aufzubauen.

Schlimmer noch, der Ozean scheint sich dafür nicht im Mindesten zu interessieren. Eines der schlimmsten Dinge, die man Menschen antun kann, ist, sie zu ignorieren. Als Spezies sehnen wir uns nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Aber im Gegensatz zu den Außerirdischen unserer Weltraumträume, die uns mal lieben, hassen oder verachten, scheint sich der Ozean von Solaris nicht besonders für uns zu interessieren. Das versetzt die Menschen in einen Rausch, der zu umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchungen führt. Versteht er uns nicht? Ist es ihm egal? Ist er primitiv? Ist er unglaublich fortschrittlich? Was ist das Problem? Sind wir nichts weiter als ein Ärgernis für ihn, Ameisen, die auf seiner Oberfläche krabbeln? Ist sie überhaupt lebendig? Was ist eigentlich „lebendig“?

Das Faszinierende an dieser Geschichte ist, dass wir nie eine Antwort bekommen. Der Ozean bleibt da, riesig und fremd, und seine Geheimnisse werden nicht gelüftet. Alles, was wir haben, sind Spekulationen und ein fast kindliches Staunen. Und die Frage, warum er die Menschen, die ihn erforschen, an den Rand des Wahnsinns zu bringen scheint und ihnen lebende Geister aus ihrer Vergangenheit schickt – im Fall des Psychologen Kris Kelvin seine längst verstorbene Frau Harey Rheya. Aber auch alle anderen Besatzungsmitglieder werden von Halluzinationen und Tagträumen heimgesucht. Warum? Wir wissen es nicht. Das Schöne und Besondere an diesem Buch ist, dass wir es nie erfahren. Es gibt Dinge, die wir vielleicht einfach nie werden verstehen können. Was uns als Spezies aber ausmacht, ist, dass wir es immer weiter und immer wieder versuchen werden.

Und diese Atmosphäre des Buches – es liest sich wie halluzinatorischer surrealistischer Fiebertraum, eines Alptraums, aus dem man nicht aufwachen kann, der mit Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeit einhergeht, bei dem man klaustrophobisch am Rande des eigenen Verstandes entlang schwankt.

Ein Buch für Menschen die gut mit Ambiguität umgehen können und die es aushalten nicht auf alles eine Antwort zu bekommen. Poetisch, seltsam, düster – ein wunderbares Buch um dem Alltag zu entfliehen. Große Empfehlung für ein ganz besonderes Schmuckstück unter dem Weihnachtsbaum.

Habt ihr Solaris schon gelesen oder welches ist euer Lieblingsroman von Stanislaw Lem?

Meine Woche

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Gesehen: „Solaris“ (1972) von Andrei Tarkovsky mit Donatas Banionis und Natalya Bondarchuk. Dieser Film ist ein Meisterwerk, der mit jedem mal sehen besser wird.

Mythos Suhrkamp“ Reportage von Sigfried Ressel. Die Republik – ihre Diskurse – ihr Verlag.

Leonardo da Vinci – die Welt malen“ Dokumentation von Sandra Paugam anläßlich des 500. Todestages des Universalgenies.

Gehört: „Solaris“ – Eduard Artemiev, „Weihnachtsoratorium“ – Johann Sebastian Bach

Gelesen: How my local library changed my life, Margarete Stokowskis Vorschläge zur Gleichberechtigung, Robert Macfarlane why we’re drawn into darkness, Das „Last Supper“ Gemälde einer Nonne aus der Renaissance macht sein Debut, The biggest lie tech people tell themselves and others, If you don’t want kids you don’t have to want a career instead, On the 19th century invention of the madwoman und diese Kurzgeschichte von Olga Tokarczuk

Getan: den Markt der unabhängigen Verlage besucht, die Erika Mann Ausstellung im wunderbaren Hildebrandhaus besucht und den Bookclub bewirtet

Geplant: Firmen-Umzug innerhalb des Gebäudes organisieren

Gegessen: veganes Sushi im Kansha und Lebkuchenmännchen

Getrunken: unter anderem diesen, diesen und diesen wunderbaren Wein auf der Mövenpick Weinverkostung 20/20

Gefreut: über diese vielversprechende Mukoviszidose Behandlung, über meinen großartigen Adventskalender, eine spannende Virginia Woolf Biografie aus Berlin und ein sehr großzügiges Wein-Geschenk

Geweint: nein

Geklickt: auf Sasha Baron Cohens inspirierende Rede, 73 questions with Olivia Cole, auf Neil Gaimans Gedanken zur Liebe, Hannah Gadsby on being diagnosed with autism und auf 15 commercials directed by David Lynch

Gestaunt: A timeline of 7 million years of human evolution, Are we living in a simulation? und über diese großartigen Fotos aus Wales

Geärgert: nein

Gelacht: über die großartige Tweetsammlung von Frau Kaltmamsell

Gewünscht: Baby Yoda, diese Lampe, dieses Outfit

Gefunden: nix

Gekauft: dieses Buch von Stefan Zweig aus dem Topalian & Milani

Gedacht: “Don’t limit your challenges, challenge your limits.” // Martonek Jr

Meine Woche

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Gesehen: „The Handmaid’s Tale“ (2017) Grandiose Serien-Verfilmung von Margaret Atwoods gleichnamigem Buch mit Elizabeth Moss, Samira Wiley und Joseph Fiennes. Düster, beeindruckende Bilder, jeder Emmy ist hier wirklich verdient.

Solaris“ (2002) von Steven Soderbergh mit George Clooney und Viola Davis. Verfilmung von Stanislaw Lems gleichnamigem Roman. Wenn er auch nicht ganz an die russische Verfilmung aus dem Jahr 1972 rankommt, unbedingt sehenswert.

Gehört: „If you really love nothing“ – Interpol, „Lucid Intrusion“ – Ajna, „Violence“ – Skaen, „Islands“ – Frida Sundemo, „Die Unendlichkeit“ – Tocotronic, First Sleep – Cliff Martinez, „Unconquered“ – thisquietarmy

Gelesen: über den Rausschmiss von Barbara Laugwitz, das Geschäft mit Fake News, How to start a Book club, the paradox of Karl Popper, diesen Artikel über Katherine Johnson aus Hidden Figures

Getan: mit Michael Ondaatje Geburtstag gefeiert, ein spannendes literarisches Dinner im Walter & Benjamin und Dublin unsicher gemacht

Geplant: ein richtig gutes Bootcamp durchführen

Gegessen: unglaublich gutes koreanisches BBQ im Arisu in Dublin

Getrunken: Guinness und Jameson Black Barrel

Gelacht: über irish jokes

Geärgert: das die Literary Pub Tour ausgebucht war

Gefreut: über die tolle Zeit in Dublin

Geklickt: Everything we know about addiction is wrong und auf dieses Interview mit Aldous Huxley

Gewünscht: eigentlich alles aus dem Shop der Science Gallery

Gekauft: Bücher und Whisky

Gestaunt: über die Bibliothek im Trinity College – so wunderschön und über Ally Sherlock wir haben sie zufällig gestern auf der Straße singen hören (ohne zu wissen wer sie ist) mein Video ist nix daher schaut euch mal das an – unglaublich

Gefunden: nix

Gedacht: Youth is a wonderful thing. What a crime to waste it on children (George Bernard Shaw))

Japan by the Book – Teil 2

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Welcome back. Nach Bergen, Natur und Hinterland wurde es Zeit, sich wieder den urbanen Ecken Japans zu nähern. Natur ist schön und gut, allzulange halte ich es jedoch ohne Stadt und Menschen nicht aus. Unser nächstes Ziel war Kyoto, die ehemalige Hauptstadt. Eine Stadt die überall als die hübschere kleine Schwester Tokyos gehandelt wird und auf die wir sehr gespannt waren. Begrüßt wurden wir allerdings mit strömendem Regen und unfreiwilligen Abenteuern mit Taxi-Fahrern, der kompliziertesten Spezies der wir in Japan begegnet sind 😉

Alle Taxifahrer die wir gesehen haben, waren ausnahmslos alte Männer, weiß behandschuht in blitzsauberen Taxis, die mit weißen Häkeldeckchen verziert waren. Ein Schild weist meist auf „foreign friendly english speaking Taxi“ hin, davon haben wir nur leider nichts gemerkt. Keiner der Taxifahrer sprach auch nur ein Wort Englisch. Der erste Fahrer in Kyoto (wie erwähnt sehr sehr alt) dem wir unsere Ziel-Adresse (extra in japanisch) hinhielten, schüttelte den Kopf, griff zu einer riesigen Lupe, um dann endlos in einem Stadtplan nach der Adresse zu suchen, während er pausenlos auf japanisch auf uns einplauderte um uns dann nach etwa 10 min resigniert aus dem Taxi zu schicken.

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Nächster Versuch. Wieder zurück in die Taxischlange und die Hoffnung, der nächste würde die Adresse lokalisieren können. Es war nicht einmal sehr weit weg vom Bahnhof Kyoto, nur die Sturzbäche, die runtergingen, ließen uns weiterhin auf ein Taxi hoffen. Der nächste wieder alt und weiß behandschuht, schüttelt den Kopf, plaudert japanisch mit uns, aber dann fährt er doch irgendwann los – juhu – bis zur nächsten Polizeistation, wo wir schon befürchteten, verhaftet zu werden für Irreführung von Taxifahrern oder Verweigerung der japanischen Sprache, aber nein, er liess sich nur den Weg erklären und zack ging es endlich ins angemietete AirBnB.

Ein Wort noch zur unglaublichen Ehrlichkeit der Japaner. Es scheint nahezu keine Kriminalität zu geben (abgesehen ggf. von der Yakuza (japanische Mafia) von der wir im Alltag allerdings nichts mitbekommen haben. Der Taxifahrer schaltete auf halber Strecke den Meter aus, damit wir nicht für seine Orientierungslosigkeit zahlen müssen, uns wurden T-Shirts kilometerweit nachgefahren, die wir in einem der Ryokans haben liegen lassen. Nicht eine Sekunde kommt einem die Idee, in den überfüllten U-Bahnen könnte einem jemand den Geldbeutel stehlen – ein wirklich unglaublich sicheres und ehrliches Land.

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Literarisch habe ich mich in Kyoto von Banana Yoshimoto begleiten lassen. „Amrita“ ist die Geschichte einer jungen Japanerin, die trotz diverser Schicksalsschläge nicht aufgibt, weiterhin sehr offen ist und ein großes Herz hat. Sakumi, die Protagonistin hat bei Beginn des Buches nicht nur ihren Vater, sondern auch ihre Schwester, eine Schauspielerin, verloren, sie selbst erleidet Hirnverletzungen bei einem Unfall. Das alles ist aber weniger tief und dramatisch, als man vielleicht befürchtet. Sakumi lebt mit und in ihrer ungewöhnlichen Familie zu der ihre Mutter, ihr kleiner Bruder und eine Freundin der Mutter gehören und mit ihnen begibt sie sich auf eine Reise durch Trauer und Leiden, verlorenen und weidergefundenen Erinnerungen, verbotene Liebe und erlebt auf einer einsamen kleinen Insel im Pazifik eine intensive Zeit.

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Nach ein paar spannenden Tagen in Kyoto brachte uns der Shinkansen nach Kobe. Eine wunderschöne kleine Hafenstadt und zugleich der Geburtsort von Haruki Murakami. Wir haben uns dort so wohl gefühlt, dass wir unsere Pläne umwarfen und dort unser Basislager aufschlugen, um von dort Ausflüge zu machen, aber nicht mehr alle 2-3 Tage die Unterkunft zu wechseln.

Mir ist erst in Japan klar geworden, wie außergewöhnlich Murakami und auch Yoshimoto sind, wie sehr ihre Protagonisten und vermutlich auch sie selber als Individuen unterwegs sind, in einer Gesellschaft, die so viel Wert auf Konformität legt.
Man sieht das bespielsweise daran, dass es in den Städten überall dort voll ist, wo es Geschäfte gibt, oder Restaurants oder an designierten Sehenswürdigkeiten, ist etwas nicht als Sehenswürdigkeit deklariert, dann ist da auch niemand. Niemand und ich meine niemand. Wir haben in Tokyo in der „Golden Week“ das Rathaus anschauen wollen, in der Ecke ist einiges an wirklich beeindruckender Architektur zu sehen, zwei Straßen weiter ist man von den Menschenmassen erdrückt worden, aber Rathaus und die anderen Gebäude gelten nicht wirklich als „Sehenswürdigkeit“ und zack waren wir komplett alleine da, das fühlte sich richtig seltsam an 😉

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Von William Gibsons „Idoru“ habe ich mich in der letzten Woche begleiten lassen. Sein „Blade Runner“ ist ja fast schon synonym mit dem Cyper-Tokyo der Zukunft. Aber auch „Idoru“ spielt im Tokyo der Zukunft nach dem katastrophalen Riesen-Erdbeben. Nano-Technologie führt dazu, dass die Gebäude sich selbst errichten, ein melancholischer Protagonist fegt durch das neonfarbene japanische Wunderland auf der Suche nach Arbeit. Colin Laney ist ein Datenfischer, einer der Muster in den Daten erkennt, die Individuen in der Datenwelt hinterlassen. „Idoru“ beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, inwieweit Prominente natürliche Ressourcen sind, die man anzapfen kann und darf, ein Gemeingut sozusagen.

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Die Menschen in der Geschichte sind alle auf der Suche nach etwas das „echt“ ist, mit dem sie sich wirklich verbunden fühlen können und gleichzeitig ist es die Geschichte von Rez, einem Rock Star, der sein Management und seine Fans mit der Nachricht schockt, eine softwarebasierte Lebensform namens Rei Toei – ein Idoru – heiraten zu wollen.

Film-Fans werden insbesondere in Tokyo immer wieder auf Orte stoßen, die man aus Filmen kennt. Sei es der Moment, wenn man auf die Autobahntrasse fährt, die man aus Tarkovskys „Solaris“ kennt:

oder ob man sich in der Lost in Translation Hotel-Bar einen Cocktail oder zwei gönnt:

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Godzilla begegnet man natürlich auch auf Schritt und Tritt:

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Unser leztes großes Abenteuer in Japan war der Besuch des Universal Pictures Themepark. Ich war mehr als skeptisch und hätte mir nie träumen lassen, wieviel Spaß ich dort haben würde. Spätestens als wir auf einmal in Hogsmeade standen, war ich wieder 9 und konnte vor Aufregung kaum gerade aus laufen. Zum Glück hatten wir uns Speed Tickets gegönnt, denn selbst Harry Potter zuliebe hätte ich mich wohl nicht 160 Minuten irgendwo angestellt. Aber der 3D-Ride war unglaublich und das abgefahrenste, beste und aufregenste was ich jemals gefahren bin.

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Sayonara Japan es war wunderschön. Es war einer der außergewöhnlichsten und aufregendsten, aber auch teuersten Urlaube meines Lebens und ich bin froh, dass ich durch die Literatur wenigstens im Geiste auch weiterhin ab und an eine Stipvisite machen kann.

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Banana Yoshimoto – „Amrita“ ist im Diogenes Verlag erschienen
William Gibson „Idoru“ ist auf deutsch unter dem gleichen Titel bei Heyne erschienen

Meine Woche

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Gesehen: „Inception“ von Christopher Nolan. Einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Den kann ich immer wieder gucken.

Solaris“ von Andrei Tarkovsky. Russische Verfilmung von 1972, unbedingt anschauen. Phantastische Bilder.

Gehört: „Purple Rain“ von Prince, „Strassen“ von Ascii Disco, Diorama „Refugee„, Inception Time End Theme, „North Star“ – IAMX, The Tiger Lillies „Crack of Doom

Gelesen: dieses Interview mit Michael Maar über Nabokov, diesen Artikel der School of Life zu „Self Esteem“, dieses Interview mit Prince, wie man seinen Kleiderschrank organisieren sollte und diesen Artikel über Women in Tech

Getan: interessante Vorträge auf der Year of the Monkey Konferenz gehört, die Banksy Ausstellung bei 20,- Eintritt mehr oder weniger von aussen bewundert (wirkt aber auch nicht, gehört auf die Straße nicht in eine Galerie), einen Geburtstag nachgefeiert, sehr nette Menschen zum ersten Mal live bzw wiedergetroffen, die Leica Ausstellung noch einmal angeschaut, Bookclub besucht und eine Drone geflogen.

Gegessen: sehr leckere türkische Meze

Getrunken: Raki

Gefreut: über Rosen zum Weltbuchtag

Geärgert bzw getrauert: Prince 😦

Gelacht: Your father is so classless, he could be a Marxist Utopia

Geplant: einen Japan Bücherkoffer

Gewünscht: diese Lampe, diesen Sessel, diese Wanddeko

Gekauft: Comics, ein Buch zum Weltbuchtag und einen Pechkeks

Gefunden: nix

Geklickt: auf diesen Ted Talk zu Licht und Dunkelheit und diesen Ted Talk über Weisheit die man in Büchern finden kann und diesen Talk von Smiley Poswolsky zur „Quarter Life Crisis“

Gewundert: wie hölzern Consultants teilweise präsentieren