Vor ein paar Wochen habe ich mich auf einen Susan Sontag Read-athon begeben, eine Autorin, Essayistin, Welt-Intellektuelle die ich schon sehr lange bewundere und über die ich nach einer kürzlich gesehenen Dokumentation gerne noch mehr erfahren wollte. Als mir Daniel Schreibers Biografie „Susan Sontag. Geist und Glamour“ in die Hände fiel, beschloss ich dieses „Mehr erfahren“ großflächig in Angriff zu nehmen.
Neben der Biografie besorgte ich mir die Tagebücher „Reborn. Early Diaries 1947 – 1963“ und „As Consciousness is Harnessed to Flesh: Diaries 1964 – 1980“ sowie das Rolling Stone Interview „The Doors and Dostojewski“ und begann, diese parallel zu lesen.
Ein sehr intensives Eintauchen in das Leben und die Gedanken eines anderen Menschen.
Besonders fasziniert hat mich in den frühen Tagebüchern (von 14 bis 30) wie unglaublich reif und erwachsen Sontag schon als Jugendliche denkt und schreibt. Sie scheint sich direkt aus ihrem Hirn heraus entwickelt zu haben und die Kindheit einfach wie eine lästige Hülle abgestreift zu haben, um sich voll und ganz ihrem Lebensziel, der Intellektualisierung ihrer selbst, zu widmen. Ernsthaftigkeit ist bei ihr Programm und unnachgiebig sich selbst und anderen gegenüber treibt sie ambitioniert ihr Ziel, eine ernstzunehmende Intellektuelle zu werden, voran.
Neben dem intellektuellen Erwachen zeugen ihre frühen Tagebücher auch von ihrer sexuellen Erweckung und ihrer Erkenntnis mit sechzehn in Berkely: „I feel that I have lesbian tendencies (how reluctantly I write this).“
Viele der Einträge sind extrem persönlich, teilweise Beichten ähnlich und ich habe mich des Öfteren beim Lesen gefragt, ob sie wirklich gewollt hätte, dass diese Tagebücher in der Form veröffentlicht werden. Viele Einträge sind kurze Notizen, viele Listen (wooohooo – noch ein Listomaniac), die es nicht immer einfach machen, sie zu verstehen und es ist auch nicht immer einfach, sie zu mögen.
Sie ist eine herausfordernde Liebende, sie erwartet 100% Aufmerksamkeit, sie ist unglaublich „needy“ und anstrengend. Sie liebt heftig und hat einen Hang zu desaströsen Beziehungen.
Der erste Band ihrer Memoiren folgt ihrer intellektuellen und emotionalen Entwicklung vom Schulmädchen zur cleveren Studentin, von New York nach Paris und von ersten lesbischen Affären, über ihre Heirat und die Geburt ihres Sohnes bis hin zu Liebhaberinnen während und nach ihrer Ehe. Beruflich folgt ihrem Studium die Professur an der Columbia University und der Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit.
Der Band endet 1961 – ein Jahr, in dem sie den Eindruck hat, sich selbst nicht zu mögen und auch dem Leser fällt das nicht immer leicht. Aber man ist stets und ständig fasziniert. Ihr Sohn kommt verhältnismässig wenig vor in ihren Tagebüchern. Mich hätte das wahrscheinlich ziemlich verletzt an seiner Stelle.
Susan Sontag. Reborn: Early Diaries 1947 – 1963
Der zweite Tagebuch-Band beginnt mit Sontags Abkehr von der akademischen Welt. In ihren Dreissigern lebt sie hauptsächlich in einer Welt des Schreibens und dem rauschhaften Kultur-Konsum, den New York im Überfluss zu bieten hat. Die Tagebücher sind endlose Auflistungen von Filmen, Büchern, „Happenings“ Besuchen in Kunstgalerien usw.
Sie hat eine unglaubliche Energie, sieht teilweise 3 Filme an einem Tag und schafft es nahezu täglich ein Buch zu lesen. Das ist im übrigen etwas was ich unglaublich mag, denn ich leide ja auch unter diesem nie stillbaren Kulturhunger, der einem auch oft genug den Vorwurf einhandelt, man lese nicht tief genug, könne doch unmöglich „richtig“ lesen und verstehen.
Ihre Einträge beschäftigen sich häufig mit ihren Betrachtungen, Analysen ihrer Umwelt. Diese Band ist noch weitaus fragmentierter, kürzere Notizen, Buchzitate und wieder jede Menge Listen. Listen der gesehen oder noch zu sehenden Filme oder der Bücher die sie gelesen hat oder lesen will und Bemerkungen über ihre Therapie.
Nach ihrer schmerzvollen Trennung von der kubanischen Dramatikerin Maria Irene Fornés („I am frozen, paralysed, the gears are jammed … „) stürzt sie sich in eine Beziehung mit Carlotte del Pezzo, einer italienischen Adligen mit großem Appetit auf Heroin. Die Affäre dauert nur etwa 10 Monate, aber im Tagebuch nimmt sie viel Platz ein und bringt Sontag fast an den Rand eines Zusammenbruchs “God help me – help me – to stop loving her if she doesn’t love me any more.
Sontag liebt hart, heftig und häufig mit großem psychischen und physischen Einsatz, wenngleich häufig mit wenig Glück.
“It hurts to love. It’s like giving yourself to be flayed and knowing that at any moment the other person may just walk off with your skin.”
“Being in Love means being willing to ruin yourself for the other person.”
“I have always been full of lust – as I am now – but I have always been placing conceptual obstacles in my own path.”
Beruflich ist sie wesentlich erfolgreicher. In dieser Zeit entsteht ein Großteil ihres essayistischen Werks, unter anderem auch der in der Partisan Review erschienene Essay „Notes on Camp“, der wohl Sontags bekannteste Arbeit ist und zu einer Zeit entstand, als sie vom intellektuellen „It-Girl“ zu einer der wichtigsten öffentlichen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts wurde.
Eine Zeit auch, in der sie viel reist, sich mit Politik beschäftigt und dank schmerzhafter Chemotherapien eine Stage4-Brustkrebs-Diagnose überlebt.
“My library is an archive of longings.”
Ich denke, egal wieviel und was man über Sontag erfährt, am Ende bleibt, dass es ihre Arbeit und ihr publiziertes Werk ist, das zählt und die wichtigste Grundlage kritischer Beurteilungen sein muss.
“I am only interested in people engaged in a project of self-transformation.”
Susan Sontag – As Consciousness is harnessed to Flesh
Eine weitere spannende Besprechung ihrer Tagebücher findet ihr auch hier.
Daniel Schreiber, der sechs Jahre lang in New York lebte und dort auch die erste umfassende Biografie zu Susan Sontag schrieb, wirft einen distanzierten Blick auf ihr Leben. Schreiber beschäftigt sich überwiegend mit dem öffentlichen Bild Sontags, hat für seine Recherche mit vielen Freunden, Bekannten und Weggefährten Sontags gesprochen und stark ihr publiziertes Werk analysiert.
Sontag ist ein Mensch, der immer auf Mission ist. Sie hat einen Bildungsauftrag und nimmt diesen Ernst. Ihre Texte haben große Kraft. Sie ist ein Mensch, der sich gleichzeitig ständig in den Mittelpunkt stellt und doch wichtige Seiten ihrer selbst im Hintergrund lässt. Sie ist ein extrem privater Mensch, der meines Erachtens schon zu verstehen gibt, ich kann mich erst zeigen, wenn ihr als Gesellschaft toleranter wärt. Sie macht sich immer wieder angreifbar und zeigt sich auch verletzlich in ihren Selbstwidersprüchen, die ihr Werk durchziehen.
Er zeigt Sontag in all ihren Widersprüchen, nur der Mensch Sontag ist mir nach dem Buch irgendwie etwas fremd geblieben. Trotzdem kann ich die Biografie empfehlen, würde aber gerne noch eine Biografie lesen, die weniger den öffentlichen Menschen in den Mittelpunkt stellt, als die Person hinter der bekannten Intellektuellen.
Daniel Schreiber – Susan Sontag. Geist und Glamour
Das Rolling-Stone Interview, das Jonathan Cott 1978 mit Susan Sontag führte, ist ein absolutes faszinierendes, vielseitiges Gespräch, das einem das Gefühl gibt, als Mäuschen bei einem Dinner-Date mit zwei extrem intelligenten Menschen dabeizusein und fasziniert mit offenem Mund sitzenzubleiben und zu hoffen, nicht entdeckt zu werden.
„Die meisten meiner Gedanken entwickle ich im Gespräch.“
Allein für diesen Satz liebe ich sie, denn mir geht es ganz genauso. Leider entwickel ich auch im Gespräch niemals auch nur annähernd so clevere Gedanken 😉
Das Interview entstand nicht in einer Sitzung, erst in Sontags Pariser Wohnung, dann einige Zeit später in ihrem New Yorker Loft. Das Gespräch zeigt ihre intellektuelle Spannkraft, ihr Interesse an den unterschiedlichsten Themen. Von Fotografie, Ästhetik, Politik, Nietzsche über Feminismus zu den Doors und zurück. Die weitverbreitete Trennung von Hoch- und Popkultur interessiert sich nicht im geringsten. Sie hat auf Kategorien verzichtet, alles gleich und zugleich behandelt, genau hingesehen einzig entscheidend ist der Qualitätsanspruch.
Jonathan Cott – The complete Rolling Stone Interview
Neben dem Read-a-thon hat zeitgleich in München ein dreitägiges Symposium zur Aktualität Susan Sontags stattgefunden. Im Rahmen dessen besuchte ich eine Forumsdiskussion zum Thema „Ethik des Sehens“, an der Daniel Schreiber, Carolin Emcke, Juliane Rebentisch und Stefan Hunstein teilnahmen.
Die Diskussion beschäftigte sich mit der Frage was zeigen wir? Wie zeigen wir Bilder? Mit der Ästhetik in der Ethik oder dem Fehlen von Ästhetik und Ethik?
Es kamen sehr interessante Fragen auf, ob es möglich ist, die affektive und emotionale Kraft in Bildern zu kanalisieren und zu kontrollieren. Sontag war der Ansicht, das Fotografien immer selektiv und interpretierbar und daher konstruiert sind. Sie hat Partei ergriffen für den Kontext und den narrativen Text, ohne den Bilder nicht verständlich sind. Bilder zeigen immer nur Fetzen von Wirklichkeit. Wer hat die Bedeutungskontrolle über Bilder?
Ihr Essay „Das Leiden anderer betrachten“ birgt Sontags Aufforderung in sich, genau hinzusehen und die Verpflichtung, sich moralisch kundig zu machen. Bilder nicht einfach zu konsumieren, sondern über das Gesehene nachzudenken und vom Nachdenken ins Handeln zu kommen.
Fotografie ist eine Waffe um Interesse zu manifestieren.
Als großer Fan von Sontag und der Electroband „Fischerspooner“ habe ich mich riesig gefreut zu erfahren, das Sontag kurz vor ihrem Tod einen Song für Fischerspooners Album „Odyssee“ geschrieben hat. Mit diesem Video beende ich jetzt erst einmal meinen Sontag-Marathon und widme mich meiner anderen Leseleidenschaft: Murakami. Aber keine Sorge, nur ein Roman, keine Read-a-thons momentan zu befürchten.
Hier noch mal in der Übersicht:
Susan Sontag – The Doors und Dostojewski, Hoffmann & Campe Verlag
Susan Sontag – Wiedergeboren. Tagebücher 1947-1963, Hanser Verlag
Suan Sontag – Ich schreibe, um herauszufinden was ich denke. Tagebücher 1964-1980
Daniel Schreiber – Susan Sontag. Geist und Glamour, Aufbau Verlag
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