Meine Liebe zum „Magazin als Buch“ ist mittlerweile denke ich schon klar geworden. Kein anderes Medium schafft es so spielerisch die Texte zugänglich zu machen und ihnen Platz zu schaffen im Heute und Jetzt. Besonders gut ist das den Machern Joanna Mühlbauer und Peter Wagner bei ihrer „Woyzeck“-Ausgabe gelungen. Die Literatur vorne und der Journalismus hinten verbinden sich wunderbar zu einer Einheit, die Fotografien sind eigenwillig, passen aber zum Text.
Georg Büchner ist der James Dean der Literatur. Viel zu jung gestorben, hat er sein immenses Talent in nur wenigen Jahren bewiesen mit einer handvoll von Erzählungen und Dramen, die heute noch genauso aktuell sind wie vor über 150 Jahren.
Er gilt als einer der bedeutensten Vertreter des Vormärz. Oft gehört, dann bedächtig genickt und ehrlich gesagt nicht so eine wirkliche Ahnung gehabt, was es nochmal mit diesem Vormärz auf sich hat. Irgendwas mit der Zeit vor der März Revolution 1848. Der Vormärz umfasst ungefähr die Zeit von 1830 bis 1848, eine Zeit, in der sich die junge nationale und liberale Bewegung den konservativen Herrschern entgegensetze. Die Industrialisierung löst ganz langsam die Landwirtschaft ab. Büchner war Teil dieser Bewegung und aufgrund einer Flugschrift, die unter dem Motto „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ zur Revolution gegen die Unterdrücker aufrief, musste Büchner aus Gießen fliehen, wo er Medizin studierte. „Woyzeck“ begann er 1836, durch seinen frühen Tod 1837 bedingt blieb es ein Fragment.
Der einfache Soldat Woyzeck stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Er arbeitet als Bursche für einen Hauptmann und hat mit Marie ein uneheliches Kind. Um für die beiden sorgen zu können und seinen kargen Lohn aufzubessern, verdingt er sich als Versuchskaninchen bei einem Arzt, der ihn auf eine Erbsendiät setzt (was genau der Arzt mit dieser Erbsendiät bezweckt, ist mir nicht klar geworden).
Woyzeck wird unermütlich vom Arzt, seinem Hauptmann und dem Tambourmajor gequält, die sinnbildlich für die Obrigkeit stehen, gegen die er immer wieder anrennt. Als der Tambourmajor ein Verhältnis mit Marie beginnt, rastet Woyzeck völlig aus. Durch die Erbsendiät geschwächt und psychisch mehr als labil, glaubt er Stimmen zu hören die ihm befehlen, Marie zu töten.
Was hat nun Woyzeck zum Mord getrieben ? Da gibt es mehrere Interpretationsmöglichkeiten. War es die Eifersucht oder der durch die einseitige Mangelernährung geschürte Wahnsinn oder waren es die gesellschaftlichen unterdrückenden Umstände? Vermutlich eine Kombination aus allem.
Foto: tagesspiegel.de
„Es ist keine Kunst ein ehrlicher Mann zu sein, wenn man täglich Suppe, Gemüse und Fleisch zu essen hat.“
Büchner hat sich bei der Figur des Woyzeck wohl an dem tatsächlichen Fall des Johann Christian Woyzeck orientiert, der 1821 aus Eifersucht die Witwe Johanna Christiane Woost in einem Hausflur erstach und 1824 für diese Tat öffentlich hingerichtet wurde.
Büchner symphatisiert mit den einfachen Figuren in seinem Stück, die alle einen Namen haben, die Obrigkeit hingegen wird einfach mit ihren Funktionen bezeichnet. Woyzeck ist den Herrschern in der Ständegesellschaft hilflos ausgeliefert und sieht wohl nur im Mord irgendwie einen Ausweg aus seiner Situation.
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.“
„Ich glaub, wenn wir in den Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.“
Einen literarischen Text sollte man in erster Linie aus diesem selbst heraus verstehen. Das macht man im Allgemeinen auch so, Ausnahme Büchner. Warum? Weil man nicht durchblickt. Maries Satz „Das Kind gibt mir einen Stich ins Herz“ liefert den Schlüssel zu Büchners Dramenfragment. Klar handelt es sich dabei um eine Metapher seitens der Mutter mit dem Kind auf dem Arm. Aber eben nicht nur, denn das Kind kauft unmittelbar vorher ein Messer, eigentlich völlig überflüssig, weil Woyzeck in der 1. Szene Stöcke geschnitten hat. Zudem verlangt die Stimme aus dem Boden besagte Mutter zu erstechen. Hier wird daher eine Familientragödie abgehandelt, für die es viele weitere Indizien gibt. Zum Beispiel dass das weibliche Opfer ursprünglich Margreth Woyzeck heißt, während der Familienname des Täters ausgespart wird, er heißt nur Louis. Und einen Doktor sowie einen Hauptmann, also auch Erbsen, Rasieren usw. sucht man in dem 1. Handschriftenentwurf vergeblich … Freilich passt die Mordhandlung mit den rituellen Aspekten, den Liedern und der Mächenparabel auch überhaupt nicht zu einem Sozialdrama, als das man den Woyzeck unbedingt missverstehen will. Bei Büchner geht es nebenbei bemerkt auch in Dantons Tod um sexuellen Missbrauch, der sowohl in Goethes Erlkönig eine Rolle spielt wie auch der Kindesmord im Faust. Die Jahrmarktsszenen im Woyzeck handeln versteckte Zynismen über die damals wie heute gängige Pädophilie ab. (Jüngst „Epstein“ in den USA, ein paar Jahre vorher „Savile“ in England und hier bei uns