Die Zelle – Horst Bienek

IMG_1484 Horst Bienek war für mich bis zur Lektüre dieses Buches eigentlich nicht viel mehr als ein Name, ein Schriftsteller aus den 70er Jahren, der mich aus irgendeinem Grund an Alfred Biolek erinnerte. Gelesen hatte ich bislang noch nie etwas von ihm und hätte es nicht vor einer Weile eine Aktion auf Facebook gegeben, bei der man 10 Bücher nennen sollte, die einen im Leben sehr beeinflusst haben und eine gute Freundin  „Die Zelle“ in diesem Zusammenhang nannte – es könnte gut sein, dass er komplett an mir vorbeigegangen wäre.

Um so mehr freue ich mich, dass ich dieses Buch gelesen habe. Der 1930 geborene Bienek wurde 1946 aus Schlesien vertrieben und landete in Berlin, wo er als Volontär bei der Potsdamer Tagespost arbeitete. Dort entdeckte ihn Bertholt Brecht und holte ihn wenig später als seinen Meisterschüler an das Berliner Ensemble. 1951 wurde Horst Bienek in Ostberlin verhaftet und wegen angeblicher Spionage für den amerikanischen Geheimdienst zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt. Davon verbrachte er drei Jahre  in Workuta, nördlich des Polarkreises, bis er 1955 entlassen wurde.

Es muss im Übrigen deprimierend für Bienek gewesen sein, dass Brecht sich während des Prozesses in keinster Weise für seinen Schüler eingesetzt hat. Die Erfahrungen im Straflager verarbeitete Bienek unter anderem in seinen Werken „Traumbuch eines Gefangenen“  oder in „Die Zelle.“ Ein 58-jähriger Zeichenlehrer aus Ostberlin wird in einem DDR-Gefängnis in totaler Isolation gehalten. Er wartet auf ein Verhör, das nicht stattfindet und wir erleben den physischen und psychischen Zerfall eines Menschen, der auf seine absoluten Grundbedürfnisse reduziert wird.

Bienek experimentiert mit dem Konzept der „lazarenischen Literatur“ nach dem französischen Schriftsteller Jean Cayrol. Monologisch und mit Wiederholungen arbeitend, erlebt man die Abstumpfung und Verzweiflung hautnah und so dünn das Büchlein mit seinen 158 Seiten auch ist, es ist kein Buch, das man in einem Rutsch durchlesen kann. Es nimmt einem stellenweise die Luft zu atmen. Da ist kein Wort zuviel, keines zu wenig, jedes an genau der richtigen Stelle. Man glaubt fast, die brüchige, monotone Stimme des Erzählers zu hören, der in seiner Zelle flüsternd da sitzt, mit realen oder nicht realen Mitgefangenen kommuniziert und dem mehr und mehr die Realität durch die Finger gleitet. „Auch das Vergessen läßt sich erlernen“ glaubt er, aber der Versuch, sein früheres Leben zu vergessen, um die Isolation und Gefangenschaft irgendwie ertragen zu können, scheitert. Der Gefangene versinkt im Dunkel.“

Ein Buch, das seltsam fesselnd ist und nicht mehr los lässt. Wer nochmal sagt, Kafka sei deprimierend, dem drücke ich dieses Buch in die Hand. Dann wissen sie, was deprimierend ist. Krass, was Menschen einander antun, aber auch, was man alles überstehen kann.

„dies also mein schmerzender Körper, und unter ihm der Strohsack, und darunter die Holzpritsche, und noch tiefer, ganz unten, ein grauschwarzer Zementfußboden, um mich herum drei Wände und eine Tür: drei weißgetünchte Wände, eine blaugestrichene Eisentür, über mir eine weißgetünchte Decke, ihre Entfernung zu mir, zu meinem flach ausgestreckten Körper, ist schwierig auszumessen; früher, als ich noch laufen konnte, habe ich manchmal versucht, die Entfernung vom Fußboden oder von der Pritsche bis zur Decke auszumessen: mit der Länge meines Zeigefingers, mit der Spannweite meiner Hand oder einfach mit den unsicheren Hilfsmitteln des Auges, es ist mir nie gelungen.“ FullSizeRender

Foto: Maggie S. instagram.com/tigramgros

3 Kommentare zu “Die Zelle – Horst Bienek

  1. Kann mich noch sehr dunkel an die Zelle erinnern. Beeindruckend. Düster. Aber beileibe nichts für Klaustrophobiker.

  2. Pingback: Sonntagsleserin April 2015 | buchpost

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