Maggie and Me – Damian Barr

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„Maggie and Me“ ist eine der ehrlichsten, realistischsten und treffensten Biografien, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Barr schildert seine Kindheit im Arbeiterviertel eines Vorortes im schottischen Motherwell, die alles andere als einfach war. Margaret Thatcher war und ist bis heute eine der kontroversesten Persönlichkeiten Großbritanniens.

Ohne sie jemals persönlich zu treffen, beinflusst ihn die Premierministerin Margaret Thatcher enorm. Die Schwierigkeiten, mit denen die Erwachsenen um ihn herum zu kämpfen haben, die unter Thatchers Regierung leiden und sie um ihre Existenz kämpfen lässt, werfen Damian oft auf sich selbst zurück.

Barr beginnt seine Geschichte mit dem Bombenattentat in Brighton auf Mrs Thatcher im Oktober 1984. Es ist der erste Abend für ihn in fremder Umgebung in der Wohnung des neuen Freundes seiner Mutter. Im Fernsehen werden die Bilder des Attentats in Endlosschleife gezeigt und sie beeindruckt ihn, die Frau mit der eisernen Frisur, die ohne jeden Kratzer aus den Trümmern eines zerbombten Hotels hervortritt „this blonde woman rises from rubble again and again like a Cyberman off Dr Who„. Alles um ihn herum löst sich auf, nur Mrs Thatcher kann nichts umwerfen.

Barrs Vater arbeitet in der Stahlindustrie, eine Industrie, die unter Thatcher sukzessive zurückgebaut wurde. Seine Eltern trennen sich, als er gerade in die Grundschule gekommen ist, seine Schwester Teenie in den Kindergarten. Sie ziehen mit der Mutter zu ihrem neuen Freund Logan und geraten damit in eine Nachbarschaft, die gezeichnet ist von Arbeitslosigkeit, Antriebslosigkeit und Alkohol. Die Linie zwischen den „anständigen“ Arbeitslosen und denen, die eher als „unanständig“ gelten, löst sich mehr und mehr auf, in einer Zeit, in der die Regierung Arbeitslosigkeit und Armut per se als unanständig brandmarken. Einem Fakt, dem man in North Lanarkshire nur schwer entkommen konnte.

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Foto: Daily Telegraph

„All the women are crying and the headstones are more expressive than the men.“

Damian leidet unter seinem brutalen und gewaltätigen Stiefvater. Als seine Mutter mit Gehirnblutungen ins Krankenhaus kommt, nimmt die Gewalt lebensbedrohliche Formen an für Damian. Der schlaksige, asthmatische Junge ist sich von klein auf bewusst, dass er schwul ist, eine Tatsache, die er vor Logan nicht verstecken kann, der sich provoziert fühlt und Damian das Leben zur Hölle macht.

Er hält sich bei den Misshandlungen nicht auf, beschreibt sie schon fast unbeschwert „and that’s the last of my baby teeth“). Logans Disziplinierungsmaßnahmen haben keinen tieferen Sinn und schon gar keine Konsistenz: „Just when I think I’ve mastered eating – no clanking cutlery, no seconds, no complaining of feeling hungry – I’ll chew the wrong way and …“ 

„I’m not naturally clumsy but I’ve learnt to be“

„Maggie and Me“ könnte eine deprimierende qualvolle Biografie sein und trotz aller dunklen Momente ist sie eigentlich fast genau das Gegenteil. Damians Erfahrungen springen zwischen traurigen und glücklichen Momenten, er beschreibt lustige und komplett verrückte Momente. Er schafft es, seine Kindheitserfahrungen auf eine sensible und zurückhaltende Art zu beschreiben, die es ihm und uns erlauben, für die Menschen Sympathie aufzubringen, die ihn teilweise im Stich gelassen haben. Er kann gut erzählen und schafft es selbst schwierigen Themen wie Scheidung, körperliche und seelische Mißhandlungen,  betrunkene Familienmitglieder, Armut und die generellen Schwierigkeiten, die es mit sich bringt schwul zu sein und in einem bildungsfernen, armen Teil Schottlands aufzuwachen,  positive Seiten abzugewinnen.

Egal was passiert, Damian bleibt glaubhaft, humorvoll und hoffnungsvoll. Das er überlebt und später so erfolgreich ist, grenzt fast an ein Wunder.

Für einen unsportlichen schwulen Jungen sind Schule und Bibliotheken wahrscheinlich immer schon die natürlichen Rückzugsreservate gewesen. Er war jemand, der immer auf die Gunst von Lehrern und Förderern hoffen mußte, der solche Gunst dann aber auch zu nutzen wusste.

Heute ist Damian Barr Autor und Gastgeber des ultra hippen Shoreditch Literary Salon. Ich habe das Glück gehabt, zwei Reading Weekends in Sussex mit ihm verbringen zu können und es hat mich schon hin und wieder etwas sentimental gemacht, den früheren kleinen „Gaymian“ im heute coolen und beschwingten Damian zu sehen.

Mich persönlich hat diese Biografie sehr berührt,  Damians Buch macht Mut, zeigt, dass man seinen Weg machen kann, ich wünsche dem Buch viele Leser, insbesondere aber nicht nur junge Menschen, die jetzt gerade irgendwo sitzen, sich isoliert, unverstanden und seltsam vorkommen und tyrannisiert werden. Selbst aus eher homophonen bildungsfernen ärmere Umgebungen findet sich ein Ausweg.  It will get better – definitely*

20 July Damian Barr

*LGBT teens and young adults have one of the highest rates of suicide attempts. The „It Gets Better Project„is an Internet-based campaign founded in the US by Dan Savage and his partner Terry Miller in September 2010 in response to the suicides of teenagers who were bullied because they were gay or because their peers suspected that they were gay. Its goal is to prevent suicide among LGBT youth by having gay adults convey the message through social media videos that these teens‘ lives will improve

4 Kommentare zu “Maggie and Me – Damian Barr

  1. Ein wenig erinnert mich diese ganze Biographie an Torsten Schult neuen Roman Nilowsky… Es hat ähnliche Aspekte und scheint irgendwie wie gleiche Grundstimmung zu haben. Werde ich mir mal auf jeden Fall ansehen

  2. Pingback: Blogbummel Juli 2017 – Teil 1 – buchpost

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