Women in Science (16) Helen Macdonald

Foto: The Daily Mail

Obwohl so viele Menschen das Buch gelobt und mir empfohlen haben, war ich lange nicht davon zu überzeugen. Ein Buch über Trauerbewältigung und Greifvögel klang einfach überhaupt nicht nach mir. Und dann stand es eines Tages im Bücherschrank und ich blätterte hinein, blieb hängen und ich bin so froh darüber, denn es wäre mir ein wunderbares Leseerlebnis durch die Lappen gegangen.

“The hawk was everything I wanted to be: solitary, self-possessed, free from grief, and numb to the hurts of human life.” 

Falknerei ist ein Thema, mit dem ich mich absolut noch nicht beschäftigt habe. Außer dem Bild von Menschen, die einen großen Greifvogel auf einem riesigen Lederhandschuh tragen, wußte ich gar nix darüber. Irgendwie schafften es diese Menschen, dass die Greifvögel für sie jagten und auch tatsächlich immer wieder brav auf dem Arm landeten.

Einen Vogel abzurichten ist eine große Verantwortung die man übernimmt, wenn man den Vogel trainiert und mit ihm zusammenlebt. Ich war überrascht, dass Helen Macdonald ihre Mabel im Wohnzimmer hält, ich bin immer davon ausgegangen, die Vögel sitzen draußen in Volieren und werden nur herausgenommen, wenn man sie jagen läßt.

Einen Habicht zu trainieren ist ein nahezu übermenschliches Unterfangen, wie das Buch anhand des Trainings von Mabel und parallel dazu anhand T. H. Whites mißglücktem Versuch, einen männlichen Habicht namens Gos zu trainieren, zeigt. Das Training lenkt die Autorin von ihrer tiefen Trauer ab, da ihr Schmerz über den Verlust des Vaters fast zu einer Identitätskrise für sie wird. „H wie Habicht“ ist die Geschichte ihrer Reise aus dem Verlustschmerz hinaus, in die Welt ihres Habichts hinein, den sie als nur wenige Monate alten Jungvogel von einem Züchter übernimmt.

“I think of what wild animals are in our imaginations. And how they are disappearing — not just from the wild, but from people’s everyday lives, replaced by images of themselves in print and on screen. The rarer they get, the fewer meanings animals can have. Eventually rarity is all they are made of. The condor is an icon of extinction. There’s little else to it now but being the last of its kind. And in this lies the diminution of the world. How can you love something, how can you fight to protect it, if all it means is loss?”

Helen Macdonald ist Historikerin, Naturforscherin, Affiliated Scholar an der University of Cambridge im Bereich Geschichte und Philosophie der Wissenschaften sowie eine herausragende Autorin im Bereich „Nature Writing“.

 

MacDonald stand ihrem Vater, dem bekannten Fotografen Alisdair Macdonald, sehr nah. Er war es auch, der sie als Kind mit der Falknerei in Berührung brachte. Das Training von Mabel war ihr Weg, nach dem Tod mit dem Vater in Verbindung zu bleiben.

„The archaeology of grief is not ordered. It is more like earth under a spade, turning up things you had forgotten. Surprising things come to light: not simply memories, but states of mind, emotions, older ways of seeing the world.“

Das Buch beschreibt das erste Jahr, das Macdonald mit Mabel verbringt. Es beginnt mit intensivem Eingwöhnungstraining bis hin zu Mabels ersten Jagd-Flügen ohne Leine. Das Buch endet mit ihrem ersten gemeinsam verbrachten Frühling, wenn Habichte in die Mauser kommen. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, sie für die Saison in eine Voliere zu geben und es klingt, als hätte Macdonald sie danach im Grunde von vorne trainieren müssen, nachdem ihre Federn nachgewachsen waren.

Insgesamt verfolgt das Buch vier Erzählstränge. Der erste ist Macdonalds fortwährendes Bemühen, Mabel zu trainieren. Im zweiten geht es um die Beziehung zu ihrem Vater, die dritte beschäftigt sich mit ihrem emotionalen, existentiellen Kampf, sich durch die Trauer wieder zurück ins Leben zu kämpfen und im letzten geht es um den Falkner TH White.

Sowohl White als auch Macdonald nutzen das Habicht abrichten, um sich von der Welt draußen zurückzuziehen. Lena Headey, die Schauspielerin, die insbesondere durch ihre Rolle in „The Game of Thrones“ bekannt geworden ist, kaufte die Filmrechte für das Buch und ich bin sehr gespannt, ob und wann es Mabel auf die große Leinwand schafft.

Macdonald ist ein wunderbar poetisches, emotionales Buch gelungen. Man merkt ihr an, wieviel sie über Greifvögel weiß und sie versteht es, den Leser an ihrem Wissen teilhaben zu lassen, ohne jemals langweilig oder belehrend zu wirken.

Ganz große Leseempfehlung. Weitere begeisterte Rezensionen findet ihr bei Zeichen und Zeiten sowie bei Buzzaldrins. 

Erschienen ist „H wie Habicht“ im Allegra Verlag.

Women in Science (15) Sibylle Anderl

Heute stelle ich euch zum ersten Mal eine Woman in Science vor, die ich tatsächlich persönlich kenne – woohoo. Habe Sibylle Anderl bei einer Lesung in der LMU München getroffen. Sie hat Astrophysik und Philosophie studiert (eine sehr coole Kombi) und über Stoßwellen im interstellaren Medium promoviert. Zurzeit forscht sie als Gastwissenschaftlerin zu den Themen Sternenentstehung und Astrochemie am Institut de Planétologie et d’Astrophysique de Grenoble. Seit Januar 2017 ist sie Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und schreibt für das Feuilleton sowie das Wissenschaftsressort.

Heute möchte ich euch ihr Buch „Das Universum und ich vorstellen“ auf das ich durch Petra von „Elementares Lesen“ aufmerksam wurde:

 

„Wir müssen uns also wohl oder übel damit abfinden, dass wir in Erdnähe festsitzen und nicht sehr viel tun können, um das Universum aktiv zu erkunden“ – das führt dazu, dass Kritiker wie Ian Hacking die Astrophysik für deutlich ungenauer und wissenschaftlich nur schwer erfassbar halten, als andere Naturwissenschaften.

Sibylle Anderl macht uns mit der Popper’schen Welt des universellen Zweifels bekannt und zeigt den Unterschied zu den experimentellen Wissenschaften auf. In ihrem recht persönlichen Buch erzählt sie von einer Tagung in der Uckermark mit Teilnehmern aus unterschiedlichsten Wissensgebieten wie der Astrophysik, Philosophie, Geschichte und Soziologie. Dort versuchte Anderl ihre Kollegen davon zu überzeugen, dass die Astronomie grundsätzlich anders als andere Wissenschaften arbeiten. Doch schon die noch immer bestehende Trennung und die Berührungsängste in den Wissenschaften in unterschiedliche Fachschaften machen es schwer, einen fächerübergreifenden Forschungsantrag zu stellen. Aus dem gemeinsamen Projekt wird daher nichts, doch das Treffen war mehr oder weniger der Anstoss für Anderls Buch, also keineswegs ein unnötiges Treffen in der Uckermark.

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Auch wenn Anderl weiße Zwerge, rote Riesen und schwarze Löcher schlecht unters Mikroskop legen kann, das Universum hat seine ganz eigene Art, mit uns zu kommunizieren, z.B. durch die kaum wahrnehmbare, stets vorhandene Hintergrundstrahlung, die unglaubliche Entfernungen zurücklegen kann und die für uns messbar und damit hoch wissenschaftlich zur Verfügung steht. Genauso unsichtbar wie Mikrowellen oder die kürzlich entdeckten Gravitationswellen  – die Hintergrundstrahlung ist für die Astrophysik eine der wichtigsten Informationsquellen und gibt Auskunft über die Geburt von Sternen, über Kollisionen von Galaxien und wird oft auch als das Babyfoto des Universums bezeichnet, entstand die Hintergrundstrahlung doch ziemlich kurz nach dem Big Bang.

Sibylle Anderl

Foto: Hanser

„Die Annahme, dass es Dunkle Materie geben muss, beruht darauf, dass man die allgemeine Relativitätstheorie für richtig hält. Tatsächlich hat diese Theorie mit beeindruckender Präzision alle bisherigen Tests bestanden. Wenn man aber in Betracht zieht, dass es eine andere Theorie zur Beschreibung der Gravitation geben könnte, dann kann man auch das Problem der Dunklen Materie umgehen. Über die Frage, ob andere Theorien wie beispielsweise MOND, „Modifizierte Newtonsche Dynamik“, die eine modifizierte der Newtonschen Gravitationstheorie bei geringen Beschleunigungen postuliert, wirklich eine attraktive Alternative darstellen, wird in Kosmologenkreisen leidenschaftlich gestritten.“

Astrophysiker sitzen übrigens deutlich häufiger am Schreibtisch und am Computer als man vermutet, aber wenn sie Glück haben, können Sie die Teleskope auch mal besuchen und selbst Daten aufnehmen. Das führt dann auch zu den deutlich spannenderen Geschichten über zwischenmenschliche Probleme zwischen Wissenschaftlern der unterschiedlichsten Kulturen, Anekdoten über gefährliche Banditen auf dem Weg zum Teleskop in Chile und Forschung an Sternenembryos.

Die Sherlock-Holmes Methode zeigt anschaulich, wie mühselig die Messungen teilweise sein können und wie schnell die Messergebnisse verfälscht werden können durch locker sitzende Kabel oder tieffliegende Flugzeuge. Als Astrophysiker braucht man also unbedingt eine Menge Geduld beim akribischen Sammeln und Auswerten von Daten.

Die Lesung mit Vortrag war äußerst spannend, wer die Gelegenheit hat, Sibylle Anderl live zu sehen, sollte diese nutzen. Sie hat mit viel Humor auch abstruseste Fragen beantwortet und trotz der Tatsache, dass sie KEIN Star Trek Fan ist, fand ich sie sehr sympatisch (ihren Vater irgendwie auch, obwohl ich ihn gar nicht kenne, aber wenn man das Buch liest, glaubt man irgendwann es sei so).

Ich drücke die Daumen für den Nobelpreis in ein paar Jahren, sie hat ja versprochen mir rechtzeitig Bescheid zu geben, dann wird gefeiert.

Das Universum und ich erschien im Hanser Verlag.

Women in Science (14) Hannah Arendt

Heute möchte ich in den Women in Science eine Geisteswissenschaftlerin vorstellen, die keiner Vorstellung bedarf. Die von mir sehr verehrte Philosophin Hannah Arendt, die sich selber allerdings nie so bezeichnete, sondern eher als politische Theoretikerin und Publizistin.

Schon Kierkegaard war ja der Meinung, dass eines der lächerlichsten Dinge am modernen Leben die Tatsache sei, dass der Mensch keine Zeit mehr habe zu reflektieren – das schein im 19. Jahrhundert also nicht großartig anders gewesen zu sein als heute. Cocktail Bars sind aber auf jeden Fall ein Ort, an dem man sich die Zeit und den Raum nehmen kann und nehmen sollte, nachzudenken und über den Lauf des Lebens zu reflektieren.

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Philosophie und Cocktails haben eine lange und intime Geschichte, über die wir jetzt gerne noch deutlich mehr schreiben würde, das Problem ist, Hannah Arendt, über die wir heute Abend schreiben und der unser heutiger Cocktail gewidmet ist, partout keine Philosophin sein wollte.

Sie gilt als eine der einflussreichsten politischen Philosophinnen des 20. Jahrhunderts, auch wenn sie diesen Titel für sich selbst stets ablehnte. Ich habe mich ewig darüber gewundert, überlegt ob es in einer falschen Bescheidenheit begründet liegt, bis Thomas Meyer, Dozent für Philosophie an der LMU München, bei einer Veranstaltung im Literaturhaus München meinte, seiner Einschätzung nach habe sich Arendt mit dieser Äußerung einfach von der Philosophie distanzieren wollen, die sie bis zu einem gewissen Grad für die Gräueltaten des Holocaust und des Nationalsozialismus mit verantwortlich machte. Eine für mich neue, aber durchaus einleuchtende Theorie.

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Sie wirft der Philosophie vor, feindselig auf die Politik zu blicken und mit Blick auf die Gräueltaten des Holocaust und des Nationalsozialismus versagt zu haben. Sie kritisiert die künstliche Trennung zwischen praktischer und theoretischer Philosophie. Die politische Theorie stellte für sie eine mögliche Alternative zur Philosophie dar.

Der Text „Die Freiheit, frei zu sein“, der letztes Jahr wiederentdeckt wurde, ist erstaunliches Bestsellerlisten-Material. Er ist alles andere als zugänglich, es scheint, als wolle die Bevölkerung sagen „traut uns sowas Schwieriges zu“, „wir wollen nicht nur Leichtverdauliches“. Die Menschen wollen nicht mehr unterfordert werden und wehren sich gegen die sprachliche und intellektuelle Verwahrlosung unserer Zeit. Wollen einer konservativen Revolution etwas entgegensetzen, die allen voran ausgerufen wird von einem Typen, der das Wort „Freiheit“ nicht einmal buchstabieren kann.

Der Text ist das Transkript einer Rede, dass sie vor einem konservativen Think Tank in Chicago hielt, für die alles Denken und alle Philosophie nach Plato eigentlich nur noch eine Fußnote darstellte.

Gerade diesem steifen Publikum kommt Arendt – vermutlich charmant wie immer – gleich mit der Revolution ins Haus.

„Mein Thema heute ist, so fürchte ich, fast schon beschämend aktuell. Revolutionen sind inzwischen alltägliche Ereignisse, denn mit der Beendigung des Imperialismus haben sich viele Völker erhoben, um „unter den Mächtigen der Erde den selbständigen und gleichen Rang einzunehmen, zu dem die Gesetze der Natur und ihres Schöpfers es berechtigen.“

Revolutionen werden für die Freiheit gemacht. Aber Freiheit von was? In der Regel folgen auf Befreiungen erst einmal Terror und die wichtigste Frage ist nicht so sehr wie erlange ich Freiheit, sondern wie bewahre ich die Freiheit? Freiheit darf für Hannah Arendt nicht in der Passivität bleiben (noch einmal ein Wink mit dem Zaunpfahl nach Freiburg) Freiheit muss rückverankert in die Gesellschaft sein, es muss das Ziel jedes Einzelnen sein, Freiheitsräume zu schützen, denn Freiheit geht jeden an.

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Hannah Arendt hat mit diesem gut fünfzig Jahre alten Text ein Gegengift in die Welt gesetzt, dass uns hilft darüber nachzudenken, was in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft erhaltenswert ist.

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Es lebe die Freiheit und Hannah Arendt 😉

Wer noch mehr möchte – hier der link zu ihrem unvergesslichen Interview mit Günter Gaus:

Women in Science (13) – Sandra Aamodt

Sandra Aamodt ist die Autorin zweier populärwissenschaftlicher Bücher „Welcome to your Brain“ und „Other Puzzles of Everyday Life“ (beide in Zusammenarbeit mit Sam Wang). Beide Bücher wurden in über 10 Sprachen übersetzt. Sandra Aamodt schreibt seit Jahren für die Science Seiten der New York Times, Washington Post, El Mundo und der London Times. Sie war Chefredakteurin der Zeitschrift „Nature Neuroscience“, ein führendes Magazin im Bereich der Hirnforschung. Aamodt hat einen Abschluß in Biophysik von der John Hopkins Universität und machte ihren Doktor in Neurowissenschaften an der Universität Rochester.

Zu ihrem Buch „Welcome to your Brain“ animierte mich vor einiger Zeit ihr  TED Talk. Wir nutzen unser Hirn praktisch in jedem Moment unseres Lebens und doch haben die Wenigsten von uns eine Idee, wie es überhaupt funktioniert. Vieles von dem, was wir glauben über das Hirn zu wissen, beruht auf irgendwelchen Legendenbildungen: das wir nur 10 Prozent unseres Hirns überhaupt nutzen, dass der Genuss von zuviel Alkohol Hirnzellen abtötet etc. Diese und andere Mythen über das Hirn sind falsch, wie die Heerscharen an Neurowissenschaftlern in ihrer Forschung in den letzten Jahrzehnten herausgefunden haben.

Was sie aber tatsächlich über die Funktionsweise des Hirns gelernt haben, davon dringt erstaunlich wenig aus den Forschungslaboren. In diesem gut lesbaren und unterhaltsamen Buch räumen Aamodt und Wang mit einigen dieser Mythen auf und bieten einen umfangreichen, nützlichen Überblick darüber, wie das Hirn tatsächlich funktioniert. Sie zeigen auf, wie man mit Jet Lag umgehen sollte, was das Hirn mit Religion zu tun hat und wie sich die Hirne von Männern und Frauen unterscheiden. Mit viel Witz und Charme machen sie die Materie überaus zugänglich. Der Text wird durch eine Reihe von Charts, Illustrationen, kleinen Quizzes und wissenswerten Kleinigkeiten unterstützt.

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Den Autoren sind Fakten und sorgfältig durchgeführte Studien wichtig und sie wollen den Leser dazu animieren, weniger auf Emotion und verbreitete Mythen über das Gehirn zu hören, als kritischer nachzufragen und zu recherchieren. Sie räumen im Buch mit einigen der Mythen auf, beispielsweise mit den sagenumwobenen 10% des Hirns, die wir angeblich nur nutzen, dass Mozart hören Babys klüger macht oder das Impfstoffe Autismus auslösen.

Daneben geben sie praktische Tipps wie man z. B. mit Videospielen sein Gehirn schulen kann oder wie man das Hirn am besten überlistet, wenn man abnehmen will.

 

Für Film-Freaks vielleicht besonders interessant ist die Liste an Filmen, die neurologische Krankheitsbilder besonders gut beschrieben haben (z.B. Memento, A Beautiful Mind und Awakenings) oder auch eher ungenau, wie z.B. Total Recall und 50 First Dates.

Dieser respektlose Führer durch die Welt unseres Gehirns von Samuel Wang und Sandra Aamodt gibt einen guten Überblick über unser Gehirn und seine Funktionen. Es geht nicht sonderlich in die Tiefe, ist aber gut geschrieben, leicht lesbar und somit ein empfehlenswerter Einstieg in die Neurowissenschaften.

Women in Science (12) Grace Hopper

 

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Die Sommerpause ist beendet und die Women in SciFi sind aus dem Urlaub zurück. Heute darf ich euch einen Beitrag von einer weiteren wunderbaren Wiederholungstäterin präsentieren. Miss Booleana vom gleichnamigen Blog stellt uns eine Informatik-Pionierin erster Güte vor, die es bei der US Navy bis zur Flottillenadmiralin brachte.

Grace Hopper wurde 1906 als Grace Brewster Murray in eine militärisch-patriotische Familie geboren. Schon als Kind hatte Grace eine schier unstillbare Neugier darauf wie Dinge funktionieren und ein großes mathematisch-logisches Geschick. Sie rannte förmlich durch die Schulzeit und hätte vorzeitig graduieren können, wenn da nicht Latein gewesen wäre. Grace absolvierte mit 24 Jahren das Mathematik- und Physik-Studium an der Yale University mit Auszeichnung. Vielleicht war es zu der Zeit, als sie sich den Spitznamen „Amazing Grace“ verdiente. In dieser Zeit heiratete sie ihren Mann, einen Englischlehrer, und wurde Grace Brewster Murray Hopper. Sie selber unterrichtete Mathematik bis sie 1944 für zwei Jahre bei der Navy im Bereich der mathematischen, computergestützten Berechnung tätig war. Und sie wollte unbedingt zur Navy und in der Kriegszeit ihr Vaterland unterstützen. Obwohl sie als nicht geeignet erklärt wurde, probierte sie es hartnäckig weiter. Die Arbeit bei der Navy brachte sie mit dem ersten amerikanischen (universell programmierbaren) Computermodell zusammen, dem Relais-Rechner Mark I, an dem vorrangig ballistische Berechnungen durchgeführt wurden.

„If in doubt – do it.“

In der Zwischenzeit wurde Grace Navy Reservistin und lehnte sogar eine ihr angebotene Professur ab, um weiter für die Navy in Harvard zu arbeiten bis sie 1949 Senior-Mathematikerin der Eckert–Mauchly Computer Corporation wurde und am UNIVAC I arbeitete. Während Mark I und andere frühe Computermodelle noch mit Lochstreifen funktionierten und sich die Programmierung damit auf mühsame Konstruktion von Befehlen in Form von Einsen und Nullen beschränkte, hatte Grace die Idee, dass es sinnvoller wäre Programme aus menschenverständlichen Befehlen aufzubauen und den Computer diese selber in das Binärformat (Einsen und Nullen) umsetzen zu lassen. Zu diesem Zweck müsste es wiederum ein Programm bzw. eine Software geben, die diese Befehle umsetzt. Wer schon mal programmiert hat, weiß schon was jetzt kommt: Es ist die Geburtsstunde des Compilers.

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Auf UNIVAC I lief damit erstmalig Arithmetic Language version 0, kurz A-0, der von Grace Hopper entwickelte Compiler. Während der Arbeit am Mark II sorgte etwas für den Ausfall des Systems. Techniker fanden eine tote Motte, die wahrscheinlich zwischen die Relais gelangt war. Grace Hopper kennzeichnete den Fund des Käfers im Logbuch mit dem Satz „First actual case of bug being found.“ Oftmals wird ihr zugeschrieben, dass sie den Begriff „bug“ geprägt hätte, was nicht ganz stimmt. Der wurde schon früher verwendet. Ihre humoristische Randbemerkung, dass jetzt endlich mal ein „echter bug“ gefunden wurde, macht den Begriff dann weitläufig bekannt.

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Foto: Wikipedia

Während ihrer Zeit in der Firma wurde der Fachbereich der automatischen Programmierung geschaffen, den sie leitete. Zusammen mit ihrem Team entwickelte sie die Programmiersprachen MATH-MATIC und FLOW-MATIC. Letztere war von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der bekannten Programmiersprache COBOL (COmmon Business-Oriented Language), die sich großer Beliebtheit erfreute und sehr lange verwendet wurde. Eine Feature der Cobol-Libraries war, dass nur die letzten beiden Ziffern einer Jahreszahlverwendet wurden. Zum Jahrtausendwechsel befürchtete man folgerichtig, dass zahlreiche Programme, die in dieser Sprache geschrieben wurden oder auf COBOL-Systemen aufbauen, auf das Jahr 1900 statt 2000 schalten wurden. Der sogenannte Millennium-Bug resultierte daraus, dass das Team um die Entwickler und Grace niemals davon ausgegangen waren, dass ihre Programmiersprache solange verwendet werden würde und stattdessen durch andere abgelöst würde.

„The most dangerous phrase in the language is, ‚We’ve always done it this way.“

„Amazing Grace“ war nur zeitweilig am akademischen Umfeld tätig und wird daher gerne vergessen, wenn es um Leistungen in der Wissenschaft geht. Viel der Fachliteratur, die Grace Hopper erwähnt ist heute entweder vergriffen oder aus rein militärischer Sicht verfasst. Ihrer Leistung als Frau in einer angeblichen Männerdomäne verschreibt sich auf spielerische Art das Kinder- oder Jugendbuch „Grace Hopper – Queen of Computer Code“ von Laurie Wallmark mit Illustrationen von Katy Wu. Das Buch hebt stets positiv hervor wie Grace Hindernisse überwand und macht Amazing Grace zu Recht zu einem „Role Model“. Die kreativen und reduzierten Illustrationen von Katy Wu unterstreichen den Charakter des Buches, der zum Fragen stellen animiert und auch anfangs abwegig erscheinende Pfade einzuschlagen. Allerdings wird die Geschichte von Grace als Erfinderin des Begriffs „Bugs“ aufgegriffen und ob sie ein Troublemaker wie im ansonsten sehr gelungenen Reim ist, wage ich in Frage zu stellen.

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„Software tester. Workplace jester.

Order seeker. Well-known speaker.

Gremlin finder. Software minder.

Clever thinker. Lifelong tinker.

Cherished mentor. Ace inventor.

Avid reader. Naval leader.

Rule breaker.

Chance taker.

Troublemaker.

AMAZING GRACE“

(aus: „Grace Hopper – Queen of Computer Code“ von Laurie Wallmark & Katy Wu)

Ihre Einsatzbereitschaft und Patriotismus sind beispielhaft. Sie verschrieb sich dem Dienst für ihr Vaterland mit der gleichen Leidenschaft, die sie für Technik und Mathematik teilte und hatte eine bewundernswert pragmatische Art. Grace Hopper verstarb 1992 im Dienstgrad des Rear Admiral (lower half) und erhielt im Laufe ihres Lebens über 90 Auszeichnungen.

#WomeninScience (11) Lisa Randall

Meine Hoffnung, Lisa Randall würde es mir mit „Knocking on Heavens Door“ in irgendeiner Weise einfach machen, flog schon nach den ersten paar Kapiteln fröhlich aus dem Fenster. Die Harvard-Dozentin ist mittlerweile ein ziemlicher Star unter den theoretischen Physikern, insbesondere für ihre Forschung im Bereich Hochenergie Physik. Sie hat einen unglaublichen Enthusiasmus für ihr Feld und man möchte ihr einfach folgen und sich mit ihr an Themen wie dem Large Hadron Collider, der Suche nach dem Higgs Boson, bis hin zur  Theorie um das Geheimnis fehlender Antimaterie abzuarbeiten. Ihre Begeisterung kombiniert mit einem sehr angenehmen Schreibstil helfen enorm, wenn man sich auf das schwierige Terrain der Teilchenphysik begeben will.

“Despite my resistance to hyperbole, the LHC belongs to a world that can only be described with superlatives. It is not merely large: the LHC is the biggest machine ever built. It is not merely cold: the 1.9 kelvin (1.9 degrees Celsius above absolute zero) temperature necessary for the LHC’s supercomputing magnets to operate is the coldest extended region that we know of in the universe—even colder than outer space. The magnetic field is not merely big: the superconducting dipole magnets generating a magnetic field more than 100,000 times stronger than the Earth’s are the strongest magnets in industrial production ever made.“

And the extremes don’t end there. The vacuum inside the proton-containing tubes, a 10 trillionth of an atmosphere, is the most complete vacuum over the largest region ever produced. The energy of the collisions are the highest ever generated on Earth, allowing us to study the interactions that occurred in the early universe the furthest back in time.”

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Mir gefiel das Kapitel, in dem sich sich ausgiebig mit der Skalierung beschäftigt – vom Universum zu den kleineren Atomen, zu den noch kleineren Protonen bis hin zu den Quarks. Ich fand es spannend, ich habe mich tapfer durchgekämpft, aber ehrlich gesagt hat Ms Randall mein Hirn mit einem derart hohen Datenstrom beschossen, dass die Teilchenphysik teilweise doch zur Antimaterie wurde und mein Hirn irgendwann einem schwarzen Loch glich.

Ich habe eine Menge gelernt, dass Neutrinos sich nicht den physikalischen Gesetzen unterwerfen und sich zumindest für kurze Zeit schneller als das Licht bewegen können, dass auf künftige Zeitreisen hoffende noch immer keinen Grund zum Jubeln haben und auch das Wissenschaftler jede Theorie – und sei es die eigene – immer wieder versuchen zu widerlegen, alles zu hinterfragen, bis eine Theorie nicht länger nur Theorie ist.

Hier noch ein interessanter Vortrag von Lisa Randall zu „Dark Matter“:

#WomeninScience (10) Elisabeth Oberzaucher

War es schon nicht immer einfach Mitstreiter*innen für meine Reihe #WomeninSciFi zu finden, gegen #WomeninScience war es ein Zuckerschlecken. Die Idee bekommt viel Zuspruch, aber nur wenige haben etwas von oder über Wissenschaftlerinnen gelesen oder planen es und es hagelt Körbe 😉 vielleicht aber auch ein Zeichen, wie nötig so eine Reihe ist um die Frauen in den Natur- und Geisteswissenschaften mal ordentlich unter den Scheinwerfer zu halten.

Um so mehr freue ich mich über Petras Beitrag heute vom wunderbaren Blog „Elementares Lesen„, sie ist schon eine Veteranin und ich hoffe innigst es wird nicht ihr letzter Beitrag für #WomeninScience sein. Jetzt aber Bühne frei für Elisabeth Oberzaucher und ein kleiner Appell noch – wer Lust hat bei der Reihe dabei zu sein meldet euch bitte gerne (zahlreich :)) – ich freue mich sehr auf eure Beiträge.

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Die Verhaltensbiologin Dr. Elisabeth Oberzaucher lehrt und forscht an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt und Kriterien für die Partnerwahl. 2015 erhielt sie zusammen mit Karl Grammer den Ig-Nobelpreis für Mathematik – eine satirische Auszeichnung für ihre Studie zur Fortpflanzungsfähigkeit des marokkanischen Königs Moulay Ismael. Der hatte im 17. Jahrhundert angeblich 888 Kinder gezeugt. Vielleicht kennt Ihr die österreichische Forscherin auch als Mitglied des preisgekrönten Wissenschaftkabaretts Science Busters. Ein weiteres Thema, mit dem sich Elisabeth Oberzaucher als Wissenschaftliche Leiterin des Forschungsinstituts „Urban Human“ beschäftigt, ist das Thema Stadtentwicklung. Davon handelt auch ihr Buch Homo urbanus.

Elisabeth Oberzaucher © Sabine Oberzaucher

Foto: Sabine Oberzaucher

Elisabeth Oberzaucher untersucht das Leben von Menschen in der Stadt aus evolutionsbiologischer Perspektive. Unsere Vorfahren streiften durch die Savannen Ostafrikas, offenen Graslandschaften, die einen guten Überblick und Schutz vor Feinden boten. Dieses Erbe bewirkt eine Vorliebe für bestimmte Landschaftstypen und geschützte Bereiche. Sind wir modernen Menschen überhaupt für die Stadt geschaffen, mit Menschenmassen, räumlicher Enge und Lärm? Welche Faktoren spielen eine Rolle?

Der Kampf ums Überleben in der Savanne zwang unsere Vorfahren zur Zusammenarbeit, zum Leben in immer größeren Gemeinschaften. Diese soziale Komplexität steigerte ihre Intelligenz und führte zur Entwicklung der Sprache, um Wissen und Erfahrungen auszutauschen und Beziehungen zu pflegen. Optimal war eine Gruppengröße bis zu 150 Personen. Mehr war kaum zu bewältigen – und das gilt auch für den modernen Menschen. In der Großstadt begegnen wir Tausenden Individuen. Mit den vielen Eindrücken, die auf uns niederprasseln, kommen wir nur zurecht, indem wir vieles einfach ausblenden, unseren Tunnelblick einsetzen und zum Beispiel Blickkontakt vermeiden – so wird die soziale Komplexität reduziert.

Oberzaucher Homo Urbanus

Im Laufe der Evolution haben wir gelernt, unser Verhalten an das Territorium anzupassen, in dem wir uns gerade aufhalten, und die jeweiligen Regeln zu respektieren. Der Wunsch, das eigene Territorium, zum Beispiel durch persönliche Gegenstände, zu markieren, schlummert noch immer in uns, ob im Café oder am Arbeitsplatz. Wichtig im Kontakt mit der Umwelt sind das richtige Verhältnis zwischen Nähe und Distanz zu den Mitmenschen, geeignete Rückzugsorte und – besonders wichtig – eine funktionierende Nachbarschaft. Dies muss auch bei der Planung von Neubauten berücksichtigt werden.

Vor allem lebendige Elemente wie Pflanzen und fließendes Wasser können die Lebensqualität in den Städten verbessern. Sie dämpfen den Lärm, filtern die Luft, reduzieren den Stress und tun uns einfach gut. Naturbereiche dürfen daher in Städten nicht fehlen. Die Autorin erklärt plausibel, woher unsere Neigung zu Grünem und Wasser stammt und wie man ihr in der Stadt Rechnung tragen kann.

Unser evolutionäres Erbe als Bewohner der Savanne ist auch heute noch spürbar, wie Elisabeth Oberzaucher mit faszinierenden Beispielen belegt. In ihrem lesenswerten Sachbuch zeigt die Wissenschaftlerin, wie unsere Städte menschengerecht gestaltet werden können, auch für die Zukunft, denn die Zahl der Stadtbewohner wächst. Homo urbanus ist ein dichter, konzentrierter Text, eignet sich also nicht zum nebenbei Lesen. Wesentliche Aussagen werden jedoch in verschiedenen Kontexten wiederholt. Die Lektüre lohnt sich, denn sie bietet spannende Einblicke in die Wurzeln unseres Verhaltens und die Überlebensstrategien des Homo sapiens in der Stadt!

#WomeninScience (9) Monica Kristensen

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Foto: forfatterforeningen

Ich freue mich sehr, dass es erneut eine Wiederholungstäterin gibt 😉 Esther von Esthers Bücher war schon bei #Women in SciFi dabei und stellt uns heute das Buch einer Glaziologin (!) vor, mit der wir eine Reise an den Südpol unternehmen:

Monica Kristensen: Amundsens letzte Reise

Die 1950 geborene norwegische Glaziologin und Meteorologin Monica Kristensen schreibt seit 2007 sehr erfolgreiche Kriminalromane, Bücher hat sie aber auch vor dieser Zeit geschrieben, nämlich Expeditionsberichte und Sachbücher. An der Universität Tromsø hat sie Physik studiert und sie wurde 1983 in Cambridge promoviert. Zu dieser Zeit nahm sie bereits an Expeditionen in die Arktis und Antarktis teil. Bei ihren Expeditionen trat sie wortwörtlich in die Fußstapfen Roald Amundsens, so zum Beispiel 1986/87 als sie dem Weg Amundsens zum Südpol gefolgt ist. Die mit Schlittenhunden unternommene Expedition musste zwar abgebrochen werden, einige Jahre später erreichte sie aber doch den Südpol. Eine andere Expedition hat sich vorgenommen, Amundsens Zelt am Südpol zu finden, hierbei sind mehrere Teilnehmer in Gletscherspalten gefallen, einer von ihnen verlor dabei sein Leben.

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Monica Kristensen weiß also aus eigener Erfahrung, wie es ist, in der eisigen Kälte der Polarregionen unterwegs zu sein und dabei Kameraden zu verlieren. Und auf die Rettung zu warten. In ihrem Anfang 2019 erschienen Buch Amundsens letzte Reise folgt er wieder einmal den Spuren Amundsens, und versucht eine Erklärung dafür zu finden, wie der erfahrenste Polarforscher der Zeit ohne Spur verschwinden konnte.

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Er war der berühmteste Entdecker Norwegens, der als erster am Südpol war, als erster die Nordwestpassage und als erster die Nordostpassage durchfuhr. Und der als erster mit einem Luftschiff über dem Nordpol war. Roald Amundsen verschwand am 18. Juni 1928, und bis heute wissen wir nicht, was damals mit ihm passiert ist, warum er nach so vielen an Wunder grenzenden überlebten Expeditionen diesmal mit seinem Leben für seine Kühnheit bezahlen musste.

Zu dieser Zeit lag seine letzte Expedition (mit dem Luftschiff Norge) bereits zwei Jahre zurück. Der Konflikt mit dem italienischen Kapitän der Norge, Umberto Nobile, war jedoch noch nicht abgeklungen. Amundsen hielt Nobile für ungeeignet, Polarexpeditionen zu leiten, und er hielt sich mit seiner Meinung auch öffentlich nicht zurück. Nobile ergriff nun die Möglichkeit, mit dem Schwesterschiff der Norge, der Italia, nun in eigener Regie den Nordpol zu erreichen, was ihm auch gelang. Auf dem Rückflug vom Nordpol stürzte die Italia jedoch ab, die Mannschaft galt als verschollen.

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Obwohl kein Norweger als Mitglied der italienischen Expedition unterwegs war, leiteten die Norweger sofort eine Suchaktion ein, zu dem sie natürlich auch gleich den höchsten Experten der Polarregion einluden:

„Er war von höchster Stelle gebeten worden, in den Norden zu fahren, um einen Mann zu retten, von dem alle wussten, dass er sein Feind war – eine äußerst edle Aufgabe.“

Seite 67

Als wäre die Situation so noch nicht pikant genug, kommt es bald auch zu weiteren interessanten Wendungen. Die italienische Regierung zögert nämlich, sich an der Rettungsaktion zu beteiligen (sie sind überzeugt, dass die Mannschaft der Italia tot ist), und die bescheidenen Mittel der norwegischen Regierung erlauben es nicht, die Aktion in dem Ausmaß durchzuführen, der es ermöglichen würde, Amundsen mit einem Flugboot daran beteiligen zu lassen. Die deutlich kleinere Aktion wird in die Hände des erfahrenen Piloten, Hjalmar Riiser-Larsen gegeben, Amundsen muss von der Seitenlinie zusehen, wie er übergangen wird.

Letztendlich, nach etlichen Schwierigkeiten, kommt er doch an ein Flugboot, und macht sich auf den Weg, Nobile zu finden und zu retten. Was an diesem Punkt genau passiert, ist bis heute unklar. Er fliegt mit dem französischen Flugzeug, der Latham 47 Richtung Bäreninsel, es gibt noch diverse Funksprüche von der Latham, Amundsen und die Mannschaft des Flugzeugs werden aber nie wiedergesehen. Es wurden Spuren des Flugzeugs gefunden, die darauf hindeuten, dass die Mannschaft in Schwierigkeiten geraten ist und versucht hat, sich zu retten, aber weder Flugzeug, noch Mannschaft wurden je gefunden.

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Monica Kristensen erzählt in diesem Sachbuch sehr detailliert die Umstände, die zum Verschwinden Amundsens geführt haben, und erzählt auch die packende Geschichte der Italia-Expedition. Es ist ein spannendes Buch, das am Ende auch noch mit einer interessanten und glaubwürdigen Theorie aufwartet, die ein neues Licht auf Amundsens Schicksal wirft. Dass Monica Kristensen auch Kriminalromane schreibt, lässt sich am Schreibstil merken – was hier auf jeden Fall positiv gemeint ist. Sie bleibt sachlich und spart nicht mit technischen Details, sorgt aber auch dafür, dass man das Buch nicht aus der Hand legen kann. Eine klare Leseempfehlung!

Amundsens siste reise/Amundsens letzte Reise erschien im btb Verlag.

#Women in Science (8) Mary Beard

„The aim of Classics is not only to discover or uncover the ancient world. Its aim is also to define and debate our relationship to that world“

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Ich mag die „Very Short Introduction“-Serie sehr gerne, diese Ausgabe habe ich mir explizit wegen der Co-Autorin Mary Beard geholt, eine der führenden Historikerinnen, die einen wunderbar trockenen Humor besitzt. In dieser Ausgabe war jetzt nicht unbedingt viel Platz für ihren Humor, aber mir hat die Herangehensweise hier sehr gefallen. Die Beschreibung eines griechischen Tempels, den sie aus ganz unterschiedlichen Richtungen beleuchtet um nicht nur dessen Geschichte herauszuarbeiten, sondern die Entwicklung der Altertumswissenschaften selbst mit Ausflügen in die Mythologie, antike Religionen, Reisen in der Antike, Erdkunde, Philosophie und die Literatur.

Mary Beard ist Professorin of Classics an der Universität Cambrige, Fellow am Newnham College und der Royal Academy of Arts und Professorin für antike Literatur. Sie ist Redakteurin für die Classics beim Times Literary Supplement und betreibt nebenher noch recht regelmäßig einen Blog namens „A Don’s Life“. Durch ihre regelmäßigen Auftritte in den Medien und ihre gelegentlich etwas kontroversen Aussagen ist sie mittlerweile die wohl bekannteste britische Altertumswissenschaftlerin.

Ihr ist wichtig, dass antike Quellen als Dokumente der Meinungen und Überzegungen ihrer jeweiligen Autoren zu werten sind und nicht als zuverlässige Quellen für die Ereignisse die sie beschreiben. Ein Gedanke, dem ich mich tatsächlich gut anschließen kann.

Diese „Very Short Introduction“ ist eine eloquente und fesselnde Reise in die Welt der Antike. Aber anstatt zum x-ten Mal den Peleponnesischen Krieg zwischen den Griechen und den Persern hoch- und runterzubeten, oder Athen als Geburtsstätte der Demokratie oder ähnliche Meilensteine der Antike zu beleuchten, fokussiert sie sich auf ein ganz bestimmtes Objekt. Auf die Ruinen eines antiken griechischen Tempels: den Tempel des Apollo in Bassae in Arkadia.

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Der Tempel agiert als Landkarte die Beard und Henderson die Möglichkeit gibt die Altertumsforschung aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Die Leser werden zu Touristen und Beard und Henderson sind die informativen Tour Guides.

“When we look, for example, at the Parthenon for the first time, we look at it already knowing that generations of architects chose precisely that style of building for the museums, town-halls, and banks of most of our major cities.” 

Die Fragen, die die Altertumsforschung stellt zielen nicht einfach nur darauf ab, Licht in das Dunkel der Antike zu bringen, es geht auch darum unsere Beziehung zu dieser antiken Welt zu definieren.

So ein kurzes Büchlein kann natürlich nicht alles abdecken und das versucht es auch gar nicht unbedingt. Es ist sehr gut geschrieben und macht Lust sich wieder einmal intensiver mit griechischer und römischer Geschichte auseinander zu setzen. Die Altertumsforschung ist ein Fachgebiet, dass so tief wie die Menschheitsgeschichte ist und was Altertumsforschung tatsächlich bedeutet muss stets und ständig neu austariert und erkundet werden.

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Foto: Wikipedia

Et in Arcadia Ego“ – Auch ich war in Arkadien. Noch nicht, aber nach der Lektüre dieses Buches möchte ich wahnsinnig gerne einmal die Ruinen in Griechenland ansehen, idealerweise mit der Hörbuch-Ausgabe. Dann steige ich mit Mary Beard in eine Zeitmaschine und sehe mir den Tempel an so wie er ursprünglich einmal war mit bunt bemalten Säulen und voller Leben.

https://www.youtube.com/watch?v=a0P8rLh16mE

Auf deutsch erschien das Büchlein unter dem Titel „Kleine Einführung in die Altertumswissenschaft“ im J. B. Metzler Verlag.

Hat einer von Euch den Tempel bzw seine Ruinen schon einmal besichtigt? Oder die Fresken im Britischen Museum in London?

#Women in Science (7) Brené Brown

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Brené Brown ist Professorin an der Universität Houston, wo sie den Lehrstuhl für Social Work inne hat. Ich bin nicht sicher, ob es ein entsprechendes Equivalent in Deutschland gibt. Sie widmet sich seit zwei Jahrzehnten in ihren Studien den Themen Scham, Empathie, Mut und Verletzlichkeit. Ihr TED Talk „The Power of Vulnerability“ ist einer der fünf meistgeschauten TED Talks (35 Millionen views), auch ich habe Ms Brown durch diesen Talk kennengelernt.

Auch in ihrem neuesten Buch beschäftigt sich Brown wieder mit ihrem Hauptthema, der Verletzlichkeit. Der volle Titel ist Braving the Wilderness: The Quest for True Belonging and the Courage to Stand Alone.

Ich habe Brené Browns Buch „Braving the Wilderness“ schon vor einer Weile als Hörbuch gehört und mir ist es selten so schwer gefallen in Worte zu fassen, worum es eigentlich genau geht und was mir daran jetzt eigentlich gefallen hat.

Brown beschäftigt sich mit dem Zugehörigkeitsgefühl, was es genau für den Einzelnen bedeutet, dazuzugehören und warum unsere Verbindungen zu anderen so angespannt und schwierig sein können, wenn wir insgesamt als Gesellschaften immer polarisierter und antagonistischer werden. In dem Buch geht es zum Einen darum, sich selbst treu zu bleiben mit den entsprechenden Konsequenzen, und zum anderen versucht es, einem dabei zu helfen, sich genau das zu trauen.

Today we are edging closer and closer to a world where political and ideological discourse has become an exercise in dehumanization. And social media are the primary platforms for our dehumanizing behavior. On Twitter and Facebook we can rapidly push the people with whom we disagree into the dangerous territory of moral exclusion, with little to no accountability, and often in complete anonymity.“

In der Regel haben wir diese zwei Möglichkeiten: das zu machen, was man von uns erwartet, was man machen muss um dazuzugehören, selbst wenn das unter Umständen nicht unseren Werten, unserer Persönlichkeit und unserer Weltanschauung entspricht. Oder uns in die „Wilderness“ zu begeben. Also sich dafür zu entscheiden, seinen Werten zu folgen.

Was ich im Buch etwas vermisste waren die Details. Brown erwähnt ihre Forschung recht häufig, die Interviews, die sie mit unterschiedlichen Leuten führte und ihre daraus resultierenden Ergebnisse. Sie erwähnt häufiger, dass sie bestimmte Konzepte zu Rate gezogen hat, benennt diese aber nicht spezifisch. Sie erwähnt nicht, wen sie genau interviewt hat, wie die demografische Repräsentation ausgesehen hat. Mir fehlte eine nachvollziehbare Erklärung ihrer Methodologie, ich hatte immer das Gefühl, einfach glauben zu müssen, was sie schreibt und vieles hörte sich ja auch vernünftig an, ich hätte einfach nur mehr Fakten sehen wollen.

Außer ein paar Interviews mit bekannten Leuten, wie zum Beispiel Viola Davis, blieb völlig unklar, mit wem sie gesprochen hat, was genau sie gefragt hat etc. Also ich muss nicht seitenweise Studien voller Prozentzahlen, Tabellen und Fußnoten haben, aber ein bisschen mehr hätte schon drin sein dürfen.

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Und klar, man könnte denken, ist halt Pech, wenn man das Hörbuch nimmt statt des Buches, ich habe aber reingeschaut und auch in der gedruckten Version findet sich da nichts.

Das alles klingt jetzt nach totalem Verriss – das soll es aber gar nicht sein. Mich hat so einiges durchaus angesprochen und ich fand vieles sehr nachvollziehbar. Insbesondere die Kapitel, in denen sie darüber schreibt, wie schwierig, anstrengend und teilweise auch beängstigend es sein kann, sich seinen eigenen Pfad durchs Leben zu schlagen. Wie die Entscheidung, für sich und seine Werte einzustehen, immer wieder gleichzeitig so bereichernd aber eben auch schwierig ist.

„Stop walking through the world looking for confirmation that you don’t belong. You will always find it because you’ve made that your mission. Stop scouring people’s faces for evidence that you’re not enough. You will always find it because you’ve made that your goal. True belonging and self-worth are not goods; we don’t negotiate their value with the world. The truth about who we are lives in our hearts. Our call to courage is to protect our wild heart against constant evaluation, especially our own. No one belongs here more than you.“

Was das Buch auch richtig gut aufzeigt ist, wie schnell wir dabei sind (insbesondere natürlich on social media) Leute in Boxen zu packen. Schwarz/Weiß, Gut/Schlecht, die, die drin sind und die, die draußen sind etc. – ohne anzuerkennen, wie differenziert und nuanciert die meisten von uns doch sind. Brown erinnert daran, wie kollektive Momente der Freude oder auch der Trauer (Konzerte, Fußballspiele, 9/11, Beerdigungen etc.) uns zusammenbringen, wenn auch nur für kurze Zeit, über die unterschiedlichsten ansonsten bestehenden Barrieren hinweg.

Es geht ihr nicht darum, dass wir uns jetzt einfach alle lieb haben sollen und an den Händen halten, es geht ihr viel mehr darum, öfter mal inne zuhalten und geduldiger zu sein, wirklich verstehen zu wollen, nachzufragen. Anzuerkennen, dass wir Fehler machen und gemacht haben, dass fast alle von uns privilegiert sind und ja, das kann unbequem sein und das muss man einfach mal aushalten.

„…shouldn’t the rallying cry just be All Lives Matter? No. Because the humanity wasn’t stripped from all the lives the way it was stripped from the lives of black citizens. In order for slavery to work, in order for us to buy, sell, beat, and trade people like animals, Americans had to completely dehumanize slaves. And whether we directly participated in that or were simply a member of a culture that at one time normalized that behavior, it shaped us.“

Ein interessantes Buch mit kleinen Schwächen, das aber auf jeden Fall eine Menge Stoff zum Nachdenken bietet – ich könnte mir vorstellen, dass man das gut in einem Bookclub lesen und sich dann die Köpfe heiß diskutieren kann.

Auf deutsch ist das Buch unter dem Titel „Entdecke deine innere Stärke: Wahre Heimat in dir selbst und Verbundenheit mit anderen finden“ im Kallash Verlag erschienen.