Her mit den schönen Büchern

Schönheit liegt ja immer im Auge des Betrachters, aber bei diesen kleinen Schmuckstücken kann man nicht anders als schwach zu werden und zuzugreifen. Ich hatte schon immer eine Schwäche für schöne Bücher, damit hat mich die Büchergilde schon vor gefühlten 100 Jahren zur Mitgliedschaft überzeugen können.

Ich habe hier schon des Öfteren Bücher vorgestellt, die nicht nur inhaltlich schön waren, sondern die auch optisch etwas Besonderes waren, deswegen wurde es höchste Zeit für eine eigene Rubrik auf dem Blog, die ich hiermit feierlich eröffne und in meinem gewohnten Anglizismus-Wahn „Bookporn“ nenne.

Als ich kürzlich (zum ersten Mal im Übrigen) in der Buchhandlung Perthel am Gasteig in München war, wollte ich eigentlich nur ein Geburtstagsgeschenk für eine Freundin kaufen (zu stepanini winkt) und konnte mich dann absolut nicht mehr von gleich mehreren Schmuckstücken trennen und schwer bepackt verließ ich einen neuen „Liebling“. Die Ausbeute möchte ich euch hier kurz vorstellen.

Anfangen möchte ich aber mit dem Buch, das ich vorab schon zum Geburtstag bekam, Franz Kafkas „Ein Landarzt“ mit Illustrationen von Kat Menschik, zu der ich glaube ich nicht mehr viel sagen muss. Der Band erhält ein paar sehr schön ausgewählte kleine Erzählungen von Kafka, wobei nur die erste, „Der neue Advokat“, neu für mich war, vielleicht habe ich sie deshalb zu meinem Favoriten in dieser Ausgabe erklärt.

Galliani ist ein Verlag, der immer wieder wunderschöne Bücher herausbringt und bei diesem Bändchen und der Zusammenarbeit mit der wunderbaren Kat Menschik handelt es sich um ein ganz besonderes Schmuckstück, das in keiner Sammlung fehlen sollte.

Hier eine Übersicht der Erzählungen:

  • Der neue Advokat
  • Ein Landarzt
  • Auf der Galerie
  • Ein altes Blatt
  • Vor dem Gesetz
  • Schakale und Araber
  • Ein Besuch im Bergwerk
  • Das nächste Dorf
  • Eine kaiserliche Botschaft
  • Die Sorge des Hausvaters
  • Elf Söhne
  • Ein Brudermord
  • Ein Traum
  • Ein Bericht für eine Akademie

Bei der übrigen Beute aus dem Buchladen handelte es sich um drei Bände aus der Insel-Bücherei.

Mario Vargas Llosa: „Sonntag“

Vargas Llosa erzählt in dieser kleinen Novelle von den typischen „Rites of Passage“, die junge Peruaner der Oberklasse durchlaufen, bevor sie zum Mann werden. Miguel, der Protagonist der Geschichte, erlebt seinen Männlichkeitstest, wenn er mit einem Rivalen um das Herz seiner Angebeteten Flora um die Wette schwimmt. Es ist eine zarte melancholische Geschichte voll beklommener Langeweile um jugendliche Unsicherheit, Verzweiflung und Mutproben, die Llosa erzählt und die wiederum von Kat Menschik wunderbar illustriert wurde.

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In Stanislaw Lems „Professor A. Donda“ geht um einen Wissenschaftler der vermutet, es gäbe eine Äquivalzenz zwischen Information und Materie ähnlich der von Energie und Materie. Information ist ein Ordnungszustand von Materie und um diese zu ordnen braucht man Energie.

Das ganze wird in einer atemlos durchgeknallten Geschichte erzählt, perfekt für Freunde satirischer Sci-Fi. Der Illustrator Benjamin Courtault hat mich sehr beeindruckt, den behalte ich mal auf dem Radar, seine Arbeiten gefallen mir sehr:

Max Frischs „Questionnaire“ kann zwar nicht mit Illustrationen aufwarten, aber mit schlichtem Design und vor allen Dingen einfach die unglaublich guten Fragen. Ich liebe Fragen. Ich war immer schon deutlich mehr an Fragen als an Antworten interessiert und diese 10 Fragebogen kreisen jeweils um ein konkretes Thema: Ehe, Frauen, Humor, Geld, Freundschaft, Vatersein, Heimat, Eigentum und die Erhaltung des Menschengeschlechts.

Meine Lieblingsfrage war: „Are you disconcerted by an intelligent Lesbian“ ?!?

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Natürlich geht Inhalt vor Optik, aber es gibt keinen Grund, warum gute Bücher nicht auch schön sein sollten und diese vier sind ein paar wunderbare Beispiele dafür.

Ein paar weitere besonders schöne Bücher findet ihr hier auf meinem Blog:

 

Welche Eurer Bücher findet ihr am schönsten oder welches hättet ihr noch gerne?

 

Short and Sweet – eine illustre Runde

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Los gehts mit Haruki Murakamis „Birthday Girl“, eine Geschichte die ich vor einigen Jahren schon in dem von ihm herausgegebenen Kurzgeschichtenband „Birthday Stories“ gelesen habe. Eine Geschichte, die ich mochte, die mir aber nicht übermässig im Gedächtnis geblieben war.

Das wird sich dank Kat Menschiks Illustrationen definitiv ändern. Menschik und Murakami sprechen eindeutig die gleiche (Bild)Sprache, die Bilder treffen so sehr den Kern seiner Geschichten, jedes einzelne davon würde ich mir auch als Druck an die Wand hängen.

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„Birthday Girl“ ist die Geschichte eines 20jährigen Mädchens, das als Kellnerin in einem Restaurant arbeitet und eines Abends dem alten Restaurant-Besitzer in seiner Wohnung über dem Restaurant das Abendessen serviert. Durch einen Zufall erfährt der Mann, dass sie Geburtstag hat und schenkt ihr einen Wunsch – egal was es ist. Nur einen beliebigen Wunsch, aber einmal geäußert, kann er nicht mehr zurückgenommen werden.

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Den Wunsch selbst erfährt der Leser nie. Nur dass es nichts normales ist wie „schöner oder reicher werden“. Denn …“ich kann mir die Auswirkungen nicht so recht vorstellen, falls so etwas tatsächlich einträte. Vielleicht würde es mir sogar über den Kopf wachsen. Ich habe das Leben noch gar nicht im Griff. Wirklich nicht. Ich weiß nicht, wie es funktioniert.“

Mir gefällt besonders, wie man bei jeder seiner Geschichten ein Stück Murakami in seinen Protagonisten entdecken kann. In dieser Geschichte greift er auf seine eigenen Erfahrungen als Kellner in einem Café zurück, als er zwanzig Jahre alt war.

Ich danke dem Dumont-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Wir bleiben noch ein bisschen bei meiner Lieblings-Illustratorin Kat Menschik und lassen uns von ihr nach Schweden entführen und zwar zu:

„Die Bergwerke zu Falun“ von E. T. A. Hoffmann

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E.T.A. Hoffmann hat surrealistische Geschichten geschrieben, lange bevor der Begriff überhaupt benutzt wurde. Ich halte ihn für einen der Urgesteine des Horror/SciFi/Phantastik-Genres und seine Geschichten sind auch fast 200 Jahre nach Erscheinen immer noch zeitlos und einzigartig.

Was ihn meines Erachtens mit Murakami verbindet ist die Tatsache, dass auch seine Protagonisten sehr viel von ihm selbst enthalten, seiner Umgebung, seinen Frauen, denen er hinterherlief, in seinem viel zu kurzen Leben.

Ein „Jack-of-all-Trades“ der als Maler, Komponist, Jurist, Kritiker und Schriftsteller unterwegs war, es gibt wenig im kulturellen Bereich, dass er nicht zumindest einmal ausprobiert hätte und in den meisten Bereichen war er unglaublich gut.

Seine Geschichten sind psychologische Studien, die sich mit dem Übernatürlichen, Wahnsinn, der Technik seiner Zeit aber auch mit märchenhaften Dingen beschäftigen. Immer wenn man gerade glaubt zu ahnen, in welche Richtung er mit seiner Geschichte will, biegt er ab und der Leser ist urplötzlich wo ganz anders.

Seine wie im Fiebertraum gesponnenen Metaphern und Vergleiche zeichnen ein berückendes Bild seiner sich oft in Bedrängnis fühlenden Progagonisten. Oft sind sie halb verrückt, von unerfüllter Liebe zu einer Frau gequält und wenn es etwas gibt, was ich an ihm nicht so mag, dann ist es seine schablonenhafte Beschreibung der Frauenfiguren in seinem Werk.

Die Geschichte „Die Bergwerke zu Falun“ ist schnell erzählt. Alles fängt mit dem Fest der Matrosen an, die nach einer langen Seereise für die ostindische Gesellschaft wieder in Schweden angekommen sind und ihre Rückkehr feiern. Nur Elis Fröbom sitzt allein und niedergeschlagen da. All seine Motivation auf See rührte daher seiner Mutter bei der Rückkehr ein gutes Leben zu ermöglichen, bei der Rückkehr muss er feststellen, dass sie zwischenzeitlich gestorben ist und er weiß nicht recht wohin jetzt mit sich und seiner Trauer.

Als ein alter Bergwerksarbeiter erscheint und ihm die wunderbare Welt der Minen und Bergwerke ans Herz legt überlegt er, sich die Seefahrt an den Nagel zu hängen und statt dessen im Bergwerk zu Falun anzuheuern. Fieberhaft träumt er nachts von einer kristallenen Welt mit einer Königin, in die er sich verliebt und macht sich am nächsten Tag tatsächlich auf nach Falun. Doch dort angekommen schreckt er beim Anblick der Mine zurück:

„Elis Fröbom schritt guten Mutes vorwärts, als er aber vor dem ungeheuern Höllenschlunde stand, da gefror ihm das Blut in den Adern und er erstarrte bei dem Anblick der fürchterlichen Zerstörung“

Auch nach dem dritten Lesen entdecke ich jedes Mal wieder etwas Neues in den versteckten Hinweisen und den nuancierten Betrachtungen. Nicht zu vergessen die Illustrationen, die auch aus dieser Geschichte ein absolutes Juwel machen:

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Ich stelle mir jetzt Murakami und ETA beim gemeinsamen Dosenbier vor, in ihrer Welt sollten ein paar hundert Jahre Zeitunterschied und Sprachbarrieren keine Probleme darstellen.

Wer glaubt, dass es jetzt mega realistisch zugeht, nur weil es mit Bertolt Brecht weitergeht, der hat sich gehörig in den Finger geschnitten. Brecht kann auch anders meine Herrschaften, der kann sich auch mal gepflegt Gedanken machen, wie es wohl wäre „Wenn die Haifische Menschen wären“.

Bertold Brecht – Wenn die Haifische Menschen wären“

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Die Parabel ist eine der etwas längeren Geschichten rund um Herrn K. Hier tauchen wir ab in die Welt der Haifische, die ein menschliches Leben führen. Sie schicken ihre Kinder in die Schule, wo sie neben menschlichen Werten und Normen auch andere Sachen lernen wie Geografie, Rechnen und Religion.

„Wenn die Haifische Menschen wären«, fragte Herrn K. die kleine Tochter seiner Wirtin, „wären sie dann netter zu den kleinen Fischen?“ hier startet Brecht seinen philosophisch-kritischen Blick in die Welt der Haifische und Menschen. Zitate wie „Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank“ sind überraschend aktuell.

Eine bibliophile Ausgabe vom Buch-Onlineversand Fröhlich & Kaufmann mit wunderschönen Illustrationen, die den Text wunderbar ergänzen und interpretieren. Freue mich, auf der Buchmesse in Leipzig bei diesem Büchlein zugeschlagen zu haben, ein schöner Neuzugang für meine in die Jahre gekommene Brecht-Sammlung.

Foto: Froehlichundkaufmann.de

Habt ihr Lieblings-Illustratoren oder illustrierte Bücher die ihr mir empfehlen könnt? Bin gerade mächtig auf den Geschmack gekommen.

Auf Youtube gibt es noch einen animierten Cartoon „If Sharks were Men“:

Hier noch mal im Überblick:

Haruki Murakami – Birthday Girl, Dumont Verlag
E. T. A. Hoffmann – Die Bergwerke zu Falun, Galiani Verlag
Bertold Brecht – Wenn die Haifische Menschen wären, Fröhlich & Kaufmann

Ellbogen – Fatma Aydemir

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Ellbogen ist ein heftiges Buch, es haut direkt in die Magengrube und wenn man es zuklappt, nachdem man atemlos durchgerauscht ist, dann ist man erst mal fertig. Ich war es zumindest. Es ist ein anstrengendes Buch mit einer kratzigen Protagonistin, die es ihren Lesern nicht einfach macht, sie zu mögen, vielleicht auch, weil sie sich selbst nicht einmal mag.

Klar hat man schon tausendfach gelesen von den verlorenen Generationen, die nie als „richtig deutsch“ angesehen werden, auch wenn sie hier geboren sind, im Gegenzug jedoch für ihre Bekannten und Verwandten im Heimatland der Eltern wiederum einfach nicht als echte Türken etc. gesehen werden. Egal wie viele Artikel ich dazu in der Zeitung gelesen habe, die ganze Problematik wurde mir deutlich bewusster durch den Roman.

Heftig wie viele Hazals da draußen sind, verloren zwischen den Kulturen und ohne große Chance, es in Deutschland zu etwas zu bringen, wirklich dazu zu gehören und teilhaben zu können am gesellschaftlichen Miteinander.

Tagsüber steckt Hazal in einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme ohne große Aussicht, damit wirklich Chance auf einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Bewerbungen schreibt sie am Fließband, aber außer dem Aushilfsjob in der Bäckerei ihres Onkels ist nichts in Aussicht. In ihrem Zuhause geht es eher lieblos zu, viel zu sagen haben sich weder die Eltern noch ihr Bruder, das wichtigste ist ein braves Mädchen zu sein und zu gehorchen, alles andere ist egal.

„Es geht nur darum, den anderen überzeugende Lügen zu erzählen und sich nicht erwischen zu lassen. So funktioniert Familie. Immer sachlich bleiben.“

„Er würde mich ständig damit erpressen, es meinen Eltern zu erzählen. Aber würde er es ihnen denn wirklich erzählen? Schwer zu sagen. Über die Wahrscheinlichkeit habe ich mir nicht so richtig Gedanken gemacht. Die dürfen das nicht wissen und Ende. Der Scheiß läuft doch automatisch im Kopf.“

„Ich meine, das erste, was ich nach dem Sprechen gelernt habe, war das Lügen. „Du darfst deinem Vater nicht immer alles erzählen“, hat mir Mama gesagt, an dem Tag, an dem sie mir das einzige Mal einen Heliumluftballon gekauft hat.“

Das funktioniert anscheinend tatsächlich so. Das habe ich oft bei Freunden aus muslimischen Familien erlebt, diese Parallel-Wirklichkeiten, die sie sich oft gezwungen sehen, aufzubauen. In dem den älteren in der Familie Version A vorgelebt wird, den Geschwistern oder Cousins die etwas liberaler sind Version B und für Freunde etc. gibt es oft noch eine dritte Variante. Das muss so anstregend sein und die dürfen sich auf keinen Fall überschneiden die verschiedenen Parallelen sonst könnte alles auseinander fliegen.

Den Wendepunkt nimmt die Geschichte als Hazal mit ihren Freundinnen aufgebretzelt und gut angeschickert an der Tür vom Berghain abgewiesen werden und der Kumpel, der nicht wie erhofft seinen Einfluss spielen lässt, damit sie reinkommen, sondern der sie als Schlampen bezeichnet und nach Hause beordert. Das sind die berühmten Tropfen, die das Fass zum Überlaufen bringen.

Der Abend, auf den sie so hingefiebert hatten, wo sie den 18. Geburtstag Hazals feiern wollten, die soviel auf sich nimmt, um so etwas eigentlich normales wie Tanzen gehen und bei Freundinnen übernachten hinzubekommen. Denn sowas kommt in der elterlichen Welt der Deutsch-Türkin nicht vor. Sie lügt, besorgt Geld für Eintritt und Getränke, nimmt so viel auf sich, um sich diesen ersehnten Abend zu ermöglichen und dann kommen sie nicht rein.

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Diese eine Abweisung zuviel führt aus heiterem Himmel aus einer zufälligen Begegnung an der S-Bahn zu einer Gewaltorgie, die mit dem Tod eines Studenten und mit Hazals Flucht nach Istanbul vor Polizei und den Folgen ihrer Tat endet.

„Jungfrauen benutzen keine Tampons, das weiß jeder, und bei Tante Semra liegen sie von Zeit zu Zeit einfach so auf dem Esstisch, nicht in einer Schachtel, sondern offen, einzeln, Stück für Stück, wie auf einem Präsentierteller, wie weiße Patronen, die nur darauf warten, abgeschossen zu werden.“

„Aber gegen Oma kann sie nichts sagen. Denn mit dem Häuptling fickt man nicht. Und vor allem nicht, wenn man vorhat, selbst irgendwann Häuptling zu werden“

Am ersten Buchmesse-Abend in Leipzig hatte ich die Gelegenheit, in kleiner Runde mit der Autorin über ihr Buch zu sprechen und Fatma Aydemir schilderte dort, wie ihr der Gedanke zum Buch gekommen sei, als sie über sinnlose, urplötzlich auftretende Gewaltorgien von Jugendlichen gelesen hat und sich mit der Frage beschäftigte, wie es dazu kommen kann und wie sich das Ganze entwickelt, wenn es sich bei den Tätern um Mädchen handelt.

Hazal ist nicht immer rational zu verstehen, aber man fühlt einfach mit ihr. Man spürt ihre Aggression, ihre Verletzlichkeit, ihren Humor und ihre Intelligenz. Das Ende des Buches wird von der Wirklichkeit eingeholt mit dem Putschversuch in der Türkei 2016 und erscheint fast schon hellsichtig.

Das Buch ist heftig, trotzdem habe ich stellenweise laut gelacht. Die Kritiken in der Presse waren gemischt, in der Bloggerwelt wurde es rege und überwiegend positiv besprochen. Weitere Rezensionen findet ihr hier und hier.

Mich hat „Ellbogen“ an „Tigermilch“ von Stefanie de Velasco erinnert, beides Coming-of-Age Romane, die ich sehr gerne gelesen habe.

 

Short and Sweet

Es wird mal wieder Zeit für eine Short and Sweet Session, jedes Einzelne der Bücher hätte eine ausführliche Rezension verdient, die Binge Readerin ist aber zu faul und möchte ihren Stapel wegbekommen, daher hier kurz und knackig die Kurzrezensionen der gelesenen und bisher noch nicht rezensierten Bücher der letzten Wochen.

Ich lasse dem wunderbaren Dandy Fritz J Raddatz den Vortritt, dessen Erinnerungen „Unruhestifer“ mich sehr begeistert haben. Habe ihn ehrlich gesagt erst seit kürzerer Zeit auf dem Radar, ausgelöst meine ich durch ein Interview in „druckfrisch“ vor ein paar Jahren, aber wow – was für eine spannende Persönlichkeit.

Er war meine passende Reisebegleitung nach Hamburg.

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Seine Erinnerungen sind eine actionreiche, glamouröse Tour de Force durch den Kulturbetrieb der BRD. Der ehemalige Programmchef des Rowohlt-Verlages und ehemalige Feuilleton-Chef der Zeit hat als Literaturkritiker, Autoren-Entdecker und Feuilletonist überall mächtig Staub aufgewirbelt und kein Stein auf dem anderen gelassen. Für mich waren insbesondere der Anfang, seine Wurzeln, Familienhintergründe und seine späten Erinnerungen von besonderem Interesse, da ich doch mit einigen Namen aus dem früheren Kulturbetrieb nicht wirklich etwas anfangen konnte. Herr Raddatz schaut dem Feuilleton unter den Rock und wir ihm voyeuristisch dabei über die Schulter. Unbedingt kaufen und lesen.

„Unsere Beziehung, die wir – und wir beide wissen, warum – sachlich gehalten haben, weil Nähe nur aus Distanz möglich ist, weil man sich nicht duzt, wenn man sich per Sie näher ist – diese Beziehung sollte erlauben, auch spontan für den anderen da zu sein, ohne sich Intimitäten breit auszuwalzen.“

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Von meiner entzückenden Buchmessen-Begleiterin Birgit von Sätze und Schätze habe ich kürzlich passenderweise Raddatz‘ „Bestarium der deutschen Literatur“ geschenkt bekommen, das bot sich natürlich gleich als Anschlusslektüre an. Die literarischen Fabeltiere der Gegenwartsliteratur sind ausgesprochen charmant und die Zeichnungen von Klaus Ensikat absolut meisterhaft.

Jane Jacobs – The Godmother of the American City ist die legendäre Autorin des einflussreichen Buches „The Death and Life of Great American Cities“ das seit seinem Erscheinen 1961 ununterbrochen wieder verlegt wurde und die maßgeblich Einfluss auf die Disziplinen Stadtplanung und städtische Architektur genommen hat.

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In der „Last Interview„-Reihe umfasst ihre Interview aus den Jahren 1962, 1978, 2001 und das letzte aus dem Jahr 2005.  Die Gespräche beleuchten die einzigartige Karriere der beliebten und einflussreichen Intellektuellen und Aktivistin, die sich schon in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts für eine organische nachhaltige Stadtplanung eingesetzt hat.

Jane Jacobs ist in Deutschland noch recht unbekannt, als Einstieg kann ich diesen Band absolut empfehlen. Eine brilliante Analystin, Ökonomin und politische Kommentatorin, die sich lohnt kennenzulernen.

„Jacobs has probably bludgeoned more old songs, rallied more support, fought harder, caused more trouble, and made more enemies than any other American woman … She is the terror of every politican in town“

Eine unterhaltsame Zugfahrt bereitete mir vor einer ganzen Weile schon Daniel Kehlmanns „F“ – der Roman erzählt von drei Brüdern, die – jeder auf seine Weise – Betrüger, Heuchler, Fälscher sind. Das „F“ hängt von Anfang an schicksalsschwer über ihren Köpfen in Form von Familie, Fälschung, Fehlentscheidungen und das Kapitel mit dem Hypnotiseur war einfach nur brilliant, zum Ende hin ist es etwas abgefallen, aber Kehlmann ist eigentlich immer ein Garant für Unterhaltung auf hohem Niveau.

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„Keiner konnte einem helfen. Kein Buch, kein Lehrer. Alles Entscheidende musste man aus eigener Kraft lernen, und gelang es nicht, hatte man sein Leben verfehlt. Iwan fragte sich oft, wie Leute, die nichts Besonderes konnten, das Dasein eigentlich ertrugen.“

Vladimir NabokovsInvitation to a Beheading“ verkörpert die reichlich bizarre Vision einer komplett irrationalen und absurden Welt. In der März-Lektüre unseres Bookclubs geht es um einen jungen Mann namens Cincinnatus, der in einem nicht genannten Land im Gefängnis sitzt und auf seine Hinrichtung wartet. Seine Begegnungen dort sind komplett irrational und reichen von Henkern, die sich als Gefangene maskieren, bis hin zu phantastischen Gefängniswärtern und künstlichen Spinnen.

Im Inneren des Traumzustandes herrscht jedoch eine gewisse Logik, die der Erzählung seine Glaubwürdigkeit verleiht: Wir glauben, dass in einem totalitären Staat das Schicksal eines Cincinnatus nur allzu real ist. Das erinnert an die Megalomanie der Tyrannen, die ja leider gerade wieder Hochkonjunktur haben.

Nabokov

“But then I have long since grown accustomed to the thought that what we call dreams is semi-reality, the promise of reality, a foreglimpse and a whiff of it; that is they contain, in a very vague, diluted state, more genuine reality than our vaunted waking life which, in its turn, is semi-sleep, an evil drowsiness into which penetrate in grotesque disguise the sounds and sights of the real world, flowing beyond the periphery of the mind—as when you hear during sleep a dreadful insidious tale because a branch is scraping on the pane, or see yourself sinking into snow because your blanket is sliding off.”

Die Angst eines Sträflings in der Todeszelle wirkt unglaublich beklemmend und man teilt seine Unglauben über seine Umstände, seine Reue für nicht wirklich begangene Verstöße und Misserfolge und seine falsche Hoffnung auf Rettung. Wenn Cincinnatus am Ende auf dem Weg zur Hinrichtung ist, lässt er seinen Henker durch die Kraft seiner Gedanken verschwinden und mit ihm zerfällt die gesamte Welt um ihn herum. Oder nicht?

Cincinnatus hätte sich sicherlich gut mit Kafkas K oder Figuren aus Becketts Stücken verstanden, das Absurde hat nicht jedem in unserem Bookclub zugesagt, auf die wunderschöne Sprache Nabokovs konnten wir uns hingegen absolut einigen. Ich kam aus dem Unterstreichen gar nicht mehr hinaus. „Lolita“ ist nach wie vor mein absoluter Lieblingsroman von Nabokov, aber dieses kleine Büchlein hat es absolut in sich – große Empfehlung von mir.

“What are these hopes, and who is this savior?” “Imagination,” replied Cincinnatus.”

  • Fritz J. Raddatz – „Unruhestifter“ ist im Ullstein Verlag erschienen
  • Fritz J. Raddatz – „Bestarium der deutschen Literatur“ ist im Rowohlt Verlag erschienen
  • Jane Jacobs – „The Last Interview“ ist bei Melville House erschienen
  • Daniel Kehlmann – „F“ ist im Rowohlt Verlag erschienen
  • Vladimir Nabokov – „Invitation to a Beheading“ ist auf deutsch unter dem Titel „Einladung zur Enthauptung“ im Rowohlt Verlag erschienen

Israel by the Book – Part I

Tel Aviv haben wir relativ spontan gebucht. Nach Israel wollten wir schon immer einmal, das Wetter sprach für eine Veränderung und als wir einen recht günstigen Flug gefunden hatten, machten wir Nägel mit Köpfen. Ab nach Tel Aviv – in das Hotel, in dem Freunde von uns vor einer Weile schon einmal waren und es für gut befunden hatten.

Natürlich kann eine solche Reise nicht ohne die passende Lektüre unternommen werden. Ran ans gut gefüllte Bücherregal um mit Erschrecken festzustellen, dass da eine Israel-Lücke bestand. Mit Jonathan Safran Foers neuem Roman hätte ich die zwar irgendwie auch a bisserl füllen können, aber ich habe mir dann doch professionelle Hilfe bei Fernlese geholt. Reiseziel plus literarische Vorlieben und Abneigungen geklärt, mich fürs Zweier-Buchpaket entschieden und dann bequem auf die Vorschläge gewartet, die auch blitzschnell eintrafen.

Meine Wahl fiel auf Lizzie Dorons „Ruhige Zeiten“, ein Roman mit knapp 180 Seiten, der gleichzeitig warmherzig, humorvoll und voll dunkler Melancholie ist. Leale ist Witwe und arbeitet als Kosmetikerin in einem kleinen Friseursalon in Tel Aviv. Sajtschik, der Frisör hat die junge Witwe aus Mitleid eingestellt, sie freunden sich an und irgendwann ist klar, dass sie ihn liebt. Die meisten in ihrem Viertel lebenden Menschen sind Überlebende der Shoah und der Friseursalon hat für viele fast therapeutische Zwecke.

„Der Krieg hat uns die Familie und die Verwandten genommen, und die Zeit, die vergeht, nimmt uns die Nachbarn und die Freunde.“

„Wenn das Herz weh tut, sieht man nur das, was nicht da ist.“

Das Buch hat mich sehr berührt und beim Besuch der Gedenkstätte Yad Vashem habe ich immer wieder an die Figuren im Roman denken müssen. Ein Buch, das auf keiner Reise nach Tel Aviv fehlen sollte, das aber auch außerhalb von Israel ganz sicher ein wertvoller Lesegewinn ist. Unbedingte Empfehlung von mir für diesen Roman.

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Israel ist ein recht kleines Land, in etwa so groß wie das Bundesland Hessen. Es grenzt an Syrien, Jordanien, Libanon, Ägypten und die West Bank und ist somit militärisch stets und ständig sehr gefordert.

Zum Konflikt selber mag ich nicht viel schreiben, dazu weiß ich einfach noch immer nicht genug, die Hardcore-Siedler finde ich schwierig, die heftige Trump-Verehrung der Zeitungen vor Ort war aber massiv anstrengend. Aber wie gesagt, ich weiß zu wenig, um mich auf ernsthafte Diskussionen einzulassen, werde mich aber definitiv künftig intensiver damit beschäftigen.

Die Anreise ist auf definitiv nicht ohne. Man fliegt von einem speziellen Terminal am Flughafen ab und es gibt außer den üblichen Sicherheitsvorkehrungen kurze persönliche Interviews, in denen es weniger darum geht, etwaige Bomben als etwaige Terroristen zu finden. Bei der Ausreise war das persönliche Interview fast noch intensiver.

Nach Jerusalem heißt es fährt man zum Beten, nach Haifa zum Arbeiten und nach Tel Aviv zum Sündigen. Zu Haifa kann ich nix sagen, da sind wir nicht gewesen, aber Tel Aviv ist auf jeden Fall die deutlich entspanntere Stadt mit einem etwa 14 km perfekten Sandstrand.

Die Menschen sind dort sind freundlich, relaxed und hat die Stadt hat den Ruf, die gay-freundlichste des Mittleren Ostens zu sein. Habe ich auf jeden Fall auch so empfunden.

Meine nächste Empfehlung von Fernlese war Etgar Kerets „Gaza Blues“ – Kurzgeschichten, die fast comicartig daherkommen in ihrer Kürze und seinem teils absurden Tonfall. Keret genießt ziemlichen Kultstatus in Israel. Seine Kurzgeschichten sind heftig, lakonisch, teils böse, lustig aber auf jeden Fall voller Energie dabei oft tragisch und sehr bewegend.

Ich habe sie sehr gerne gelesen, meine einzige Kritik vielleicht ist, sie blieben mir nicht wirklich im Gedächtnis. Sollte dennoch in keinem Reisegepäck nach Israel fehlen.

Tagsüber waren es angenehme 20/21 Grad, aber sobald die Sonne unterging, wurde es ruckzuck verdammt kalt und da kam dann die dicke Münchner Winterjacke zum Einsatz. Der Strand ist wirklich einmalig schön. Hat jede Menge bequeme Bänke auf Steintreppen eingelassen am Wasser, auf denen man stundenlang liegen und lesen kann. Kein Wunder, das ich mit den ersten beiden Büchern also ruckzuck durch war.

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Bevor ich Euch im zweiten Teil von Jerusalem und unserem Ausflug in die Wüste und ans Tote Meer berichte, noch ein bisschen mehr Tel Aviv. Die Stadt wurde 1909 gegründet, als die alte Hafenstadt Jaffa aus allen Nähten platzte. Eine überaus junge Stadt also. In den 20er und 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts kamen jede Menge deutschstämmige jüdische Architekten ins Land und bauten bis in die 50er Jahre etwa 5000 Gebäude im Modernist-Stil von Bauhaus und Le Corbusier. Die meisten befinden sich rund um den Boulevard Rothschild und wurden von der UNESCO als Weltkulturerbe aufgenommen.

Viele der Gebäude sind mittlerweile ziemlich runtergekommen, aber das Bauhaus-Center in Tel Aviv setzt sich seit einiger Zeit recht erfolgreich für die Renovierung und Instandhaltung der Gebäude ein.

Da ich ein echter Bauhaus-Fan bin, habe ich mir für die Reise den Roman „Gläserne Zeit“ von Andreas Hillger besorgt. In seinem Roman stellt er bewußt nicht die Bauhaus-Meister in den Mittelpunkt, wie der Autor in einem Interview erklärt, „denn wissenschaftliche Bücher über die Hochschule gibt es genug“.

Er verknüpft Realität und Fiktion und stellt die Designstudentin Clara in den Mittelpunkt der Geschichte, die mit dem Architekturstudentin Carl und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Lukas im Zentrum einer gewagten Ménage à trois steht. Immer wieder begegnet man historischen Figuren wie dem Bauhaus-Direktor Walter Gropius oder dem Maler Paul Klee.

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„Mittlerweile diente das Dossier von Mutmaßungen und Verdächtigungen, Halbwahrheiten und polemischen Angriffen als Beleg für die Ohnmacht der Rechtschaffenen, die mit dem Krieg auch den Einfluss auf die eigenen Kinder verloren hatten.“

Die Politik spielt eine wichtige Rolle. Hillger zeigt den Einfluß der nationalsozialistischen und kommunistischen Tendenzen, die nicht nur die beiden Männer immer stärker beschäftigen, sondern die auch immer größen Einfluß auf die Bauhaus-Schule nehmen.

Ein sehr interessanter Einblick in die Dessauer Jahre des Bauhaus vor dem Panorama der Weimarer Republik. Auch wenn ich während der Lektüre die Bauhaus-Gebäude in Tel Aviv und nicht in Dessau vor Augen hatte, für mich war es die perfekte Reiselektüre.

Das letzte Buch, das ich hier für heute erwähnen möchte, hat nicht wirklich mit Israel zu tun, aber mit Architektur und ich habe es direkt vor dem Urlaub beendet und es hat die Bauhaus-Lektüre für mich um so spannender gemacht.

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Buckminster Fuller war seiner Zeit glaube ich stets gut 50 Jahre voraus. Sein Name ist mir in letzter Zeit wieder und wieder untergekommen, so dass ich „Bucky Works“ von J. Baldwin unbedingt haben musste.

Keine Biografie im klassischen Sinne, mehr ein Werkschau und chronologische Übersicht von Buckys Ideen, die teilweise schon wirklich abgefahren waren.

Er war ein amerikanischer Architekt, Systemtheoreteiker, Designer und Erfinder, der mehr als 30 Bücher publizierte und insbesondere durch die von ihm geprägten Begriffe „Spaceship Earth“ und „Ephermerisierung“ bekannt wurde sowie für seine geodätischen Kuppeln, die man gerne mit Science Fiction assoziiert.

Er entwickelte zahlreiche Erfindungen, hauptsächlich architektonische Designs außerdem wurde ein Karbon Molekül nach ihm benannt, da diese von der Struktur her seinen geodäsischen Kuppeln ähnelte.

Soviel heute zum ersten Teil unserer Israel-Reise, die in diesem Teil etwas architekturlastiger ausfiel, im nächsten Teil verspreche ich deutlich mehr landestypische Inhalte und ich möchte euch auf einen Ausflug nach Jerusalem und ans Tote Meer einladen.

Kommt Ihr mit ?

Lizzie Doron – Ruhige Zeiten erschienen bei dtv
Andreas Hillger – Gläserne Zeit erschienen im Osburg Verlag
J. Baldwin – Bucky Works

Day 17 Book-a-Day Challenge: A book everyone hated but you liked

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No idea why but critics hated that book and a lot of readers also very under impressed but I really liked the book. I thought it was an interesting interpretation of what our near future could look like. Women have taken over after men abandoned ship and implemented an ecological dictatorship. Not that they have much choice with climate change spiraling out of control and an approximate 5 years left before the shit really hits the fan.

Even more entertaining than the book I found the headlines and quotes in some reviews by very serious critics in ZEIT or FAZ:

„Was Karen Duve in ihrem neuen Roman „Macht“ entwirft, beleidigt Literatur und Verstand.“

„Männer sind der Welten Untergang“

„Hat sich von der Literatur verabschiedet: die Autorin Karen Duve“

„Fifty Shades of Grey“ trifft auf Natascha Kampusch: Warum Karen Duves neuer Roman „Macht“ einem so wahnsinnig auf die Nerven geht.“

Very entertaining – I probably can’t convince any of you guys to like this book but that is ok. If Karen Duve can take it, I can too.

In case you wanna know a bit more about the book you can read my review here:

https://bingereader.org/2016/05/10/macht-karen-duve/

What are the books you seem to be the only people on the planet that liked it ? Come on – Confession time 😉

Die Toten – Christian Kracht

kracht

We are all so afraid, we are all so alone, we all
so need from the outside the assurance
of our own worthiness to exist. But these things
pass away; inevitably the pass away as the
shadows pass across sundials. It is sad, but it is so.
(Ford Maddox Ford)

Dank des Druckfrisch-Interviews mit dem Autor weiß ich, dass der Roman wie ein dreiaktikges No-Theaterstück aufgebaut ist. Es fängt geisterhaft schleichend an, in der Mitte ist Action und am Ende sind möglichst viele tot. Das hätte mir sehr gefallen, intellektuell genug zu sein, den Bezug zum japanischen No-Theater allein durch die Lektüre zu erkennen, aber so schlau bin ich leider nicht. Das wäre an mir vorbei gegangen, vermutlich hätte ich die Lektüre dennoch genossen.

Der Roman beginnt aus meiner Sicht gar nicht so geisterhaft schleichend, sondern recht fulminant mit der Selbstentleibung eines japanischen Offiziers, der ihm bewußt oder unbewußt bei seiner Tat gefilmt wird.  Nach diesem Einstieg geht es erst einmal in die Schweiz, wo wir den Filmregisseur Emil Nägeli kennenlernen, der mit den Geistern seiner Vergangenheit kämpft.

Anfang der 30er Jahre  reist er nach Japan, um dort einen Schauerfilm zu drehen. Man denkt an den Selbstmord am Anfang, erwartet irgendwie eine Art „Snuff“-Film, aber so wirklich wird auf den Film nicht eingegangen. Vielmehr gibt es das Ziel, eine „zulluloide Achse“ zu bauen zwischen Deutschland und Japan, um dem dekadenten Hollywood etwas entgegenzusetzen.

Vor der Kulisse eines wunderbar geheimnisvoll-düsteren Japans, dem pulsierenden Berlin der Weimarer Republik, einem Luxusdampfer und einer Prise Los Angeles tauchen eine ganze Reihe historischer Persönlichkeiten auf: Fritz Lang, Kracauer, neben einem zwielichten Heinz Rühmann, auch Hitler Kumpan Putzi Hanfstaengl und Charlie Chaplin . Japan hat sich lange dem Tonfilm widersetzt und Chaplin hatte eine große Anhängerschaft dort. Im Roman – wie auch in der Realität – wird auf Chaplin und den japanischen Thronfolger ein Attentat verübt.

„Ida antwortete ungeniert, daß es ein Vergessen allen Daseins gebe, ein Verstummen unseres Wesens, wo uns sei, als hätten wir alles gefunden – sie sah ihm dabei direkt in die Augen, und Amakasu, dessen Fuß unter dem Tischchen langsam höher wanderte, war sich sicher, exakt diesen Ausstausch schon einmal erlebt zu haben, er vermochte sich aber nicht mehr zu erinnern, wo und wann. 

Ein kurzes Buch mit vielen spannenden Gedanken, das mir aufgrund seiner dunklen Melancholie, seiner Atmosphäre und der  Sprache Krachts sehr gut gefallen hat. Etwas enttäuscht war ich dennoch, vermutlich weil ich erwartet oder gehofft hatte, das Filme einer größere Rolle spielen. Die Handlungsfäden verlaufen häufiger im Nirgendwo und es war nicht einfach, den Überblick zu behalten wohin die Reise jetzt eigentlich geht.

„Er spürte eine allumfassende Erschlaffung, eine Phlegmatisierung des Körpers, eine stetig anwachsende, sprachlose Melancholie angesichts jener Zumutung der Vergänglichkeit“

Ida von Üxküll war für mich die heimliche Heldin des Romans, der für meinen Geschmack gerne noch etwas mehr Raum hätte eingeräumt werden dürfen. Ein Roman, der sich oft wie ein Drehbuch liest, viele wiederkehrende Motive (jede Menge Leuten kauen an den Fingern) vielleicht hätte ich noch mehr aus dem Roman herausgezogen, wenn ich mich besser auskennen würde in der (Film)Geschichte der Weimarer Republik und der japanischen Kultur, aber wie gesagt die wundervolle Weltschmerz-Atmosphäre und die poetische Sprache Krachts haben da einiges wett gemacht für mich.

Ich kenne von ihm bislang nur „1979“ möchte aber unbedingt noch Faserland lesen. Habt ihr noch andere Empfehlungen oder ist Kracht gar nicht Euer Ding ?

Überaus symphatisch finde ich ihn nicht, wobei das Interview mit Denis Scheck ging ja (bis auf den Kaiser-Wilhelm-Bart – jesses). Da habe ich ihn vor ein paar Jahren in einem Interview mit Harald Schmidt glaube ich noch deutlich arroganter erlebt. Aber Schriftsteller müssen ja auch nicht unbedingt symphatisch sein, sie sollen hauptsächlich gute Bücher schreiben, die ich lesen möchte.

Hier besagtes Interview mit Herrn Scheck:

Vielen Dank an den Kiepenheuer & Witsch Verlag für das Rezensionsexemplar.

Der Zauberberg – Thomas Mann

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Als ich hörte, Thomas Manns „Zauberberg“ wird das Thema der nächsten Literaturhaus-Ausstellung, nahm ich das als Zeichen, mich nun endlich mit diesem Werk zu beschäftigen. Die Kombination aus richtig fettem Wälzer UND Thomas Mann, führten allerdings schon im Vorfeld zu leichter Schnappatmung und das Vorhaben klang für mich schon ähnlich anstrengend wie die Besteigung des Matterhorns.

Wir haben nicht wirklich die besten Erfahrungen miteinander. Bis auf „Tod in Venedig“ bin ich bei all meinen anderen Versuchen an ihm gescheitert oder er an mir, man weiß es nicht so genau. Ich habe sehr viel und sehr gerne über die Famillie Mann gelesen, mag Erika und Klaus besonders gern, in ganz früher Jugend gefiel mir „Der Untertan“ natürlich, aber puh, der stocksteife ewig nörgelige Thomas mit seinen zugegebenermaßen wunderschönen Sätzen, nope bisher wurde das nix.

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Nun also der „Zauberberg“. Ich will es gar nicht so spannend machen, um die Seite 500 herum habe ich aufgegeben. Es war keine Total-Niederlage. Einen Teil des Sogs, des Zaubers dieser melancholisch-fiebrigen Atmosphäre auf dem Berg, der hat mir schon gefallen, dem konnte ich mich nicht entziehen. Aber letztlich bin ich vielleicht doch zu sehr Identifikationsleser und habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Ich wollte Hans Castorp einfach nur noch schütteln und aus seinem Liegestuhl werfen.

Auf der Metaebene ist das alles ja auch richtig gut. Diese Betrachtungen der Zeit auf verschiedenen Ebenen, der erfolglose intellektuelle Reifeprozess des Protagonisten, die philosophischen Debatten der Herren Settembrini und Naphta, die doch nur Schwätzer sind und letztlich auch die Entlarvung der Tuberkulose-Heilpraktiken als reine Abzocke und Scharlatanerie. Alles gut, aber 1000 Seiten hätte ich einfach nicht durchgehalten.

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Die Ausstellung im Literaturhaus hat mir aber auf jeden Fall großen Spaß gemacht. Bin in den Genuss einer Führung gekommen, was meinen Erkenntnisgewinn erheblich vergrösserte. Vom ersten Moment an, wenn man mit der Bahn hoch fährt auf den Berg, hatte ich das Gefühl im „Berghof“ zu sein. Selbst gehustet wurde in jedem Raum, man erfährt eine Menge zu den damals üblichen Behandlungspraktiken, kann sich selbst für einen Moment eine Liegekur verordnen und aus dem Fenster auf die tiefverschneite Berglandschaft schauen.

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„Dem Problem der Toleranz dürften Sie kaum gewachsen sein, Ingenieur. Prägen Sie sich immerhin ein, dass Toleranz zum Verbrechen wird, wenn sie dem Bösen gilt.“

Die Sprache ist wunderschön, die Atmosphäre hat mir stellenweise sehr gefallen, immer dann, wenn es leiser und dunkel-morbid wurde.

„Das verstehe ich nicht!“ sagte Hans Castorp. „Ich verstehe es nicht, wie jemand nicht rauchen kann, – er bringt sich doch, sozusagen, um des Lebens bestes Teil und jedenfalls um ein ganz eminentes Vergnügen! Wenn ich aufwache, so freue ich mich, daß ich tagüber werde rauchen dürfen, und wenn ich esse, so freue ich mich wieder darauf, ja ich kann sagen, daß ich eigentlich bloß esse, um rauchen zu können, wenn ich damit natürlich auch etwas übertreibe. Aber ein Tag ohne Tabak, das wäre für mich der Gipfel der Schalheit, ein vollständig öder und reizloser Tag, und wenn ich morgens sagen müßte: heut gibt’s nichts zu rauchen, – ich glaube, ich fände den Mut gar nicht, aufzustehen, wahrhaftig, ich bliebe liegen. Siehst du: hat man eine gut brennende Zigarre – selbstverständlich darf sie nicht Nebenluft haben oder schlecht ziehen, das ist im höchsten Grade ärgerlich – ich meine: hat man eine gute Zigarre, dann ist man eigentlich geborgen, es kann einem buchstäblich nichts geschehen.“

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Musik spielt eine große Rolle im „Zauberberg“, deren Thema wohl die Überwindung der romantischen Todessehnsucht ist. Es wäre also passend eines dieser Musikstücke auszuwählen für diesen Bericht, allerdings bin ich über die wunderbare Elektro-Band „Gas“ gestolpert, die den „Zauberberg“ vertont hat – für mich war das die passende Begleitmusik zum Buch:

„Der Zauberberg“ ist ein monumentales, intellektuelles Werk, das Geduld und langsames, tiefes Lesen erfordert. Thomas Mann entwickelt auf geradezu grandiose Weise ein Gefühl von Zeitlosigkeit mit bewusst ermüdenden Beschreibungen der diversen obsessiven Gemütszustände der Bewohner, ihrer Feindseligkeiten untereinander und der imaginären Liebesaffären.

Die Geschichte selbst ist relativ einfach, die Erzählweise unglaublich komplex und man fühlt sich beim Lesen wie beim Klettern über einen einfach aussehenden, aber verdammt gefährlichen steilen Abhang.

Für Notfälle sollte man ein Sauerstoffgerät dabei haben, die weniger erfahrenen Alpinisten müssen sonst, wie ich, eventuell die Besteigung des Zauberbergs abbrechen.  Die Ausstellung im Literaturhaus kann ich hingegen jedem ans Herz legen. Die ist wunderschön, spannend und für eine Kurz-Liegekur sehr zu empfehlen.

Einen weiteren sehr schönen Bericht über die Ausstellung findet ihr bei Sätze & Schätze.

Der Zauberberg ist im Fischer Verlag erschienen.

Nachts – Mercedes Lauenstein

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Sollte es morgens um halb 3 oder halb 4 mal bei uns klingeln, werde ich künftig wohl immer mit Frau Lauenstein vor der Tür rechnen. Ihre Erzählerin besuchte Menschen, die nachts wach waren, bei denen Licht brannte und ließ sich die Gründe erklären, warum sie nicht schlafen.

Was für eine grandiose Idee. Dazu hätte ich auch große Lust, es gibt für mich wenig schöneres, als nachts durch Städte zu laufen und in erleuchtete Fenster zu gucken, nur zu klingeln habe ich mich nie getraut. Hätte nicht gedacht, dass so viele überhaupt aufmachen. Es sei denn wir haben es hier natürlich unverschämterweise mit einem Fall von unzuverlässiger Erzählerin zu tun. Bestimmt nicht, hab Frau Lauenstein im Literaturhaus ja getroffen, die lügt nicht.

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Spannend waren die Geschichte, ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Tür auf und man wußte nie, was einen erwartet. Junge und alte Leute mit Angst vor der Dunkelheit mit aufgeräumten Wohnungen oder müffelnden Socken, Menschen die zufällig noch wach sind, andere, die Angst vorm Einschlafen haben, eindeutig verrückt sind oder berufsbedingt einen anderen Rhythmus haben.

„Gibt es nur noch ein einziges erleuchtetes Fenster in einer ganzen Straße, bleibe ich stehen, blicke hoch und bete, dass es jetzt nicht erlischt. Einer muss übrig bleiben, einer muss immer übrig bleiben.“

Die Personen gehen mir noch immer im Kopf herum und es ist mir ziemlich piepegal, ob es eine tiefere Botschaft gibt, die vermittelt werden sollte, ich habe diese ungewöhnlichen Portraits einfach sehr gerne gelesen.

Lauenstein hat dem Format der Kurzgeschichte einen frischen Anstrich verpasst, ähnlich wie Karen Köhler mit ihren wunderbaren Raketen. Die Sprache ist reduziert, die Stimmung melancholisch wie eine einsame schlaflose Nacht. Sie gingen mir zu Herzen diese ganz normalen Menschen mit ihren Fragen, Sehnsüchten und Wünschen.

Wenn ich das nächste Mal nicht schlafen kann, dann geh ich vielleicht auch mal irgendwo klingeln, ich packe aber auf jeden Fall ein Buch ein und biete an, den Leuten vorzulesen bis sie eingeschlafen sind.

Nachts“ ist im Aufbau Verlag erschienen.

So dunkel die Nacht – Richard Lorenz

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„So dunkel die Nacht“ ist ein wunderschönes, durch die phantastischen Bilder einzigartiges Büchlein, das mich schon nach kurzer Zeit in seinem Bann hatte. Die Atmosphäre war unbeschreiblich schön, dieser Zug, der auf dem Weg nach Prag in einem heftigen Schneesturm steckenbleibt, die unterschiedlichen Passagiere gemeinsam am Heiligen Abend in einem Zugabteil „gefangen“ – hmmm das hatte was.

Weird and wonderful trifft es für mich am Besten. Eine spannende Mischung aus Märchen und urbaner Legende die einem die Log Lady aus Twin Peaks erzählen würde, wenn sie einen vor schwarzen Katzen oder Gesprächen mit Fremden im Zug warnen will.

Das Zugabteil ist ein Mikrokosmos ganz unterschiedlicher Persönlichkeiten. Eine Krankenschwester die gar kein wirkliches Ziel hat, nur so tun will, als habe sie einen Freund, den sie an Weihnachten besucht, um ihrer Einsamkeit und dem Mitleid ihres Umfelds zu entkommen. Ein Ehepaar, das seinen Sohn in Prag besuchen will, der von dem Besuch gar nichts ahnt. Der Schaffner mit Alkoholproblem, der viel lieber bei seiner Frau wäre, als an diesem Abend zu arbeiten, ein seltsam trauriger Herr mit halbgeschmücktem Weihnachtsbaum, ein freundlicher junger Mann, der Toupet trägt und schließlich Babette, die gemeinsam mit ihrem Kater „Herrn Ulysses“ ihre schwer erkrankte Tochter besuchen will.

Der ungeplante Stopp wird nicht das Ungewöhnlichste oder Aufregenste bleiben an diesem besonderen Abend.



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Mir hat diese kurze, poetisch-melancholische Geschichte sehr gefallen und definitiv Lust gemacht, mehr von Lorenz zu lesen. Bislang kenne ich noch nichts, aber die „Amerika Plakate“ habe ich bereits auf dem Radar. Es ist fast ein bisschen gemein, Euch hier den Mund wässrig zu machen auf dieses Büchlein mit den wunderbaren Illustrationen von Alexandra F., denn die auf 80 Exemplare beschränkte Auflage ist meines Wissens nach bereits vergriffen, aber bei Dandelion kann man sie ja immerhin online lesen.
Überhaupt Herr Duwald: Tolle Sache, dass Du an diesem Werk als Herausgeber beteiligt warst – wirklich in jeder Hinsicht gelungen. Glückwunsch 🙂