#WomeninSciFi (41) Das Buch von der Stadt der Frauen – Christine de Pizan

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Ich freue mich sehr, dass diese Reihe jetzt auch mit der Rezension einer waschechten wunderbaren Kunsthistorikerin aufwarten kann. Meine Freundin Moni entführt uns mit ihrer Besprechung aber nicht in die – dem Genre mehr entsprechenden Zeithorizont Zukunft sondern ins späte Mittelalter. Lehnen Sie sich zurück, machen Sie es sich bequem, wenn es jetzt in die vermutliche früheste Ära der Science Fiction Literatur geht:

Wie passt nun eine mittelalterliche Handschrift aus Frankreich in Sabines Reihe „Women in SciFi“?

Wenn die Utopie als Teilbereich von Science Fiction gilt, dann kann und muss man diese Schrift von Christine de Pizan dazu zählen. In einer Utopie verhält sich die Vorstellung dessen, was sein sollte, negativ zu dem, was ist.

 

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Christine de Pizan entwirft eine wünschenswerte zukünftige Gesellschaftsform, die von der Gleichberechtigung der Geschlechter geprägt ist. Sie schreibt: „Die Natur hat die Frauen mit ebenso vielen körperlichen und geistigen Gaben ausgestattet wie die weisesten und erfahrensten Männer.“

Wir gehen zurück ins Jahr 1405. ‚Das Buch von der Stadt der Frauen‘ erscheint in Paris. Geschrieben hat es Christine de Pizan. Sie wurde 1365 in Venedig geboren und wuchs in Paris auf. Mehr zu ihrer außergewöhnlichen Biographie findet sich im FrauenMediaTurm.

Da wir uns in der Zeit vor dem Buchdruck befinden, handelt es sich um eine Handschrift. Text und Bild wurden von Hand angefertigt. Insgesamt haben sich 25 Exemplare dieses Buches – allesamt französischsprachig – erhalten.

Die Handschrift mit der Signatur BNF ms. Fr. 607, die in der Bibliothèque Nationale in Paris aufbewahrt wird, entstand zu Christine des Pizans Lebzeiten und hat die Maße 345 mm x 255 mm. Das Material ist Pergament; der Einband ist aus gelbem, weichem Ziegenleder gefertigt. Dieses Exemplar ist die Grundlage für die Übersetzungen ins moderne Französisch, ins Englische, Niederländische, Italienische und Deutsche.

 

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Le Livre de la Cité des Dames, BNF ms. Fr. 607, fol. 67v

 

Der Text ist regelmäßig in zwei Kolumnen geschrieben; jede zählt zwischen 40 und 42 Zeilen. Auf insgesamt 79 folia ist ausschließlich der Text der Cité des Dames geschrieben (das ist bei Handschriften nicht immer so, Platz war knapp, Pergament wertvoll). Es gibt drei Abbildungen: fol. 2, fol.31v und fol. 67v sind jeweils mit Miniaturen ausgestattet.

Die Dreizahl ist kennzeichnend für den Aufbau des Buches, das ein allegorisch-didaktischer Traktat ist. Die drei unterschiedlich langen Kapitel der Schrift entsprechen den drei Bauabschnitten, in denen die Stadt der Frauen gebaut wird. Zuerst werden die Fundamente ausgehoben, dann die Häuser und Paläste gebaut, vollendet durch die Dächer, Stadttore und die Schlüsselübergabe. Ausgehende von der These, dass Männer und Frauen in intellektueller und moralischer Hinsicht vollkommen gleichwertig sind und deshalb auch so behandelt werden müssen, konstruiert Christine de Pizan eine Stadt, in der die tugendhaften Frauen sich auf ewig aufhalten können und dort Schutz vor den misogynen Angriffen ihrer Zeitgenossen finden. Bärbel Zühlke, die über das Buch von der Stadt der Frauen geforscht hat, schreibt dazu: „Der Prozess des Erbauens einer Stadt wird mit der intellektuell-physischen Tätigkeit des Schreibens eines Buches identifiziert.“ (in: Bärbel Zühlke: Christine de Pizan in Text und Bild. Zur Selbstdarstellung einer frühhumanistischen Intellektuellen, Stuttgart/Weimar 1994 (Ergebnisse der Frauenforschung; 36) S. 100).

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Le Livre de la Cité des Dames, BNF ms. Fr. 607, fol. 67v, Detail

 

Wird heute noch darüber gesprochen?

Leider viel zu wenig. In den jüngsten Spiegel-Artikel über Frauen, die „man heute kennen muss“, hat Christine de Pizan es leider nicht geschafft.

Auch die deutschsprachige Ausgabe des ‚Buches von der Stadt der Frauen‘ ist momentan nur antiquarisch zu haben.

Das Thema an sich ist erfreulicherweise für die koreanische Künstlerin Lee Bul aktuell: „Mich interessiert, wie sich Menschen in der Vergangenheit ihre utopische Zukunft vorstellten.“

Eine umfassende Werkschau, kuratiert von Stephanie Rosenthal, über utopische Sehnsüchte.

Lee Bul: Crash – 29. September 2018 bis 13. Januar 2019 – Gropius Bau in Berlin.

WomeninSciFi (39) Speak – Louisa Hall

 

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Verrückt eigentlich, dass die „Gefahr“, die von den „Maschinen“ ausgeht, viel weniger darin liegt, dass diese sich irgendwann wie in Terminator z.B. gegen uns erheben, sondern vielmehr, dass wir einfach partout die Finger nicht mehr von ihnen lassen können. Sie sind nicht so sehr eine Gefahr unserer motorischen Fähigkeiten, da Roboter uns alles mögliche abnehmen, sondern sie haben sich tief in unser Nervensystem eingegraben. Wir wollen nicht mehr ohne. Wir haben uns so daran gewöhnt permanent „online“ zu sein, stets und ständig unsere Meinungen und Ansichten zu äußern, Bilder zu posten, Informationen abzurufen, uns zu messen und zu optimieren.

“And what if they took over? What if they relieved us of power? We tend to assume that sentient machines would be inevitably demonic. But what if they were responsible leaders? Could they do much worse than we’ve done? They would immediately institute a system of laws. The constitution would be algorithmic. They would govern the world according to functions and the axioms their programmers gave them.”

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Louise Hall hat in ihrem intelligenten fesselnden Roman tief in unser Innerstes gesehen und sich mit unseren Süchten und Sehnsüchten auseinandergesetzt. Wir befinden uns im Jahr 2040, die Menschheit ist in Rehab und versucht, einem ernsten Fall von weltweiter Roboter-Abhängigkeit Herr zu werden. Der Roman beginnt damit, dass die Babybots, die puppengleichen Roboter,  die für diese Sucht-Seuche verantwortlich waren, den Kindern abgenommen wurden. Die Babybots werden in riesigen Warenlagern abgeladen, die Algorithmen zucken noch ein wenig, bis die Batterien alle sind und sie in Vergessenheit geraten.

Fünf unterschiedliche Stimmen werden von Hall elegant miteinander verwoben und beschäftigen sich mit der philosophischen Frage was ist Erinnerung? Was macht eine Person tatsächlich aus?  Wo verlaufen die Grenzen zwischen Mensch und Maschine ?

“Our primary function is speech: questions, and responses selected from memory according to a formula. We speak, but there is little evidence of real comprehension.”

Die Charaktere sind über Raum und Zeit miteinander verbunden, da gibt es Ausschnitte aus dem Tagebuch eines englischen Mädchens aus dem 16. Jahrhundert, die auf dem Weg nach Amerika ist. Briefe von Alan Turing an die Mutter seiner ersten großen Liebe, die Briefe eines Artificial-Intelligence-Programmierers namens Carl Dettman und seiner Frau, Auszüge einer Biografie eines Mannes namens Stephen Chinn der im Gefängnis sitzt und Auszüge der Unterhaltungen eines jungen Mädchens mit ihrem Babybot.

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Eine dystopische Atmosphäre durchzieht den Roman, die Menschheit kämpft mit sich immer weiter ausbreitenden Wüsten, steigendem Meeresspiegel und nicht näher erklärten Reisebeschränkungen. Der Roman beschäftigt sich intensiv mit Artificial Intelligence, einem Thema, um das man aktuell kaum herumkommt. Alan Turing vertrat die Ansicht, dass man einen Computer intelligent nennen könne, wenn ein Fragesteller nicht unterscheiden könne, ob die Antworten von einem Menschen oder einer Maschine gegeben werden. Die Protagonisten der Geschichte versuchen AI zu nutzen, um Erinnerungen zu bewahren an geliebte Menschen (oder Tiere), die sie verloren haben. Lange wurde in der Philosophie über den Unterschied von Mensch und Tier diskutiert, eine ähnliche Diskussion die wir führen werden, wenn es um den Unterschied zwischen Mensch und Maschine geht. Wenn Erinnerungen Teil des Bewusstseins ausmachen, sind Menschen mit Gedächtnisverlust dann einer Maschine gleicher als ein Computer mit nahezu unbegrenztem Erinnerungsvermögen.

“Speak” ist eine bewegende Geschichte mit spannenden Protagonisten und Fragestellungen, die mich noch lange beschäftigt haben und beschäftigen werden. Besonders zu empfehlen für Fans von David Mitchells „Cloud Atlas“ oder Margaret Atwoods „Madaddams“ Trilogie.

So verwachsen ich selbst auch hin- und wieder mit meinen technologischen Gadgets bin, kommt so ein süßes Hündchen um die Ecke und will spielen, dann haben die Maschinen zum Glück auch weiterhin keine Chance.

„Are you there?“

„Can you here me?“

Hier noch ein interessantes Interview mit der Autorin auf NPR.

WomeninSciFi (38) Rooster’s Garden – Oliva A. Cole

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Ich freue mich sehr über eine weitere Wiederholungstäterin 🙂 Marion von Schiefgelesen läßt uns an den weiteren Abenteuern von Tasha Locket teilnehmen, die sie uns schon im ersten Teil „Panther in the Hive“ ans Herz gelegt hat. Ich verrate nur soviel, es geht mindestens so spannend weiter, wie im ersten Teil:

In The Rooster’s Garden setzt Tasha Locket, die wir aus Panther in the Hive schon kennen, ihre Flucht aus der zerstörten Stadt Chicago fort. Noch immer erzittern die USA unter einer Zombie-Apokalypse, ausgelöst durch einen Chip, der seine Träger in hirnlose Mutanten verwandelt. Zwar ist es Tasha und ihren FreundInnen gelungen aus Chicago zu fliehen, doch das angeblich sichere Kalifornien ist noch in weiter Ferne. Und ob es wirklich sicher ist, kann auch niemand sagen.

Zu allem Überfluss hat es nun auch die Chip-Gesellschaft Cybranu auf Tasha abgesehen und sieht in ihr eine Terroristin. Dank eines ausgesetzten Kopfgelds jagen nun nicht nur Mutanten nach ihr, sondern auch die wenigen Überlebenden der Katastrophe. Hilfe scheint die kleine Gruppe in einer Aussteiger-Community zu finden, die ebenfalls gegen Cybranu kämpft. Aber stimmt das? In Zeiten der Katastrophe kann man noch weniger Menschen trauen als zuvor.

The Rooster’s Garden überzeugt ebenso wie der erste Teil der Trilogie. Cole zieht ihre Idee der Apokalypse konsequent durch. Anders als in vielen anderen Geschichten dieses Genres sind nicht die Underdogs die ersten Opfer, sondern es sind die Reichen und Mächtigen, die dem Chip zum Opfer fallen. Besonders LeserInnen, die Wert auf diversity legen, werden Gefallen am Personal des Romans finden. Es gibt kaum Weiße, die die Apokalypse überstanden haben und wer von ihnen noch lebt, ist unsympathisch (und lebt auch nicht mehr lange). Die Unterdrückten, die jetzt erst recht um ihr Überleben kämpfen müssen, sind die ewigen Anstrengungen schon gewohnt. Die Navajos, die Tasha auf ihrer Reise trifft, erklären schulterzuckend es sei ja nun nicht das erste mal das man versuche, sie auszurotten. Ebenso ergeht es vielen Schwarzen. Dass die Polizei unbarmherzig Jagd auf sie macht, kann sie kaum erschüttern, nur der Mutanten-Chip ist jetzt neu.

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Die Geschichte spielt etwa 70 Jahre in der Zukunft doch vieles von dem, was Cole sich ausdenkt, scheint erschreckend nahe an der Realität zu sein. Das Leben in den USA wird gesteuert von zwei, drei großen Organisationen, die alles über die Bevölkerung wissen. Personalisierte Werbung ist nicht nur überall verfügbar, sondern beobachtet die Umworbenen auch, zeichnet Reaktionen und Bewegungsmuster auf. Der mächtige Chip, den sich viele Menschen implantieren lassen, hat großen gesundheitlichen Nutzen, macht aber auch von einem Unternehmen abhängig und birgt unkalkulierbare Gefahren. Kritisch hinterfragt wird das nur von wenigen, zu verlockend ist das Versprechen ewiger Schönheit und Gesundheit. Sogar der Anbau von Gemüse steht unter Strafe. Die Menschen sollen in jedem Punkt abhängig sein von den Konzernen, jede Anstrengung, sich davon zu befreien, wird kritisch beäugt und sanktioniert. Die „Glasses“, Tablet-ähnliche Geräte, die beinahe alle immer bei sich führen, dienen den Konzernen dabei als willkommene Überwachungshilfen. Ein großer Teil der Bevölkerung stört sich daran nicht. Solange des dem eigenen Komfort dient, werden persönliche Daten bereitwillig geteilt.

Der Roman ist eine spannende Zombie-Geschichte, die in den Grenzen des Genres bleibt, aber einige sehr coole Besonderheiten hat, vor allem was das bereits erwähnte Personal angeht. Der Roman ist voller Gesellschaftskritik, die aber nicht mit erhobenem Zeigefinger daher kommt und Waffen, Blut und Knochenbrüche gibt es auch noch genug. Wie viele Romane mit actiongeladenen Plots hat auch dieser hier ein paar Wendungen und Elemente, bei denen der glückliche Zufall dann doch ein bisschen konstruiert scheint, aber vielleicht sollte man bei einem Zombie-Apokalypse-Roman auch nicht „realitätsgetreu und glaubwürdig“ als Bewertungskriterium zugrunde legen. In jedem Fall ist der Roman extrem spannend, stilsicher geschrieben und hat eine Protagonistin, mit der man gerne noch mindestens ein weiteres Abenteuer erleben würde.

Olivia A. Cole: The Rooster’s Garden. Teil II der Tasha-Trilogy. Fletchero Publishing 2016. ca. € 18,-. ISBN 978-0991615544.

WomeninSciFi (37) Station Eleven – Emily St. John Mandel

„Survival is insufficient“

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Dystopien gibt es gerade momentan wie Sand am Meer. Einige gut, einige weniger gut und dann ist da „Station Eleven“. Mich hat das Buch komplett überwältigt. Ich habe es so gerne gelesen, wollte gar nicht mehr verschwinden aus dieser stillen dunklen Welt. „Station Eleven“ ist eine elegante, intelligente Geschichte, die sich langsam aufbaut, die verschiedene Stimmen aus unterschiedlichen Zeitebenen miteinander verwebt, die uns Fragmente unterschiedlicher Leben sehen lässt und es gibt unzählige kleine Momente in der Geschichte, die es zu einem für mich unvergesslichen Buch werden lassen.

Am Abend, als die Welt wie wir sie kennen endet, hat ein Schauspieler auf der Bühne einen Herzinfarkt und stirbt, während er King Lear spielt. Noch in der Nacht beginnt die Georgia Flu 99% der Weltbevölkerung zu töten.

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Es würde nicht wundern, wenn sein Tod damit völlig untergeht und sich niemand mehr an ihn erinnern würde, aber auch zwanzig Jahre nach der Katastrophe gibt es noch Erinnerungen an ihn und die Menschen, deren Leben er berührt hat, in diesem einsamen Ödnis.

“I stood looking over my damaged home and tried to forget the sweetness of life on Earth.”

Inmitten dieser Dunkelheit gibt es Menschen, für die Überleben nicht alles ist. Die Schönheit bewahren: The Travelling Symphony. Eine Gruppe Schauspieler und Musiker die sich gefunden haben, die in Zelten schlafen, von Ort zu Ort ziehen und Shakespeare Stücke und klassische Musik aufführen.

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Kirsten ist das kleine Mädchen, die auf der Bühne war, als Arthur starb. Sie ist eine der Schauspielerinnen der Travelling Symphony. Sie trägt ein Tattoo aus einer Star Trek Voyager Folge, von der ihr ihr Musikerkollege August erzählt: „Because survival is insufficient“. Das ist meines Erachtens das schönste und wichtigste Thema des Buches. Die Signifikanz von Kunst und Kultur, das Bewahren einer kulturellen Identität als eine der wichtigsten Aufgaben derer, die überlebt haben.

Sei es durch die von Clark gesammelten Gegenstände im „Museum of Civilization“, die Zeitung die ein junger Mann herausgibt, der auch eine Bibliothek gegründet hat und natürlich durch die Travelling Symphony mit ihren Shakespeare Stücken und der klassischen Musik. Ein ziemlich zerfledderter Comic spielt eine große Rolle, wie auch die Erinnerungen an Star Trek.

Was bleibt, wenn alles endet ? Womit verbinden wir unseren Begriff von Zivilisation? Was macht uns zu Menschen und was verbindet uns ?
Kirsten and August walked mostly in silence. A deer crossed the road ahead and paused to look at them before it vanished into the trees. The beauty of this world where almost everyone was gone. If hell is other people, what is a world with almost no people in it?

„Station Eleven“ zeigt die Apokalypse jetzt aber auch nicht als weichgespültes Hipster-Event, einzig und allein mit dem Erhalt unseres kulturellen Erbes beschäftigt. Die Welt ist ein dunkler, gefährlicher Ort geworden, an dem an jeder Ecke der Tod lauern kann. Eine Welt ohne Medikamente, Technologie und auch ohne jeden juristischen Kodex, der es Leuten wie dem Propheten in der Geschichte leicht macht, seine düsteren Visionen auszuleben.

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Foto: Seph Lawless

St. Mandel hat ein bewegendes, hoffnungsfrohes Buch geschrieben über die menschliche Widerstandsfähigkeit, den Willen, nicht nur überleben zu wollen, sondern stur auf das Recht auf Schönheit zu beharren.  Ein Buch das leuchtet, einen aber auch ein wenig mit gebrochenem Herzen zurücklässt.

“A fragment for my friend–
If your soul left this earth I would follow and find you
Silent, my starship suspended in night”

Ach ja und ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Nathan Burton den kompletten Comic „Station Eleven“ aus dem Buch zeichnen würde, den würde ich nämlich sehr gerne lesen.

Foto: Nathanburtondesign.com

Zwei sehr schöne Beprechungen zu „Station Eleven“ findet ihr auch bei deep read und buchpost und ein spannendes Interview mit der Autorin hier:

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Das Licht der letzten Tage“ im Piper Verlag erschienen.

#WomeninSciFi (36) He, She and It – Marge Piercy

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Die Erde in nicht allzu ferner Zukunft ist ein Ort, der durch Krieg und Umweltzerstörung weitestgehend zerstört ist. Die Welt wird von riesigen Konzernen geführt, deren ausgewählte Mitarbeiter sich einer strengen Ordnung unterwerfen müssen, die nicht nur für die Art zu arbeiten, sondern auch für die Kleidung gilt, die sie tragen müssen und die Art, wie sie ihr Leben zu führen haben. Die meisten Menschen leben jedoch in riesigen, gefährlichen, ärmlichen Slums, die „The Glop“ genannt werden. Nur einige wenige Städte bleiben erhalten und frei, die in der Lage sind, benötigte Technologie an die Konzerne zu verkaufen.

Die Menschen haben Zugang zu einem riesigen Computernetzwerk, in das sie sich hinein projizieren können um zu recherchieren, Spiele zu spielen, um zu kommunizieren, einzukaufen etc. Die Nutzer dieses Netzwerks können jedoch jederzeit Cyberattacken erleiden und sogar getötet werden, daher sind Verteidigungssysteme mächtig gefragt.

Das Buch hat zwei parallel verlaufende Erzählstränge. Der erste folgt Shira, einer frisch geschiedene Frau, die für eine der mächtigen Konzerne arbeitet und das Sorgerecht für ihren Sohn verloren hat. Sie geht zurück in ihre Heimatstadt Tikva, eine freie jüdische Stadt, wo sie mit ihrer lesbischen Mutter, einer Freiheitskämpferin, und ihrer Großmutter, einer Genetikerin, zusammenlebt. Dort verliebt sie sich in einen heimlich erschaffenen Cyborg, der die freie Stadt verteidigen soll.

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Die zweite Geschichte, die von ihrer Großmutter erzählt wird, handelt von der Tochter eines Rabbis im jüdischen Ghetto in Prag im 17. Jahrhundert. Aus Angst um das Leben der Ghetto-Bewohner erschafft der Rabbi einen Golem, um sie zu verteidigen. Seine freiheitsliebende und intellektuelle Tochter verliebt sich in diesen Golem.

„He, She and It“ ist ein spannender Mix aus jüdischer feministischer Fiktion, Dystopie und Cyperpunk mit einem Schuss Roboter-Romantik und Soziologie. Das Buch ist wunderbar geschrieben, großartige, vielschichtige Charaktere, mit denen man mitfiebert und deren Schicksal einem am Herzen liegt.

Das Buch beschäftigt sich mit der Frage, was es heißt eine „wirkliche Person“ zu ein und welche Rechte künstlich erschaffenes Leben hat. Das Ende fand ich ein bisschen unspektakulär, aber ein wirklich gutes Buch, das ich insbesondere Cyperpunk Fans ans Herz lege, die Wert auf literarisch anspruchsvolle Texte legen.

Marge Piercy schrieb das Buch 1991. Ihre Dystopie mit Umweltzerstörungen, riesigen, sich immer weiter ausbreitenden Städten, Mega-Konzernen, die die Welt regieren und dem futuristischen Internet ähnelt unserer Welt in einigen Teilen mehr, als mir lieb ist.

Hier ein kurzes Interview mit der Autorin, in dem es zum Teil um ihre Bücher, aber auch um ihre illegal durchgeführte Abtreibung geht:

https://www.youtube.com/watch?v=VYEEkPOBcro

#WomeninSciFi (35) The Heart goes last – Margaret Atwood

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Die Sci-Fi Women haben einen freien Sonntag gefordert, was will man machen – da fügt man sich natürlich. Deshalb ab jetzt #WomeninSciFi immer samstags. Heute hat die Grand Dame der speculative Fiction das Zepter in der Hand:

Gute Dystopien oder Atwoods bevorzugter Begriff „spekulative Fiktion“ sagen viel mehr über unsere aktuellen Probleme und den Zustand unserer Gesellschaft aus, als über eine mögliche Zukunft. Dieses Genre beherrscht Atwood einfach. Dieser Roman ist nicht ganz so stark wie die „Oryx und Crake“ Reihe, aber ein etwas schwächerer Atwood ist immer noch besser als vieles andere.

Wenn man auf der Straße lebt, weil die Wirtschaft komplett zusammengebrochen ist und so gut wie nichts mehr funktioniert oder die Gesellschaft zusammenhält, man sich vor marodierenden Banden schützen muss, bekommen auch extreme Angebote eine gewisse Attraktivität.

Charmaine und Stan, beide etwa Mitte Dreißig, sind nach dem Absturz aus ihrem Mittelklasse-Leben gezwungen im Auto zu leben, sie leben von Essensresten die sie finden, jeder Tag ein neuer Überlebensakt.

Das seltsame Angebot übermittelt sich ihnen in Form eines TV Spots in dem Interessenten für das Positron Projekt in Consilience (Wortspiel aus „Con“ für convict = Straftäter und „resilience“ = Anpassungsfähigkeit) gesucht werden. Der Deal: sie leben künftig einen Monat als glückliche Mittelstandsfamilie mit hübschem Haus, Motorroller und Arbeitsplatz – und einen Monat im Knast.

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Du bekommst alles auf dem Tablett serviert, aber während du im Knast bist, ziehen am Wechseltag deine „Alternates“ in dein Haus, sitzen auf deinem Sofa und essen von deinen Tellerchen. Musik- und Fernsehprogramm sind auf beruhigende Doris Day und Frank Sinatra Schmonzetten beschränkt, aber Beggers can’t be choosers und der eine Monat Knast lässt sich auch irgendwie überstehen und vielleicht hält es ja auch die Liebe frisch, wenn man sich immer nur alle zwei Monate sieht.

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Charmaine und Stan lassen sich auf den Deal ein und insbesondere Charmaine fällt es anfangs sehr leicht, die Werbetrommel-Ansagen der Positron Leitung zu glauben. Sie gleitet in ihr Stepford Wife Leben und ist eigentlich rundum glücklich, obwohl die ihr zugeteilte Aufgabe in der Euthanesie von unangepassten Außenseitern liegt. Der etwas skeptischere Stan arbeitet auf einer Hühnerfarm. Langsam aber sicher leben sich die beiden auseinander.

Als Charmaine dann eine Affaire mit ihrem „Alternate“ beginnt, wird alles richtig kompliziert und unabhängig voneinander merken Stan und Charmaine, was wirklich hinter den Gefängnismauern vor sich geht.

Das letzte Drittel des Buches wird dann recht bizarr mit seinen lebensechten Gummipuppen, den Heerscharen an Marilyn Monroe und Elvis Doubles und reichlich Sex. Kein Buch für moralisch schnell Erschütterte, aber eine spekulative Tour-de-Force, die sich mit Kapitalismus, Biotech, Neurowissenschaften und Identität beschäftigt.

„Would Doris Day’s life have been different, he muses, if she’d called herself Doris Night? Would she have worn black lace, dyed her hair red, sung torch songs?”

Auch wenn sie gelegentlich über das Ziel hinausschießt, man merkt Atwood an, wieviel Spaß sie beim Schreiben dieser seltsamen 50er Jahre Gesellschaftskonstellation hatte. Das Buch steckt voller spannender Ideen und Spekulationen, es ist teils Satire, teils Science Fiction und stellenweise unglaublich witzig.

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Seine Freiheit aufgeben für noch so edle Zwecke ist und bleibt eine schlechte Idee, egal wie heroisch das Set-up auch ursprünglich vielleicht ist, am Ende fliegen einem soziale Experimente wie diese einfach unweigerlich um die Ohren.

Ich habe das Gefühl, Atwood hat mit jedem Buch mehr Spaß am Schreiben. Von altersmilde oder ruhiger werden keine Spur. You go Girl, ich warte schon sehnsüchtig auf ihr nächstes Buch.

Hier ein tolles Interview zu „The Heart Goes Last“

 

Auf deutsch ist das Buch unter dem Titel „Das Herz kommt zuletzt“ im Berlin Verlag erschienen.

#WomeninSciFi (32) Future Home of the Living God – Louise Erdrich

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This week my dear Bookclub friend Lynn and I collaborate on this review for Louise Erdrich’s „Future Home of the living God“. Lynn is always insanely busy and asking her for a book review what stress her out, so I sneakily asked her opinion on the discussion we had during Bookclub discussion and this way I managed to get her wonderful writing and ideas without stressing her 😉

Here a quick glance about the book from the editor:

„The world as we know it is ending. Evolution has reversed itself, affecting every living creature on earth. Science cannot stop the world from running backwards, as woman after woman gives birth to infants that appear to be primitive species of humans. Twenty-six-year-old Cedar Hawk Songmaker, adopted daughter of a pair of big-hearted, open-minded Minneapolis liberals, is as disturbed and uncertain as the rest of America around her. But for Cedar, this change is profound and deeply personal. She is four months pregnant.

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Though she wants to tell the adoptive parents who raised her from infancy, Cedar first feels compelled to find her birth mother, Mary Potts, an Ojibwe living on the reservation, to understand both her and her baby’s origins. As Cedar goes back to her own biological beginnings, society around her begins to disintegrate, fueled by a swelling panic about the end of humanity.

There are rumors of martial law, of Congress confining pregnant women. Of a registry, and rewards for those who turn these wanted women in. Flickering through the chaos are signs of increasing repression: a shaken Cedar witnesses a family wrenched apart when police violently drag a mother from her husband and child in a parking lot. The streets of her neighborhood have been renamed with Bible verses. A stranger answers the phone when she calls her adoptive parents, who have vanished without a trace. It will take all Cedar has to avoid the prying eyes of potential informants and keep her baby safe“

Followed by the brilliant interpretations by Lynn:

First, some general thoughts not specifically related to the Catholicism angle. I spent some time thinking about the quote from The Guardian’s review of the book: “The power of female fertility is simultaneously so mundane as to be overlooked and so significant that it remains the principle battleground in culture and gender wars, a tool or a weapon to be appropriated by those who seek to control the masses. Feminists and writers of speculative fiction have long known this. “The control of women and babies has been a feature of every repressive regime on the planet,” wrote Margaret Atwood earlier this year, on why her 1985 novel The Handmaid’s Tale is resonating so forcefully in the age of Trump.” In thinking about the Margaret Atwood quote, I wondered why this would be a common factor of repressive regimes because there doesn’t seem to be a direct link. I think it’s not so much that political regimes try to control women’s bodies, but that regimes are simply acting in the same way that men in general have acted throughout history when they try to establish power by taking control over a woman. It’s not enough to just control what a woman wears (=headscarves) or does (=the jobs they can have), but the ultimate power is to control the main thing which a woman can do that a man can’t, which is to have a baby.  I think that people who oppose abortion, but at the same time accept capital punishment are not truly concerned about the moral issue of taking a life, but that they cannot accept that an individual woman could be allowed to make a moral decision herself (=is it morally okay to end a pregnancy?) and instead think this needs to be dictated by society, which is largely controlled by men.

Now to the Catholicism angle, which actually isn’t related directly to Catholicism, but the overall Judeo-Christian view of life. It was Eva who screwed things up at the very beginning by being guilty of original sin (tempting Adam to eat the apple) and who caused the fall from paradise. I’m not a bible scholar, but I believe that there are several places in the bible where women are guilty of tempting men to sin. And as far as I can tell, lust and passion are pretty high up on the list of sins. I just did a fast google search of bible quotes and here’s one example: “Put to death therefore what is earthly in you: sexual immorality, impurity, passion, evil desire, and covetousness, which is idolatry.” (Colassians 3:5) Here’s another one I found amusing: “But if they cannot exercise self-control, they should marry. For it is better to marry than to burn with passion.” (1 Corinthians 7:9)

Reading the bible leaves the impression that those telling the stories were uncomfortable with passion and lust and that if somebody was experiencing passion or lust, probably it was a woman’s fault. We then have a dilemma in that a lustful Mary tempting Joseph into bed would not be the ideal parents for the Son of God. Solution: no lust or passion and no Mother of God as a temptress, hence a virgin birth. I think that Erdrich is basically retelling the story of the virgin Mary, showing how you can take a real event and twist it into something else you feel more comfortable with. Cedar’s real name is Mary and she sleeps with Phil (fun fact: the Greek meaning of “phil” is love, e.g. philosophy means love of wisdom). She calls Phil an angel because he has put on costume wings when they sleep together. But Phil is just a normal guy and when he gets tortured he even betrays Mary although he loves her. Who knows, maybe the baby Jesus also had parents just messing around in a costume trunk and the whole reason they started messing around is because Joseph whispered something sexy into Mary’s ear – which later got twisted around to saying that word made her pregnant and it was an angel whispering that word.

So in this book we’ve got a modern day Mary, but now we’ve got a quasi-government taking control over women’s bodies including Mary’s. Plus we’ve also destroyed our planet in the meantime and as a result evolution started going backwards. This means the likelihood of having a modern day Jesus born by a modern day Mary is extremely unlikely, or in other words, the chance of their being a future home (=the womb) for another Son of God (e.g. a living god) is rapidly disappearing.

Having written this, I’ve decided the book is not really criticizing Catholicism, but is retelling the story without the biblical slant, e.g. no need to get rid of the passion or sanitize Mary into becoming a virgin. It’s also showing that by screwing up the planet we put the chance for our redemption at extreme risk. Jesus is our savior, but if he isn’t born in the first place, how can he die for our sins? (I don’t think Erdrich is saying that we literally need a new Jesus, it’s just an analogy.)  In the book, it could be that Mary’s baby (or a future baby) has survived and will turn out to be Jesus who will fix everything, but chances are slim. And then having a bunch of messed up men trying to take control of women’s bodies to solve the crisis is only compounding it. So probably this is the end and we’re not going to have any living god to save us because that living god’s future home was first messed up by our ruining the planet and then further messed up by men trying to get it back under control.

 

 

#WomeninSciFi (31) Legend Trilogie – Marie Lus an

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Frau Wonnie von den Münchner Küchenexperimenten ist in Raumstationen eher für das realistisch-bodenständige zuständig und es ist gar nicht so einfach, sie Science Fiction-technisch aus ihrem Orbit zu locken.

Dystopien schaffen das aber immer mal wieder und natürlich lauerte ich schon darauf, wann sie endlich mal wieder zu entsprechender Lektüre einer Autorin griff, um sie für die #WomeninSciFi Aktion zu gewinnen.

Mit „Legend“ und „Prodigy“ stellt sie die ersten beiden Bände der Young Adult Triologie von Marie Lu vor, die mit dieser Dystopie, die in einer düsteren militärischen Zukunft spielt, ihren Durchbruch erzielte und die aktuell gerade verfilmt wird.

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Wir befinden uns in der ehemaligen USA, die nun eine Republik ist, die sich im Krieg mit ihren Nachbarn befindet. Die Hauptakteure sind June, die eine Elite-Familie geboren wurde und in einem der reichsten Bezirke der Republik aufwächst, und Day, der das genaue Gegenteil darstellt – arm und aufgewachsen im Slum.

Day ist einer der meistgesuchtesten Kriminellen – seine Beweggründe sind jedoch keinesfalls schlechte: Er versucht einfach nur, seine Familie zu ernähren und sich um  seinen kranken Bruder zu kümmern.

Man erfährt nicht viel, wie es zu der “neuen Welt” kam und das Buch ist eine klare Dystopie, wie sie auch heute schon oft zu spüren ist: Arm gegen reich. An einer tödlichen Seuche erkrankte und Gesunde. Jugendliche nehmen an Tests teil, die ihre Fähigkeiten beweisen sollen.  Die besten werden zu einer Elitearmee ausgebildet. Die schlechtesten… nun ja.

June gehört zu einer der besten. Als ihr Bruder, dem sie sehr nahe steht, weil sie quasi ohne Eltern aufwächst, getötet wird, fällt der Verdacht auf Day. June will nur eins – Rache. An Day.

Dafür begibt sie sich auf die dunkle, arme Seite und “mischt sich unters Volk”. Und gerät direkt in eine gefährliche Situation, aus der ihr herausgeholfen wird. Von Day, aber das weiß sie zu diesem Zeitpunkt nicht. Sie schläft mit Day und seiner Ziehschwester Tess unter einer Brücke und lernt die zwei dort besser kennen. Ein Science-Fiction-Element darf natürlich auch nicht fehlen – June, 15 Jahre, kann in fünf Sekunden ein fünfstöckiges Haus hochklettern und Kugeln ausweichen. Day verfügt über spidermanartige Fähigkeiten.

Am Ende kriegen sie Day aber doch.

Im zweiten Band der Trilogie „Prodigy“ hat June zwischenzeitlich erfahren, dass es nicht Day war, der ihren Bruder getötet hat, und das seine Motive eigentlich ganz nobel sind. Es hilft sicher auch, dass sie sich zwischenzeitlich in ihn verliebt hat.  Deswegen unterstützt June Day bei seiner Flucht aus der Gefangenschaft der Republik. Das funktioniert nicht ohne Hilfe. Diese suchen sie ausgerechnet bei den Patrioten, einer rebellischen Gruppe. Sie machen sich auf den Weg nach Las Vegas, um sich diesen anzuschließen.

Als sie dort ankommen erfahren sie, dass der alte Elector, Oberhaupt der Republik, gestorben ist und sein Sohn Anden die Nachfolge antritt. Die Patrioten jedoch planen, den Nachfolger auszuhalten, damit eine Rebellion losgetreten wird wird. Sie spannen June und Day für ihre Zwecke ein. Dazu wird June wieder in die Republik geschickt, um sich “einzuschmeicheln” und Reue zu bekennen. June kommt Anden nahe, vielleicht zu nahe…

Den dritten Band hebe ich mir noch etwas auf. Die Bücher lassen sich flüssig lesen, die Geschichte ist zeitweise recht spannend, aber man merkt schon, dass die Zielgruppe eher Teenager sind.

Auf deutsch erschien die Serie unter dem gleichnamigen Titel im Loewe Verlag.

#WomeninSciFi (30) Company Town – Madeleine Ashby

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Foto: Tor

Woohooo mit Madeleine Ashbys “Company Town” gab es endlich mal wieder Cyberpunk und es wird Zeit für ein Comeback. In ihrem Roman, der in der näheren Zukunft spielt, hat sich nahezu jeder den Körper pimpen lassen mit Implantaten die sie stärker, schlauer und grundsätzlich anpassungsfähiger an ihre Umwelt machen. Fast alle, aber nicht unsere Protagonistin Go Jung-Hwa, eine Halb-Koreanerin/halb Neufundländerin und Tochter eines verbitterten ehemaligen K-Pop Sternchens. Sie arbeitet als Bodyguard für die Gewerkschaft der Sex-Arbeiterinnen auf einer Ölplattform-Stadt in der Nähe der neufundländischen Küste.

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Hwa leidet am Sturge-Weber-Syndrom, das einen portweinfarbenen Fleck quer über ihr Gesicht verursacht und sie unter gelegentlichen Krampfanfällen leiden lässt. Sie hätte schon auch gerne die entsprechenden Implantate die ihre Krankheit heilen, aber ihr fehlt das notwendige Geld dazu. Auf der anderen Seite macht es sie als komplett organischer Mensch auch absolut un-hackbar. Gerade dadurch, dass sie ein ganz stinknormaler old-school Mensch ist, ohne Chips und Implantate, sieht sie keiner kommen und es macht sie zwischen den ganzen genetisch aufgepeppten Cyborgs um sie herum zu einer Wildcard. Dies erweist sich im Laufe der Geschichte als äußerst vorteilhaft für sie, insbesondere als sie den Auftrag erhält, als Bodyguard für den reichen Sprößling eines mächtigen Tycoons zu arbeiten, der gerade die Ölplattform-Stadt auf dem Wasser gekauft hat.

Doch noch während ihrer Tätigkeit als Beschützerin der Sexarbeiterinnen beginnt jemand, die Sexarbeiterinnen im Jack-the-Ripper-Style umzubringen…

Hier geht es aber nicht so sehr um eine „echte“ Person im Kampf gegen eine Welt voller Cyborgs, sondern viel mehr um die Zukunft unserer posthumanistischen Welt. Hwa wird in einen Kampf zwischen unterschiedlichen Zukunftsvisionen hineingezogen und man gerät insbesondere zum Ende des Buches hin schon recht tief in die abgefahrenere Ecke des Futurismus, wie zum Beispiel Rokos Basilisk…

The dance took place on a viewpoint level of Tower Four. Each hour, the whole floor would make a single revolution, so couples at tables could see both the city and the ocean. This was by far its lowest-tech feature. The Synth-Bio Club had engineered all manner of plants and animals just for the occasion: grabby little tentacular vines that climbed up the walls, twirling maple keys that danced and spun in the air like pixies and spiralled up from whatever surface they touched, butterflies that dampened signal by flapping their Faraday wings.“

Der rote Faden und Ankerpunkt in all der Abgefahrenheit bleibt die Protagonistin Hwa, die man sich als Mischung aus Jessica Jones und Lisbeth Salander vorstellen kann. Sie ist kein happy Bunny. Genervt von ihrer anstrengenden Mutter, von Schuldgefühlen geplagt ihre Sexarbeiter-Freundinnen im Stich zu lassen und sie schrammt mit ihrer Einstellung ihrem Aussehen gegenüber auch nur sehr knapp an Selbsthass vorbei. Die meisten Menschen/Cyborgs um sie herum haben Implantate die sie davor schützen hässliches sehen zu müssen, so dass fast niemand Hwas Gesicht sehen kann, sie sehen an dessen Stelle sowas wie eine Bildstörung, was natürlich auch nicht gerade dazu führt ihr Selbstbewußtsein zu stärken.

“She had been invisible—or blurred, or filtered, or hidden—for so long that whether she wanted to be seen rarely came up.”

Ein wiederkehrendes Motiv für Hwa ist der Master Control Room, etwas, dass sie sich immer wieder vorstellt wenn sie sehr wütend ist, Angst hat oder kurz davor ist einen Krampfanfalls zu bekommen. Sie sieht einen Raum voller Schalter, Knöpfe und Regler, die sie bedienen kann, um sich selbst zu kontrollieren und sie davon abhalten, sich oder andere zu verletzen. Sehr faszinierend die Idee, dass einer der wenigen, nicht durch Implantate verbesserte Mensch sich selbst als Maschine mit komplexem Regulierungssystem sieht.

Ashby hat eine unglaublich dichte Welt erschaffen voll technischer Möglichkeiten, die uns in Zukunft teilweise sehr wahrscheinlich begegnen werden. Die Charaktere sind greifbar, entwickeln sich und die verschiedenartigen Beziehungen werden auf spannende Weise beleuchtet. Hwa ist gleichzeitig der Inbegriff von Stärke und doch so fragil. Ihre Entwicklung insbesondere ist tiefgründig, sehr persönlich, aber nie überzeichnet.

Ein etwas komplizierter Pageturner, über den man noch lange nachdenken kann – ein ganz großes Highlight für mich.

Hier noch ein interessantes Interview mit der Autorin:

Auf deutsch erschien das Buch unter dem Titel „Company Town – Keiner ist mehr sicher“ im Arctis Verlag.

#WomeninSciFi (29) Vom Ende An – Megan Hunter

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WAS WIR ANFANG NENNEN, IST OFT DAS ENDE,
UND EIN ENDE MACHEN HEISST EINEN ANFANG MACHEN
AM ENDE BRECHEN WIR AUF.“
(T. S. ELIOT, VIER QUARTETTE)

Das hier ein Dystopie-Fan zu Hause ist, dürfte man wahrscheinlich bereits bemerkt haben, vielleicht aber auch das ich da nicht einfach zu kriegen bin, denn Atmosphäre, Sprache, dahinter liegende Philosophie müssen stimmen, damit ich auch wirklich drauf anspringe.

Megan Hunters Debut hat zuerst durch das wunderschöne Cover neugierig gemacht. Aber nicht nur. Das sie mit einem Gedichtband auf der Shortlist des Bridport Prizes stand, merkt man dem Roman an, erinnern die kurzen Sätze allein vom Druckbild her eher an Gedichte als an einen Roman.

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Während die steigenden Meeresspiegel ganz London zu überfluten drohen und damit eine Bedrohung katastrophalen Ausmasses auslösen, treffen wir auf eine namenlose junge Frau die kurz davor ist ein Kind zu gebären.

„Mein üblicher Zynismus ist von Angst vertrieben worden, der Angst vor Schmerzen, vor Kontrollverlust, vor allem, was blutig ist und sich dehnt.

Der Augenblick der Geburt steht mir bevor wie früher meine Entjungferung, wie der Tod. Das Unvermeidliche, im Innern verborgen und irgendwo draußen auf der Lauer.“

Zeitgleich fast mit ihrer Fruchtblase reißen auch die Dämme und nur Tage nach der Geburt ihres kleinen Jungen Z ist die kleine Familie gezwungen ihre Wohnung zu verlassen und sich in Sicherheit zu geben. Sie wandern von Ort zu Ort, auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe. Die Mutter ist hin- und her gerissen zwischen Angst und Staunen ob der ersten Berührungen und Entdeckungen ihres kleinen Sohnes in diese beunruhigende Welt hinein. Glücklich und neugierig, trotz aller Unsicherheiten.

Es ist die Geschichte einer jungen Mutter die nicht nur mit ihrer neuen Rolle zurecht kommen muss, sondern sich auch in einer zunehmend fremden Welt wider findet. Megan Hunter hat ein überaus poetisches seltsam schönes Buch geschrieben, das ein mögliches Zukunftszenario beschreibt – realistisch und bedrohlich und doch voller Liebe und Hoffnung.

„Vom Ende an“ erinnert gelegentlich an Cormac McCarthy’s „The Road“ wobei das ja nahezu jedem dystopischen Roman mittlerweile nachgesagt wird. Es ist ähnlich distanziert, hat für mich aber deutlich mehr Poesie und Hoffnung. Es ist aus der Sicht der Mutter geschrieben, der Vater bleibt eine Randfigur und wir erleben nur den Anfang dieser bedrohlichen Katastrophe.

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Die Charaktere bleiben durchweg namenlos, einzig durch ein Initial erkennbar, dadurch fällt es dem Leser schwerer eine Bindung zu den Protagonisten aufzubauen. Dadurch aber wird die Katastrophe selbst umso realistischer. Jeder von uns könnte R oder S oder Z sein, das macht die Geschichte so greifbar, lässt die Bedrohung und den Horror ganz langsam einsickern und vorstellbar werden.

„Ich bewege meine Hand über die Wege der fleckigen Wand, geäderte Wasserpfade als Aufzeichnung all der Tage, die wir nicht erlebt haben.“

Vielleicht hätte ich mir die Protagonisten etwas dreidimensionaler gewünscht, aber es lebt auch ganz klar von seiner spartanen spröden Schönheit. „Vom Ende an“ ist ein besonderer, einzigartiger Roman, den ich sehr gerne gelesen habe. Vielleicht sollte man den Roman wie Gedichte mehrfach lesen, um ihn Schicht für Schicht freizulegen und ihm immer mehr seiner Geheimnisse zu entlocken.

Es wundert mich nicht, dass Benedict Cumberbatch sich hier die Filmrechte gesichert hat, ich bin schon sehr auf die Verfilmung gespannt und caste zwischenzeitlich schon mal die Hauptdarstellerin 😉

Ich danke dem C. H. Beck Verlag für das Rezensionsexemplar.