„Survival is insufficient“
Dystopien gibt es gerade momentan wie Sand am Meer. Einige gut, einige weniger gut und dann ist da „Station Eleven“. Mich hat das Buch komplett überwältigt. Ich habe es so gerne gelesen, wollte gar nicht mehr verschwinden aus dieser stillen dunklen Welt. „Station Eleven“ ist eine elegante, intelligente Geschichte, die sich langsam aufbaut, die verschiedene Stimmen aus unterschiedlichen Zeitebenen miteinander verwebt, die uns Fragmente unterschiedlicher Leben sehen lässt und es gibt unzählige kleine Momente in der Geschichte, die es zu einem für mich unvergesslichen Buch werden lassen.
Am Abend, als die Welt wie wir sie kennen endet, hat ein Schauspieler auf der Bühne einen Herzinfarkt und stirbt, während er King Lear spielt. Noch in der Nacht beginnt die Georgia Flu 99% der Weltbevölkerung zu töten.
Es würde nicht wundern, wenn sein Tod damit völlig untergeht und sich niemand mehr an ihn erinnern würde, aber auch zwanzig Jahre nach der Katastrophe gibt es noch Erinnerungen an ihn und die Menschen, deren Leben er berührt hat, in diesem einsamen Ödnis.
“I stood looking over my damaged home and tried to forget the sweetness of life on Earth.”
Inmitten dieser Dunkelheit gibt es Menschen, für die Überleben nicht alles ist. Die Schönheit bewahren: The Travelling Symphony. Eine Gruppe Schauspieler und Musiker die sich gefunden haben, die in Zelten schlafen, von Ort zu Ort ziehen und Shakespeare Stücke und klassische Musik aufführen.
Kirsten ist das kleine Mädchen, die auf der Bühne war, als Arthur starb. Sie ist eine der Schauspielerinnen der Travelling Symphony. Sie trägt ein Tattoo aus einer Star Trek Voyager Folge, von der ihr ihr Musikerkollege August erzählt: „Because survival is insufficient“. Das ist meines Erachtens das schönste und wichtigste Thema des Buches. Die Signifikanz von Kunst und Kultur, das Bewahren einer kulturellen Identität als eine der wichtigsten Aufgaben derer, die überlebt haben.
Sei es durch die von Clark gesammelten Gegenstände im „Museum of Civilization“, die Zeitung die ein junger Mann herausgibt, der auch eine Bibliothek gegründet hat und natürlich durch die Travelling Symphony mit ihren Shakespeare Stücken und der klassischen Musik. Ein ziemlich zerfledderter Comic spielt eine große Rolle, wie auch die Erinnerungen an Star Trek.
Was bleibt, wenn alles endet ? Womit verbinden wir unseren Begriff von Zivilisation? Was macht uns zu Menschen und was verbindet uns ?
Kirsten and August walked mostly in silence. A deer crossed the road ahead and paused to look at them before it vanished into the trees. The beauty of this world where almost everyone was gone. If hell is other people, what is a world with almost no people in it?
„Station Eleven“ zeigt die Apokalypse jetzt aber auch nicht als weichgespültes Hipster-Event, einzig und allein mit dem Erhalt unseres kulturellen Erbes beschäftigt. Die Welt ist ein dunkler, gefährlicher Ort geworden, an dem an jeder Ecke der Tod lauern kann. Eine Welt ohne Medikamente, Technologie und auch ohne jeden juristischen Kodex, der es Leuten wie dem Propheten in der Geschichte leicht macht, seine düsteren Visionen auszuleben.
Foto: Seph Lawless
St. Mandel hat ein bewegendes, hoffnungsfrohes Buch geschrieben über die menschliche Widerstandsfähigkeit, den Willen, nicht nur überleben zu wollen, sondern stur auf das Recht auf Schönheit zu beharren. Ein Buch das leuchtet, einen aber auch ein wenig mit gebrochenem Herzen zurücklässt.
“A fragment for my friend–
If your soul left this earth I would follow and find you
Silent, my starship suspended in night”
Ach ja und ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Nathan Burton den kompletten Comic „Station Eleven“ aus dem Buch zeichnen würde, den würde ich nämlich sehr gerne lesen.
Foto: Nathanburtondesign.com
Zwei sehr schöne Beprechungen zu „Station Eleven“ findet ihr auch bei deep read und buchpost und ein spannendes Interview mit der Autorin hier:
Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Das Licht der letzten Tage“ im Piper Verlag erschienen.
Liebe Sabine,
ich danke dir für diese wunderbare, vielseitige und eindrucksvolle Besprechung! „Station Eleven“ ist mir zwar regelmäßig begegnet, aber nachdem ich überall nur etwas von dem Virus und dem Endzeitlichen las, verlor ich schnell das Interesse am Buch. Dass aber die Rolle/ der Erhalt von Kultur und ihre Bedeutung auf den Unterschied zwischen Überleben/Existieren und Leben so stark thematisiert wird, war mir nicht bewusst. Und das ist wiederum ein Aspekt, den ich sehr spannend finde und der mich wieder neugierig auf „Station Eleven“ macht. 🙂
Viele Grüße und einen schönen Sonntagnachmittag!
Kathrin
Pingback: [Die Sonntagsleserin] September 2018 - Phantásienreisen
Ganz lieben Dank fürs Verlinken – ich freue mich wirklich sehr drüber 🙂 Jetzt gucke ich mir mal deine anderen spannenden Verlinkungen an. Ich liebe diese Rubrik hier. Hab einen schönen Sonntag!
Die Women in SciFi haben ihren festen Platz in meiner Sonntagsleserin. 🙂 Eigentlich schade, dass das Jahr schon bald wieder vorüber ist. Planst du, die Rubrik auch in 2019 fortzusetzen?
Inzwischen liegt Station Eleven übrigens auch auf meinem Kindle. Und jetzt bräuchte ich einen Monat Urlaub, um all die tolle Science Fiction zu lesen, die ich dank dir entdeckt habe. 😉
Man ich bin echt immer so spät mit dem Beantworten meiner Kommentare – sorry 😦
Ich bin mehr ehrlich gesagt noch nicht sicher, in welcher Form ich WiS fortsetze. Ganz gebe ich es auf keinen Fall auf, jede Woche wird es das aber vermutlich 2019 nicht mehr geben. Ich mariniere noch ein wenig wie es weitergehen soll und wird 🙂
Dir ein wunderschönes Wochenende!
Ach, ich bin doch auch nicht schneller beim Beantworten von Kommentaren (weder auf meinem noch auf anderen Blogs 😉 ), was aber daran liegt, dass ich meist nur an den Wochenende an den Rechner komme und Kommentieren vom Smartphones aus so unpraktisch ist. 😉
Jede Woche ein Beitrag ist ja auch echt ambitioniert! Ich staune, dass du das so gut durchziehen kannst! Ich bin jedenfalls gespannt, wie es mit den Women in SciFi nächstes Jahr weitergehen wird – ein paar Monate zum Grübeln hast du ja noch. 😉