Albert Camus: Das Ideal der Einfachheit – Iris Radisch

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Das ausgerechnet ich mich für einen Autor begeistere, der in seinem Tagebuch vermerkt „Außer in der Liebe ist die Frau langweilig“ überrascht ganz schön, nicht zuletzt mich. Auch seine Tochter wollte erst nicht so recht glauben, dass ihr verehrter Herr Papa so etwas geschrieben haben soll und musste erst durch einen Hinweis von Radisch mit Nachblättern im Tagebuch davon überzeugt werden.

Trotz aller dunklen Seiten, Herr Camus hat was. Ich mag seine Bücher „Der Fremde“, „Die Pest“ und „Der erste Mensch“ – mehr habe ich bislang noch nicht von ihm gelesen. Und man glaubt es sofort, dass seine Lieblingsworte „Die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer und das Meer waren. Diese Worte bilden die einzelnen Kapitel in Radisch’s rasend guter Biografie.

Iris Radisch hat sich dem übergroßen Autor sehr emphatisch genähert, hat ihn nicht auf ein Podest gestellt und man merkt, dass sie sein rücksichtsloses casanovahaftes Verhalten nicht billigt. Er, der sich als stets Fremder, als lebenslanger Exilant sieht, der niemanden braucht, kann nicht alleine sein und sammelt Frauen wie zufällig am Wegesrand auf. Unfähig sich zu trennen, lässt er dann drei, vier oder auch fünf Beziehungen gleichzeitig nebeneinander laufen.

Camus sieht sich meist nicht unbedingt realistisch. Camus als Genußmensch der die Einfachheit propagiert, ist nur eines der vielen Paradoxien in denen er steckt. Er beschreibt oft wie er sein möchte, nicht wie er ist. Wichtig ist ihm seine Mittelmeer-Philosophie, seine mediterrane Ideologie wie Iris Radisch sie nennt, die ihn sein Leben lang beschäftigt. Seine Idee dem alten Europa ein starkes latines Bündnis entgegenzusetzen.

Überhaupt geht er natürlich heute als eigentlicher Sieger aus den heftigen Fehden mit Sartre und anderen hervor. Er war der hellsichtigste unter den Pariser Intellektuellen in seiner Verurteilung jeglichen Totalitarismus.

„Nach 1989 begann man in Paris zwar langsam, Camus‘ Antitotalitarismus zu würdigen, man ergriff jedoch weiterhin für Sartre Partei, wenn es darum ging, Camus‘ Natur- und Geschichtsauffassung zu demontieren und den Zusammenhang beider zu bestreiten“.

Er war wahrscheinlich einer der ersten Wachstumskritiker und ein ausgesprochener Europäer, der jeglichen Nationalismus ablehnte. Eher Vermittler, einer der ewig zwischen den Stühlen saß. Den Linken zu stalin- und kommunismusfeindlich, den Algeriern zu französisch, den Franzosen zu algerisch, den Proletariern zu intellektuell und die Intellektuellen wie Sartre „wird das freihändige Philosophieren dieses algerischen Gassenjungen“ – wie er seinen jungen Rivalen nennt – zur Weißglut bringen.

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„Der Weltliebhaber verabscheut das Fortschrittsethos – verzichte auf das einfache Glück, das du jetzt genießen kannst, arbeite emsig und vertraue darauf, dass du morgen durch ein größeres entlohnt wirst. Das Meer, der Himmel, die Sonne, die Frauen, die Blumen – das reicht ihm, solange das Wetter gut ist (nur bei schlechtem Wetter wäre er bereit, langfristige Lebensinvestitionen zu tätigen und zum Beispiel zu heiraten).“

Camus möchte „sich verlieren, um sich wiederzufinden“. Und er verliert sich mächtig auf seinem Lebensweg. Er kommt 1913 in einer sehr armen französischen Arbeiterfamilie in Algier zur Welt und wird seinen Vater nie kennenlernen, da dieser schon kurz nach Beginn des ersten Weltkriegs fällt. Seine Mutter ist Analphabetin, stoisch und spricht kaum. Kaum vorstellbar, dass aus dieser fast archaisch anmutenden Armut einer der größten Autoren/Philosophen des 20. Jahrhunderts hervorgeht. Zum großen Teil hat er das seinem Lehrer zu verdanken, der seine Begabung erkennt und fördert und dem Camus in seiner Nobelpreisrede 1957 ein Denkmal setzt.

Weder seine ärmliche Herkunft, sein melancholisches schwermütiges Wesen noch seine Lungenkrankheit können ihn stoppen. Er hat ausgesprochen großen Erfolg bei den Frauen, die immer wieder alles für ihn tun, ihm den Rücken freihalten, teilweise aushalten, ihn lieben und umsorgen, aber keiner von ihnen gelingt es jemals ihn ganz für sich zu gewinnen.

Sein erster Roman „Der Fremde“ ist eine Art Huldigung an Algier, seine Jugend und seine Mutter. Themen die ihn ein Leben lang begleiten werden. Mit dem Roman „Die Pest“ kommt auch der wirtschaftliche Erfolg in Paris. Zu Paris wird ihn stets eine Hass-Liebe binden, er pflegt dort Freundschaften nahezu so ausgiebig wie seine Feindschaften.

Sein letzter Roman „Der erste Mensch“ ist für Iris Radisch sein eigentliches Meisterwerk. Posthum veröffentlicht ist es ein Fragment, in dem Camus seinem Ideal der Einfachheit am nahesten kommt. „Er stirbt buchstäblich in dem Augenblick, in dem alles beginnen könnte“.

Iris Radisch’s Biografie ist umwerfend gut, sie macht Lust sich noch weiter mit Camus und seinen Büchern zu beschäftigen. Ich habe seitenweise interessante Stellen markiert. Hier nur noch eine kleine Auswahl:

„Es gibt kein Schicksal, das nicht durch Verachtung überwunden werden kann.“

„Europa ist ein Scherbenhaufen. Überall in der Stadt sitzen junge Männer zusammen und brüten bis spät in der Nacht rauchend über den Drehbüchern der Zukunft.“

„Die Freundschaft zwischen Sartre und Camus, von der gern gesprochen wird, hat es niemals gegeben. Doch haben die beiden Stars von Saint-German-des-Prés auf den ersten Blick vieles gemeinsam. Beide – vaterlos aufgewachsen – bleiben ihr Leben lang bekennende Muttersöhne. Beide sind linksintellektuelle Generalisten, gründen Zeitungen, sind Philosophen, Theaterautoren, Journalisten, Romanautoren und öffentliche Intellektuelle. Beide haben ihre prägenden Einflüsse von der deutschen Philosophie empfangen, bei Husserl und Heidegger der eine, bei Nietzsche der andere. Beide bevorzugen literarisch einen gemäßigten Modernismus. Beide sind moderne Tragöden, die ihr Leben lang an dem metaphysischen Schock entlangschreiben, der das 20. Jahrhundert traf, als es merkte, dass der Mensch zwar von Zeit zu Zeit im Café de Flore, doch niemals in den endlosen Räumen des Kosmos von jemandem erwartet wird.“

„Philosophen werden selten bloß mit dem Verstand gelesen, oft mit dem Herzen und seiner Leidenschaft.“

„Im Rückblick hat Camus in allem Recht behalten: Es gibt keine Entschuldigung für die stalinistischen Schauprozesse; keine Zukunft ist es wert, dass in der Gegenwart für sie gemordet wird; Moral lässt sich nicht auf morgen vertagen; alle großen europäischen Revolutionen endeten als Erziehungsdiktaturen und hinter Mauern und Stacheldraht. Seine Kritik am Totalitarismus hat sich als eine der hellsichtigsten Gegenwartsanalysen des 20. Jahrhunderts erwiesen.“

3 Kommentare zu “Albert Camus: Das Ideal der Einfachheit – Iris Radisch

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