Japan ist ein Bücherland. In keinem der asiatischen Länder, die wir bislang bereisten, waren Bücher so allgegenwärtig wie in Japan. Die Menschen schlafen in der U-Bahn nicht nur in den verrücktesten Positionen, sie lesen auch im größten Gedränge und, wenn die Bücher häufig eher kleinformatig sind, so werden doch immer wieder auch Mangas in der Größe des früheren Quelle-Kataloges mitgeschleppt.
Mangas sind natürlich etwas, das wohl jeder mit Japan assoziiert. Und sie sind tatsächlich auch überall. In der Ubahn werden auch Romane gelesen, aber doch überwiegend Mangas und das vom Schulkind über schicke Business-Menschen bis hin zu älteren Damen.
Schaut man seinen Mitfahrern in der U-Bahn über die Schulter, kann man auch schnell mal schamviolett werden. Die haben es teilweise wirklich in sich. Da wird geschnackselt was das Zeug hält, hetero und homosexuell, auf freiwilliger Basis, aber Vergewaltigungen z.B. kommen durchaus auch vor, alles recht explizit. Neben den sexuell freizügigen, gibt es auch einige, die recht düster sind, aber im Grunde genommen ist hier für wohl für jeden Geschmack etwas dabei. Man könnte sicherlich ganze Abhandlungen schreiben, möchte hier aber nur einen kurzen Einblick in den japanischen Manga-Alltag geben, den wir erlebt haben. Eine wunderbare Facette sind natürlich auch die vielen Cosplayer, die in einen spannenden Kontrast bieten, zu den monochromen Business-Menschen.
Japan nimmt wenig Rücksicht auf nicht-japanische Besucher. Das ist deutlich weniger negtiv gemeint, als das jetzt klingt. Ob im Alltag, oder wenn es um den Tourismus geht, das Angebot richtet sich eben in der Regel an die einheimische Bevölkerung und ausländische Gäste werden höflich und sehr sehr freundlich inkludiert, aber es wird keine Extrawurscht gebraten. Uns hat das weniger gestört, da man so deutlich mehr vom alltäglichen Leben in einem Land mitbekommt, aber natürlich kann es einem das Leben auch mal schwerer machen.
Ich hatte damit gerechnet, mir im Urlaub Bücher kaufen zu können und bin ziemlich in Panik geraten, als ich in Tokyo die ersten 3-4 riesigen Buchläden abgeklappert hatte und keiner davon eine Abteilung mit englischsprachigen Büchern hatte. Ich bin dann in Kyoto fündig geworden und das war dann auch ein wundervoller Laden, bestens sortiert mit einer riesigen Auswahl, aber man muss schon ein wenig danach suchen. Zeitungen, Zeitschriften habe ich gar nicht gefunden, wobei die normalen Tageszeitungen ab und an 1-2 englischsprachige Seiten enthielten.
In Vietnam, Laos, Thailand und Kambodscha waren an jeder Ecke Läden in denen man gebrauchte englische Bücher kaufen konnte, das findet man in Japan eigentlich überhaupt nicht. Um so glücklicher war ich, in einer kleinen Straße in Kobe ziemlich ab vom Schuss, einen winzig kleinen entzückenden Second-Hand-Bookshop „Wantage“zu entdecken. Der Besitzer, ein sehr herzlicher, älterer Engländer öffnet seinen Laden nur am Wochenende. Ich hätte da gut und gerne ein paar Stunden drin verloren gehen können.
Meine Urlaubslektüre bestand natürlich unter anderem aus einem Haruki Murakami. Geht ja gar nicht ohne und nach Japan reisen ohne ein Buch von ihm – völlig undenkbar. Ich hatte mich für „Hard-Boiled Wonderland“ entschieden, einer der Romane, die ich bisher noch nicht gelesen hatte und der seit dem Haidhausener Flohmarkt auf seinen Auftritt wartet.
„Hard-Boiled Wonderland“ ist ein ziemlich komplexer Roman, den ich sehr langsam lesen musste, manche Kapitel benötigten gar eine zweite Runde, bis ich mich wieder zurechtgefunden habe. Die Geschichte spielt im Tokyo der nahen Zukunft. Dank wundersamer fortschrittlicher Technologien wird einem schüchternen, intelligenten Datenanalysten etwas ins Hirn implantiert, das es ihm ermöglicht, geheime Daten zu „waschen“ und zu „shuffeln“.
Ein verrückter Wissenschaftler, die Datenmafia und die Semiotecs, eine rivalisierende Intelligence Unit, sind ihm auf den Fersen und dabei, in sein Unterbewusstsein eine komplett andere Welt zu implantieren. Nach und nach verwischen die Grenzen der beiden Welten und es entbrennt eine Jagd um dem Ende der Welt zu entkommen, oder nicht ?
Einer der abgefahreneren Murakamis, der einen an Kafka und Orwell denken läßt. Keine einfache Lektüre, aber eine lohnende, die perfekt nach Tokyo passt. Die perfekte Überschrift für eigentlich fast jeden seiner Romane könnte dieses Zitat sein:
„Everyone may be ordinary but they’re not normal“
Mit Yasushi Inoues „Der Tod des Teemeisters“ begab ich mich auf unsere Wanderung und gleichzeitig ein paar Jahrhunderte zurück in das Japan der Samurais. Unser Weg führte uns drei Tage lang auf dem Nakasendo Trail entlang, ein über 500km langer uralter Handelsweg, der von den Shoguns zum Reisen genutzt wurde. Es gibt 69 Stationen, die zumeist aus winzig kleinen Örtchen bestehen. Unsere Wanderung führte uns damit drei Tage lang durch die japanischen Alpen. Wir haben uns allerdings mehr als einmal verlaufen, da wir die ganze Zeit über wirklich niemanden getroffen haben auf den Wanderung und sämtliche Schilder natürlich in japanisch waren. Am zweiten Tag haben wir daher einen ordentlichen Umweg eingebaut und statt der geplanten 18km waren wir 25km unterwegs. Puh, da hing uns doch die Zunge auf Halbmast und wir wurden irgendwann etwas panisch. Aber am Ende haben wir unser Ryokan doch noch gefunden.
Übernachtet haben wir in Ryokans, den traditionellen Herbergen der Edo-Periode. Die Zimmer bestehen aus den am Boden liegenden Tatami Matten und den mit Washi bespannten Schiebetüren.
Abendessen und Frühstück sind im Übernachtungspreis enthalten und werden im Gemeinschaftsraum eingenommen, man trägt Yukata und faltet die Beine irgendwie unter den niedrigen Tisch. Serviert wird in der Regel ein einheitliches, typisches sehr reichhaltiges Abendessen, das aus sehr vielen gleichzeitig servierten kleineren Portionen besteht. Miso-Suppe, eingelegtes Gemüse, geräucherter Fisch gehören eigentlich zu jeder Mahlzeit. Das Essen ist wahnsinnig gut, sehr frisch, aber teilweise auch gewöhnungsbedürftig. Sashimi, roher Fisch in dünne Scheiben geschnitten, kennt man und mag ich auch sehr gerne, lebt der Fisch allerdings noch und man schneidet ihm bei Bewußtsein Scheiben raus, das ist dann noch mal eine andere Geschichte. Auch Fleisch wird gern roh gegessen, wie Sushi und so haben wir uns dann auch rohem Pferd gegenüber gesehen, die gegrillten Grashüpfer waren für mich da die einfachere Herausforderung.
Nach dem Abendessen macht man üblicherweise einen Abstecher ins Gemeinschaftsbad Onsen. Wir haben diesen Abstecher nur zweimal geschafft, denn auf Tattoos ist man in Japan gar nicht gut zu sprechen, sind diese doch so untrennbar mit der japanischen Mafia der Yakuzi verbunden. Schafft man es hinein in ein Onsen, ist das schon ein phantastisches Erlebnis. Nach ausgiebiger gründlicher Reinigung gehts dann ins große Becken, in dem meist auch andere Leute schon vor sich hin kochen. Seit dem Onsen habe ich eine ungefähre Idee, wie sich Hummer fühlen mögen, wenn sie ins heiße Wasser fliegen. Krass war das heiß. Japan hat Unmengen heißer Quellen und es tut schon gut so ein Bad, nach einer langen Wanderung.
Seitenschläfer haben es auf den Tatami Matten nicht leicht. Ich mußte mich morgens origamimäßig erst einmal wieder auseinanderfalten und hab ein paar blaue Flecken davon getragen, wer üblicherweise auf dem Rücken schläft und es hart mag, dem dürften Tatami Matten gut gefallen.
Nun aber zu „Der Tod des Teemeisters“ – es war die perfekte Wahl für die Wanderung und unsere Übernachtung im Ryokan, die ganze Stimmung und der Inhalt der Erzählung haben einfach wunderbar gepasst.
Die Geschichte handelt davon, was aus der Kunst der Teezeremonie wird, wenn sein Meister verschwindet. Es ist nicht wirklich ein Thriller, wie der Umschlagtext vermuten ließ, sondern eher eine Suche nach Antworten darauf, warum der Master of Tea „Rikyu“ seinen angeordneten ritualen Suizid ohne Kampf akzeptierte. Sein letzter Schüler, Honkakubo versucht die Umstände, die zum Tod seines Meisters führen, zu verstehen und nachzuvollziehen.
Die Sprache ist karg und spröde, aber auch poetisch fein. Könnte man ein Buch schmecken, so wäre dieses ganz eindeutig ein Matcha-Tee. Ein kleines Wunderwerk, das aber sicherlich nicht jedermanns Geschmack treffen wird.
Dieses Zitat trifft die Essenz des Buches für mich, ohne das es aus diesem Buch ist. Woher ich es habe, weiß ich leider nicht mehr:
„…we find beauty not in the thing itself but in the patterns of shadows, the light and the darkness, that one thing against another creates.“
Vom Rest unserer Reise und der dazugehörigen Lektüre berichte ich im zweiten Teil. So stay tuned for more adventures …
Haruki Murakami „Hard-boiled Wonderland“ ist im Dumont Verlag erschienen
Yasushi Inoue „Der Tod des Teemeisters“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen
Murakami: ich werde nie wieder etwas von ihm lesen!
So ich, nach dem ersten Buch.
Mittlerweile bin beim X-ten. Aber ich kann sie sicher (na gut – ich müsste sie mir wieder besorgen) nicht mehr wiede rlesen.
Jede gelesen Seite wir sofort in die Papiertonne getreten. Auf Twitter hab ich mal ein Bild davon gepostet.
Warum das so ist? Ich weiß es nicht!
Ich mag Japan -aber ich verstehe Japan nicht.
Aber danke für die interessanten Einblicke in ein Land, mit dem ich durchaus meine Probleme habe.
Wow, ich beneide dich heiß und innig, das würde ich auch alles gerne einmal erleben! 🙂 Vielen Dank für den tollen Reisebericht, ich bin schon gespannt auf Teil 2!
Hardboiled Wonderland ist mein liebster Murakami, und somit eines meiner absoluten Lieblingsbücher, ich hab das nur so verschlungen! Ich muss immer wieder grinsen über unseren ähnlichen Geschmack, der dann am Ende aber doch immer unterschiedlich ist 🙂
Hihi als ich von Deinen Schwierigkeiten mit den „Mandarins von Paris“ las, war ich kurz davor 2 Pullen Rotwein unter den Arm zu klemmen und loszuradeln – das muss ausdiskutiert werden 😉
Liebend gerne, ich stehe auf dem Balkon und halte Ausschau! 😉
Ein toller Bericht.So konnte ich ein bisschen mitreisen und mich wundern übers Essen und die heißen Bäder. Und die Schlafmatten. Aber dafür gibt es ja den ganzen Tag phantastische Eindrücke. Ich freue mich auch schon auf den zweiten Teil – und packe auf jeden Fall einer meiner bisher ungelesenen Murakamis in den Rucksack.
Viele Grüße, Claudia
Also, dass ich keinen Murakami in den Rucksack packe, ist ja klar 🙂 Aber dafür jeden Inoue, den es in deutscher Übersetzung gibt 🙂
Ein toller Reisebericht, es freut mich, dass Du das so genießen konntest und den „Daheimgebliebenen“ weitergibst!
War klar mit dem Murakami 😉 Hattest Du mir nicht Herrn Inoue empfohlen? War auf jeden Fall eine gute Wahl.
Erwähnt habe ich den Herrn Inoue bestimmt – der Japaner, der den Nobelpreis bekam (für den Herr Murakami ja schon seit Jahren gehandelt wird)
Spannender Reisebericht! Habe ich sehr gerne gelesen. 🙂 Hard-Boiled Wonderland habe auch noch auf dem Bücherstapel liegen. Mit dem Plan das Buch auf jeden Fall noch dieses Jahr zu lesen und jetzt bin ich umso gespannter. Ich habe nicht groß Reviews gelesen und wusste rein vom Klappentext weniger über das Buch, jetzt habe ich eher einen Eindruck was mich erwartet. Und ich freue mich drauf! Habe schon einige Murakamis gelesen, aber etwas mehr ‚cyber‘ darf gerne mal sein.
Finde ich ja wahnsinnig spannend, dass ihr wandern wart und in Ryoukans übernachtet habt. Muss man die alle einzeln buchen und habt ihr das eher kurzfristig noch buchen können oder muss man das auf sehr lange Sicht planen? Lese ja viel über Japan und Reisen, aber da habe ich gar kein Zeitgefühl.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Bericht. Ich mag Murakami, aber ich denke, dass Murakami nur bedingt für Japan.
Wen ich Dir unbedingt ans Herz legen möchte, ist Yukio Mishimas Spring Snow aus der Tetralogie Sea of Fertility.
Mishima steht nicht für das heutige Japan, aber seine Lektüre ist sprachlicher Hochgenuss. Verglichen wird er oft mit Dostojewski.
Liebe Grüße
Midori
Danke für den Tipp – werde nach Mishima Ausschau halten. Bin ja nach wie vor ein wenig im Japan Fieber 😉 Herzliche Grüße … Sabine
Nachtrag: Ich halte Mishima für keine Sommerlektüre, eher für herbst- oder wintergeeignet.
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