Kein Buch für zarte Gemüter. Habe selten ein Buch erlebt, in dem so derart viel geflucht, geschimpft, gesoffen, schwanzgelutscht und Mormonen-Bashing betrieben wird, wie in diesem. Ich bin da ja eher hart im nehmen, aber ich hab auch gelegentlich geschluckt bei der Wortwahl und dennoch, ich halte Marshalls Biografie für ein überaus lesenwertes Buch.
Als Dan den Anruf bekommt, dass sein Vater Bob an ALS erkrankt ist, läuft es gerade so richtig gut für ihn. Er ist ganz erfolgreich in seinem ersten Job direkt nach dem College, führt eine glückliche Beziehung mit seiner Freundin und geniesst in Kalifornien das gute Leben und die Freiheit vom Elternhaus. Und dann kommt der Anruf und von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr wie es war. Daddy is krank. Please come home.
Die Art Anruf, die wohl jeder von uns zutiefst fürchtet. Dan will die Signifikanz der Diagnose anfangs nicht wahrhaben, doch nach kurzem Zögern fährt er doch heim. Seine gutsituierte Familie lebt in einer fetten Villa in Salt Lake City, als eine der wenigen Nicht-Mormonen. Seine Mutter ist eine erfahrene Chemotherapie Veteranin, die seit 1992 mit einer Krebserkrankung kämpft und eigentlich der sterbende Elternteil in der Familie war. Jetzt gehören 100% seiner Eltern zum Team Totgeweiht.
Bob war bislang der ruhende Pol der Familie. Der Besitzer einer Reihe kleinerer Zeitungen, der sich gleichzeitig um seine 4 Kinder und seine kranke Frau kümmerte und in seiner Freizeit Marathons lief, ist gerade einmal 53, als die Krankheit ihn erwischt und die ihn nach und nach völlig lähmt und am Ende erstickt.
Debi, die Mutter, bittet ihre Kinder, nach Hause zu kommen und die Pflege des Vaters zu übernehmen. Sie selbst ist wieder einmal inmitten einer Chemotherapie, die ihr mächtig zusetzt. Sie ist schwach, die Medikamente verursachen bei ihr ein verwirrtes Chemo-Hirn und sie kann daher nicht wirklich viel helfen bei der Pflege. Auch von Dans Schwestern ist wenig Hilfe zu erwarten. Tiffany, die älteste Tochter ist zu beschäftigt mit ihrem Studium, ihrem Job und ihrem Freund „Big cock Brian“ und die beiden jüngeren Schwestern sind noch im Teenageralter und alles andere als eine Stütze.
Die 17-jährige Michelle hat ein Alkoholproblem und eine heimliche Affäre mit ihrem fast 20 Jahre älteren Fußballtrainer, aber die die 14-jährige Chelsea hat Asperger, denkt an nichts anderes als Tanzen und leidet mit am meisten unter der Krankheit ihres Vaters, die sie, so gut sie kann, zu ignorieren versucht.
Daher fällt Bobs Pflege in die Hände von Dan und seinen Bruder Greg, der gerade in Illionois ein Studium begonnen hatte und die Freiheit genossen hatte, seine Homosexualität frei ausleben zu können, etwas, das im stockkonservativen Utah ziemlich undenkbar ist. Sie bauen das Schlafzimmer in ein Krankenzimmer um und kümmern sich so gut sie können um ihren Vater. Sie lernen Beatmungsgeräte zu nutzen, wischen ihm den Po ab, baden und füttern ihn. Sie programmieren seinen Stephen Hawking mäßigen Kommunikator, gerne auch mit Sprüchen wie „Boy I could use a Blowjob“ – trotzdem es ist Erwachsenwerden im Schnelldurchlauf.
Das Team Totgeweiht gibt alles im Kampf gegen die Krankheit der Eltern. Die Geschwister sind nicht unbedingt Vorzeigekinder, wie sie im Buche stehen, aber die Liebe zu ihren Eltern, insbesondere zum sterbenden Vater, sickert regelrecht durch die Seiten durch. Sie kümmern sich liebevoll und reißen dabei die dreckigsten, derbsten Witze die man sich nur vorstellen kann.
Bob Marshall hat sein Schicksal und die liebevollen, aber oft chaotischen und zotigen Pflegebemühungen recht stoisch akzeptiert. Ich heule nicht so schnell bei Büchern, war auch bis kurz vor Schluss überzeugt, das mir das hier nicht passiert, aber fuck hat es mich dann doch mitgenommen.
„Mom, jeder von uns macht irgendwas Besonderes mit Dad, bevor er in vierundreißig Tagen stirbt, nur du nicht. warum?“ fragte ich.
„Das mache ich doch“ sagte sie.
„Neben ihm Joghurt zu essen und fast abzukratzen ist jetzt nicht so besonders.“
„Nur damit du’s weißt, er bekommt jeden Tag einen Blowjob von mir, bis er stirbt“ sagte sie so stolz, als würde sie für wohltätige Zwecke spenden oder Obdachlosen Essen geben.
„Jeden Tag einen Blowjob? Das sind eine Menge Blowjobs.“ sagte ich. „Aber die hast du ja schon seit der Highschool drauf.“
„Ach sei still du kleiner Kackefresser. Eines Tages hast du keine Mutter mehr, die du so beschissen behandelt kannst“ sagte sie. „Und nur fürs Protokoll, ich kann das richtig gut. Er liebt es.“
Neben Bob ist für mich ganz eindeutig Debi die Heldin der Geschichte, die Mutter, die kampferprobte Chemo-Amazone, die schon vor ihrer Erkrankung fluchen konnte wie ein Matrose und die alle zusammenhält.
Zartbesaitete Seelen oder Mormonen sollten die Finger lassen von dem Buch, allen anderen kann ich es wirklich ans Herz legen.
ALS ist ein Arschloch von Krankheit, das Buch hat das auf drastische und unsentimentale Weise klargemacht. Seit der Ice Bucket Challenge ist es ziemlich still geworden, daher möchte ich das Buch hier daher gerne versteigern und den Erlös der http://www.alsa.org spenden. Falls es jemanden gibt, der es gerne hätte, bitte per Kommentar Bescheid. Startgebot sind 10,- € Ich werde am Ende 50,- € drauflegen. Ich hoffe, es kommt was zusammen.
Das Buch ist im Atrium Verlag erschienen.
Wenn doch alle über ihre Familie Klartext reden würden…
Die Idee mit der Versteigerung finde ich klasse! Aber leider schreckt das Buch mich etwas, auch wenn Du es recht klasse beschreibst – aber dass in der Familie so ziemlich alles zusammenkommt, finde ich irgendwie überspitzt. Also – beim nächsten Versteigerungsversuch bin ich dann dabei oder ich spende einfach so …
Ist aber eine wahre Begebenheit, manchmal kommts echt dicke.
Liebe Grüße 🙂
Das klingt nach einem Buch, das ich dringend lesen muss. Warum hab ich das denn bisher verpasst?!
Ich steige mit 12,- € ein.
Ich find die Idee toll und erhöhe auf 15 Euro.
Ich hab zu spät hier gelesen und das Buch schon gekauft (runtergeladen *bine.ne.nase.dreht*), aber ich biete trotzdem mit und würde es dir dann überlassen, einen zu Beschenkenden auszuwählen. Erhöhe somit auf 18 EUR.
woohoo – danke Ela xoxo
Coole Idee — das kann doch Schule machen 😉
Zoten und Pflege Todkranker passt eigentlich gut zusammen. Habe ich im Heim festgestellt, in dem meine Mutter die letzten Jahre war. Und auch sonst. Eltern sind lästig. Aber wenn sie sterben, geht noch mal eine ganz andere Tür auf.
Dan ist ein weisser verwöhnter kleiner Scheisskerl, aber ich liebe ihn 😉
stimmt 😉
Solange es nicht „Feuchtgebiete“ ist … 🙂
Ihr Lieben, ich lasse das hier ein paar Tage laufen und schaue mal, ob ich noch etwas Aufmerksamkeit dafür bekommen kann und dann fällt Mittwoch um 18.00 Uhr der Hammer 🙂
Danke für den Lesetipp. Die Wortwahl war teils echt heftig, aber das hat mich nicht davon abgehalten, Tränen zu vergiessen (ok, bin eh nah am Wasser), speziell zum Ende des Buches hin. Weil ich hoffe ja doch immer noch irgendwie 😦
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Ich hab das Buch direkt gelesen, als es bei mir war. Ich war erstaunt, dass ALS in so kurzer Zeit zum Tode führen kann – das war mir nicht bewusst. Die Wortwahl des Buches fand ich nicht so arg schlimm, viel mehr hat mich gewundert, dass es doch für mehr Menschen als ich dachte völlig normal ist, sich ständig volllaufen zu lassen. Insgesamt ein sehr sehr gutes Buch, aber ich hab auch geheult wie ein Schlosshund.