Die schlappen 3600 km von Montreal nach Calgary wollte ich dann doch nicht, wie zuerst geplant, per Zug zurücklegen, wir hätten sonst unseren Urlaub ein wenig verlängern müssen. Was natürlich grundsätzlich eine wunderbare Sache gewesen wäre, hätte man unendlich viele Urlaubstage. So aber ging es ab in den Flieger und nach etwa 4,5 Stunden landeten wir in der Cowboy-Metropole Calgary. Wir waren platt nach dem Flug, unser Hotel ziemlich außerhalb der Stadt, daher machten wir keinen Abstecher in die Stadt, sondern wälzten Karten und planten die Route der nächsten Tage.
Ich bin sonst nicht so der große Autofahrer, da ich mich da drin immer schnell langweile, aber in Kanada und insbesondere auf der Strecke zwischen Calgary – Banff – Icefield Parkway und Jasper gibt es so unglaublich viel zu sehen. Hier mal ein paar Impressionen:
Die Entfernungen sind gigantisch, man fährt stundenlang an ewigen Wäldern und einer so beeindruckenden Landschaft vorbei, als wäre man permanent in einem National Geographic Magazin mit den Fotos des Jahres.
Das Kanada auch eine beeindruckende Tierwelt zu bieten hat, war mir natürlich klar. Ich dachte aber, wenn wir Bären, Wölfe etc. sehen wollen, dann müssen wir uns ab 4 Uhr früh auf dem Bauchnabel stundenlang in irgendwelchen Büschen verstecken und mit einer Hightech-Kamera-Ausrüstung das weit entfernte Wild erwischen. Das wir quasi permanent Elche, Bären, Rentiere, Murmeltiere etc. sehen, einfach so beim Wandern oder aus dem Autofenster heraus, das hat mich wirklich überrascht.
Vom Banff Nationalpark fuhren wir über den Icefield Parkway zum Jasper Nationalpark. Dann ging es weiter nach Clearwater und über Kelowna zum Manning Provincial Park. Ich habe keine Ahnung, wo ich es am schönsten fand. Immer wenn man dachte, jetzt haben wir aber wirklich die schönste Ecke gesehen, kam wieder ein Ausblick um die Ecke, der einem schier den Atem nahm. Wir haben großartige Wanderungen und Radltouren gemacht, sind geschwommen und Kajak gefahren und großen Spaß machte uns auch das Stargazing im Jasper Observatorium. Wir hatten auch wahnsinniges Glück mit dem Wetter. Durchgehend sonnig und teilweise fast etwas zu warm, aber dann gab es ja immer bald wieder einen See oder einen Fluss, in den man springen und sich abkühlen konnte.
Wobei ich zugeben muss, dass wir ab und an in der Einsamkeit der Wälder schon etwas Schiss hatten, einem Bären zu begegnen, zumal wir auch ohne Bärenspray, Trillerpfeife oder sonstigem unterwegs waren. Wenn es uns arg unheimlich wurde, haben wir laut Musik angemacht, denn man soll unbedingt auf sich aufmerksam machen und Bären gibt es wirklich reichlich in den Nationalparks.
Den einzigen richtigen Regentag hatten wir auf unserem Weg von Jasper nach Clearwater. Nach den grandiosen kanadischen Rocky Mountains waren die stundenlangen Nadelwälder bei tiefgrauem Himmel schon ein bisschen depri.
Ein paar Nächte unseres Urlaubs verbrachten wir in einfachen Motels, in Clearwater hatten wir ein Häuschen an einem See, auf das wir uns grundsätzlich freuten. Aber die Anfahrt dorthin war heftig. Das wir auch noch einen 100 km Umweg fuhren auf einer krassen Schotterpiste half der Laune an dem grauen Dauerregentag nicht wirklich. Zumal wir irgendwann das Gefühl hatten, es hätte eine Zombie-Apokalypse gegeben die wir irgendwie auf unserer einsamen Autofahrt verpasst haben. Stundenlang haben wir keine Menschenseele gesehen. Selbst kleine Örtchen (sprich 2-3 Häuser) lagen vollkommen verlassen da und wir hätte sehr gerne mal nach dem Weg gefragt. Aber am Ende war alles gut. Wir wurden mit einem Traumhäuschen am See belohnt, Menschen tauchten auch wieder auf und am Abend kam sogar die Sonne raus.
Auch für diesen Strecken-Abschnitt hatte ich natürlich lektüretechnisch vorgesorgt. Es gibt wirklich kein besseres Werk als Annie Proulx „Barkskins“ das einem die Geschichte Kanadas und seiner Einwohner näherbringt.
Ende des 17. Jahrhunderts kommen zwei junge arme Franzosen, René Sel und Charles Duquet, in New Frankreich an. Drei Jahre lang müssen sie einem Feudallord, einem „Seigneur“, zu Diensten stehen, um von ihm ein Stück Land zu bekommen. Die beiden arbeiten für ihn als Holzfäller, „Barkskins“ genannt. René erträgt ziemliche Qualen im Wald, den er lichten soll. Sein Seigneur zwingt ihn dazu, eine Mi’kmaw Frau zu heiraten und seine Nachfahren sind zwischen den beiden sich feindselig gegenüberstehenden Kulturen gefangen.
Duquet dagegen ist ein ziemlich durchtriebener gewissenloser Typ. Er brennt eines Tages durch, schließt sich ein paar Pelzhändlern an und steigt später ins Holzgeschäft ein.
Proulx erzählt die Geschichte der Nachfahren von Sel und Duquet über die nächsten 300 Jahre – ihre Reise von Kanada über Nordamerika, nach Europa, China und Neuseeland teilweise unter heftigsten Bedingungen. Sie erzählt von Rache, Unfällen, Seuchen, Indianer-Überfällen und über die fast komplette kulturelle Auslöschung der kanadischen Ureinwohner. Wieder und wieder nehmen die Siedler sich von jeder Ressource soviel sie nur können, in dem irrigen Glauben, es mit unendlichen Vorräten zu tun zu haben. Ihre späteren Nachfahren bringen es fast an den Rand des ökologischen Kollaps.
There were fewer Mi’kmaq every year and whitemen laughed and said with satisfaction that in forty more years they would be gone, gone like the Beothuk, vanished from the earth. It seemed true. There had never been so few Mi’kmaq since the beginning of time, less than fifteen hundred, the remains of a people who had numbered more than one hundred thousand in the time before the whitemen came.
“How big is this forest?” asked Duquet in his whinging treble voice. He was scarcely bigger than a child.
“It is the forest of the world. It is infinite. It twists around as a snake swallows its own tail and has no end and no beginning. No one has ever seen its farthest dimension.”
Der eigentliche Protagonist in diesem epischen Werk ist der Wald. Ein Buch, das wirklich prädestiniert dazu ist, in den kanadischen Wäldern gelesen zu werden. Es ist aber kein einfaches Buch. Wie fast alle Bücher von Annie Proulx ist da was schroffes, kantiges, an das man sich gewöhnen muss.
Ich bin den Charakteren im Buch nicht wirklich nahe gekommen, kam mir mehr wie ein Beobachter am Rande vor. Aber trotz der emotionalen Distanz war das ein großartiges Buch insbesondere, wenn man sich für die Geschichte Kanadas und seiner Ureinwohner interessiert.
Auf deutsch erschien das Buch unter dem Titel „Aus hartem Holz“ im Luchterhand Verlag.
Nach einem Treffen mit Freunden in Kelowna, die mit ihrem Camper aus Seattle rübergefahren waren, verbrachten wir noch etwas Zeit im Manning Provincial Park. Dann ging es wieder in eine richtige Großstadt, nach soviel Natur hab ich mich auch durchaus darauf gefreut …
Von unserem letzten Teil der Reise nach Vancouver und Vancouver Island würde ich euch im dritten Teil berichten, falls ihr noch Lust habt.
Hier geht es noch zu den Berichten über die erste und dritte Etappe unserer Kanada-Reise.
Aber sowas von Lust auf den dritten Teil 😉 Eine meiner liebsten Freundinnen hat ein Jahr lang in Winnipeg und ein Jahr in Vancouver gelebt, studiert, gearbeitet. Sie war so unglaublich begeistert von Kanada, dass sie heute noch davon schwärmt 😉 Aus hartem Holz liegt noch auf dem Stapel und wird gleich nach oben wandern … LG
Hach wie toll. Bei Bären hätte ich ja auch sowas von die Hosen voll. Kanada will ich mir auch irgendwann mal anschauen. Ich habs nur einmal kurz rübergeschafft bei den Niagarafällen 2009, aber davor und danach noch nicht wieder. Die Bilder sind einfach beeindruckend. Ich liebe die Natur zwar auch, aber ich lebe gern in der Großstadt und muss gestehen, dass mir zuviel Natur auf Dauer dann echt auf den Zeiger geht xD
Einfach mal DANKE für deine ausführlichen Reiseberichte und die tollen Fotos hier und auf Instagram – ein wunderbarer Ersatz dafür, dass ich vorerst nicht selbst nach Kanada reisen kann. 🙂
Ihr scheint eine großartige Zeit in diesem beeindruckenden Land erlebt zu haben. Auf jeden Fall machen die Einblicke Lust aufs Wandern durch die Wälder!
Sehr sehr gerne – freue mich, wenn es gefällt und ich euch ein bisschen mitnehmen kann in dieses tolle Land!
Traumhaft! Ich interessiere mich ja brennend für die Natur und Geschichte Nordamerikas, kann aber mit diesem anderen Land auf dem Kontinent nicht so viel anfangen (vor allem derzeit…), da ist Kanada ja die perfekte Lösung. Irgendwann mal, falls ich irgendwann wieder die Mittel für sowas habe. Barkskins hab ich hier liegen, muss ich dringend mal lesen!
Wenn ich deine Schilderungen lese, bin ich 100% bei dir und bekomme Gänsehaut bei den Beschreibungen. So viele Ausblicke, so viele schöne Erinnerungen, die immer wieder hochkommen und deine Bilder, da will ich gleich wieder hin. Kanada wäre ein Land, da würde ich hin auswandern. Gastfreundlich, interessiert und eine Natur, die größtenteils noch respektiert wird.
Dann werde ich das Buch wohl doch mal in die Hand nehmen. Hatte es bisher zwar im Hinterkopf, aber auch nicht als zwingende Lektüre angesehen.
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Was für großartige Bilder, da packt mich unendliches Fernweh 😀 Und ich mag dein Format “ … by the book“ sehr. Es gelingt mir leider nicht immer ein Buch zur Hand zu haben, dass in dem Land oder der Stadt spielt, die ich gerade bereise