Carmilla – Joseph Sheridan Le Fanu

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Le Fanu hat mit seiner Vampirin „Carmilla“ nicht nur Stoker zum wohl berühmtesten Vampir der Welt „Dracula“ animiert, in vielerlei Hinsicht hat er mit Carmilla auch das absolute Gegenstück zum heterosexuellen, adretten Grafen erschaffen.

„Carmilla“ ist eine von Frauen dominierte Geschichte, sie ist homoerotisch, mehrdeutig, vielschichtig und rätselhaft. Bei Le Fanu ist der Vampir nicht das absolut böse, verblühte Etwas, sondern eine wunderschöne, geheimnisvolle Fremde, die überall gerne nach Hause eingeladen wird und die Herzen ihrer Gastgeber gewinnt.

Carmilla wird ähnlich wie in Mulholland Drive ein Spiegelbild der jungen Laura, die sich mehr und mehr zu Carmilla hingezogen fühlt, wodurch eine ganz andere Art von Horror entsteht, wenn es eben nicht um die Zerstörung eines abgrundtief bösen verwelkten Monsters geht, sondern jemanden, den man irgendwie auch liebt.

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Foto: Rawgraff

Die letzten Jahre haben uns mit Vampirgeschichten ziemlich überrollt. Von Buffy über Twilight zur wundervollen Jim Jarmusch Verfilmung „Only Lovers left alive“ und daher erscheint einem vieles schnell als Cliché. Eine junge Frau wird Tag für Tag schwächer, sie schläft schlecht, ist nervös – klar, da muß ein Vampir in der Nähe sein. Daher musste ich mich gelegentlich daran erinnern, dass all das für Le Fanus Leser absolut neu war und nichts mit Cliché zu tun hatte.

“But to die as lovers may – to die together, so that they may live together.”

Überrascht hat mich, dass es durchaus richtig gruselig zugeht in dem Buch. Da waren ein paar Absätze, die fand ich wirklich unheimlich. Nicht das ich Autoren des 19. Jahrhunderts das nicht zutraue, aber einige Szenen hatte ich so nicht erwartet. Die Szenen wenn Carmilla Blut saugt, waren gleichzeitig erotisch, aber auch verdammt krass.

Was mich aber vielleicht am meisten überrascht hat war die, wenn überhaupt nur äußerst knapp verstecke, homoerotische Sexualität. Das muß beim Erscheinen des Buches für ziemliches Aufsehen gesorgt haben. Le Fanu gehört ja doch eher zu den englischsprachigen Mainstream Autoren und bei Sätzen wie hier

… my strange and beautiful companion would take my hand and hold it with a fond pressure, renewed again and again; blushing softly, gazing in my face with languid and burning eyes, and breathing so fast that her dress rose and fell with the tumultuous respiration. It was like the ardour of a lover; it embarrassed me; it was hateful and yet overpowering; and with gloating eyes she drew me to her, and her hot lips travelled along my cheek in kisses; and she would whisper, almost in sobs, „You are mine, you shall be mine, and you and I are one for ever“

dachte ich einfach nur – Wow. Hätte nicht erwartet, dass ich in dem Buch die Jagd- und Verführungstechniken weiblicher Vampire von jungen Frauen präsentiert zu bekommen. Oder Le Fanus Erklärung, dass, wie bei dieser Art von Liebe und Lust nicht anders zu erwarten sei, der Vampir nicht allein nach dem Blut, sondern auch nach Körperlichkeiten hungert. Noch mal wow.

Jetzt aber auch nicht falsch verstehen, anzüglicher als in dem Zitat oben wird es nicht, aber für die Zeit denke ich trotzdem eine kleine Sensation.

„Carmilla“ ist eine wundervolle unheimliche, verführerische kleine Novelle, die sich meines Erachtens hinter Bram Stoker’s Dracula nicht verstecken muß. Mir tat Carmilla ein wenig leid. Aber gut, man kann wohl nicht unbegrenzt junge Edeldamen aussaugen, auch wenn die noch so abgelegen leben, ohne das irgendwann das Gerede anfängt …

„Carmilla“ ist mehrfach verfilmt worden. Die vielleicht beste Verfilmung dürfte die von Roger Vadim aus dem Jahr 1961 sein:

Carmilla ist im Zarglossus Verlag erschienen.

10 Kommentare zu “Carmilla – Joseph Sheridan Le Fanu

  1. Ich kenne den Original-Text nicht, habe aber mal eine Graphic Novel-Version gelesen (illustriert von Lisa K Weber) und Du hast recht – an einigen Stellen wird das wirklich ganz schön gruselig. Allerdings erinnert mich Deine Rezension daran, dass ich den eingentlichen Text seit Ewigkeiten schonmal lesen wollte. Danke für die Erinnerung – kommt auf die Frühjahrs-Liste!

  2. Hab mal vor ewigen Zeiten ‚Onkel Silas‘ von ihm gelesen, ist auch so ein Klassiker der Schauer-Literatur, war glaub ich ganz ok, soweit ich mich noch erinnere…

  3. Ah, vielleicht doch mal im Original lesen. Ich kenne nur die deutsche Übersetzung (bei Diogenes), die ich als etwas altbacken oder angestaubt in Erinnerung habe – nicht ohne Charme, aber doch weit von der in der Tat staunenswerten Modernität entfernt, die aus den oben zitierten Passagen spricht.
    Was ist denn der englische Name für Steiermark?

  4. Ich habe wirklich viel Zeug aus dem 19. Jahrhundert gelesen (insbesondere Phantastik) und kann dir bestätigen, dass Le Fanu für seine Zeit sexuell tatsächlich außergewöhnlich deutlich wurde. Ich habe aber, obwohl ich zu dem Thema intensiv recherchiert habe, nirgendwo Hinweise auf einen damaligen Skandal gefunden. Ich vermute, das liegt daran, weil gerade im viktorianischen England phantastische Literatur dafür benutzt wurde, die unterdrückte Sexualität verschlüsselt auszuleben. Auch „Dracula“ ist ja so ein Buch, dessen Seiten voll sind mit „verbotener“ Sexualität – wenn man genau hinschaut.
    Was die Gedanken zur Qualität der deutschen Übersetzungen von „Carmilla“ anbelangt, habe ich mich hier darüber ausgelassen und Übersetzungen verglichen: https://dandelionliteratur.wordpress.com/2014/01/12/j-sheridan-le-fanu-carmilla-1872/

      • Obwohl „Carmilla“ wirklich zu meinen absoluten Lieblingsgeschichten zählt, habe ich bisher sonst noch nichts anderes von Le Fanu gelesen. Versucht habe ich es zwar, allerdings scheiterte es an den fürchterlichen Übesetzungen. Die meisten Übersetzungen sind entweder uralt oder auf alt getrimmt. Ich habe einen Geschichtenband aus dem Insel Verlag, dessen Übersetzung wirklich grausam ist. Da wird „woman“ mit „Weib“ übersetzt…
        Dann gibt es noch einen Kleinverlag, der zwei dicke Romane von Le Fanu in modernen Übersetzungen rausgebracht hat, aber keine Reaktion zeigte, als ich um ein Rezensionsexemplar bat. Daher kann ich darüber nichts sagen.
        Auf jeden Fall sind die neben „Carmilla“ berühmtesten Werke „Uncle Silas“, „Green Tea“ und „Schalken the Painter“.

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