The Master and Margarita – Mikhail Bulgakov

IMG_4654„Manuscripts don’t burn“ schreibt ausgerechnet Bulgakov, dem brennende Manuskriptseiten vermutlich durchaus bekannt sein dürften. Die meisten seiner Werke landeten auf dem Index, seine Stücke wurden oft nach wenigen Aufführungen abgesetzt und verboten. Er selbst hat unermüdlich weitergeschrieben, wenn auch meist für die Schreibtischschublade und wer weiß, ob nicht die eine oder andere Manuskriptseite aus Frust im Feuer gelandet ist.

Die Bookclub November-Lektüre „The Master and Margarita“ war keine leichte Kost, aber die Mühe und das Dranbleiben lohnt sich, es ist ein unglaubliches Buch.

Inspiriert wurde Bulgakov von Goethes „Faust„. Bulgakovs Mephistopheles ist Woland, der mit seiner teuflischen Truppe im stalinistischen Moskau der Dreißiger Jahre ordentlich Chaos anrichtet. Dieses Chaos war Bulgakovs Weg, Rache zu nehmen an der verstockten sowjetischen Gesellschaft, die ihn und sein Werk ein Lebenlang unterdrückte.

“But would you kindly ponder this question: What would your good do if
evil didn’t exist, and what would the earth look like if all the shadows
disappeared? After all, shadows are cast by things and people. Here is the
shadow of my sword. But shadows also come from trees and living beings.
Do you want to strip the earth of all trees and living things just because
of your fantasy of enjoying naked light? You’re stupid.”

Ganz besonders die Kunst- und Literaturszene bekommt ihr Fett weg, die damals angesagten Autoren und Literaturkritiker, die Bulgakov hasste. Seine Satire macht auch vor den Unmengen an Bürokraten und Aktenschiebern nicht Halt, zeigt wie absurd einfach es war, Leute verhaften zu lassen oder in Irrenanstalten abzuschieben. Er hält den Finger auf die Alltags-Absurdität dieser Moskauer Gesellschaft unter Stalins Herrschaft.

Kein Wunder also, dass sich jede Menge seiner Charaktere im Laufe der Geschichte in der Irrenanstalt wiederfinden, einem der wenigen Orte im Buch, in dem es einigermassen vernünftig zugeht.

Viele Menschen glaubten damals, dass viele der Verfolgungen, Verhaftungen, idiotischen Verordnungen auf dem Mist der Bürokraten gewachsen waren und sich alles sofort bessern würde, wüßte Stalin nur von diesen Dingen.

Auch Bulgakov suchte bei Stalin Unterstützung, er war Stalins Lieblingsautor, wie dieser verlauten ließ, und 1929 schreibt er ihm einen persönlichen Brief und bittet ihn darum, die Sowjetunion verlassen zu dürfen, wenn es für ihn in keine Verwendung als Autor gäbe. Stalin ruft in auch tatsächlich an und fragt ihn, ob er die Sowjetunion wirklich verlassen wolle. Bulgakov antwortete, dass ein russischer Schriftsteller nicht außerhalb seines Heimatlandes leben könne. Daraufhin bekam er von Stalin die Erlaubnis, am Art Theater weiterzuarbeiten, allerdings hatte diese Erlaubnis keinerlei Einfluß auf die Veröffentlichung seiner Werke, die nach wie vor nicht erfolgte.

Bulgakov arbeitet ab 1928 über zehn Jahre lang am „Meister und Margarita“. Seine letzten Jahre waren für ihn aus unterschiedlichen Gründen schwer. Gesundheitlich schwer angeschlagen, durch Verletzungen aus dem ersten Weltkrieg sowie eine vom Vater geerbte Nierenkrankheit, der er letztendlich auch erliegen sollte sowie depressive Phasen, wenn er für sich und sein Werk partout keine Hoffnung sah.

Kurz vor Fertigstellung des Manuskripts schrieb Bulgakov an seine dritte Frau Yelena Shilovskaya (die die Inspiration für den Charakter Margarita im Buch ist):

„What’s its future? you ask? I don’t know. Possibly, you will store the manuscript in one of the drawers, next to my „killed“ plays, and occasionally it will be in your thoughts. Then again, you don’t know the future. My own judgement of the book is already made and I think it truly deserves being hidden away in the darkness of some chest …“

Kurz vor seinem Tod organisierte Bulgakov eine private Lesung des „Masters and Margarita“ vor einem Kreis enger Freunde. Yelena Bulgakova erinnert sich noch 30 Jahre später in ihrem Tagebuch: „When he finally finished the reading that night, he said: „Well, tomorrow I am taking the novel to the publisher!“ and everyone was silent“, „…Everyone sat paralyzed. Everything scared them. One friend later at the door fearfully tried to explain to me that trying to publish the novel would cause terrible things“.

Auch wenn man nicht immer ganz sicher ist, was gerade passiert, die Geschichte ist stellenweise irre komisch, die Charaktere teilweise so liebenswert. Man will einfach wissen, wie es weitergeht mit Woland, der weit weniger dämonisch ist wie Mephistopheles und jedem das Schicksal beschert, das jeder einzelne verdient hat.

“You’re not Dostoevsky,‘ said the citizeness, who was getting muddled by Koroviev. Well, who knows, who knows,‘ he replied.
‚Dostoevsky’s dead,‘ said the citizeness, but somehow not very confidently.
‚I protest!‘ Behemoth exclaimed hotly. ‚Dostoevsky is immortal!”

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Foto: adme.ru

Der „Master“ setzt mit seiner Figur allen unterdrückten Schriftstellern ein ewiges Denkmal und seine Margarita ist einfach ein Goldstück. Obwohl der Meister und Margarita im Titel des Buches sind, war ich überrascht, dass ihre Geschichte nur einen kleinen Teil des Buches ausmacht und sie bis zum zweiten Teil des Buches gar nicht auftauchen.

Es ist aber nicht nur ein Buch, bei dem man sich auf schwarze Magie, Entführungen, Enthauptungen, sprechende Katzen und eine Menge anderer verrückter diabolischer Einfälle einlassen muss, es ist auch eine wunderschöne Liebesgeschichte.

Margarita hat keine Angst vor dem Teufel. Sie agiert als seine Balldame, und fliegt als Hexe auf einem Besen über Moskau in der Hoffnung ihren Liebhaber, den Meister, wiederzufinden. Dieser sitzt derweil in der Psychiatrie. Sein Buch über Pontius Pilatus und einer etwas anderen Variante der Verurteilung Jesus‘ wurde von den kleingeistigen gesetzestreuen Verlegern abgelehnt. Das führt bei ihm zum kompletten Kollaps, er verbrennt sein Manuskript und endet in der Psychiatrie.

Das Manuskript ist am Ende aber wieder da, denn wie wir ja wissen: „Manuscripts don’t burn“

Eine sehr schöne Rezension zu „Der Meister und Margarita“ findet ihr auch hier bei Muromez.

“Everything will turn out right, the world is built on that.”

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Der Meister und Margarita“ im dtv Verlag.

Thérèse Raquin – Emile Zola

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Ja mei so kanns gehen, wenn man als arme abgeschobene Verwandte mit dem schwächlichen, ewig kränkelnden, reichlich asexuellen Cousin verheirat wird. Der erste dahergelaufene glück- und ambitionslose Typ wird zum Inbegriff der Männlichkeit und Thérèse beginnt eine animalistisch-heiße Affäre mit ihm. Nur durch diese Affäre scheint sie die immer gleichen trüben Tage im düsteren Kurzwarenladen in Gesellschaft ihrer langweiligen Tante und die Nächte mit dem dauerhustenden Camille zu überstehen.

Nur kann so eine Affäre natürlich nicht ewig andauern, ohne dass irgendwann der Wunsch entsteht, der unerträglichen Langeweile zu entkommen und die sexuellen Erfüllungen zum Dauerzustand werden zu lassen. Die beiden Lover Thérèse und  Laurent fangen dann irgendwann an mit den Gedankenspielen, was wäre wenn? Wäre es nicht wundervoll, Camille hätte einen Unfall ? Und wenn das Schicksal da so unwillig ist zu helfen, könnte man ja vielleicht selbst diesem Unfall etwas nachhelfen ….

Und dann ist es tatsächlich geschehen. Ein Ausflug zu dritt am Wochenende, eine kleine Bootspartie und schwups ist er weg, der Camille. Wer jetzt glaubt, Zola hätte seinen Protagonisten auch nur einen Hauch an Hoffnung und Happy End zugestanden, kann gleich wieder heimgehen. Nope. In seinem, wie er selbst im Vorwort sagt, psychologischen Experiment mit zwei animalischen Charakteren steht jahrelange psychische Qual, Depressionen und Unglück auf dem Programm. Keine einzige glückliche Minute ist den beiden schuldigen Liebhabern jemals wieder vergönnt, bis sie am Ende der inzwischen gelähmten Mutter alles gestehen und sich gemeinsam vor deren Augen mit einem Giftbecher aus dem Leben verabschieden.

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Wer glaubt Dostojewski geht mit seinen Protagonisten brutal um, dem zeigt Zola hier, das auch er alles andere als ein Weichei ist. Unsere Diskussion im Bookclub war entsprechend anregend.

Ein drittel des Buches beschäftigt sich mit dem psychischen und moralischen Verfall der beiden Protagonisten. Es sind nicht wirkliche Schuldgefühle, die Camille und Thérèse zeigen. Sie leiden heftigst an ihren vom Unterbewusstsein verursachten Ängsten und Wahnbildern. Zola selbst war Atheist und hat sicherlich bewusst der Religiösität in diesem Roman keinen Raum gegeben. Moral benötigt keine Religion.

Zola hat seiner Zeit entsprechend einen sehr mechanischen Blick auf die Welt. Die Welt als Labor. Man nehme zwei animalische Charaktere, packe sie in folgende Situation und heraus kommt unweigerlich x. Thérèse und Camille nehmen eine sehr statische Entwicklung. Die menschliche Natur wird rein wissenschaftlich betrachtet. Der Autor als Wissenschaftlicher, getrennt durch Laborwände von seinen Protagonisten. Da gönnt Zola Thérèse und Laurent keinerlei Tage der Euphorie, in dem sie ihr gemeinsames Glück kurz geniessen, dann gefolgt von Tagen voller Angst und Düsternis. Nein, einfach kontiniuerlich mechanisch. Mord, daraufhin Angst und Depression, daraufhin Geständnis und Selbstmord. Fertig. Experiment abgeschlossen.

Zolas Roman zeigt deutlich, wessen Zeites Kind er war 😉 Dieser unerschütterliche Glaube an die Wissenschaft, die Empirie, die gerade aufkommende Psychologie faszinieren mich immer wieder. Auch wenn gerade psychologische Interpretationen schneller altern als der Zeitgeist es erlaubt, die Diskussion war spannend, ein Roman den ich jedem Bookclub und natürlich auch jeder Einzelperson nur ans Herz legen kann.

Durch die traditionelle Erzählweise sehr zugänglich mit einer Handlung, die sich chronologisch und stringent entwickelt. Keine schwierige literarische Kost, aber wer Hoffnung sucht, der wird sie finden, nur eben nicht in diesem Roman. Ich hätte mir mehr Facetten bei der psychologischen Betrachtung der Charaktere gewünscht und etwas mehr Ambivalenz, aber so war sie eben nicht die Zeit des Herrn Zola.

Emile Zola gilt als Begründer des Naturalismus. Daneben war er Publizist und Journalist. In der „Dreyfus-Affäre“ schrieb er den berühmten offenen Brief an den französischen Staatspräsidenten „J’accuse„, in dem er den zu Unrecht des Staatsverrates angeklagten jüdischen Hauptmann Alfred Dreyfus verteidigt. Zola musste für ein Jahr nach London ins Exil und sein Name ist ab dann unauflöslich mit der Dreyfus-Affäre verbunden.

Thérèse Raquin ist 2013 unter dem Namen „In Secret“ unter der Regie von Charlie Stratton verfilmt worden. Er hat gemischte Rezensionen bekommen, ich fand ihn recht dicht am Buch und er hat mir ganz gut gefallen. Damit ihr Euch nicht auch wie ich die erste halbe Stunde des Films kontinuierlich den Kopf zerbrecht, woher zur Hölle ihr Camille kennt, verrate ich es euch vorab 😉 Tom Felton ist Draco Malfoy in den Harry Potter Verfilmungen.

Hier der Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=L58WBZDHP1s

Cannery Row – John Steinbeck

 

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An dieser Lektüre ist ganz eindeutig Ms Autumn Schuld, die mir mit ihrer grandiosen Rezension derart Lust auf dieses Buch gemacht hat, dass ich es umgehend einkaufen und in die Urlaubskiste werfen mußte. Und ? HELL YES! Es hat sich gelohnt, aber sowas von. Das ist ein wirklich unvergessliches Buch und ich kann gar nicht so genau sagen warum.

Ich denke, es liegt an der Atmosphäre die dieses kleine Büchlein heraufbeschwört. Steinbeck schreibt so derart beruhigend, so wundervoll ich würde mich nicht wundern, wenn die Lektüre blutdrucksenkend wirkt. Er beschreibt Menschen am Rande der Gesellschaft die versuchen aus den Karten das beste herauszuholen die ihnen das Leben ausgeteilt hat. Die versuchen freundlich und gut zu sein und denen das häufig mißlingt. Einfach weil das oft so ist. Weil man die Absichten hinter den Taten oft nicht erkennt, weil man häufig gerade die Menschen am heftigsten verletzt, die man am meisten liebt. Aber die wenigsten Leute wachen morgens auf und denken „heute werde ich mal ein richtiges Arschloch sein“. Manchmal gelingt das mit dem Gut sein und manchmal eben nicht.

Die Menschen hier kämpfen für jedes kleine Glück, geben nicht auf, erleben Rückschläge und stehen fast immer wieder auf.

„It has always seemed strange to me…The things we admire in men, kindness and generosity, openness, honesty, understanding and feeling, are the concomitants of failure in our system. And those traits we detest, sharpness, greed, acquisitiveness, meanness, egotism and self-interest, are the traits of success. And while men admire the quality of the first they love the produce of the second.“

Die Handlung spielt in Monterey, Kalifornien und erzählt skizzenhaft die Geschichten der Einwohner mit besonderem Fokus auf die versuchte Überraschungsparty für Doc. Alle lieben Doc aufgrund seiner fast schon übertriebenen Großzügigkeit und seiner Herzlichkeit und so sehr sie versuchen ihm zu danken, am Ende zahlt er immer drauf.

“Doc would listen to any kind of nonsense and turn it into wisdom. His mind had no horizon – and his sympathy had no warp. He could talk to children, telling them very profound things so that they understood. He lived in a world of wonders, of excitement. He was concupiscent as a rabbit and gentle as hell. Everyone who knew him was indebted to him. And everyone who thought of him thought next, ‚I really must do something nice for Doc.”

a636a9cc4f2f98095829fcfb8c92157dFoto: Flavorwire

“Cannery Row in Monterey in California is a poem, a stink, a grating noise, a quality of light, a tone, a habit, a nostalgia, a dream. Cannery Row is the gathered and scattered, tin and iron and rust and splintered wood, chipped pavement and weedy lots and junk heaps, sardine canneries of corrugated iron, honky tonks, restaurants and whore houses, and little crowded groceries, and laboratories and flophouses. Its inhabitant are, as the man once said, „whores, pimps, gambler and sons of bitches,“ by which he meant Everybody. Had the man looked through another peephole he might have said, „Saints and angels and martyrs and holymen“ and he would have meant the same thing.”

„Two generations of Americans knew more about the Ford coil than the clitoris …“

Doc fährt tagsüber an der Pazifik-Küste entlang, sammelt Meeresgetier um es weiterzuverkaufen, um abends auf seinem Grammophon klassische Musik zu spielen, in seiner umfangreichen Bibliothek Lesungen für die Nachbarschaft abzuhalten, Bier zu trinken und gelegentlich die eine oder andere örtliche Schönheit zu verwöhnen.

Mir gefallen die Einfachheit seiner Charaktere, die ehrliche Art und Weise wie sie ihr Leben anpacken und die Chuzpe, mit der sie ihre Karten ausspielen und sich nicht als Opfer sehen. Das Glück will raus, egal wie sehr die Umstände oft tonnenweise Geröll draufpacken.

Steinbecks Scharfsinn, seine Wärme und Klugheit geben einem das Gefühl, ein klügerer und vielleicht sogar ein kleines bisschen besserer Mensch zu sein, als vor der Lektüre. Es macht Lust, alles hinter sich zu lassen, einfach loszulaufen und unterm Sternenhimmel zu schlafen und sich auf spannende Begegnungen mit allen möglichen Leuten zu freuen.

“Look at them. There are your true philosophers. I think that Mack and the boys know everything that has ever happened in the world and possibly everything that will happen. I think they survive in this particular world better than other people. In a time when people tear themselves to pieces with ambition and nervousness and covetousness, they are relaxed. All of our so-called successful men are sick men, with bad stomachs, and bad souls, but Mack and the boys are healthy and curiously clean. They can do what they want. They can satisfy their appetites without calling them something else.”

Hab dann aber doch genug Realist in mir, der mir vom Schlafen unterm Sternenhimmel aufgrund Unmengen von Creepy Crawls abrät. Dann schnapp ich mir lieber ein Bier, setz mich in den Garten und höre mir Docs Playlist an.

Wie sagt Herr Scheck immer so schön? Vertrauen Sie mir – lesen Sie dieses Buch. Sag ich jetzt auch und Ms Autumn stimmt mir auch zu, bin sicher.

“How can the poem and the stink and the grating noise – the quality of light, the tone, the habit and the dream – be set down alive? When you collect marine animals there are certain flat worms so delicate that they are almost impossible to capture whole, for they break and tatter under the touch. You must let them ooze and crawl of their own will onto a knife blade and then lift them gently into your bottle of sea water. And perhaps that might be the way to write this book – to open the page and let the stories crawl in by themselves.”

Doc’s Playlist:

Monteverdi – Hor ch‘ el Ciel e la Terra
Scarlatti – Concerto Grossi
Beethoven – Große Fuge
Ravel – Pavane to a dead Princess
Ravel – Daphnis et Chloé
Bach – Brandenburgische Konzerte
Debussy – Clair de Lune
Debussy – The Girl with the flaxen hair
Beethoven – Mondscheinsonate
Monteverdi – Lamento della Ninfa – Amor
Monteverdi – Ardo
Gregorian Chants

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Die Straße der Ölsardinen“ im dtv Verlag.

Women – Charles Bukowski

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Bukowski lesen ist ein Kurztrip in die Hölle. Ein paar Seiten reichen und ich war einfach nur dankbar, dass ich es nur mit Bildern in meinem Kopf zu tun haben würde, nicht aber noch mit Gerüchen, die aus dem Buch kommen könnte. What a dirty smelly old man – krass!

Wer Bukowski lesen will, muss bereit sein, sich drauf einzulassen, prophylaktisch sollten alle etwaig vorhandenen Stöcke aus dem Hintern entfernt und jegliche ideologische, feministische oder moralische Weltsicht bis zum Ende der Lektüre sorgsam auf Seite deponiert werden.

„Women“ war meine erste Begegnung mit Bukowski und ganz erholt hab ich mich glaube ich noch nicht von der Erfahrung 😉 Auf Seite 15 etwa habe ich mich erst einmal verpisst und mich nach diesem Dialog seinen Gedichten gewidmet:

„Look“, I said, „I know your tragedy.“
„What?“
„I know your tragedy.“
„What do you mean?“
„Listen,“ I said, „just forget it.“
„I want to know.“
„I don’t want to hurt your feelings.“
„I want to know what the hell you’re talking about.“
„O.K., if you give me another drink I’ll tell you.“
„All right.“ Lydia took my empty glass and gave me half whiskey, half-water. I drank it down again.
„Well?“ she asked.
„Hell, you know.“
„Know what?“
„You’ve got a big pussy.“
„What?“
„It’s not uncommon. You’ve had two children.“

Jaaaa, nicht wirklich ein Absolvent der Wiener Charmeschule. Aber die Gedichte, zu denen ich mich dann vorübergehend geflüchtet habe, sind richtig gut. Auch Briefe wie dieser sind Seiten seiner Persönlichkeit,die zeigen, dass er mehr ist als einfach nur ein sexistischer, notgeiler Typ.

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Fast jeder, der „Women“ liest, macht eine ähnliche Erfahrung. Man ist abgestossen und kann es doch nicht weglegen, es ist wie einem Autounfall zuschauen. Nach der siebten oder achten Kotzorgie habe ich wieder mal gedroht, Chinaski in die Ecke zu treten, um dann, gerade als ich es zum Wurf bereit in der Hand hatte, mit einem weiteren kleinen Goldstückchen belohnt zu werden, das in einer Menge Unrat schwamm. Mehr als einmal habe ich mich gefragt „WTF – warum lese ich das?“ und hab dann weitergeblättert.

Wir haben das Buch im Bookclub gelesen (spannende Diskussion auf jeden Fall) und ein E-Reader machte interessante Statistik-Spielereien möglich. „Vomit“ kam nur schlappe 19 mal vor, gefühlt hat er sich für mich auf jeder Seite übergeben 😉 Dafür „Cunt“ glaube ich 38 mal, auch „mount“  und „dick“ waren recht vorn dabei. Hab leider vergessen, mir genaue Daten zu notieren.

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„I never pump up my vulgarity. I wait for it to arrive on its own terms.“

Bukowski beschönigt nichts. Er bezeichnet sich selbst als „dirty old man“ ich möchte ihm da nicht widersprechen. Ob wir wollen oder nicht, wir schauen ihm einfach fasziniert angeekelt zu, wie er sich nochmal übergibt, die nächste Frau besteigt, sich Vodka-Infusionen legt und nach und nach macht sich das Gefühl breit, Bukowski ist das beschissenste und gleichzeitig stellenweise Beste (Gedichte!) was man lesen kann.

„Love is alright for those who can handle the psychic overload. It’s like trying to carry a full garbage can on your back over a rushing river of piss.“

Für Absätze wie diese hat sich die Lektüre für mich definitv gelohnt. Die Gewalt, die Vergewaltigung, seine Lächerlichkeit haben mich oft ziemlich abgestossen. Wenn man weiß, woher er kommt, die tiefen Verletzungen erkennt, die er in der Kindheit erlitten hat, wird einem vieles klarer „Love is a Dog from Hell“.

Ist kein Freifahrtschein, aber ich habe einiges besser verstanden.

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Das Liebesleben der Hyäne“ bei dtv.

Die Zelle – Horst Bienek

IMG_1484 Horst Bienek war für mich bis zur Lektüre dieses Buches eigentlich nicht viel mehr als ein Name, ein Schriftsteller aus den 70er Jahren, der mich aus irgendeinem Grund an Alfred Biolek erinnerte. Gelesen hatte ich bislang noch nie etwas von ihm und hätte es nicht vor einer Weile eine Aktion auf Facebook gegeben, bei der man 10 Bücher nennen sollte, die einen im Leben sehr beeinflusst haben und eine gute Freundin  „Die Zelle“ in diesem Zusammenhang nannte – es könnte gut sein, dass er komplett an mir vorbeigegangen wäre.

Um so mehr freue ich mich, dass ich dieses Buch gelesen habe. Der 1930 geborene Bienek wurde 1946 aus Schlesien vertrieben und landete in Berlin, wo er als Volontär bei der Potsdamer Tagespost arbeitete. Dort entdeckte ihn Bertholt Brecht und holte ihn wenig später als seinen Meisterschüler an das Berliner Ensemble. 1951 wurde Horst Bienek in Ostberlin verhaftet und wegen angeblicher Spionage für den amerikanischen Geheimdienst zu 20 Jahren Arbeitslager verurteilt. Davon verbrachte er drei Jahre  in Workuta, nördlich des Polarkreises, bis er 1955 entlassen wurde.

Es muss im Übrigen deprimierend für Bienek gewesen sein, dass Brecht sich während des Prozesses in keinster Weise für seinen Schüler eingesetzt hat. Die Erfahrungen im Straflager verarbeitete Bienek unter anderem in seinen Werken „Traumbuch eines Gefangenen“  oder in „Die Zelle.“ Ein 58-jähriger Zeichenlehrer aus Ostberlin wird in einem DDR-Gefängnis in totaler Isolation gehalten. Er wartet auf ein Verhör, das nicht stattfindet und wir erleben den physischen und psychischen Zerfall eines Menschen, der auf seine absoluten Grundbedürfnisse reduziert wird.

Bienek experimentiert mit dem Konzept der „lazarenischen Literatur“ nach dem französischen Schriftsteller Jean Cayrol. Monologisch und mit Wiederholungen arbeitend, erlebt man die Abstumpfung und Verzweiflung hautnah und so dünn das Büchlein mit seinen 158 Seiten auch ist, es ist kein Buch, das man in einem Rutsch durchlesen kann. Es nimmt einem stellenweise die Luft zu atmen. Da ist kein Wort zuviel, keines zu wenig, jedes an genau der richtigen Stelle. Man glaubt fast, die brüchige, monotone Stimme des Erzählers zu hören, der in seiner Zelle flüsternd da sitzt, mit realen oder nicht realen Mitgefangenen kommuniziert und dem mehr und mehr die Realität durch die Finger gleitet. „Auch das Vergessen läßt sich erlernen“ glaubt er, aber der Versuch, sein früheres Leben zu vergessen, um die Isolation und Gefangenschaft irgendwie ertragen zu können, scheitert. Der Gefangene versinkt im Dunkel.“

Ein Buch, das seltsam fesselnd ist und nicht mehr los lässt. Wer nochmal sagt, Kafka sei deprimierend, dem drücke ich dieses Buch in die Hand. Dann wissen sie, was deprimierend ist. Krass, was Menschen einander antun, aber auch, was man alles überstehen kann.

„dies also mein schmerzender Körper, und unter ihm der Strohsack, und darunter die Holzpritsche, und noch tiefer, ganz unten, ein grauschwarzer Zementfußboden, um mich herum drei Wände und eine Tür: drei weißgetünchte Wände, eine blaugestrichene Eisentür, über mir eine weißgetünchte Decke, ihre Entfernung zu mir, zu meinem flach ausgestreckten Körper, ist schwierig auszumessen; früher, als ich noch laufen konnte, habe ich manchmal versucht, die Entfernung vom Fußboden oder von der Pritsche bis zur Decke auszumessen: mit der Länge meines Zeigefingers, mit der Spannweite meiner Hand oder einfach mit den unsicheren Hilfsmitteln des Auges, es ist mir nie gelungen.“ FullSizeRender

Foto: Maggie S. instagram.com/tigramgros

Im Cafe der verlorenen Jugend – Patrick Modiano

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Der zweite Versuch, mich dem Literaturnobelpreisträger 2014 zu nähern, denn mein erster Versuch mit „Der Stammbaum“ war nicht recht gelungen. Modiano hat einen sehr speziellen Stil, seine Bücher sind kleine Wunderwerke, die das Paris der 60er Jahre wieder auferstehen lassen und sie wirken wie schwarz-weiß-Aufnahmen, entzückend melancholische, bittersüße nostalgische Träumereien.

Es passiert gar nicht viel in diesem Buch über eine junge mysteriöse Frau. Sie sucht häufig ein Cafe auf, das Stammlokal einer Clique junger Leute, immer mit einem Buch in der Hand. Sie ist schön und mysteriös und scheint sich für obskure esoterische astronomische Theorien zu interessieren. Die Stimmen von vier unterschiedlichen Männern erzählen von der jungen Frau Louki, von ihrem Leben und ihrer Liebe. Aber nicht das, was sie erzählen, macht Louki aus, sondern was sie nicht über sie erzählen. Was man erahnt, die Schatten der Vergangenheit, die Unzuverlässigkeit von Erinnerungen, Gefühle und Liebe, die mal war und gerne noch wäre. Modiano erzählt mit unwiderstehlicher Eleganz,  ein Ton, der sich wie ein Ohrwurm festsetzt.

Der Leser liest zwischen den Zeilen, versucht selbst zusammen zu basteln, was eigentlich passiert ist. Der Autor leistet da nur wenig Hilfe. Verstreute Erinnerungen, ob wahr oder nicht, schweben durch die Straßen und schaffen dabei eine Atmosphäre, die einen unverzüglich die Nachtzug-Fahrpläne nach Paris checken lassen.

„Man will eben Bindungen schaffen, verstehen Sie…
Natürlich verstand ich das. In diesem Leben, das uns manchmal vorkommt wie eine große Brachfläche ohne Wegweiser, inmitten all dieser Fluchtlinien und verlorenen Horizonte, würde man gern Bezugspunkte finden, eine Art von Kataster anlegen, um nicht länger das Gefühl zu haben, dass man sich ziellos treiben lässt. Also knüpft man Beziehungen, versucht, ungewissen Zufallsbekanntschaften zu festigen.“

Modianos Bücher haben einen ganz bestimmten Rhythmus, ein langsames Schlingern wie ein Boot auf einem nebligen See. Einfach die Atmosphäre geniessen und damit leben können, dass man seine kleinen literarischen Detektivgeschichten nicht wirklich lösen kann. Als Modiano erfuhr, den Literaturnobelpreis gewonnen zu haben sagte er: „“I always have the impression that I write the same book, which means it’s already 45 years that I’ve been writing the same book,” – von daher können wir uns mit dem Lösen seiner Rätsel auch noch etwas Zeit lassen.

Einfach ins Cafe gehen mit einem seiner Bücher und eintauchen in den schwarz-weiß Nebel seiner Geschichten.

Regeneration – Pat Barker

RegenerationMehr oder weniger zufällig habe ich dieses Jahr einige Bücher gelesen, die im Ersten Weltkrieg spielen. Ob es die diversen 100-Jahre-1. Weltkrieg-Erinnerungsveranstaltungen waren, die mich dazu brachten oder ob es Zufall ist, ich weiß es nicht genau. Pat Barker’s „Regeneration“ ist auf jeden Fall schon sehr lange auf meiner „To-Read-Liste“. Mitte der 90er Jahre war die Trilogie in aller Munde und Pat Barker gewann auch den Booker Prize für den dritten Band „The Ghost Road“.

„Regeneration“ ist der erste Band in der Serie, der sich hauptsächlich mit den psychologischen Effekten beschäftigt, die durch den Krieg bei den Soldaten ausgelöst wurden. Die Geschichte spielt in Craiglockheart, einem Militär-Hospital in Schottland, das sich auf die Behandlung von „Shellshock“ und andere Kriegstraumata spezialisiert hat.

Barker vermischt sehr gekonnt Fakten und Fiktion. Wir treffen einige historische Persönlichkeiten wie die Poeten und Schriftsteller Siegfried Sassoon, Robert Graves, Wilfrid Owen und den Psychologen Rivers, die tatsächlich zeitgleich in Craiglockheart waren. Im Vordergrund der Geschichte stehen die unterschiedlichen Behandlungsmethoden sowie der Einfluß, den die psychologischen Wunden auf die Persönlichkeit der Männer und die Gesellschaft haben.

Sassoon, ein hochdekorierter, desillusionierter Soldat hat in einem öffentlichen Schreiben im Juli 1917 gegen die Fortführung des Krieges und die damit zusammenhängenden Ungerechtigkeiten und Unaufrichtigkeiten sowie die enorme Menge an Kriegsopfern protestiert. Der Brief sorgt für einen Skandal – die Armee fürchtet eine Untermininierung der Kampfesmoral in der Heimat und ist nicht sicher, was sie mit dem aufrührerischen Sassoon machen sollen.

“I am making this statement as an act of wilful defiance of military authority because I believe that the war is being deliberately prolonged by those who have the power to end it. I am a soldier, convinced that I am acting on behalf of soldiers. I believe that the war upon which I entered as a war of defence and liberation has now become a war of aggression and conquest. I believe that the purposes for which I and my fellow soldiers entered upon this war should have been so clearly stated as to have made it impossible to change them and that had this been done the objects which actuated us would now be attainable by negotiation. I have seen and endured the sufferings of the troops and I can no longer be a party to prolong these sufferings for ends which I believe to be evil and unjust. I am not protesting against the conduct of the war, but against the political errors and insincerities for which the fighting men are being sacrificed. On behalf of those who are suffering now, I make this protest against the deception which is being practiced upon them; also I believe it may help to destroy the callous complacency with which the majority of those at home regard the continuance of agonies which they do not share and which they have not enough imagination to realize.”

Sein guter Freund Robert Graves sorgt dafür, dass Sasson nach Craiglockheart geschickt wird, anstatt ihn als Deserteur hinzurichten. Sassoon wehrt sich gegen die Idee, sich von einem Psychologen behandeln zu lassen, aus Sorge, als verrückt zu gelten und sein eigentliches Anliegen – der Protest gegen die Weiterführung des Krieges – damit aus dem Fokus gerät.

Er trifft dort auf Dr. Rivers, einen Psychologen, der seine Patienten ermuntert, ihre Kriegserlebnisse zu verbalisieren und versucht sie durch Gesprächstherapie zu heilen. Er symphatisiert mit seinen Patienten, leidet mit ihnen, wenn sie ihm von den schrecklichsten Horrorszenarien erzählen, ist aber grundsätzlich für eine Weiterführung des Krieges. Die Patienten leiden an den unterschiedlichsten Sympthomen. Manche sind stumm, andere erbrechen sich pausenlos, viele zittern und fast jeder hat Alpträume. Rivers versucht Sassoon dazu zu bewegen nach Frankreich zurückzukehren und weiterzukämpfen, um nicht als Feigling zu gelten.

Sassoon steht nicht im Mittelpunkt der Geschichte wie man anfangs eventuell glauben könnte, sondern eine ganze Reihe Protagonisten, die im Hospital behandelt werden. Prior zum Beispiel, der durch ein schreckliches Erlebnis im Schützengraben die Sprache verloren hat, sich aber nicht mehr daran erinnern kann. Durch Hypnose schafft er es schließlich, sich daran zu erinnern und hat große Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass das schreckliche Erlebnis nicht eine große Heldentat seinerseits war sondern „nur“ ein Kamerad der vor seinen Augen in die Luft gesprengt wurde. Überhaupt sind die psychologische Natur ihrer Erkrankungen ein riesiges Problem für die Soldaten.

Für sie sind Nervenkrankheiten, Hysterie etc. Frauenkrankheiten, sie schämen sich aufgrund solcher Probleme im Hospital zu sein und nicht aufgrund körperlicher Verwundungen. Der Horror und die unglaublich große Anzahl an Männern mit psychologischen Traumata konnten irgendwann nicht mehr ignoriert werden. Die Geschichte beschäftigt sich auch mit Klassen-Fragen. Die Art und Weise wie einfache Soldaten und Offiziere behandelt werden, ob an der Front und wenn sie verwundet sind, unterscheiden sich fundamental voneinander. In Craiglockheart werden nur Offiziere behandelt. Prior hat einen Arbeiterhintergrund und sich mühselig in der Armee nach oben gedient, ihn beschäftigen die Klassenfragen und die unterschiedlichen Behandlungsweisen enorm.

Rivers steht für die Ambivalenz der Ansichten in dieser Zeit. Er leidet mit seinen Patienten, steht für eine fortschrittliche humane Behandlungsmethode, die aber eben nur Offizieren angedeiht wird. Er entscheidet sich im Laufe der Geschichte eine Position in London anzunehmen in einem Hospital, das sich ebenfalls auf die psychologische Behandlungen von Soldaten spezialsiert hat, allerdings einfache Soldaten. Er nimmt an einer brutalen Elektro-Schockbehandlung von Dr. Yealland, einem anderen Psychologen, teil, dessen einziges Ziel es ist, jeden Soldaten wieder zum Sprechen und zum äußerlich normalen und dienstfähigen Soldaten zu machen. Die Art und Weise, wie er dabei vorgeht und die Opfer, die dafür gebracht werden müssen, sind ihm völlig egal. Rivers entscheidet sich nach Craiglockheart zurückzukehren, angewidert von den brutalen Behandlungsmehtoden.

Eine weitere Rolle im Buch spielt Kameradschaft, Nähe und Liebe zwischen Männern. Sassoon’s Homosexualität wird  schon recht am Anfang des Buches klar. Sassoon wird für seinen Mut, seine Hingabe zu seinen Männern und die Liebe zu ihnen gerühmt, das ist eine Liebe die die Gesellschaft und auch die Armee gut findet, da sie glauben, dass es zu einer stärkeren Armee führt. Sassoon hat Schwierigkeiten zu akzeptieren, dass diese Liebe sogar noch bestärkt und dazu ermuntert wird, das aber die falsche Art von Liebe zwischen Männnern streng geahndet wird. Starke emotionale Bindungen zwischen Männern  und auch psychologisch kriegsversehrte wie Shell-Schock-Opfer befinden sich außerhalb der gesellschaftlich anerkannt und akzeptierten Regeln. Die Anerkennung würde eine Gefährdung der sozialen Order bedeuten.  Sassoon kämpft nicht nur für die Beendigung des Krieges, sondern unbewusst auch für eine stärkere Akzeptanz männlicher Emotionalität und seine eigene Homosexualität.

Mich hat das Buch sehr bewegt, ich werde sicherlich auch die anderen Teile der Trilogie lesen. Wie sehr der Erste Weltkrieg die Welt verändert hat, wird einem nach der Lektüre noch einmal klarer. Zwar ist die Hoffnung nicht erfüllt worden, dass die Menschen aus diesem grausamen Schlachtfest gelernt haben und es danach nie wieder Krieg geben wird, aber die Gesellschaften sind zumindest in zum Teil stärker zusammengewachsen.

„Men said they didn’t tell their women about France because they didn’t want to worry them, but it was more than that. He needed her ignorance to hide in. Yet, at the same time, he wanted to know and be known as deeply as possible. And the two desires were irreconcilable.”

“The way I see it, when you put the uniform on, in effect you sign a contract. And you don’t back out of a contract merely because you’ve changed your mind. You can still speak up for your principles, you can still argue against the ones you’re being made to fight for, but in the end you do the job.”

“And as soon as you accepted that the man’s breakdown was a consequence of his war experience rather than his own innate weakness, then inevitably the war became the issue. And the therapy was a test, not only of the genuineness of the individual’s symptoms, but also of the validity of the demands the war was making on him. Rivers had survived partly by suppressing his awareness of this. But then along came Sassoon and made the justifiability of the war a matter for constant, open debate, and that suppression was no longer possible. At times it seemed to Rivers that all his other patients were the anvil and that Sassoon was the hammer. Inevitably there were times when he resented this. As a civilian, Rivers’s life had consisted of asking questions, and devising methods by which truthful answers could be obtained, but there are limits to how many fundamental questions you want to ask in a working day that starts before eight am and doesn’t end till midnight.”

“On the face of it he seemed to be congratulating himself on dealing with patients more humanely than Yealland, but then why the mood of self-accusation? In the dream he stood in Yealland’s place. The dream seemed to be saying, in dream language, don’t flatter yourself. There is no distinction.”

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel Niemandsland im dtv Verlag.

Ein Kapitel aus meinem Leben – Barbara Honigmann

honigmann

Es ist schwer sich vorzustellen wie es ist, wenn man mit zwölf oder dreizehn Jahren mitbekommt, dass die eigene Mutter mit DEM Doppelagenten und Meisterspion Kim Philby in den 30er Jahren verheiratet war. Wie hätte ich mich wohl in dieser Situation verhalten? Barbara Honigmann hat nicht wirklich viel von der Vergangenheit ihrer Mutter erfahren. Die war – ob von Natur aus oder antrainiert – eine sehr geheimnisvolle Frau. Eine, die wohl wenn möglich nicht log, aber doch nie ganz die Wahrheit sagte, die wenn sie log, versuchte, dicht an der Wahrheit zu bleiben und die mit allem stets im Vagen blieb und die sich für ihre eigene Vergangenheit nicht wirklich interessierte, zumindest nur äußerst ungern darüber sprach und sich rigoros jeglichen Interviews verweigerte.

So ist Barbara Honigmann großgeworden, so hat sie ihre Mutter gekannt und geliebt und so habe ich es mir dann auch erklärt, dass sie nie wirklich nachgeforscht hat, keine Reisen an die Lebensstationen ihrer Mutter unternommen hat, nicht mit Zeitgenossen gesprochen hat, das macht dieses Buch so außergewöhnlich und auch interessant.

Sie hat über das Kapitel im Leben ihrer Mutter so geschrieben, wie sie es von ihrer Mutter erzählt bekommen hat. Sie hat durchaus interpretiert und für sich nach Erklärungen gesucht, aber nicht als investigative Journalistin. Viele Fragen bleiben offen, aber letztendlich ist es ja dieses offene und ungeklärte, das so bezeichnend für die Mutter war. Alles war unklar. Lisa, Lizzy oder doch Litzy Kunstmann oder Honigmann? War der Geburtstag am 1. oder 2. Mai ? Wann genau wurde sie von welchem Mann geschieden?

Für ihre Zeit war Honigmann’s Mutter eine sehr libertär lebende und denkende Frau. Eine Jüdin, die früh in die Kommunistische Partei eingetreten war, viele Ehemänner und Liebhaber hatte, auf den unterschiedlichen Stationen in ihrem Leben in Wien, London, Paris, Berlin wohl auch stets Verbindung zu Geheimdiensten unterhalten und die nur wenige Jahre vor ihrem Tod fast full circle wieder in Wien landet, erst dann aus der Kommunistischen Partei aus und in die Jüdische Gemeinde wieder eintritt.

Barbara Honigmann hat eine wundervolle, zärtlich liebevolle und auch poetische Geschichte über ihre Mutter geschrieben. Nach „Bilder von A.“ das zweite Buch das ich von ihr lese, aber ich denke nicht das letzte.

„Die Lebensbruchstücke meiner Mutter hatten alle scharfe Kanten.“

„Mein Vater hat mir sogar einmal gesagt, die Bindung an meine Mutter sei von Anfang an aus mehr freundschaftlichen Gefühlen erwachsen und nicht aus einer Leidenschaft der Liebe, deshalb war ihnen die Scheidung wohl besser gelungen als ihre Ehe, nach deren Zerbrechen die Freundschaft erst ihre eigentliche Form finden konnte.“

„Sie wünschte nämlich den „einfachen Menschen“ alles Gute, wenn sie ihr bloß nicht auf den Leib rückten.“

„Nur nicht aufhäufen, nur nicht sammeln und bewahren! Als müsse sie ein Schiff bei stürmischer See von Ballast befreien, warf meine Mutter ihr Leben lang alles weg, was nicht zu unmittelbarem Gebrauch bestimmt und von praktischem Nutzen war, alles, was ihrer Meinung nach das Schiff nur unnötig beschwerte.“

„Von der deutschen Familie, bei der meine Eltern in den allerersten Wochen in Pankow wohnten, sprach meine Mutter hingegen voller Verachtung. „Die haben sich immer nur selbst bemitleidet, von früh bis spät herumgeklagt und gejammert, wieviel Bettwäsche die Russen ihnen gestohlen hätten. Die Engländer habe ich während all der Kriegsjahre und Bombennächte in London nie jammern gehört.“

Und das war nur der Anfang ewiger Vergleiche zwischen den Deutschen und den Engländern, bei denen die Engländer eigentlich immer gut und die Deutschen immer schlecht wegkamen. Außer der Tatsache, daß sie die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt hatten, um sich dann auch noch selbst zu bemitleiden, konnte ihnen meine Mutter noch etwas anderes auf keinen Fall verzeihen: „Wenn du sie einmal zu dir nach Hause einlädst, merken sie einfach nicht, wann es wieder Zeit ist zu gehen. Engländer bleiben anderthalb Stunden, und dann ziehen sie sich zurück. Wie zivilisierte Menschen eben. Wer will sich schon stundenlang aussprechen!“

Das Buch ist im dtv Verlag erschienen.