Hannah Arendt – The Last Interview

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„Niemand hat das Recht zu gehorchen.“

Ich weiß gar nicht mehr, wie ich über die „Last Interview“-Reihe von Melville House gestolpert bin, in der die letzten öffentlichen Interviews interessanter Menschen herausgegeben werden, wie z.B. David Foster Wallace, Jorge Luise Borges, Ray Bradbury, Philip K. Dick und neben einigen anderen auch das letzte Interview mit Hannah Arendt.

Ich habe ja schon seit einer Weile einen Arendt-Fimmel und beschäftige mich recht intensiv mit ihr, daher war klar, dieses kleine wunderschöne Büchlein muß ich haben.

Die politische Theoretikerin/Philosophin wurde 1906 in Königsberg geboren und hat, wie sie ihrem Interviewer gegenüber mitteilte, das Wort Jude in ihrer Kindheit nie gehört. Ihr Vater starb ziemlich jung, ihre Mutter war Atheistin, von daher spielte Religion keine Rolle. Sie studiere 1924 für ein Jahr Philosophie bei Martin Heidegger in Marburg, mit dem sie einige Jahre lang eine Beziehung führte. 1926 ging sie nach Freiburg und studierte dort bei Edmund Husserl und promovierte 1928 bei Karl Jaspers.

Im Interview berichtet sie von ihrer Flucht aus Deutschland nach Paris im Jahr 1933, wo sie für eine Organisation arbeitete, die deutschen und polnischen jüdischen Jugendlichen die Flucht nach Palästina ermöglichte. Als Frankreich später ebenfalls von den Deutschen erobert wird, flieht sie erneut und läßt sich in den USA nieder.

“There are no dangerous thoughts for the simple reason that thinking itself is such a dangerous enterprise.”

„I don’t deny that thinking is dangerous, but I would say not thinking is even more dangerous.“

„The point is simply and singly whether I can say and print what I wish, or whether I cannot; whether my neighbors spy on me or don’t. Freedom always implies freedom of dissent.“

Schon ziemlich ironisch eigentlich, wenn man bedenkt, dass man ihr aufgrund ihrer Eichmann-Berichterstattung die Verharmlosung des Holocaust vorwirft und sie sich manch unsachlicher Beschimpfung ausgesetzt sah. Die Leser sind empört von ihrer Aussage, Eichmann sein nichts weiter als ein „Clown“ gewesen und keineswegs die Inkarnation des Bösen.

Sie erinnert ihre Leser daran, dass das beste Mittel gegen blinden Gehorsam wie den eines Eichmanns ist, sich an Sokrates Worte zu halten:  “It is better to be in disunity with the whole world than with oneself, since I am a unity.”

Eichmann in Jerusalem basiert auf Hanna Arendts Reportage für den New Yorker über die Verhandlung und Verurteilung von Josef Eichmann in Jerusalem. Arendt stellt darin die Ansicht zur Diskussion, das viele Nazi-Größen, wie Eichmann, nicht als unheimliche Monster dargestellt werden sollten, da ihnen das viel zu viel Ruhm gewärte. Nazis, wie Eichmann, sind kleine Bürokraten, die in vorauseilendem Gehorsam jedem -ismus hinterherlaufen.

„In other words: they just wanted to go along. They’re ready to go along with everything. When someone says to them, „You’re only one of us if you commit murder with us“ – fine. when they’re told, „You’re only one of us if you never commit murder“ – that’s fine too. Right? That’s the way I see it.“

Einer der Interviewer fragt Arendt gar:  “Is the criticism that your book is lacking in love for Jewish people painful to you?”

Das Büchlein enthält vier ausführliche und für heutige Verhältnisse erstaunlich tiefgehende Fernsehinterviews. Zwei Interviews aus dem Jahr 1964 mit den deutschen Journalisten Günter Gaus und Joachim Fest, ein Interview aus dem Jahr 1970 mit Adalbert Reif und das lezte Interview aus dem Jahr 1973 mit dem französischen Journalisten Roger Errera.

Die Interviewer sind alle sehr vertraut mit Arendts Schriften, die Fragen gehen gleich ohne großen Smalltalk auf Arendts Ansichten zu Politik, Watergate, jüdische Kultur, die verschiedenen -ismen (Totalitarismus, Kommunismus, Kapitalismus, Sozialismus) etc.

In diesem dünnen Bändchen steckt eine erstaunliche Menge an Weisheit. Arendts Ideen provizieren und es gibt keinen Zweifel, das sie eine der größten intellektuellen Denkerinnen des 20. Jahrhunderts war. Ihre Antworten sind durchdacht, informiert, ehrlich, mutig und sie blieb immer neugierig. Man kann diese Interviews nicht lesen, ohne ein bißchen wie Hannah Arendt werden zu wollen.

Und ich schließe mit ihrer Warnung vor jeglichen Glaubenslehren: “I have no exact political philosophy which I could summon up with one ism” 

Diese Reportage über Hannah Arendt „Die Pflicht zum Ungehorsam“ kann ich nur empfehlen:

 

Wer Lust auf einen Cocktail mit Hannah Arendt hat den lade ich ein sich hier entlang zu begeben, wo wir bei dem nach ihr benannten Getränk „Freiheit“ über eben solche diskutieren.

7 Kommentare zu “Hannah Arendt – The Last Interview

  1. Danke für diesen wunderbaren Beitrag. Hannah Arendt war eine großartige Denkerin. Und ich finde sie hat recht mit ihrer Aussage zur „Banalität des Bösen“ – es ist wohl in uns allen angelegt, böse Dinge zu tun, ob wir dem nachgeben, ist eine Entscheidungsfrage und das ist keine Verharmlosung der Dinge, die durch den Holocaust geschahen …

  2. Liebe Sabine,

    was für ein großartiger Beitrag! Ich persönlich habe im Zuge meines Soziologie- und Philosophiestudiums bereits einige Abhandlungen von Arendt gelesen und sie (die Texte und Arendt selbst) zu schätzen gelernt. Sie ist wirklich eine großartige Frau. Ganz besonders gefallen hat mir dein Satz „Man kann diese Interviews nicht lesen, ohne ein bißchen wie Hannah Arendt werden zu wollen.“ Dem kann ich nur beipflichten, so geht es mir nach jeder Lektüre von ihren Texten.
    Auch die von dir angeführte Reportage ist fantastisch und hat mich dazu animiert, mich eingehener mit der Thematik des zivilen Ungehorsams auseinander zu setzen.

    Vielen Dank für diesen wundervollen Beitrag!
    Ich wünsche dir einen schönen Sonntag!

    Herzliche Grüße
    Sabrina

    • Vielen Dank – freue mich sehr 🙂 Hannah Arendt ist großartig und ich freue mich immer, wenn ich ein wenig für sie werben und auf sie aufmerksam machen kann.

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