Gibt es ein Talent zum Glücklich sein? Darüber habe ich die Tage diskutiert, ich glaube es fast und falls dem so sein sollte, fürchte ich, Frau Highsmith war nicht übermässig mit diesem Talent ausgestattet. Wofür ihre Leser aber vielleicht sogar etwas dankbar sein sollten, denn so wenig schön das für sie selbst gewesen sein mag, vielleicht war genau das der Antrieb für ihre grandiosen Romane und Kurzgeschichten. Mein liebster Roman von ihr aus ganz persönlichen Gründen ist „Carol“ oder wie er auch heißt „The Price of Salt“.
Habe vor einer Weile schon bei Sätze & Schätze „Verschämte Lektüren“ über meine Beziehung zu dem Roman geschrieben und die Verfilmung, die kürzlich in die Kinos kam, hat mich dazu gebracht, den Roman nach langer Zeit noch einmal zu lesen, dies Mal in Englisch. Achtung Spoiler Alert. Dieses ist keine Rezension für Menschen, die das Buch oder den Film bislang nicht gesehen haben.
Der Roman ist rauher und kantiger als die Verfilmung. Es dauerte, bis ich mich den Protagonistinnen wirklich genähert hatte, sie waren oft anstrengend und ich wollte sie mehr als einmal schütteln. Highsmith lässt uns teilhaben an einer wundervollen bittersüßen Liebesgeschichte. Sie hat die komplizierten schmerzhaften Momente des Liebens und Geliebtwerdens, der Sehnsucht und der Ängste so gut verstanden, diese emotionale Ehrlichkeit in ihre ihr so eigenen einfache Sprache zu übersetzen. Sie ist eine scharfe Beobachterin, die ihre Protagonistinnen liebevoll begleitet, die kleinen Momente, die sehnsüchtigen Blicke, die Angst davor, entdeckt zu werden oder die Aufregung vor dem ersten Treffen ….
“I feel I stand in a desert with my hands outstretched, and you are raining down upon me.”
Die Idee für den Roman „The Price of Salt“ kam Patricia Highsmith kurz nach Veröffentlichung ihres ersten Romanes „Strangers on a Train“. Sie hatte zu der Zeit noch wenig Geld und arbeitete daher neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin in einem Kaufhaus als Sales Assistant. Dort traf sie eines Tages eine Kundin in einem Pelzmantel. Die Frau faszinierte sie so sehr, dass durch diese kurze Begegnung die Idee zum Roman geboren war. Innerhalb kürzester Zeit schrieb sie den Roman herunter, während sie mit Fieber das Bett hüten musste.
Inwieweit das Fieber eine Rolle spielte, weiß ich nicht, aber der Roman hat etwas von einem Fiebertraum und ich war von der ersten Seite an geködert, konnte das Buch nicht mehr weglegen und habe damals bei der ersten Lektüre glaube ich eine ganze Nacht durchgelesen, ich mußte einfach wissen, wie der Roman endet und lange sah es nicht sonderlich gut aus. Therese und Carol machen es einem nicht immer einfach, sie zu mögen, aber die ganze verführerische 50er Jahre Szenerie, die Mode, der oh so seltene „lesbian chic“, die zahllosen Martinis und Highballs, die Zigaretten, all das machen den Roman zu einem wunderbaren Juwel.
“It would be Carol, in a thousand cities, a thousand houses, in foreign lands where they would go together, in heaven and in hell.”
Schade, dass der Roman so lange einfach nur unter „lesbian romance“ einsortiert war, denn meines Erachtens steckt so viel mehr in diesem Buch. Es ist eine dunkle, oft melancholische Geschichte einer Befreiung, deren Charaktere sich mit einer Intensität umkreisen wie Raubtiere kurz vor dem Angriff. Es ist die Geschichte zweier Frauen auf einem Road Trip durch Amerika. Ein Roadtrip, der mich sehr an Nabokovs „Lolita“ erinnert hat, nur ohne die phädophilen Aspekte. Einige Leute bemängeln das fehlende Tempo im Buch, mir hat diese Langsamkeit eigentlich gerade gefallen. Dieser Road Trip in den 50ern im Hinterland Amerikas ist eine gute Metapher für die Beziehung zwischen Therese und Carol. Für das langsame Herantasten, die fehlende Orientierung und die Unsicherheit, wo sie landen werden.
“But there was not a moment when she did not see Carol in her mind, and all she saw, she seemed to see through Carol. That evening, the dark flat streets of New York, the tomorrow of work, the milk bottle dropped and broken in her sink, became unimportant. She flung herself on her bed and drew a line with a pencil on a piece of paper. And another line, carefully, and another. A world was born around her, like a bright forest with a million shimmering leaves.”
Im Nachwort des Romans schieb Patricia Highsmith, dass sie stets versuchte Labels zu vermeiden, die amerikanischen Verleger hingegen ganz verliebt seien in Labels. Ihre Verleger wollten ihr das Label „Crime Writer“ unhängen, sie lehnten das Manuskript von Carol mehrfach ab und bedrängten sie stattdessen, lieber einen weiteren Thriller zu schreiben. Highsmith wollte diesen Roman aber veröffentlicht sehen, sie publizierte ihn unter einem Pseudonym in einem anderen Verlag.
Wenn man überlegt, dass das auch durchaus das Ende ihrer Schriftstellerkarriere hätte sein können, die zu dem Zeitpunkt ja noch nicht einmal richtig begonnen hatte, war das ein durchaus mutiger Schritt. Für mich ist das großartige an diesem Roman auch nicht nur die wunderschöne Liebesgeschichte, sondern auch das Hinterfragen von Ehe und Familie und sie lässt Carol und Therese sehr konkret der Frage nachgehen, welchen Preis sie bereit sind zu zahlen, um ein eigenständiges Leben führen zu können, nach ihrem Gusto. Als wir das Buch im Lesekreis des Literaturhauses diskutierten, kam auch wieder die Frage nach dem alternativen Titel „The Price of Salt“ auf, ich denke er bezieht sich auf dieses Zitat:
„In the middle of the block, she opened the door of a coffee shop, but they were playing one of the songs she had heard with Carol everywhere, and she let the door close and walked on. The music lived, but the world was dead. And the song would die one day, she thought, but how would the world come back to life? How would its salt come back?“
Daher gefällt mir der Titel “The Price of Salt” fast noch besser als “Carol”.
Die Verfilmung fand ich im übrigen grandios, wie eine Filter-Nachbearbeitung des Buches. Es gibt ja viele Menschen, die mit den Instagram-Filtern nichts anfangen können, die es pur und realistisch wollen, ich bin ein Filter-Fan. Denn durch die Bearbeitung entsprechen die Fotos den Bildern in meinem Kopf, geben meinen Emotionen Ausdruck und das kann und muss sich nicht unbedingt mit der Realität decken. So habe ich das auch bei der Verfilmung empfunden. Die Oscar Pleite fand ich schon sehr schade. Rooney Mara zumindest hätte den Oscar als beste Nebendarstellerin (warum eigentlich Nebendarstellerin???) verdient, wenn schon sonst nichts.
Bekommt das Buch halt den Oscar und ich nen Martini – phhhh.
Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Carol oder Salz und sein Preis“ im Diogenes Verlag erschienen.
Hab ich mir vor ungefähr 20 – 25 Jahren im Zuge dessen, dass ich alles las, was mir von Patricia Highsmith in die Hände fiel, reingezogen. Eigentlich war das Buch thematisch nicht unbedingt im Zentrum meines Interesses, ich hab es aber nach wie vor in guter Erinnerung, mitunter war’s auch sehr anrührend-traurig, was soll man sagen, die Frau konnte halt schreiben…
Liebe Grüße,
Gerhard
Freut mich, dass es Dir auch gefallen hat 🙂
Ich habe es noch liegen und freue mich jetzt extrem auf die Lektüre!!
Ich wünsche Dir ganz viel Spaß 🙂
Eine schöne Würdigung dieses wunderbaren Buches … eins meiner liebsten der vielen, die ich von P. H. verschlungen habe. Und nicht zu vergessen Deine verschämte Lektüre dazu: https://saetzeundschaetze.com/2014/12/12/verschamte-lekturen-dramen-unter-damen/
Ui, sehr interessanter Artikel. Habe mich immer gefragt woher der Name des Buches kommt – danke für die Erklärung. 🙂 Warum Rooney Mara als Nebendarstellerin nominiert war und den Preis nicht bekommen hat, habe ich nicht verstanden. Für mich ist sie eigentlich der Hauptcharakter. Kann aber nur den Film bewerten.
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