Fiesta – Ernest Hemingway

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„Fiesta“ war mein Zusatz-Leseprojekt für den Bookclub, in dem wir im Juni „The Paris Wife“ diskutiert haben. „Reading another Hemingway for some extra points“ – da kann man doch nicht nein sagen. Es ist immer spannend, ein Buch nach vielen Jahren wiederzulesen. Ich konnte mich an wenig erinnern, außer das die Handlung zwischen Paris und Pamplona wechselt, viel getrunken wird und es unter anderem um Stierkämpfe geht. Und ich mochte es damals, trotz der Stierkämpfe. Ich war gespannt, wie gut „Fiesta“ ein Wiederlesen bekommen würde.

“I can’t stand it to think my life is going so fast and I’m not really living it.”

“Don’t you ever get the feeling that all your life is going by and you’re not taking advantage of it? Do you realize you’ve lived nearly half the time you have to live already?”

“Nobody ever lives their life all the way up except bullfighters.”

Die Schriftsteller der sogenannten „Lost Generation“ wurden vom ersten Weltkrieg vollkommen überrascht und in jeder Hinsicht durch ihn geprägt. Die Industrialisierung hat den Krieg in eine Menschen-Vernichtungsmaschine bis dahin unbekannten Ausmasses verwandelt, die die Menschheit für immer verändern sollte. In „Fiesta“ treffen wir Mitglieder dieser Lost Generation, die allesamt psychisch und/oder physisch vom Krieg gezeichnet sind.

“It is awfully easy to be hard-boiled about everything in the daytime, but at night it is another thing.”

Im Zentrum der Handlung steht Lady Brett Ashley, eine Bitch vor dem Herrn. Sie ist extravagant, extrovertiert, hat eine Affäre nach der nächsten und liebt doch eigentlich nur Jack, der im Krieg verletzt wurde und daraufhin – was ich erst reichlich spät begriffen habe – impotent ist. Ich glaube nicht, dass Lady Brett absichtlich die Menschen in ihrem Umfeld verletzt, sie ist destruktiv, hat ihre wahre große Liebe im Krieg verloren und unglücklich in den armen Jake Barnes verliebt. Tragik wohin man blickt. Die Leere in ihrem Leben versucht sie mit Alkohol und Sex zu füllen und zerstört sich dabei nicht nur selbst.

“You ought to dream. All our biggest businessmen have been dreamers.”

In den ersten Kapiteln in Paris erscheinen und verschwinden die Charaktere mit einer derartigen Geschwindigkeit, das es mir teilweise etwas schwindelig wurde und ich nie sicher war, ob die jeweilige Person nochmal auftaucht, für den Fortlauf der Geschichte noch bedeutsam wird oder nicht, aber im sonnigen, heißen Pamplona legte sich die Hektik. Dort wird ausgiebig gegessen, getrunken, die Stierkämpfe besucht, gestritten und geliebt.

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In Pamplona beginnt Lady Brett nach einer kurzen Affäre mit Robert Cohn, einem amerikanischen Juden,  eine Liason mit Petro Romero, einem jungen Stierkämpfer, und dem Star der Fiesta. Lady Brett hat alle Hände voll zu tun, sowohl ihren Verlobten, als auch ihre große Liebe Jack und den noch immer um sie kämpfenden Robert Cohn im Zaum zu halten. Sie bricht Herzen  im Sekundentakt und ist doch eigentlich nur auf der Suche nach sich selbst.

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Wer aber tatsächlich richtig leidet unter allem ist Jake. Er schmachtet Brett an und kann sie doch nicht besitzen, ist todeseifersüchtig auf Cohn, dafür das er das haben konnte, was ihm versagt bleibt und beginnt doch zu realisieren, dass er selbst ohne Impotenz-Problem auch nur ein weiterer x-beliebiger Liebhaber Bretts sein würde. Der längerfristige Erfolg seiner Beziehung zu Brett ist gerade seine Impotenz, denn alle Männer, die sie in ihr Bett lockt, verlieren daraufhin ihre Männlichkeit, eine der wenigen Sachen, die er nicht mehr verlieren kann.

Ich glaube nicht, dass Hemingway wirklich an die Liebe geglaubt hat und vielleicht wären seine Bücher dann auch weitaus weniger interessant. Ich mag seine Sprache, die Bilder die beim Lesen in meinem Kopf entstehen. Ich glaube ich habe aber auch einfach eine Schwäche für Autoren, die wunderschön über den Regen schreiben können. Und das kann er.

“And you’ll always love me won’t you?
Yes
And the rain won’t make any difference?
No”

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Das Buch ist auf deutsch unter dem gleichen Titel im Rowohlt Verlag erschienen.

The Bone Clocks – David Mitchell

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Third time lucky – war meine große Hoffnung, als nach der Abstimmung in meinem Bookclub klar wurde, das wir zum dritten mal ein David Mitchell Buch lesen würden. „Cloud Atlas“ und „The Thousand Autumns of Jacob de Zoet“ waren beide einfach nicht meins, daher mein mehr als skeptisches Herangehen an den neuesten Mitchell’chen Riesenwälzer.

Mitchell’s sechster Roman, der auch auf der Longlist des Booker Prizes stand, ist ein sehr ambitioniertes Werk, das aus sechs Teilen besteht, jedes beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel in Holly Sykes Leben. Holly ist eine 15-jährige Ausreißerin, die im Laufe ihres Lebens eine erfolgreiche Schriftstellerin wird. Das Buch beginnt im Jahr 1984 (!) und endet etwa 60 Jahre später, wo wir Holly als alte Frau an Irland’s Westküste wiedertreffen, wo sie nach der globalen Öko-Apokalypse und den daraus entstehenden sozialen und ökonomischen Folgen versucht, zu überleben.

Dazwischen gibt es einen unglaublichen Mix unterschiedlichster Stile und Genre, Liebesgeschichten, Zeitreisen, unsterbliche Wesen, die einen jahrehundertelangen Kampf untereinander austragen und dazwischen immer wieder Holly Sykes. Holly Sykes ist aber keine typische jugendliche Ausreißerin, sondern ein empfindsames Kind, das von Stimmen kontaktiert wird, nächtliche Besuche bekommt von Leuten, die sie „Radio People“ nennt. Sie ist eine Art Blitzableiter oder vielleicht eher ein Transmitter für übernatürliche Phänomene. Holly hat während ihres Ausreissens Visionen, seltsame Zufälle und sie hat seltsame Begegnungen mit mystischen Zeitreisenden, nicht alle davon sind ihr wohlgesonnen.

Ihr merkwürdiges Wochenende ist allerdings nur der Auftakt. Ihr kleiner Bruder verschwindet und immer wieder in ihrem Leben wird sie in seltsame Situationen verwickelt, ein ungelöstetes Geheimnis scheint sie und die Menschen, die sie liebt, wieder und wieder wie ein Echo zu umgeben.

Von Cambridge in den 1990 Jahren, wo wir auf Hugo, einen charismatischen jungen Mann treffen, der Holly in einem Skiressort verführt, geht es in 2004 in den Irak, wo Hollys Ehemann als Kriegsjournalist tätig ist. Wir gehen mit einem Schriftsteller im mittleren Alter auf Lesereisen, wo er auf Holly trifft, die mittlerweile als Autorin bekannt geworden ist. Vom australischen Busch im Neunzehnten Jahrhundert nach Manhattan in der nahen Zukunft, alle und alles führt zu Holly auf wundervolle und mysteriöse Weise.

Hat „Third Time lucky“ funktioniert ? Hell yes! Nach dem ersten Absatz wußte ich, Holly Sykes ist cool, der folge ich überall hin und es hat sich gelohnt. Was für ein Abenteuer. Ein filigraner, dennoch packender Roman, der mir gelegentlich das Gefühl vermittelte, gleich rückwärts zu denken und bei dem zuverlässig und beständig neue Überraschungen auf einen warteten.

“Love’s pure free joy when it works, but when it goes bad you pay for the good hours at loan-shark prices.”

“While the wealthy are no more likely to be born stupid than the poor, a wealthy upbringing compounds stupidity while a hardscrabble childhood dilutes it, if only for Darwinian reasons. This is why the elite need a prophylactic barrier of shitty state schools, to prevent the clever kids from the working-class post codes ousting them from the Enclave of Privilege.”

“A writer flirts with schizophrenia, nurtures synesthesia, and embraces obsessive-compulsive disorder. Your art feeds on you, your soul, and, yes, to a degree, your sanity. Writing novels worth reading will bugger up your mind, jeopardize your relationships, and distend your life. You have been warned.”

“Men marry women hoping they’ll never change. Women marry men hoping they will.”

“Her only friends on the estate were books, and books can talk but do not listen.”

Das bedrückende letzte Kapitel widme ich im Übrigen dem Anwärter auf den diesjährigen Darwin Adward, der kürzlich mit mir im Bus saß und den wundervollen Satz von sich gab „Jeder der für die Umwelt ist, ist gegen mich“ – ähhh ja.

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David Mitchell lässt im Übrigen immer wieder Protagonisten aus anderen Romanen wiederauftauchen und in einem Interview erläuterte er, dass er plane, einen „Über-Roman“ zu schreiben, in dem sich sämtliche Universen aus seinen Romanen treffen. Klingt spannend.

Hier ein Video in dem Mitchell auf dem BEA Librarian Breakfast über seinen Roman „The Bone Clocks“ spricht. Kleiner Spoiler-Alarm:

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Die Knochenuhren“ im Rowohlt Verlag erschienen.

Bossypants – Tina Fey

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Tina Fey kennen die meisten in Deutschland wahrscheinlich überwiegend aufgrund ihrer Sarah Palin Parodien, zumindest war das bei mir so. Ich mag es ja sehr, wenn Bücher mich finden und diese Entdeckung im offenen Bücherschrank war der Anfang einer wunderbaren Freundschaft zwischen Tina und mir 😉

Tina Fey ist Ms Bossypants, eine Frau, die es geschafft hat sich in der noch immer stark männerdominierten Comedy Branche durchzusetzen. Sie gibt Einblick in ihre beruflichen Stationen, den ersten Erfahrungen mit dem Improvisationstheater Second City in Chicago, ihrem Durchbruch als erste weibliche Chefautorin der Kultsendung „Saturday Night Live“ (SNL) bis hin zur mehrfach preisgekrönten TV Serie „30 Rock“ die sie nicht nur entwickelte und produziert, sondern in der sie auch eine der Hauptrollen spielt.

Sie erzählt nicht nur aus ihrem Leben und ihrer Karriere sondern rechnet auch ab mit ihrer Branche, mit Hollywood und vor allem mit Leuten die der Meinung sind Frauen haben ohnehin keinen Humor und sollten ab 40 am besten einfach nur noch leise verschwinden. Das macht sie auf bissige und äußerst witzige Art.

Frauen sind in der Comedy-Welt nach wie vor eher die Exoten. Es gibt im Buch eine Geschichte in der ihre Kollegin Amy Poehler im Autorenzimmer herumalbert „dirty, loud and unladylike“ und der damalige Star der Sendung Jimmy Fallon ihr sagt sie solle damit aufhören, da er es nicht mag.

„Amy dropped what she was doing, went black in the eyes for a second, and wheeled around on him: ‚I don’t fucking care if you like it.’”

Wahrscheinlich ist das ist die einzige richtige Antwort auf die Nervketten die der Meinung sind Frauen können nicht lustig sein: „We don’t fucking care if you like it.“

Neben unzähligen sehr lustigen Absätzen habe ich auch erstaunlich viele erhellende und inspirierende Absätze gefunden und habe mehr unterstrichen, als ich mir das vorab hätte vorstellen können. Insbesondere ihre Regeln zur Improvisation haben mich mich beeindruckt, die sind nicht nur in der Improtheater-Welt richtig. Hier mal eine Kostprobe:

„…Whatever the problem, be part of the solution. Don’t just sit around raising questions and pointing out obstacles. We’ve all worked with that person. That person is a drag. …”

“MAKE STATEMENTS also applies to us woman: Speak in statements instead of apologetic questions. No one wants to go to a doctor who says, “I’m going to be your surgeon? I’m here to talk to you about your procedure? I was first in my class at Johns Hopkins, so?” Make statements, with your actions and your voice.”

Spannend fand ich auch was passierte als sie anfang Sarah Palin zu parodierien und zur Zielscheibe von ziemlich überzogenen Wutattacken wurde.

Tina Fey ist saukomisch, klug und stellenweise wunderbar böse. Die Kritiken für ihr Buch sind ziemlich durchwachsen, eine Hate/Love-Angelegenheit wie mir scheint und insbesondere die 5 mio $ die sie für das Buch bekommen haben soll, scheinen einigen Krikern dabei schwer im Magen zu liegen.

Mich bekommt man nicht so schnell zum Lachen, Tina Fey hat das fast das ganze Buch hindurch geschafft, was will ich mehr?

“In most cases being a good boss means hiring talented people and then getting out of their way.”

“It is an impressively arrogant move to conclude that just because you don’t like something, it is empirically not good. I don’t like Chinese food, but I don’t write articles trying to prove it doesn’t exist.”

“Gay people don’t actually try to convert people. That’s Jehovah’s Witnesses you’re thinking of.”

“You could put a blond wig on a hot-water heater and some dude would try to fuck it.”

Tina Fey ist eine der intelligentesten, witzigsten und scharfzüngigsten Frauen und ich bin durch dieses Buch noch einmal mehr ein großer Fan von ihr.

Und zu Ehren von Hilary Clinton’s Präsidentschaftskandidatur dieser Clip:

Bossypants“ ist auf deutsch unter dem gleichen Titel im Rowohlt Verlag erschienen.

Takeshis Haut – Lucy Fricke

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Eigentlich war ja der Plan, dieses Jahr nach Japan zu reisen, doch dann hat die Vernunft gesiegt und es wird noch ein weiteres Jahr eisern gespart, damit wir dann nächstes Jahr gleich ein paar Wochen lang im Land herumreisen können. So lange wollte ich jetzt aber doch nicht warten auf „Takeshis Haut“, denn ich war sehr gespannt darauf.

Obwohl ich mich für Japan interessiere, mit Herrn Murakami einer meiner absoluten Lieblingsschriftsteller aus dem Land kommt, weiß ich nicht wirklich viel darüber. Kirschblüten, Kimonos, Herr Murakami, Frau Yoshimoto, leckeres Essen und die Bilder aus Tokio die man so kennt.

Daher große Vorfreude bei mir auf Lucy Frickes Buch, ein Weihnachtsgeschenk über das ich mich sehr gefeut habe, denn die Geschichte klingt ziemlich ungewöhnlich. Eine Geräuschemacherin namens Frida verschlägt es für die Vertonung von Filmaufnahmen nach Japan. Sie reist ohne große Erwartungen hin, sieht es hauptsächlich einfach als Arbeitsauftrag und merkt plötzlich, das Japan ganz anders klingt. Auf ihren Aufnahmen meint Frida ein Geräusch zu hören, das nicht dort hingehört, das sie ängstigt und es irgendwie bedrohlich durch ihren Körper zu rollen scheint. So recht will und kann ihr keiner glauben.

Ihr Auftraggeber in Deutschland vermittelt ihr mit Takeshi einen Begleiter, der ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen soll in Japan. Die beiden teilen bald nicht nur jede Menge Dosenbier miteinander, sondern auch das Bett. Er zeigt und erzählt ihr viel über seine Heimat, über sich selbst eher weniger.

„Er war so wenig Mann und sie so sehr Frau“

Die Geschichte spielt im Frühling 2011 und während Fridas Aufenthalt kommt es zur Katastrophe von Fukushima und ihr Leben gerät endgültig aus den Fugen. Wie ein Seismograph spürt der Roman die verschiedenen Erschütterungen auf. Die inneren und die äußeren. Sie bleibt trotz der Katastrophe, obwohl es bebt und schwankt und Frida droht den Boden unter den Füßen zu verlieren, ihre Stabilität, die sie auch so attraktiv für Takeshi macht.

„Wir akzeptieren das Unvermeidliche, in der Hoffnung, dass es nie passiert.“

Zurück in Deutschland erlebt sie die Deutschen, die nahezu in Panik sind, obwohl das Unglück soweit weg ist. Ganz im Gegensatz zu den Japanern, die versuchen schnellstmöglich in ihren gewohnten Alltag zurückzukommen. Freunde weichen aus Angst vor Strahlung vor ihr zurück, am Flughafen wird sie mit Geigerzähler empfangen.

Ob es ihr gelingen wird, in ihr altes Leben mit ihrem langjährigen Freund zurückzukehren, werde ich nicht verraten. Erst einmal kehrt sie zurück in ihr Haus, in dem es ebenfalls bebt durch die Bauarbeiten in der Nähe und durch das ein riesiger Riss geht.

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Fricke selbst trat nur wenige Wochen nach der Fukushima Katastrophe ein Stipendium am Goethe-Institut in Kyoto an. „Takeshis Haut“ ist ein Roman mit einer ganz und gar außergewöhnlichen Atmosphäre. Man muss in der richtigen Stimmung sein, um den Roman geniessen zu können. Die Sprache kann man aber jederzeit genießen. Lucy ist schon teilweise ein depressives Miststück, Takeshi manchmal ein bisserl sehr Film noir tragisch. Macht aber nix.

Ein bewegender Roman – hätte ich vorher nicht schon riesige Lust gehabt, nach Japan zu fahren, jetzt habe ich noch viel mehr. Ob es dort bebt oder nicht.

„Takeshis Haut“ ist im Rowohlt Verlag erschienen.

In Plüschgewittern – Wolfgang Herrndorf

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Es gibt Bücher, die eignen sich ganz besonders zum Zugfahren finde ich – und Herrndorfs „In Plüschgewittern“ gehört dazu. Es reicht nicht unbedingt für die gesamte Strecke Dortmund – München, insbesondere nicht, wenn man auch noch eine Stunde Verspätung hat, aber man kann so perfekt darin versinken. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, ein paar Stunden am Stück ungestört zu lesen und in eine ganz andere Welt abzutauchen.

„Wenn man von hier nach Marzahn läuft, kann man wahrscheinlich sogar eine kontinuierliche Zeitreise unternehmen, durch alle Moden und Haltungen der letzten dreißig Jahre. Die 90er in Friedrichshain, die 80er in Lichtenberg, die 70er in Marzahn. Und wenn man dann über Marzahn hinausläuft, was man nie tun sollte, landet man irgendwann wieder im Faschismus.“

Mit den Herrndorf Romanen muss man ja ohnehin vorsichtig umgehen. Neben „Tschick“, „Arbeit und Struktur“ und den „Plüschgewittern“, da bleibt mir nicht mehr viel und dann bin ich komplett durch, daher gibts jetzt nur noch einen Herrndorf pro Jahr, denn das Gesamtwerk ist nicht groß und es kann ja leider nichts mehr nachkommen 😦

Im Roman selbst passiert eigentlich nicht viel und ich mag auch nicht zu viel verraten. Der namen- und ziellose Protagonist weiß nach der Trennung von seiner Freundin Erika nicht so recht wohin mit sich und seinem Leben, daher macht er sich auf nach Berlin. Es ist nicht die atemberaubende Handlung die den Roman so besonders macht, es ist die Sprache. Auf fast jeder Seite sind Sätze die man anstreichen und herausschreiben möchte, weil sie so treffend sind. Weil sie das Gefühl so genau beschreiben, nicht dazu zu gehören, sein Mojo verloren zu haben, einfach leer zu sein.

„Ich fühlte mich wie mit Beton ausgespritzt..“

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Er nistet sich erst einmal bei seinem Freund Desmond ein, einem sagenhaft klugen schwulen Freund, der seinen Lebensunterhalt damit finanziert, für andere Leute Doktorarbeiten zu schreiben. Gemeinsam gehen sie auf Parties, trinken jede Menge und durch ihn lernt unser Romanheld auch Ines kennen, eine Frau, in die er sich ein bisschen verliebt, aber einer wie er hat einfach kein Talent für Glück. Vielleicht machen Rilke-Gedichte doch glücklicher, als Coen-Filme über die lässigen Dauer-Scheiterer? Ich weiß es nicht.

„Ich war randvoll von Dingen, die ich sagen wollte, aber ich war unfähig, sie so zu sagen, dass sie einer verstanden hätte“.

Vor ein paar Tagen sind mir im offenen Bücherschrank Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ in die Hände gefallen und vielleicht war es die Assoziation des Titels die mich zu den „Plüschgewittern“ hat greifen lassen für meine Zugreise. Am Plüschgewitter-Protagonisten ist so gar nichts stählernes. Eine eher weiche, verlorene Seele, der zuviel denkt und seine Mitmenschen permanent recht erbarmungslos seziert und doch steckt dahinter nur Angst und Wut vor der Einsamkeit und der eigenen Sterblichkeit. Die Passagen im Buch die sich mit Krebs und Krankheit beschäftigen setzen einem ganz schön zu, wenn man Herrndorfs Schicksal kennt.

„Die Natur ist das Letzte, wenn man mich fragt. Das Allerletzte.“
„Stattdessen werde ich das Gefühl nicht los, dass der Anblick dieser Missbildungen und Metastasen meinen Körper irgendwie auf dumme Gedanken bringt.“

Herrndorf kann schreiben, kann Empfindungen auf den Punkt bringen, wie nur wenige andere. Das Buch geht nah und an die Nieren und man möchte ihm was abgeben vom Glück dem tragischen Helden. Gelungen fand ich auch den Perspektivenwechsel im letzten Kapitel, geschrieben aus der Sicht des Bruders. Und bei aller Tragik der Geschichte, da ist auch eine Menge Humor drin:

„Ein bisschen komme ich mir schon vor wie der Spiegel Redakteur, dem sie zur Strafe fürs Praktikantinnen-Flachlegen, nochmal die jährliche, schonungslose Ost-West-Bilanz aufs Auge gedrückt haben: 10 Jahre danach“

„Wenn man unbedingt geisteskrank sein will, muss es immer dieser Blödsinn sein? Ich meine, ich weiß natürlich auch, dass man sich das nicht aussuchen kann, ob man jetzt Paranoia kriegt oder Tourette-Syndrom oder irgendetwas Anständiges. Aber Magersucht. Bei Magersucht fallen mir immer nur so Luxusfamilien mit Reitpferden ein, und ich kann das irgendwie nicht ernst nehmen. Davon mal ganz abgesehen sieht es scheiße aus.“

„Diese jungen Menschen tragen zwar dasselbe wie die Kinder vor Supermärkten in Marzahn, mit dem Unterschied allerdings, »dass die hier Achttausendmarkjobs machen und Kommunikationsbrillen aufhaben“.

Das Buch erschien im Rowohlt Verlag.

Miss Wyoming – Douglas Coupland

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Von Coupland hatte ich irgendwie schon jede Menge gehört. Kultbuch-Autor, Generation X – muss man gelesen haben, hatte ich bislang aber nicht.

Miss Wyoming hab ich letzten Sommer beim Radeln in einer Kiste mit „zu verschenken Büchern“ gefunden und jetzt wars dann mal so weit. Gar nicht einfach zu beschreiben, wie es mir gefallen hat. Es ist ein bißchen so, als wäre man zu lange mit dem Kopf unter Wasser gewesen und irgendwann hält man es nicht länger aus.

Ein atemloses Erlebnis, man hetzt von einer Episode zu anderen und muß stets auf der Hut sein, um nix zu verpassen. Er hat einen eigenwilligen Schreibstil, nutzt sehr abgefahrene Sprachbilder und irgendwie schafft er es, eine fast schon kitschige Liebes- und Selbstfindungsgeschichte zu erzählen, ohne das es wirklich ins Kitschige abdriftet.

Susan Colgate, die gar nichts mit Zahnprodukten zu tun hat, sondern früher Kinder-Schönheitskönigin und B-TV-Sternchen und John Johnson, ein Fan besonderer synthetischer Produkte und ein mehr oder weniger erfolgreicher Filmproduzent mit mehr Tiefen als Höhen, sind beide Experten für diverse Achterbahnen im Leben und beide sind mal für eine Weile aus ihrem Leben ausgestiegen.

Sie überlebt als einzige einen Flugzeugabsturz, mimt ihren eigenen Tod und verschwindet für ein Jahr. Nach und nach erfährt man, was ihr in diesem Jahr alles passiert ist.

John geht nach seinem Nah-Tod-Erlebnis, bei dem er irgendwie Susan Colgate zu sehen glaubt, auf eine quasi-philosophische Selbstentdeckungstour.Er verschenkt all sein Hab und Gut und lebt ein Jahr als Obdachloser und wandert ziellos durch die Gegend.

Die beiden begegnen sich im ersten Kapitel, verbringen ein paar Stunden spazierengehend miteinander und sind sehr voneinander angetan. John hat Susan in einem Nah-Tod-Erlebnis irgendwie gesehen und ist seitdem auf der Suche nach ihr. Warum, weiß er selbst nicht so genau, als er sie dann aber trifft, ist er sofort Hals über Kopf in sie verliebt. Sie aber verschwindet und er setzt alles daran, sie wieder zu finden.

Die Suche bringt so einiges an abgefahrenen Action, Zufällen, Obskuritäten und nach und nach erfährt man immer mehr über die beiden Protagonisten. Ein Road-Movie der besonderen Art.

Das Buch zeigt die harte Wirklichkeit hinter den pinkfarbenen Miss-Wahlen und wieweit Eltern gehen, um ihre Kinder zu dem zu machen, was sie selbst nie erreichen konnten.

Einige der Nebendarsteller waren sehr spannend, ich hätte gerne noch mehr über Vanessa gelesen, die brillante Lisbeth Salander-ähnliche Hackerin, den schmierigen Eugene oder die Numerolgin.

Coupland hat einen sehr speziellen Schreibstil, den man mögen muss. Mir hat das Buch ganz gut gefallen, auch wenn ich jetzt nicht direkt zum Fan geworden bin. Generation X werde ich aber bei Gelegenheit wohl noch lesen. Ein bisserl viel Hype, aber es ist definitiv unterhaltsam und besser geschrieben als so manch anderer Schmarrn.

„Er erinnerte sich, dass die Frau aus seiner Vision im Krankenhaus ihm das Gefühl gegeben hatte, es gäbe irgendwo auf dem fremden Todesstern, der sein Herz war, eine verwundbare Stelle, in die er eine Bombe hineinschmuggeln, sich damit in die Luft sprengen und aus den Überresten wieder neu zusammen setzen konnte.“

„Du bist liebenswert Vanessa. John zerbrach sich den Kopf, wie er das was er als nächstes sagen wollte, in Worte fassen konnte. Aber du musst dir die Brust aufreißen, frische Luft an dein Herz lassen und dir einen Sonnenbrand darauf holen, und das kann einem verdammt Angst machen.“

The Blazing World – Siri Hustvedt

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In Siri Hustvedts sechstem Roman „The Blazing World“ erzählt sie die provokante Geschichte der Künstlerin Harriet Burden, die seit Jahren von der Kunstwelt ignoriert oder von der Kritik verrissen wird. Irgendwann hat sie die genug davon und sie präsentiert ihre Kunst hinter drei männlichen Masken verborgen und peng! die Kunstwelt ist begeistert. Die drei Ausstellungen, in denen ihre Kunst als die von jeweils drei unterschiedlichen Künstlern als die ihrige ausgegeben wird, sind ein riesen Erfolg, als Burden aber nach der letzten Ausstellung triumphierend als eigentliche Künstlerin hervortreten will, glauben ihr die Kritiken nicht.

Der erste Künstler, ein junger unbekannter Mann und der zweite, ein schwuler, farbiger Mann – das lies die Kritikerwelt noch irgendwie gelten. Aber das der bekannte Künstler Rune nicht selbst diese brillianten Ausstellungsstücke geschaffen haben soll, das nehmen sie ihr nicht ab. Sie sprechen ihr die Rolle als seine Muse zu, glauben schon, dass die beiden eng miteinander involviert waren, aber SIE, die tatsächliche Künstlerin, niemals! Burden hat 24 Tagebücher geführt für fast jeden Buchstaben im Alphabet ein eigenes. In diesen enthüllt sie ihr kompliziertes und auch gefährliches Maskenspiel, das mit dem Selbstmord (?) Runes endet.

Der Roman wird sehr raffiniert in Form der Tagebuch-Eintragungen Burdens, sowie Interviews und Gesprächsnotizen mit Familie, Freunden, den Mitbewohnern von Burdens exzentrischer Loft-WG und Kritikern erzählt.

Dieses Buch platzt fast aus allen Nähten an Informationen, Wissen und Geschichten, eine Ansammlung von Schriften die das Leben Harriets beleuchten, ihre Biografie die stellenweise auch gut eine Autobiografie Hustvedts sein könnte. Philosophische Gedanken sind genauso vertreten wie die Neurowissenschaften, Psychologie, Kunstbewegungen und immer wieder in diesem Fall wirklich hilfreiche Fußnoten, die es einfacher machen das Wissen zu sortieren. Die Geschichte wird aus vielen Perspektiven erzählt, es ist aber nie schwer diesen zu folgen.

Harriet ist das was man wirklich „larger than life“ nennt. Sie ist nicht nur köperlich riesig, sie hat auch ein großes Herz, ein noch viel größeres Gehirn und wirbelt durch das Leben und die Kunst. Sie brennt vor lauter Ideen und ein Kritiker wirft ihr einmal vor, zu ernsthaft zu sein, ja, das kann man ihr vielleicht vorwerfen, aber so what. So groß und stark sie auch wirkt, sie ist tief verletzt, wütend über die jahrzehntelange Ignoranz, die ihr und anderen Frauen in der Kunst entgegengebracht wird. Sie wütet, sie rebelliert – ein Mauerblümchen ist sie tatsächlich nicht.

Verheiratet mit einem sagenhaft reichen Kunsthändler, der nicht einmal im Traum daran dachte, sich für ihre Kunst einzusetzen und der sie wiederholt mit Männern betrog, kümmert sie sich um die beiden Kinder und arbeitet dennoch stets weiter. Mit dem Tod ihres Mannes verändert sich alles. Es gibt so sagenhaft viel über dieses Buch zu sagen. Der Titel „The Blazing World“ basiert auf einer der ältesten Science Fiction Geschichten gleichen Titels, der von einer ebenfalls zu ihrer Zeit schwer unterschätzten Adeligen, Philosophin und Naturwissenschaftlerin Magaret Cavendish im 17. Jahrhundert geschrieben wurde.

The Blazing World ist nicht immer einfach zu lesen, man muß schon bei der Stange bleiben. Aber man lernt nicht nur unglaublich viel, insbesondere wenn man den Fußnoten folgt, nachliest und es macht Spaß. Ich mag ja „angry books“ – kräftige befreiende Literatur. Ein notwendiges Buch. Es hat mich an Bücher Margaret Atwood oder Toni Morrison erinnert.

„I was the ruler of my own little Brooklyn Fiefdom, a rich widow woman, long past babies and toddlers and teenagers, and my brain was fat with ideas“.

„This amnesia is our phenomenology of the everyday – we don’t see ourselves – and what we see becomes us while we’re looking at it.“

„I suspect that if I had come in another package my work might have been embraced or, at least, approached with greater seriousness. I didn’t believe there had been a plot against me. Much of prejudice is unconcious.“

„If there is one thing that doesn’t fly in the art world, it’s an excess of sincerity. They like their geniuses coy, cool, or drunk and fighting in the Cedar Bar, depending on the era.“

„But it is not what is said, that makes us who we are. More often it is what remains unspoken.“

„A young person always extrapolates human reality from her own life.“

„The truth is Harriet was striking. She had a beautiful, strong, voluptuous body. Men stared at her on the street, but she wasn’t a flirt, and she wasn’t socially graceful or prone to small talk. Harriet was shy and solitary. In company, she was usually quiet, but when she spoke, she was so forceful and intelligent, she frightened people, especially boys her own age. They simply didn’t know what to make of her. Harry sometimes wished she were a boy, and I can say that had she been one, her route would have been easier. Awkward brilliance in a boy is more easily categorized, and it conveys no sexual threat.“

„Did I want to live as a man? No. What interested me were perceptions and their mutability, the fact that we mostly see what we expect to see.“

„She believed in her steam and fury, and she pushed her art out of her like wet, bloody newborns,“

„It was true they didn’t want Harry the artist. I began to see that up close. She was old news, if she had ever been news at all. She was Felix Lord’s widow. It all worked against her, but then Harry scared them off. She knew too much, had read too much, and she corrected people’s errors.“

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Die gleissende Welt“ im Rowohlt Verlag erschienen.

Die Mandarins von Paris – Simone de Beauvoir

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Es ist immer eine gewagte Sache ein Buch, das einen mit Anfang 20 total begeistert hat, Ewigkeiten später noch einmal zu lesen. Mir ist es immer schwer gefallen, mein absolutes Lieblingsbuch zu nennen, ich habe stattdessen immer eine Handvoll – gelegentlich auch wechselnder – Lieblingsbücher. Aber die „Mandarins“ waren immer dabei. Mit diesem Buch habe ich damals blau gemacht, ich bin nicht ins profane Büro, ich wollte intellektuelle Luft schnappen und habe den ganzen Tag im Cafe Max Liebermann in den Hamburger Kunsthallen zugebracht und mir vorgestellt, ich sei in Paris 😉

Das Buch also nochmal. Großes Wagnis. Die Camus-Biografie die ich kürzlich las, dann die Reportagen von Janet Flanner – ich bin in den letzten Wochen einfach unweigerlich darauf zurück getrieben. Ich habe es gewagt und zum Glück – ich habe keine Enttäuschung erlebt. Es hat mich wieder genauso gepackt wie damals – die einzige Konzession ans Alter – ich habe dieses Mal nicht blau gemacht, sondern es im Urlaub begonnen und abends zu Ende gelesen 😉

Simone de Beauvoir ist eine Frau, deren Werk ich sehr bewundere. 1908 als ältere von zwei Töchtern in ein gutbürgerliches Elternhaus hineingeboren, studierte sie in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts Philosophie und legt als zweitbeste nach Sartre, den sie im Studium kennenlernt, ihre Prüfung ab. Sartre und Beauvoir arbeiten einige Jahre in unterschiedlichen Städten, bis sie es Mitte der 30er Jahre schaffen, beide eine Anstellung in Paris zu finden.

Sie veröffentlicht 1954 den Roman „Die Mandarins von Paris“ und es wird ihr bis dahin größter Erfolg, gekrönt durch den renommierten Prix Goncourt. Das Buch gilt als Schlüsselroman, der die Situation der intellektuellen Elite (der Mandarins) in Frankreich beleuchtet. Für Simone de Beauvoir ist alles Fiktion. Sie beleuchtet facettenreich die Situation der Intellektuellen, die nach dem gemeinsamen Kampf gegen die Nazis auf der Suche nach einer Lösung sind, um Kriege ein für alle mal zu beenden, die ihre persönliche Verantwortung hinterfragen und in ihren politischen Engagements zersplittern und in verschiedenste Lager zerfallen. Die Handlung beginnt Weihnachten 1944 und endet Anfang der 50er Jahre.

Sie versuchen ihrem Gewissen zu folgen, versuchen Wege zu finden, mit den USA umzugehen, mit denen sie gemeinsam gegen die Nazis kämpften, dessen ungehemmten Kapitalismus sie aber schwer verurteilen, aber auch die Sowjetunion und der Kommunismus, der kurzfristig als allein seligmachende Ideologie dasteht, verliert mehr und mehr an Bestand durch die Informationen über brutalste Arbeitslager und Verfolgung von Andersdenkenden die aus dem stalinistischen Rußland kommen.

Im Mittelpunkt des Romans stehen die Paare Henri Parron (Albert Camus) und Paule, sowie Robert Dubreuilh (das Pendant zu Jean Paul Satre) und Anne (Simone de Beauvoir). Dazwischen gibt es noch Nadine, die Tochter der Dubreuilh’s, die ein wenig wie die Summe all der jungen Frauen wirkt, die im realen Leben Beziehungen mit de Beauvoir und Sartre hatten.

Die Freundschaft zwischen Parron und Robert Dubreuilh zerbicht am Espoir, der Tageszeitung, die Parron leitet und die ihm wahnsinnig viel bedeutet und die Dubreilh versucht, für seine politischen Zwecke einzusetzen. Dubreilh versucht einen Weg zwischen Kommunismus und europäischem Sozialismus zu finden. Für ihn ist die Sache wichtiger als die Menschen, bei Parron ist das eher umgekehrt. Am Ende gibt es weder die Zeitung noch Dubreilh’s Bewegung.

Anne Dubreilh steht etwas außerhalb der politischen Diskussionen. Sie arbeitet als Psychoanalytikerin und sucht mehr nach dem Glück im privaten Bereich als in der politischen Szene. Sie wird zu einer Vorlesungsreihe in die USA eingeladen und trifft dort auf Lewis (Nelson Algren). Es entspinnt sich eine leidenschaftliche Liebesaffäre, deren Zerrissenheit und späterem Ende der Situation der aus der Resistance hervorgegangenen Intellektuellen ähnelt.

Man traut de Beauvoir solche Romantik gar nicht zu, aber eines der schönsten Zitate überhaupt aus dem Buch ist eine Stelle, in der sie über ihre Liebe zu Lewis sagt:

„She was ready to deny the existence of space and time rather than admit that love might not be eternal“

Die Liebesbeziehung von Henri und Paule steht eher für die Schattenseite der Liebe und die Rolle der Frau in traditionellen Beziehungen. Paule gibt sich völlig auf für Henri, hat keinen anderen Lebensinhalt mehr als ihre Liebe und zerbricht später nahezu völlig, als Henri die Beziehung beenden will.

Neben der politischen und privaten Sinnsuche geht es bei den „Mandarins von Paris“ auch um die Lebensweise der Links-Intellektuellen. Die meisten von Ihnen haben einen priviligierten Hintergrund und können sich im Gegensatz zu den Arbeitern, für deren Rechte sie sich einsetzen, Reisen, Restaurantbesuche, schöne Wohnungen leisten.

De Beauvoir akzeptiert die Ehe oder eine lebenslange Partnerschaft auf geistiger Ebene. Körperliche Monogamie ist nicht ihr Ding. Sowohl im Roman als auch im realen Leben wird Promiskuität ganz selbstverständlich gelebt. Ich fand es interessant, dass sich der Feminismus bei ihr am frühesten auf sexuellem Gebiet bemerkbar macht.

Der Roman schildert den Konflikt zwischen Camus und Sartre sehr gut. Mir hat gefallen, dass sie nahezu objektiv schreibt und Camus meines Erachtens den Roman zu Unrecht als einen Angriff auf seine Person empfand.

Die „Mandarins von Paris“ ist nicht nur ein Roman für die Fans von de Beauvoir, Sarte und Camus oder Anhängern des französischen Existentialismus, in den man einen kleinen Einblick bekommt, sondern für alle, die Interesse an guter, tiefgründiger Lektüre haben.

Die über 800 Seiten lesen sich nicht einfach so weg, das wäre gelogen, aber es ist ein fesselndes Buch. Es spielt großteils in Paris mit Abstechern in die USA, Portugal, Mexiko, es ist das schillernde Zeugnis einer Zeit, in der die Menschen genau wie heute auf der Suche sind, wie man authentisch und richtig lebt. Auch wenn es auf der einen Seite schon gut 60 Jahre auf dem Buckel hat, ist es doch teilweise erschreckend aktuell.

„Die Literatur ist für die Menschen gemacht, nicht die Menschen für die Literatur.“

„Um nichts in der Welt hätte ich diese Vergangenheit noch einmal erleben wollen, und doch hatte sie durch den Abstand der Zeit einen düsteren Zauber bekommen. Ich verstand wohl, dass Lambert sich in diesem Frieden langweilte, der uns das Leben wiederschenkte, nicht aber unsere Lebensinhalte.“

„Fest stand nur, dass er ein fast angstvolles Mitleid mit allen diesen Leben verspürte, die nicht einmal versuchten, sich auszudrücken.“

„Wenn die Situation an sich ungerecht ist, kannst du nicht korrekt in ihr leben. Deshalb wird man wohl dazu veranlaßt, sich politisch zu betätigen: um eine Änderung der Situation anzustreben.“

„Sie glaubte, die Arbeit sei für uns nur ein Mittel, um Erfolg oder Vermögen zu erreichen, und ich war irgendwie davon überzeugt, daß alle diese Snobs ihre gesellschaftliche Stellung gern hergegeben hätten, um dafür Begabung und intellektuelle Erfolge einzutauschen. Schon in meiner Kindheit schien mir eine Lehrerin eine wesentlich bedeutendere Persönlichkeit als eine Herzogin oder eine Millionärin zu sein, und diese Hierarchie hat sich kaum verändert.“

„Aber es ist keineswegs das gleiche, ob man im Interesse des andern oder in seinem eigenen anspruchsvoll ist.“

„Er unterschiebt den andern gern seine eigenen Anschauungen. Sie müssen doch zugeben, daß dies eine etwas imperialistische Form ist, den andern zu schätzen.“

„Die Menschen wandeln sich, aber was nützt es, wenn man das weiß. Man möchte sie sich doch in mancher Hinsicht unbeweglich vorstellen: hier war wieder ein Fixstern, der sich plötzlich an meinem Himmel bewegte.“

„Der ist glücklich, der der Wahrheit seines Lebens ins Gesicht schauen und sich daran freuen, der sie auf den Gesichtern von Freunden entziffern kann.“

„Wenn man sich heute in die Politik mischt, so ist das Schreckliche daran, daß man zu genau weiß, welchen Preis die Fehler kosten.“

„Im Allgemeinen reagiert er auf die großen Zusammenhänge, nicht aber auf besondere Einzelfälle“.

„Überleben bedeutet letztlich, daß man unaufhörlich mit dem Leben wieder beginnt. Ich hoffte, daß ich es noch konnte.“

„Um zu erfahren, wer du bist und was du tun willst, mußt du entscheiden, wo in der Welt dein Standort ist.“

„Dazu verhilft die Literatur: sie zeigt die Welt den andern so, wie man sie selbst sieht.“

„Die Kunst ist ein Versuch, das Böse zu integrieren“.

„Es ist wahr, daß wir alle ein wenig puritanisch sind, dachte er, ich auch. Weil wir es verabscheuen, wenn man uns unsere Privilegien vor Augen führt.“

„Ihm bedeutet eine Idee keine Anhäufung von Worten, sondern etwas Lebensvolles; Ideen, die er in sich aufnimmt, werden in ihm lebendig, sie bringen alles in Unordnung, und er muß schwer arbeiten, um in seinem Kopf wieder Ordnung zu schaffen.“

Hier noch ein wirklich interessantes Porträt über Simone de Beauvoir aus dem Jahr 1973. Fand ich sehr spannend 🙂

Albert Camus: Das Ideal der Einfachheit – Iris Radisch

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Das ausgerechnet ich mich für einen Autor begeistere, der in seinem Tagebuch vermerkt „Außer in der Liebe ist die Frau langweilig“ überrascht ganz schön, nicht zuletzt mich. Auch seine Tochter wollte erst nicht so recht glauben, dass ihr verehrter Herr Papa so etwas geschrieben haben soll und musste erst durch einen Hinweis von Radisch mit Nachblättern im Tagebuch davon überzeugt werden.

Trotz aller dunklen Seiten, Herr Camus hat was. Ich mag seine Bücher „Der Fremde“, „Die Pest“ und „Der erste Mensch“ – mehr habe ich bislang noch nicht von ihm gelesen. Und man glaubt es sofort, dass seine Lieblingsworte „Die Welt, der Schmerz, die Erde, die Mutter, die Menschen, die Wüste, die Ehre, das Elend, der Sommer und das Meer waren. Diese Worte bilden die einzelnen Kapitel in Radisch’s rasend guter Biografie.

Iris Radisch hat sich dem übergroßen Autor sehr emphatisch genähert, hat ihn nicht auf ein Podest gestellt und man merkt, dass sie sein rücksichtsloses casanovahaftes Verhalten nicht billigt. Er, der sich als stets Fremder, als lebenslanger Exilant sieht, der niemanden braucht, kann nicht alleine sein und sammelt Frauen wie zufällig am Wegesrand auf. Unfähig sich zu trennen, lässt er dann drei, vier oder auch fünf Beziehungen gleichzeitig nebeneinander laufen.

Camus sieht sich meist nicht unbedingt realistisch. Camus als Genußmensch der die Einfachheit propagiert, ist nur eines der vielen Paradoxien in denen er steckt. Er beschreibt oft wie er sein möchte, nicht wie er ist. Wichtig ist ihm seine Mittelmeer-Philosophie, seine mediterrane Ideologie wie Iris Radisch sie nennt, die ihn sein Leben lang beschäftigt. Seine Idee dem alten Europa ein starkes latines Bündnis entgegenzusetzen.

Überhaupt geht er natürlich heute als eigentlicher Sieger aus den heftigen Fehden mit Sartre und anderen hervor. Er war der hellsichtigste unter den Pariser Intellektuellen in seiner Verurteilung jeglichen Totalitarismus.

„Nach 1989 begann man in Paris zwar langsam, Camus‘ Antitotalitarismus zu würdigen, man ergriff jedoch weiterhin für Sartre Partei, wenn es darum ging, Camus‘ Natur- und Geschichtsauffassung zu demontieren und den Zusammenhang beider zu bestreiten“.

Er war wahrscheinlich einer der ersten Wachstumskritiker und ein ausgesprochener Europäer, der jeglichen Nationalismus ablehnte. Eher Vermittler, einer der ewig zwischen den Stühlen saß. Den Linken zu stalin- und kommunismusfeindlich, den Algeriern zu französisch, den Franzosen zu algerisch, den Proletariern zu intellektuell und die Intellektuellen wie Sartre „wird das freihändige Philosophieren dieses algerischen Gassenjungen“ – wie er seinen jungen Rivalen nennt – zur Weißglut bringen.

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„Der Weltliebhaber verabscheut das Fortschrittsethos – verzichte auf das einfache Glück, das du jetzt genießen kannst, arbeite emsig und vertraue darauf, dass du morgen durch ein größeres entlohnt wirst. Das Meer, der Himmel, die Sonne, die Frauen, die Blumen – das reicht ihm, solange das Wetter gut ist (nur bei schlechtem Wetter wäre er bereit, langfristige Lebensinvestitionen zu tätigen und zum Beispiel zu heiraten).“

Camus möchte „sich verlieren, um sich wiederzufinden“. Und er verliert sich mächtig auf seinem Lebensweg. Er kommt 1913 in einer sehr armen französischen Arbeiterfamilie in Algier zur Welt und wird seinen Vater nie kennenlernen, da dieser schon kurz nach Beginn des ersten Weltkriegs fällt. Seine Mutter ist Analphabetin, stoisch und spricht kaum. Kaum vorstellbar, dass aus dieser fast archaisch anmutenden Armut einer der größten Autoren/Philosophen des 20. Jahrhunderts hervorgeht. Zum großen Teil hat er das seinem Lehrer zu verdanken, der seine Begabung erkennt und fördert und dem Camus in seiner Nobelpreisrede 1957 ein Denkmal setzt.

Weder seine ärmliche Herkunft, sein melancholisches schwermütiges Wesen noch seine Lungenkrankheit können ihn stoppen. Er hat ausgesprochen großen Erfolg bei den Frauen, die immer wieder alles für ihn tun, ihm den Rücken freihalten, teilweise aushalten, ihn lieben und umsorgen, aber keiner von ihnen gelingt es jemals ihn ganz für sich zu gewinnen.

Sein erster Roman „Der Fremde“ ist eine Art Huldigung an Algier, seine Jugend und seine Mutter. Themen die ihn ein Leben lang begleiten werden. Mit dem Roman „Die Pest“ kommt auch der wirtschaftliche Erfolg in Paris. Zu Paris wird ihn stets eine Hass-Liebe binden, er pflegt dort Freundschaften nahezu so ausgiebig wie seine Feindschaften.

Sein letzter Roman „Der erste Mensch“ ist für Iris Radisch sein eigentliches Meisterwerk. Posthum veröffentlicht ist es ein Fragment, in dem Camus seinem Ideal der Einfachheit am nahesten kommt. „Er stirbt buchstäblich in dem Augenblick, in dem alles beginnen könnte“.

Iris Radisch’s Biografie ist umwerfend gut, sie macht Lust sich noch weiter mit Camus und seinen Büchern zu beschäftigen. Ich habe seitenweise interessante Stellen markiert. Hier nur noch eine kleine Auswahl:

„Es gibt kein Schicksal, das nicht durch Verachtung überwunden werden kann.“

„Europa ist ein Scherbenhaufen. Überall in der Stadt sitzen junge Männer zusammen und brüten bis spät in der Nacht rauchend über den Drehbüchern der Zukunft.“

„Die Freundschaft zwischen Sartre und Camus, von der gern gesprochen wird, hat es niemals gegeben. Doch haben die beiden Stars von Saint-German-des-Prés auf den ersten Blick vieles gemeinsam. Beide – vaterlos aufgewachsen – bleiben ihr Leben lang bekennende Muttersöhne. Beide sind linksintellektuelle Generalisten, gründen Zeitungen, sind Philosophen, Theaterautoren, Journalisten, Romanautoren und öffentliche Intellektuelle. Beide haben ihre prägenden Einflüsse von der deutschen Philosophie empfangen, bei Husserl und Heidegger der eine, bei Nietzsche der andere. Beide bevorzugen literarisch einen gemäßigten Modernismus. Beide sind moderne Tragöden, die ihr Leben lang an dem metaphysischen Schock entlangschreiben, der das 20. Jahrhundert traf, als es merkte, dass der Mensch zwar von Zeit zu Zeit im Café de Flore, doch niemals in den endlosen Räumen des Kosmos von jemandem erwartet wird.“

„Philosophen werden selten bloß mit dem Verstand gelesen, oft mit dem Herzen und seiner Leidenschaft.“

„Im Rückblick hat Camus in allem Recht behalten: Es gibt keine Entschuldigung für die stalinistischen Schauprozesse; keine Zukunft ist es wert, dass in der Gegenwart für sie gemordet wird; Moral lässt sich nicht auf morgen vertagen; alle großen europäischen Revolutionen endeten als Erziehungsdiktaturen und hinter Mauern und Stacheldraht. Seine Kritik am Totalitarismus hat sich als eine der hellsichtigsten Gegenwartsanalysen des 20. Jahrhunderts erwiesen.“

Gelächter im Dunkel – Vladimir Nabokov

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Selbst das schlechteste Buch von Nabokov ist wahrscheinlich noch immer um Klassen besser, als die besten manch anderer Autoren.  Womit ich auf keinen Fall sagen will, dass dieses Buch hier schlecht ist, nur eben nicht ganz so genial wie „Lolita“. Dieses schmale Bändchen hat es in sich. Die gesamte Geschichte wird im Grunde bereits im ersten Satz erzählt:

„Es war einmal ein Mann, der hieß Albinus und lebte in Berlin in Deutschland. Er war reich, angesehen und glücklich; eines Tages verließ er seine Frau um eines jungen Mädchens willen; er liebte, wurde nicht wiedergeliebt und endete im Unglück.

Eigentlich eine Geschichte wie man sie schon tausendfach gehört, gelesen und gesehen hat, aber WIE Nabokov das erzählt ist einfach genial. Die Geschichte „Gelächter im Dunkel“ gibt Einblick nehmen in die Weimarer Republik mit seinen Filmstars und Sternchen, Künstler und halbseidene Figuren, viele von ihnen in der Hoffnung den Weg nach oben zu finden.

Dieses kleine dunkel-kühle Meisterwerk zeigt unerbittlich den Niedergang des alternden schwächlichen Kritikers Albinus der sein ganzes Lebensglück einer Teenager-Schönheit opfert und die ihn im Laufe der Geschichte komplett über den Tisch zieht und als ihr ehemaliger Liebhaber auftaucht, da rauben sie ihm nicht nur nahezu das gesamte Vermögen, sondern sie nehmen ihm auch noch jede Würde und es kommt zu einer tragischen Wahnsinnstat. Liebe kann so lächerlich sein.

Das Buch ist ursprünglich 1932 in Russisch erschienen unter dem Titel „Kamera Obskura“. Es reicht wie gesagt nicht an Nabokov’s „Lolita“ – aber es ist ein echtes kleines Juwel.

Hier ein, zwei Zitate die einen kleinen Vorgeschmack auf das Buch geben:

„Von dem Augenblick an, in dem Elisabeth Margots kurzen Brief gelesen hatte, hatte sich ihr Leben in eines jener langen, grotesken Rätsel verwandelt, die einem im Traum-Klassenzimmer dumpfen Deliriums zur Lösung vorgelegt werden.“

„Das ist die ganze Geschichte, und wir hätten es dabei bewenden lassen, läge nicht Nutzen und Vergnügen im Erzählen; und obwohl auf einem Grabstein Raum genug ist, um in Moos gebunden, die gekürzte Fassung vom Leben eines Mannes aufzunehmen, so sind doch Einzelheiten stets willkommen.“

„Gelächter im Dunkel“ ist im Rowohlt Verlag erschienen.