Es ist immer eine gewagte Sache ein Buch, das einen mit Anfang 20 total begeistert hat, Ewigkeiten später noch einmal zu lesen. Mir ist es immer schwer gefallen, mein absolutes Lieblingsbuch zu nennen, ich habe stattdessen immer eine Handvoll – gelegentlich auch wechselnder – Lieblingsbücher. Aber die „Mandarins“ waren immer dabei. Mit diesem Buch habe ich damals blau gemacht, ich bin nicht ins profane Büro, ich wollte intellektuelle Luft schnappen und habe den ganzen Tag im Cafe Max Liebermann in den Hamburger Kunsthallen zugebracht und mir vorgestellt, ich sei in Paris 😉
Das Buch also nochmal. Großes Wagnis. Die Camus-Biografie die ich kürzlich las, dann die Reportagen von Janet Flanner – ich bin in den letzten Wochen einfach unweigerlich darauf zurück getrieben. Ich habe es gewagt und zum Glück – ich habe keine Enttäuschung erlebt. Es hat mich wieder genauso gepackt wie damals – die einzige Konzession ans Alter – ich habe dieses Mal nicht blau gemacht, sondern es im Urlaub begonnen und abends zu Ende gelesen 😉
Simone de Beauvoir ist eine Frau, deren Werk ich sehr bewundere. 1908 als ältere von zwei Töchtern in ein gutbürgerliches Elternhaus hineingeboren, studierte sie in den 20er Jahren des vorherigen Jahrhunderts Philosophie und legt als zweitbeste nach Sartre, den sie im Studium kennenlernt, ihre Prüfung ab. Sartre und Beauvoir arbeiten einige Jahre in unterschiedlichen Städten, bis sie es Mitte der 30er Jahre schaffen, beide eine Anstellung in Paris zu finden.
Sie veröffentlicht 1954 den Roman „Die Mandarins von Paris“ und es wird ihr bis dahin größter Erfolg, gekrönt durch den renommierten Prix Goncourt. Das Buch gilt als Schlüsselroman, der die Situation der intellektuellen Elite (der Mandarins) in Frankreich beleuchtet. Für Simone de Beauvoir ist alles Fiktion. Sie beleuchtet facettenreich die Situation der Intellektuellen, die nach dem gemeinsamen Kampf gegen die Nazis auf der Suche nach einer Lösung sind, um Kriege ein für alle mal zu beenden, die ihre persönliche Verantwortung hinterfragen und in ihren politischen Engagements zersplittern und in verschiedenste Lager zerfallen. Die Handlung beginnt Weihnachten 1944 und endet Anfang der 50er Jahre.
Sie versuchen ihrem Gewissen zu folgen, versuchen Wege zu finden, mit den USA umzugehen, mit denen sie gemeinsam gegen die Nazis kämpften, dessen ungehemmten Kapitalismus sie aber schwer verurteilen, aber auch die Sowjetunion und der Kommunismus, der kurzfristig als allein seligmachende Ideologie dasteht, verliert mehr und mehr an Bestand durch die Informationen über brutalste Arbeitslager und Verfolgung von Andersdenkenden die aus dem stalinistischen Rußland kommen.
Im Mittelpunkt des Romans stehen die Paare Henri Parron (Albert Camus) und Paule, sowie Robert Dubreuilh (das Pendant zu Jean Paul Satre) und Anne (Simone de Beauvoir). Dazwischen gibt es noch Nadine, die Tochter der Dubreuilh’s, die ein wenig wie die Summe all der jungen Frauen wirkt, die im realen Leben Beziehungen mit de Beauvoir und Sartre hatten.
Die Freundschaft zwischen Parron und Robert Dubreuilh zerbicht am Espoir, der Tageszeitung, die Parron leitet und die ihm wahnsinnig viel bedeutet und die Dubreilh versucht, für seine politischen Zwecke einzusetzen. Dubreilh versucht einen Weg zwischen Kommunismus und europäischem Sozialismus zu finden. Für ihn ist die Sache wichtiger als die Menschen, bei Parron ist das eher umgekehrt. Am Ende gibt es weder die Zeitung noch Dubreilh’s Bewegung.
Anne Dubreilh steht etwas außerhalb der politischen Diskussionen. Sie arbeitet als Psychoanalytikerin und sucht mehr nach dem Glück im privaten Bereich als in der politischen Szene. Sie wird zu einer Vorlesungsreihe in die USA eingeladen und trifft dort auf Lewis (Nelson Algren). Es entspinnt sich eine leidenschaftliche Liebesaffäre, deren Zerrissenheit und späterem Ende der Situation der aus der Resistance hervorgegangenen Intellektuellen ähnelt.
Man traut de Beauvoir solche Romantik gar nicht zu, aber eines der schönsten Zitate überhaupt aus dem Buch ist eine Stelle, in der sie über ihre Liebe zu Lewis sagt:
„She was ready to deny the existence of space and time rather than admit that love might not be eternal“
Die Liebesbeziehung von Henri und Paule steht eher für die Schattenseite der Liebe und die Rolle der Frau in traditionellen Beziehungen. Paule gibt sich völlig auf für Henri, hat keinen anderen Lebensinhalt mehr als ihre Liebe und zerbricht später nahezu völlig, als Henri die Beziehung beenden will.
Neben der politischen und privaten Sinnsuche geht es bei den „Mandarins von Paris“ auch um die Lebensweise der Links-Intellektuellen. Die meisten von Ihnen haben einen priviligierten Hintergrund und können sich im Gegensatz zu den Arbeitern, für deren Rechte sie sich einsetzen, Reisen, Restaurantbesuche, schöne Wohnungen leisten.
De Beauvoir akzeptiert die Ehe oder eine lebenslange Partnerschaft auf geistiger Ebene. Körperliche Monogamie ist nicht ihr Ding. Sowohl im Roman als auch im realen Leben wird Promiskuität ganz selbstverständlich gelebt. Ich fand es interessant, dass sich der Feminismus bei ihr am frühesten auf sexuellem Gebiet bemerkbar macht.
Der Roman schildert den Konflikt zwischen Camus und Sartre sehr gut. Mir hat gefallen, dass sie nahezu objektiv schreibt und Camus meines Erachtens den Roman zu Unrecht als einen Angriff auf seine Person empfand.
Die „Mandarins von Paris“ ist nicht nur ein Roman für die Fans von de Beauvoir, Sarte und Camus oder Anhängern des französischen Existentialismus, in den man einen kleinen Einblick bekommt, sondern für alle, die Interesse an guter, tiefgründiger Lektüre haben.
Die über 800 Seiten lesen sich nicht einfach so weg, das wäre gelogen, aber es ist ein fesselndes Buch. Es spielt großteils in Paris mit Abstechern in die USA, Portugal, Mexiko, es ist das schillernde Zeugnis einer Zeit, in der die Menschen genau wie heute auf der Suche sind, wie man authentisch und richtig lebt. Auch wenn es auf der einen Seite schon gut 60 Jahre auf dem Buckel hat, ist es doch teilweise erschreckend aktuell.
„Die Literatur ist für die Menschen gemacht, nicht die Menschen für die Literatur.“
„Um nichts in der Welt hätte ich diese Vergangenheit noch einmal erleben wollen, und doch hatte sie durch den Abstand der Zeit einen düsteren Zauber bekommen. Ich verstand wohl, dass Lambert sich in diesem Frieden langweilte, der uns das Leben wiederschenkte, nicht aber unsere Lebensinhalte.“
„Fest stand nur, dass er ein fast angstvolles Mitleid mit allen diesen Leben verspürte, die nicht einmal versuchten, sich auszudrücken.“
„Wenn die Situation an sich ungerecht ist, kannst du nicht korrekt in ihr leben. Deshalb wird man wohl dazu veranlaßt, sich politisch zu betätigen: um eine Änderung der Situation anzustreben.“
„Sie glaubte, die Arbeit sei für uns nur ein Mittel, um Erfolg oder Vermögen zu erreichen, und ich war irgendwie davon überzeugt, daß alle diese Snobs ihre gesellschaftliche Stellung gern hergegeben hätten, um dafür Begabung und intellektuelle Erfolge einzutauschen. Schon in meiner Kindheit schien mir eine Lehrerin eine wesentlich bedeutendere Persönlichkeit als eine Herzogin oder eine Millionärin zu sein, und diese Hierarchie hat sich kaum verändert.“
„Aber es ist keineswegs das gleiche, ob man im Interesse des andern oder in seinem eigenen anspruchsvoll ist.“
„Er unterschiebt den andern gern seine eigenen Anschauungen. Sie müssen doch zugeben, daß dies eine etwas imperialistische Form ist, den andern zu schätzen.“
„Die Menschen wandeln sich, aber was nützt es, wenn man das weiß. Man möchte sie sich doch in mancher Hinsicht unbeweglich vorstellen: hier war wieder ein Fixstern, der sich plötzlich an meinem Himmel bewegte.“
„Der ist glücklich, der der Wahrheit seines Lebens ins Gesicht schauen und sich daran freuen, der sie auf den Gesichtern von Freunden entziffern kann.“
„Wenn man sich heute in die Politik mischt, so ist das Schreckliche daran, daß man zu genau weiß, welchen Preis die Fehler kosten.“
„Im Allgemeinen reagiert er auf die großen Zusammenhänge, nicht aber auf besondere Einzelfälle“.
„Überleben bedeutet letztlich, daß man unaufhörlich mit dem Leben wieder beginnt. Ich hoffte, daß ich es noch konnte.“
„Um zu erfahren, wer du bist und was du tun willst, mußt du entscheiden, wo in der Welt dein Standort ist.“
„Dazu verhilft die Literatur: sie zeigt die Welt den andern so, wie man sie selbst sieht.“
„Die Kunst ist ein Versuch, das Böse zu integrieren“.
„Es ist wahr, daß wir alle ein wenig puritanisch sind, dachte er, ich auch. Weil wir es verabscheuen, wenn man uns unsere Privilegien vor Augen führt.“
„Ihm bedeutet eine Idee keine Anhäufung von Worten, sondern etwas Lebensvolles; Ideen, die er in sich aufnimmt, werden in ihm lebendig, sie bringen alles in Unordnung, und er muß schwer arbeiten, um in seinem Kopf wieder Ordnung zu schaffen.“
Hier noch ein wirklich interessantes Porträt über Simone de Beauvoir aus dem Jahr 1973. Fand ich sehr spannend 🙂
Ha, ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als ich dieses Buch gelesen habe… schwierig, aber intensiv.
sehr schone Besprechung, ich habe nur ihre Memoiren einer Tochter aus gutem Hause gelesen, vielleicht wag ich mich mal an dieses ran…
Das Zitat über die Unendlichkeit der Liebe finde ich doppelt schoen weil es die Vehemenz und Unbeugbarkeit der Jugend hat, aber (denke ich) im Buch von einer reifen Frau gesagt wird….
liebe Grüsse,
Dagmar
Danke 🙂
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