Read around the world: Japan

Im Jahr 2016 reisten wir für drei unvergessliche Wochen durch Japan – ein Land, das uns immer wieder überrascht und manchmal auch vor Herausforderungen gestellt hat. Taxifahren war zum Beispiel jedes Mal ein kleines Abenteuer. Aus irgendeinem Grund schien es, als wären sämtliche Taxifahrer mindestens 80 Jahre alt. Sie trugen stets makellose weiße Handschuhe, und die Autos waren mit weißen Häkeldeckchen auf den Sitzen dekoriert. Schon das Einsteigen war besonders, da die Türen automatisch öffneten – ein Detail, das uns jedes Mal aufs Neue verblüffte.

Was die Navigation anging, wurde es allerdings kurios: Statt moderner Navigationssysteme griffen die Fahrer zu Papierkarten und teilweise riesigen Lupen, um die Adressen zu finden. In Kyoto erlebten wir gleich zwei skurrile Taxifahrten hintereinander: Der erste Fahrer war so verloren, dass er uns höflich wieder aus dem Auto bat. Der zweite machte sich immerhin auf den Weg, hielt aber nach kurzer Zeit bei einer Polizeistation an, um sich den Weg zu unserem AirBnB erklären zu lassen. Dieser Mischung aus Höflichkeit, Improvisation und Entschlossenheit begegneten wir des Öfteren auf unserer Reise

Kulinarisch gesehen war Japan eine Offenbarung. Wir haben durchweg gut gegessen – von Sushi, Kobe Rind und Ramen bis hin zu weniger bekannten lokalen Spezialitäten. Allerdings mögen die Japaner ihr Essen offensichtlich sehr frisch. So frisch, dass es uns manchmal die Sprache verschlug.

Ein Erlebnis, das wir nicht so schnell vergessen werden, war in einem Restaurant, in dem am Nachbartisch ein noch lebender Fisch serviert wurde. Der Fisch war in einer speziellen Halterung fixiert und zappelte noch, während ihm bei lebendigem Leib Sushi-Stücke herausgeschnitten wurden. Wir saßen mit offenem Mund da und mussten uns wirklich zusammenreißen, nicht ohnmächtig zu werden. Es war ein Moment, der uns tief verstörte – kulturelle Unterschiede hin oder her.

Auch die Auswahl an Snacks war… eigenwillig. Das rosafarbene Zeug, das auf einem Bild oben zu sehen ist, waren vermutlich dünn geschnittene und getrocknete Quallen, die in Bars oft als kleine Häppchen auf der Theke standen. Der Geschmack? Fischig-würzig, nicht schlecht, aber definitiv gewöhnungsbedürftig.

Die Bars in Japan sind oft winzig – manche kaum größer als ein Handtuch – und haben eine unverwechselbare Atmosphäre. Besonders beeindruckt hat uns die Auswahl an hochwertigen lokalen Whiskys, die an vielen Orten serviert wurde. Einzig der ständig dudelnde Jazz, der oft recht chaotisch klang, ging mir manchmal ein bisschen auf den Zwirn. Es war, als ob die Musik das Gegenteil der japanischen Perfektion widerspiegelte, die wir in anderen Bereichen des Lebens erlebten.

Eine weitere Entdeckung, die uns faszinierte, waren die Buchläden. Egal, welche Stadt wir besuchten – Tokio, Kyoto oder Kobe – Buchhandlungen waren allgegenwärtig, und noch beeindruckender war die schiere Größe der Manga-Abteilungen. Mangas sind in Japan ein Massenphänomen, das sich durch alle Altersgruppen und sozialen Schichten zieht. Manche Manga-Bände waren so dick wie Telefonbücher, und in der U-Bahn konnte man leicht einen Blick über die Schulter der anderen Passagiere werfen, die in ihre Geschichten vertieft waren.

Allerdings waren wir überrascht, wie brutal und explizit viele der Mangas sind – sowohl was Gewalt als auch Sexualität betrifft. Manche Inhalte hätten bei uns wahrscheinlich ganze Debatten ausgelöst, in Japan gehören sie jedoch zum Alltag.

Ein Highlight der Reise war eine mehrtägige Wanderung im Hinterland von Kyoto. Die üppige Natur, die uralten Wälder und die ruhige Atmosphäre entlang der Wege boten einen faszinierenden Kontrast zu den pulsierenden Städten. Übernachtet haben wir in traditionellen Ryokans, den japanischen Herbergen, die einen tiefen Einblick in die Kultur des Landes geben. Der Aufenthalt in einem Ryokan folgt einem festen Ritual: Nach der Ankunft nimmt man ein heißes Bad in einem Onsen, legt anschließend den bereitgelegten Yukata (eine Art leichter Kimono) an und genießt das Abendessen zusammen mit anderen Gästen. Dabei sitzt man auf den klassischen niedrigen Tatami-Matten, die zunächst ungewohnt, aber erstaunlich bequem sind. Die Mahlzeiten, ein Kunstwerk aus regionalen Spezialitäten, waren durchweg köstlich – bis auf das rohe Pferdefleisch, auf das wir rückblickend gerne verzichtet hätten. 😉

Was uns besonders überraschte, war die Tatsache, dass selbst in einer kosmopolitischen Stadt wie Tokio nur wenige Menschen Englisch sprechen. Außerhalb der Hauptstadt war es fast unmöglich, sich verbal zu verständigen. Und doch klappte alles erstaunlich gut, denn in Japan scheint alles darauf ausgelegt zu sein, intuitiv verstanden zu werden. Das U-Bahn-Netz in Tokio ist beispielsweise so gut durchdacht, dass man sich mit etwas Orientierungssinn selbst ohne Sprachkenntnisse zurechtfindet. Auch die Plastikmodelle der Gerichte vor den Restaurants waren ein wahrer Segen: Man wusste immer, was man bestellte – zumindest, wie es aussehen würde!

Ein unerwartetes kulturelles Hindernis stellten Tätowierungen dar. In Japan sind sie nach wie vor stark stigmatisiert, da sie traditionell mit der Yakuza (japanische Mafia) assoziiert werden. Viele Onsen verweigern daher den Zutritt, wenn man sichtbare Tätowierungen trägt. Auch wenn es nachvollziehbar ist, dass diese Regel tief in der Geschichte verwurzelt ist, fanden wir es dennoch etwas befremdlich, dass keinerlei Unterschiede zwischen harmlosen Touristen und Mitgliedern der Unterwelt gemacht werden. Aber gut – andere Länder, andere Sitten.

Eine Sache, die uns nachhaltig beeindruckt hat, war der unglaubliche Perfektionismus, der in so vielen Aspekten des japanischen Alltags sichtbar wird. Der Shinkansen, der Hochgeschwindigkeitszug, fährt buchstäblich auf die Sekunde genau ab und bringt einen in Windeseile von Tokio nach Kyoto. Dabei ist er nicht nur effizient, sondern auch durchdacht: Die Sitze lassen sich drehen, sodass man stets in Fahrtrichtung sitzt, und der Service an Bord ist makellos. Auch der Umgang mit Müll war bemerkenswert: Die Menschen nehmen ihren Abfall überall selbstverständlich mit nach Hause oder händigen ihn auf dem Bahnsteig dem warttenden Personal aus.

Japan fasziniert durch seine Gegensätze: die pulsierende Hektik in Tokio und die meditative Ruhe eines Ryokans; die futuristische Technologie des Shinkansen und die zeitlose Tradition der Teezeremonie. Es ist ein Land, das uns nicht nur zum Staunen brachte, sondern auch eine Lektion darin lehrte, wie harmonisch Gegensätze miteinander koexistieren können.

Japan besteht aus insgesamt 6.852 Inseln, von denen die vier größten – Honshu, Hokkaido, Kyushu und Shikoku – etwa 97% der Gesamtfläche ausmachen. Eine Besonderheit Japans ist seine Gebirgslandschaft: Rund 75% der Landesfläche sind von Bergen oder Wäldern bedeckt. Der höchste Gipfel, der ikonische Mount Fuji, ragt 3.776 Meter in die Höhe und wird von Einheimischen und Besuchern gleichermaßen verehrt.

Mit einer Bevölkerung von etwa 126 Millionen Menschen (Stand 2023) ist Japan das 11. bevölkerungsreichste Land der Welt. Die Bevölkerungsdichte liegt bei etwa 333 Einwohnern pro Quadratkilometer, was deutlich über der Dichte Deutschlands liegt, die bei etwa 232 Einwohnern pro Quadratkilometer liegt. Japan ist allerdings auch von einem demografischen Wandel geprägt: Die Bevölkerung schrumpft und altert rapide, was Herausforderungen für die Wirtschaft und das soziale Gefüge des Landes mit sich bringt.

Japan blickt auf eine über 2.000-jährige Geschichte zurück, die von Kaiserdynastien, Samurai-Traditionen und einer außergewöhnlichen Mischung aus Isolation und Offenheit geprägt ist. Im 19. Jahrhundert gelang Japan mit der Meiji-Restauration ein beispielloser Modernisierungssprung, der das Land zu einer der führenden Industrienationen der Welt machte.

Traditionen spielen trotz des technologischen Fortschritts eine zentrale Rolle. Rituale wie die Teezeremonie oder das Hanami (Betrachten der Kirschblüte) sind tief in der japanischen Kultur verwurzelt. Auch die japanische Religion, eine Mischung aus Shintoismus und Buddhismus, prägt den Alltag vieler Japaner.

Japan gehört zu den größten Volkswirtschaften der Welt und ist insbesondere für seine Technologie- und Automobilindustrie bekannt. Marken wie Toyota, Sony und Nintendo haben das Land zu einem Synonym für Innovation gemacht. Trotz dieser Modernität bewahrt Japan eine starke Verbindung zu seinen handwerklichen Traditionen, sei es in der Herstellung von Katana-Schwertern, Keramik oder Seide.

Trotz seiner dichten Besiedlung hat Japan atemberaubende Naturlandschaften zu bieten. Neben dem Mount Fuji sind die heißen Quellen (Onsen), die Wälder von Yakushima und die malerischen Dörfer in den japanischen Alpen besonders sehenswert. Japan ist auch ein Land der Extreme: Es liegt am sogenannten Pazifischen Feuerring und ist regelmäßig von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Tsunamis betroffen.

Japan ist ein Land der Gegensätze und Harmonie: Moderne Megastädte wie Tokio und Osaka stehen im Kontrast zu den stillen Schreinen und Tempeln, während die Hightech-Wirtschaft durch tiefe Traditionen ergänzt wird. Mit seiner reichen Kultur, faszinierenden Geschichte und beeindruckenden Natur ist Japan nicht nur ein beliebtes Reiseziel, sondern auch ein Land, das in vielerlei Hinsicht einzigartig ist.

Hier noch ein paar Fakten:

  • Fläche: Japan (377.975 km²) ist etwas größer als Deutschland (357.022 km²).
  • Bevölkerung: Japan hat etwa 125 Millionen Einwohner, während Deutschland rund 84 Millionen zählt.
  • Bevölkerungsdichte: Japan (334 Personen/km²) ist dichter besiedelt als Deutschland (233 Personen/km²).
  • Wirtschaft: Japan ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt (nach den USA und China), während Deutschland auf Platz 4 folgt.

Die japanische Literaturszene ist vielfältig und reich an Stimmen, die weltweit Anerkennung finden. Ich lese wahnsinnig gerne Literatur aus Japan und sie ist auch weit verbreitet in deutschen Buchläden. Ich würde sagen Literatur aus Japan erlebt einen wahnsinnigen Boom (neben Südkorea) und Autor*innen wie Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, Yogo Ogawa, Syaka Murate, Fuminori Nakamura um nur ein paar zu nennen, sind auch aus der deutschen Literaturlandschaft nicht mehr wegzudenken. Literatur hat in Japan einen hohen Stellenwert; Buchhandlungen und Lesekultur sind tief in der Gesellschaft verankert, und Autoren genießen großes Ansehen, insbesondere für ihre Fähigkeit, die menschliche Erfahrung in poetischer Klarheit darzustellen.

Da ich ein Buch vorstellen wollte, das ich bisher noch nicht gelesen habe, entschied ich mich für Butter von Asako Yuzuki.

Butter – Asako Yuzki erschienen im Blumenbar Verlag, übersetzt von Ursula Gräfe

Ich habe Butter von Asako Yuzuki fast in einem Rutsch gelesen – was irgendwie passend ist, wenn man bedenkt, wie sehr Essen und Genuss im Mittelpunkt dieses Romans stehen. Die Geschichte kombiniert Elemente eines Krimis mit tiefgehender Sozialkritik und ich bewundere jeden, der es schafft diesen Roman zu lesen ohne permanent hungrig zu sei. Ich mußte sogar die Lektüre unterbrechen um mir Reis mit Butter zu kochen.

Die Handlung dreht sich um Rika Machida, eine ehrgeizige Journalistin, die sich an einem spektakulären Fall die Zähne ausbeißt: die mysteriöse Manako Kajii, die mehrere Männer umgebracht haben soll. Kajii ist eine faszinierende Figur – talentierte Köchin, Femme fatale und zugleich Ziel von unerbittlicher medialer Hetze wegen ihres Aussehens und ihrer Lebensweise.

Was mich besonders an Butter beeindruckt hat, ist, wie Yuzuki den Fokus auf die Themen Misogynie, Körperbild und gesellschaftliche Erwartungen richtet. Während Rika Kajii immer wieder im Gefängnis besucht, verschwimmen die Grenzen zwischen Recherche und persönlicher Obsession. Die Gespräche der beiden Frauen sind mal provokativ, mal tiefsinnig, und sie zeigen, wie Essgewohnheiten und Selbstwahrnehmung oft von Kindheitstraumata und gesellschaftlichen Zwängen geprägt sind.

Essen war ein zutiefst persönliches und egoistisches Verlangen. Gourmets waren im Prinzip Suchende. Sie waren Tag für Tag mit ihren Bedürfnissen beschäftigt und auf Entdeckungsreise. Je aufwändiger sie kochten, desto besser gelang es ihnen, die Außenwelt auszuschließen und eine innere Festung zu errichten. Mit Klingen und Flammen rückten sie den Zutaten zu Leibe, um sie nach ihrem Willen zu formen.

Die Parallelen zwischen Rika und Kajii fand ich dabei spannend, aber auch beklemmend. Während Rika immer tiefer in die Welt von Kajii eintaucht, wird sie selbst zur Zielscheibe ähnlicher Kritik: Ihr wachsender Appetit und die Gewichtszunahme werden von ihrem Umfeld kommentiert und abgewertet – ein Spiegel dessen, was Kajii erlebt hat. Das macht die Geschichte nicht nur persönlich, sondern auch universell, denn es geht um viel mehr als einen Mordfall: Es geht darum, wie Frauen in Japan (und weltweit) zwischen widersprüchlichen Erwartungen zerrieben werden. Ich konnte es gar nicht fassen, dass die Protagonistin mehrfach als unfassbar fett betitelt wird und dabei kaum 60kg auf die Waage bringt.

Asako Yuzuki, geboren 1981 in Tokio, ist eine recht bekannte japanische Autorin, die sich durch ihre scharfsinnigen gesellschaftlichen Analysen einen Namen gemacht hat. Bevor sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, arbeitete sie selbst als Journalistin, was man in Butter spürt: Die Recherche, die Tiefe und die Präzision in ihrer Darstellung von Medien und Gesellschaft wirken authentisch und fundiert. Butter wurde in Japan zu einem Bestseller und zeigt, wie Yuzuki mit feministischen Themen auf leise, aber eindringliche Weise umgeht.

Mir hat der Roman gefallen, er hätte aber gut und gerne 1/3 kürzer sein können, er war stellenweise etwas repetitiv.

Mein Filmtipp für Japan dürfte wenig überraschend sein für alle, die mich ein bißchen kennen, denn ich habe diesen Film schon massig empfohlen und hochgelobt: „Perfect Days“ von Wim Wenders – einer meiner absoluten Lieblingsfilme 2024:

Perfect Days von Wim Wenders ist ein ruhiges, poetisches Porträt eines introvertierten Toilettenreinigers in Tokio, der durch die kleinen Momente des Alltags und seine Liebe zu Büchern und Musik die Schönheit des Lebens feiert.

Musikalisch kann es für mich nur eine Band aus Japan geben: MONO – eine ikonische Post-Rock-Band bekannt für ihre epischen, emotionalen Klanglandschaften. Seit ihrer Gründung im Jahr 1999 haben sie zahlreiche Alben veröffentlicht und ich hatte auch schon das Glück sie live zu erleben. Alben wie Hymn to the Immortal Wind (2009), eine Mischung aus orchestralen Arrangements und intensiven Gitarrenwänden, und You Are There (2006), ein Meisterwerk voller melancholischer Schönheit, gehören zu ihren wichtigsten Werken. Ihre Musik ist introspektiv, dramatisch und zeitlos – ein Erlebnis, das unter die Haut geht.

Habt ihr jetzt vielleicht Lust bekommen, euch noch mal auf die anderen Stationen der Weltreise zu begeben? Dann bitte hier entlang:

Großen Applaus für alle, die bis hier hin durchgehalten haben. Ich hoffe euch hat der Ausflug nach Japan Spaß gemacht – ich habe auf jeden Fall riesige Lust mal wieder hinzufahren. Eines meiner aufregensten Reiseerlebnisse bisher.

Möchtet ihr noch ein bißchen in Japan bleiben? Hier sind weitere japanische Bücher die ich hier rezensiert habe: Tatsuki Fujimoto – Goodbye Eri, Waka Hirako – My broken Mariko, Yasushi Inoue – Der Tod des Teemeisters, Natsu Miyashita – Der Klang der Wälder, Lucy Fricke – Takeshis Haut, Haruki Murakami – Mr. Aufziehvogel, Erste Person Singular, Von Beruf Schriftsteller, Sayaka Murata – Convenience Store Woman, Fuminori Nakamura – The Thief, Die Maske, Sosuke Natsukawa – The cat who saved books, Yoko Ogawa – The Memory Police, Marion Poschmann – Die Kieferninseln, Franka Potente – Zehn, Natsume Soseki – Der Bergmann, Rin Usami – Idol Burning, Edmund de Waal – Der Hase mit den Bernsteinaugen, Banana Yoshimoto – NP, Ein seltsamer Ort

Seid ihr schon mal nach Japan gereist? Wie hat es euch gefallen? Welche japanischen Autor*innen / Bands / Filme könnt ihr empfehlen? Ich freue mich sehr von euch zu hören.

Der nächste Stopp ist etwa 8000km entfernt – kommt ihr wieder mit?

The Thief – Fuminori Nakamura

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„Was the young man’s fate really controlled entirely but the nobleman? Or was being controlled by the nobleman the young man’s fate?“

Während unseres Urlaubs in Japan hatte ich zeitweise Panik, nicht genug Bücher dabei zu haben und obwohl Japan ein absolutes Buch-Mekka ist, musste ich nach einem Laden, der auch englischsprache Bücher führt, ganz schön Ausschau halten. Als ich dann einen fand, war der gigantisch und ich hätte mich ohne Probleme tagelang darin verirren können.

Murakami und Yoshimoto hatte ich natürlich reichlich dabei, es musste also etwas anderes frisches japanisches her und da stolperte ich über Fuminori Nakamura, dessen Bücher mir in zahllosen japanischen Läden aufgefallen waren und den ich dort auch in englischer Ausgabe fand. Letztlich hatte ich doch genug zu lesen dabei, Nakamura flog also ungelesen mit mir zurück und da gleich nach meiner Rückkehr unsere jährliche Bücherwahl im Bookclub anstand, schlug ich Nakamura vor und er wurde auch prompt gewählt, allerdings musste ich jetzt fast ein Jahr warten, bis er endlich dran war.

Aber gleich vorneweg – das Warten hat sich gelohnt: Nakamura beschert uns mit dem Tokioer Taschendieb Nishimura einen Anti-Helden par excellence und beschäftigt sich darüberhinaus auf interessante Weise mit den Themen Schicksal und Manipulation.

In diesem Noir-Thriller hat die Unterwelt wenig von dem düsteren Glamour, der sonst häufig in der Anti-Helden Welt zu finden ist. Hier werden sowohl die Kriminellen als auch deren Opfer vom Schicksal ordentlich in die Mangel genommen. Nakamura zeichnet ein emphatisches Porträt eines einsamen Mannes, dessen Lebenswille erzwungenermaßen im letzten Moment wieder rausgekitzelt wird.

Der Dieb ist ein Künstler seines Faches und dabei ein heimlicher Robin Hood. Er stiehlt nur von den Reichen, ohne Gewalt anwenden zu müssen und schickt die gestohlenen Brieftaschen per Post zurück, nachdem er das Geld heraus genommen hat. Für den besonderen Kitzel nimmt er manchmal auch nur einen Teil des Geldes raus und steckt die Brieftasche zurück, ohne dass das Opfer merkt bestohlen worden zu sein.

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Nishimura hat seine Prinzipien und eines davon ist seine Unabhängigkeit. So wenige persönliche Bindungen wie möglich. Seine verheiratete Liebhaberin hat ihn gerade verlassen, als er auf eine junge Mutter mit ihrem Sohn trifft. Er überrascht die beiden beim Ladendiebstahl und hilft ihnen, den Detektiv loszuwerden. Der kleine Sohn ist einigermassen talentiert und zöglichlich nimmt er den Jungen unter seine Fittiche. Wenn er ihn nicht dazu bringen kann aufzuhören mit dem Stehlen, dann will er ihn zumindest vernünftig ausbilden.

„If you can’t stop the light from shining in your eyes, it’s best to head back down in the opposite direction“

Als Nishimura mit den Yakuza, der japanischen Mafia, in Kontakt kommt (meine Interpretation, die Organisation wird nicht explizit genannt) gerät er in eine Spirale der Gewalt und der Düsterkeit.

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Man erfährt meist nur Bruchstücke und der unzuverlässige Erzähler der Geschichte bleibt durch die Geschichte hindurch distanziert. Die Sprache ist kühl und einfach, die Geschichte düster, streckenweise liest es sich wie ein Filmscript und ich hoffe auch sehr auf eine Verfilmung.

Eine verstörender Einblick in eine einsame, sich teilweise selbstverleugnende Persönlichkeit. Das Buch wollte mich gar nicht mehr loslassen. Dies wird nicht mein letzter Nakumara bleiben. Ich freue mich, dass bereits 4-5 weitere Bücher von ihm übersetzt wurden.

Im deutschen ist das Buch unter dem Titel „Der Dieb“ im Diogenes Verlag erschienen.

Japan by the Book – Teil 2

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Welcome back. Nach Bergen, Natur und Hinterland wurde es Zeit, sich wieder den urbanen Ecken Japans zu nähern. Natur ist schön und gut, allzulange halte ich es jedoch ohne Stadt und Menschen nicht aus. Unser nächstes Ziel war Kyoto, die ehemalige Hauptstadt. Eine Stadt die überall als die hübschere kleine Schwester Tokyos gehandelt wird und auf die wir sehr gespannt waren. Begrüßt wurden wir allerdings mit strömendem Regen und unfreiwilligen Abenteuern mit Taxi-Fahrern, der kompliziertesten Spezies der wir in Japan begegnet sind 😉

Alle Taxifahrer die wir gesehen haben, waren ausnahmslos alte Männer, weiß behandschuht in blitzsauberen Taxis, die mit weißen Häkeldeckchen verziert waren. Ein Schild weist meist auf „foreign friendly english speaking Taxi“ hin, davon haben wir nur leider nichts gemerkt. Keiner der Taxifahrer sprach auch nur ein Wort Englisch. Der erste Fahrer in Kyoto (wie erwähnt sehr sehr alt) dem wir unsere Ziel-Adresse (extra in japanisch) hinhielten, schüttelte den Kopf, griff zu einer riesigen Lupe, um dann endlos in einem Stadtplan nach der Adresse zu suchen, während er pausenlos auf japanisch auf uns einplauderte um uns dann nach etwa 10 min resigniert aus dem Taxi zu schicken.

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Nächster Versuch. Wieder zurück in die Taxischlange und die Hoffnung, der nächste würde die Adresse lokalisieren können. Es war nicht einmal sehr weit weg vom Bahnhof Kyoto, nur die Sturzbäche, die runtergingen, ließen uns weiterhin auf ein Taxi hoffen. Der nächste wieder alt und weiß behandschuht, schüttelt den Kopf, plaudert japanisch mit uns, aber dann fährt er doch irgendwann los – juhu – bis zur nächsten Polizeistation, wo wir schon befürchteten, verhaftet zu werden für Irreführung von Taxifahrern oder Verweigerung der japanischen Sprache, aber nein, er liess sich nur den Weg erklären und zack ging es endlich ins angemietete AirBnB.

Ein Wort noch zur unglaublichen Ehrlichkeit der Japaner. Es scheint nahezu keine Kriminalität zu geben (abgesehen ggf. von der Yakuza (japanische Mafia) von der wir im Alltag allerdings nichts mitbekommen haben. Der Taxifahrer schaltete auf halber Strecke den Meter aus, damit wir nicht für seine Orientierungslosigkeit zahlen müssen, uns wurden T-Shirts kilometerweit nachgefahren, die wir in einem der Ryokans haben liegen lassen. Nicht eine Sekunde kommt einem die Idee, in den überfüllten U-Bahnen könnte einem jemand den Geldbeutel stehlen – ein wirklich unglaublich sicheres und ehrliches Land.

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Literarisch habe ich mich in Kyoto von Banana Yoshimoto begleiten lassen. „Amrita“ ist die Geschichte einer jungen Japanerin, die trotz diverser Schicksalsschläge nicht aufgibt, weiterhin sehr offen ist und ein großes Herz hat. Sakumi, die Protagonistin hat bei Beginn des Buches nicht nur ihren Vater, sondern auch ihre Schwester, eine Schauspielerin, verloren, sie selbst erleidet Hirnverletzungen bei einem Unfall. Das alles ist aber weniger tief und dramatisch, als man vielleicht befürchtet. Sakumi lebt mit und in ihrer ungewöhnlichen Familie zu der ihre Mutter, ihr kleiner Bruder und eine Freundin der Mutter gehören und mit ihnen begibt sie sich auf eine Reise durch Trauer und Leiden, verlorenen und weidergefundenen Erinnerungen, verbotene Liebe und erlebt auf einer einsamen kleinen Insel im Pazifik eine intensive Zeit.

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Nach ein paar spannenden Tagen in Kyoto brachte uns der Shinkansen nach Kobe. Eine wunderschöne kleine Hafenstadt und zugleich der Geburtsort von Haruki Murakami. Wir haben uns dort so wohl gefühlt, dass wir unsere Pläne umwarfen und dort unser Basislager aufschlugen, um von dort Ausflüge zu machen, aber nicht mehr alle 2-3 Tage die Unterkunft zu wechseln.

Mir ist erst in Japan klar geworden, wie außergewöhnlich Murakami und auch Yoshimoto sind, wie sehr ihre Protagonisten und vermutlich auch sie selber als Individuen unterwegs sind, in einer Gesellschaft, die so viel Wert auf Konformität legt.
Man sieht das bespielsweise daran, dass es in den Städten überall dort voll ist, wo es Geschäfte gibt, oder Restaurants oder an designierten Sehenswürdigkeiten, ist etwas nicht als Sehenswürdigkeit deklariert, dann ist da auch niemand. Niemand und ich meine niemand. Wir haben in Tokyo in der „Golden Week“ das Rathaus anschauen wollen, in der Ecke ist einiges an wirklich beeindruckender Architektur zu sehen, zwei Straßen weiter ist man von den Menschenmassen erdrückt worden, aber Rathaus und die anderen Gebäude gelten nicht wirklich als „Sehenswürdigkeit“ und zack waren wir komplett alleine da, das fühlte sich richtig seltsam an 😉

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Von William Gibsons „Idoru“ habe ich mich in der letzten Woche begleiten lassen. Sein „Blade Runner“ ist ja fast schon synonym mit dem Cyper-Tokyo der Zukunft. Aber auch „Idoru“ spielt im Tokyo der Zukunft nach dem katastrophalen Riesen-Erdbeben. Nano-Technologie führt dazu, dass die Gebäude sich selbst errichten, ein melancholischer Protagonist fegt durch das neonfarbene japanische Wunderland auf der Suche nach Arbeit. Colin Laney ist ein Datenfischer, einer der Muster in den Daten erkennt, die Individuen in der Datenwelt hinterlassen. „Idoru“ beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, inwieweit Prominente natürliche Ressourcen sind, die man anzapfen kann und darf, ein Gemeingut sozusagen.

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Die Menschen in der Geschichte sind alle auf der Suche nach etwas das „echt“ ist, mit dem sie sich wirklich verbunden fühlen können und gleichzeitig ist es die Geschichte von Rez, einem Rock Star, der sein Management und seine Fans mit der Nachricht schockt, eine softwarebasierte Lebensform namens Rei Toei – ein Idoru – heiraten zu wollen.

Film-Fans werden insbesondere in Tokyo immer wieder auf Orte stoßen, die man aus Filmen kennt. Sei es der Moment, wenn man auf die Autobahntrasse fährt, die man aus Tarkovskys „Solaris“ kennt:

oder ob man sich in der Lost in Translation Hotel-Bar einen Cocktail oder zwei gönnt:

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Godzilla begegnet man natürlich auch auf Schritt und Tritt:

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Unser leztes großes Abenteuer in Japan war der Besuch des Universal Pictures Themepark. Ich war mehr als skeptisch und hätte mir nie träumen lassen, wieviel Spaß ich dort haben würde. Spätestens als wir auf einmal in Hogsmeade standen, war ich wieder 9 und konnte vor Aufregung kaum gerade aus laufen. Zum Glück hatten wir uns Speed Tickets gegönnt, denn selbst Harry Potter zuliebe hätte ich mich wohl nicht 160 Minuten irgendwo angestellt. Aber der 3D-Ride war unglaublich und das abgefahrenste, beste und aufregenste was ich jemals gefahren bin.

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Sayonara Japan es war wunderschön. Es war einer der außergewöhnlichsten und aufregendsten, aber auch teuersten Urlaube meines Lebens und ich bin froh, dass ich durch die Literatur wenigstens im Geiste auch weiterhin ab und an eine Stipvisite machen kann.

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Banana Yoshimoto – „Amrita“ ist im Diogenes Verlag erschienen
William Gibson „Idoru“ ist auf deutsch unter dem gleichen Titel bei Heyne erschienen

Wenn der Wind singt/Pinball 1973 – Haruki Murakami

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Das ist voll und ganz Murakami und zwar von der ersten Seite. Das ist bei seinem Erstling kein langsames Rantasten, kein Entdecken von ersten Murakami-Anzeichen, für mich war er von Anfang an gleich da, so wie man ihn kennt. Vielleicht etwas weniger surreal, als in vielen anderen Büchern, aber sein letztes Buch „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ war ja auch relativ geradlinig.

Wer hier jetzt eine maximal objektive Kritik auf die sehnsüchtig erwartete Übersetzung seines Debüts erwartet, der sollte schnell weiterziehen, für den gibt es hier nichts zu sehen. Ich gestehe es vollkommen schamlos ein – ich bin ein Fan. Ein Fan der jedes seiner Bücher verschlingt, sie sicherlich nicht komplett kritiklos durch die Bank weg alle gleich gut findet, ich habe meine Lieblinge, aber wirklich nicht-mögen, das kam einfach noch nicht vor.

Auf „Wenn der Wind singt/Pinball 1973″ habe ich lange gewartet. Seine Weigerung, das Buch außerhalb Japans veröffentlichen zu lassen, hat natürlich auch noch mal zusätzlich Sehnsüchte bei mir ausgelöst und jetzt endlich ist es da. Ich habe es schon vor ein paar Wochen gelesen, war ständig auf der Suche nach einem Flipperautomaten als passendes Hintergrundmotiv für das Foto, musste aber feststellen, die Flipperzeiten sind wohl rum. Bin in den letzten 4 Wochen ja ziemlich rumgekommen, aber keinen Flipperautomaten gefunden. Nicht in Köln, nicht in Berlin, nicht in Hamburg und auch nicht in Dresden. Und zu Hause in München auch nicht. Also mußte Ferienhund „Bonnie“ als Model herhalten 😉 Sie schläft im Übrigen nachts besonders gut ein, wenn man ihr Murakami vorliest.

„Ja, ganz klasse, und wenn wir kein Geld haben, weinen wir vor Freude.“

„Das rieche ich. Wie Reiche andere Reiche riechen, können Arme andere Arme riechen.“

Im Vorwort erzählt Murakami wie er zum Schreiben gekommen ist. Während eines Baseballspiels im Jingu Stadium im Jahr 1978 während eines besonders guten Schlages (Schlag oder Wurf, jesses Baseball ist eindeutig NICHT meine Disziplin) hat er urplötzlich die Eingebung: Ich glaube, ich könnte einen Roman schreiben. Und so nebensächlich diese Begebenheit erscheint, ich finde sie total bezeichnend für Murakami. Seine knapp 30-jährigen Protagonisten driften auch einfach so durchs Leben, haben irgendwann plötzlich mehr oder weniger seltsame Begegnungen oder Erlebnisse, die sie in die in unweigerlich folgende mehr oder weniger surreale Abenteuer stürzen.

„Wenn der Wind singt“, ist die Geschichte eines namenlosen Studenten, der die Semesterferien in seinem Heimatort verbringt. Er trifft sich regelmässig mit seinem besten Freund „Ratte“, einem Mädchen das nur vier Finger hat und einem Barkeeper. „Pinball 1973″ geht drei Jahre später weiter. Der Student lebt nun in Tokio, „Ratte“ wartet zu Hause in der Bar immer noch aufs Leben. Es wird so ausgiebig und wunderbar geflippert, wie wohl niemals wieder in der Literatur und ich habe solche Lust drauf bekommen.

Ich war mal richtig gut im Flippern. Erinnere mich noch bestens an den Star Trek Flipper in Hamburg-Dehnheide und meine nächtlichen Flipper-Marathons. Wirklich traurig, das ich es über Wochen nicht geschafft habe einen Automaten zu finden. Die können doch nicht ernsthaft ausgestorben sein. Falls irgendjemand von Euch weiß, wo ich meine Flipperlust mal wieder ausleben könnte, Tipps bitte umgehend an mich 😉

„Wir schlugen in einer dunklen Ecke der Bar die Zeit mit Flippern tot. Die Zeit war mit tonnenweise Kleingeld erkauft, kein gutes Geschäft. Aber Ratte nahm wie immer alles sehr ernst, weshalb es beinahe ein Wunder war, dass ich von den sechs Spielen an diesem Abend zwei gewann.“

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Foto: venturebeat.com

„Wenn der Wind singt/Pinball 1973“ sind wie Murakami sagt, wichtig für ihn. Sie haben eine wichtige Rolle für seinen Erfolg gespielt und „kommen ihm vor wie Freunde von früher“. So wird es wahrscheinlich auch den meisten Lesern gehen. Die beiden kurzen Romane kommen einem unheimlich vertraut vor und wir lernen „die Ratte“ kennen und Js Bar, die in Murakamis „Wilde Schafsjagd“ vorkommt, der Roman, der ihn 1982 erstmals einem breiten Publikum zugänglich machte. Der Roman, den Murakami oft als den eigentlichen Beginn seiner Karriere bezeichnet.

„Alle Ströme seines Bewußtseins, die sich nicht in Einklang bringen ließen, liefen plötzlich in verschiedene Richtungen auseinander. Ratte hatte keine Ahnung, wie lange es dauern würde, bis sie sich wieder zu einem vereinigten. Im Augenblick waren es nur dunkle Flüsse, die auf die endlose Weit des Meeres zuströmten. Vielleicht würden sie nie wieder zusammenkommen. Sich vorzustellen, dass das nach fünfundzwanzig Jahren alles gewesen war. Da konnte man sich doch nur fragen, was das sollte. Ratte wußte es nicht. Eine gute Frage, aber keine Antwort. Auf gute Fragen gab es nie Antworten.“

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Im Guardian habe ich diesen sehr treffenden Vergleich gefunden: Murakamis books are like … „Raymond Chandler were writing scripts for David Lynch to direct with Yasujirō Ozu: super-elliptical pop-noir for the twentysomething well-to-do“

Neueinsteigern in Murakamis Welt würde ich diese beiden kurzen Romane erst einmal nicht empfehlen, da gibt es bessere, um ihn kennen- und liebezulernen. Für Fans aber ein wunderbares kleines Goldnugget, das einem nicht fehlen darf.

Takeshis Haut – Lucy Fricke

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Eigentlich war ja der Plan, dieses Jahr nach Japan zu reisen, doch dann hat die Vernunft gesiegt und es wird noch ein weiteres Jahr eisern gespart, damit wir dann nächstes Jahr gleich ein paar Wochen lang im Land herumreisen können. So lange wollte ich jetzt aber doch nicht warten auf „Takeshis Haut“, denn ich war sehr gespannt darauf.

Obwohl ich mich für Japan interessiere, mit Herrn Murakami einer meiner absoluten Lieblingsschriftsteller aus dem Land kommt, weiß ich nicht wirklich viel darüber. Kirschblüten, Kimonos, Herr Murakami, Frau Yoshimoto, leckeres Essen und die Bilder aus Tokio die man so kennt.

Daher große Vorfreude bei mir auf Lucy Frickes Buch, ein Weihnachtsgeschenk über das ich mich sehr gefeut habe, denn die Geschichte klingt ziemlich ungewöhnlich. Eine Geräuschemacherin namens Frida verschlägt es für die Vertonung von Filmaufnahmen nach Japan. Sie reist ohne große Erwartungen hin, sieht es hauptsächlich einfach als Arbeitsauftrag und merkt plötzlich, das Japan ganz anders klingt. Auf ihren Aufnahmen meint Frida ein Geräusch zu hören, das nicht dort hingehört, das sie ängstigt und es irgendwie bedrohlich durch ihren Körper zu rollen scheint. So recht will und kann ihr keiner glauben.

Ihr Auftraggeber in Deutschland vermittelt ihr mit Takeshi einen Begleiter, der ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen soll in Japan. Die beiden teilen bald nicht nur jede Menge Dosenbier miteinander, sondern auch das Bett. Er zeigt und erzählt ihr viel über seine Heimat, über sich selbst eher weniger.

„Er war so wenig Mann und sie so sehr Frau“

Die Geschichte spielt im Frühling 2011 und während Fridas Aufenthalt kommt es zur Katastrophe von Fukushima und ihr Leben gerät endgültig aus den Fugen. Wie ein Seismograph spürt der Roman die verschiedenen Erschütterungen auf. Die inneren und die äußeren. Sie bleibt trotz der Katastrophe, obwohl es bebt und schwankt und Frida droht den Boden unter den Füßen zu verlieren, ihre Stabilität, die sie auch so attraktiv für Takeshi macht.

„Wir akzeptieren das Unvermeidliche, in der Hoffnung, dass es nie passiert.“

Zurück in Deutschland erlebt sie die Deutschen, die nahezu in Panik sind, obwohl das Unglück soweit weg ist. Ganz im Gegensatz zu den Japanern, die versuchen schnellstmöglich in ihren gewohnten Alltag zurückzukommen. Freunde weichen aus Angst vor Strahlung vor ihr zurück, am Flughafen wird sie mit Geigerzähler empfangen.

Ob es ihr gelingen wird, in ihr altes Leben mit ihrem langjährigen Freund zurückzukehren, werde ich nicht verraten. Erst einmal kehrt sie zurück in ihr Haus, in dem es ebenfalls bebt durch die Bauarbeiten in der Nähe und durch das ein riesiger Riss geht.

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Fricke selbst trat nur wenige Wochen nach der Fukushima Katastrophe ein Stipendium am Goethe-Institut in Kyoto an. „Takeshis Haut“ ist ein Roman mit einer ganz und gar außergewöhnlichen Atmosphäre. Man muss in der richtigen Stimmung sein, um den Roman geniessen zu können. Die Sprache kann man aber jederzeit genießen. Lucy ist schon teilweise ein depressives Miststück, Takeshi manchmal ein bisserl sehr Film noir tragisch. Macht aber nix.

Ein bewegender Roman – hätte ich vorher nicht schon riesige Lust gehabt, nach Japan zu fahren, jetzt habe ich noch viel mehr. Ob es dort bebt oder nicht.

„Takeshis Haut“ ist im Rowohlt Verlag erschienen.

Mister Aufziehvogel – Haruki Murakami

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Der Titel des Buches „Mister Aufziehvogel“ bezieht sich auf einen merkwürdigen Vogel, den nie jemand tatsächlich zu Gesicht bekommt und dessen Ruf irgendwie ein Überbringer schlechter Nachrichten zu sein scheint. Die Geschichte ist nicht einfach wiederzugeben. Man wird von Anfang an in eine Art hypnotischen Strudel hineingezogen, in dem sich das Suchen nach verschwundenen Katzen, Menschen, Gegenständen im Zentrum befindet.

Toru Okada, ein Mann in Tokio Anfang 30, hat keinen Job, keinerlei Ambitionen und eine Ehe, die langsam aber sicher zerbröselt. Als ihre Katze verschwindet, sucht er auf Anraten seiner Frau Hilfe bei dem merkwürdigen Geschwisterpaar Malta und Kreta Kano, die ihm ab da weder im echten Leben, noch im Traum,  von der Seite weichen.

Seine Frau verlässt ihn plötzlich und ohne jegliche Erklärung, er hängt viel mit einer pupertierenden Schulabbrecherin ab, die sich unaufhörlich mit dem Tod beschäftigt und die für eine Perückenfabrik arbeitet.

„Neugier kann manchmal den Mumm aus seinem Versteck hervorlocken, ihm vielleicht sogar einen richtigen Schubs geben. Aber Neugier verfliegt in der Regel bald. Mumm braucht Durchhaltevermögen.“

Toru versucht seine Frau zu finden, versucht all die verschiedenen Sachen zu verstehen, die ihm in letzter Zeit so passiert sind und um besser nachdenken zu können, begibt er sich auf den Boden eines Brunnens in der Nachbarschaft. Dort unten in der absoluten Einsamkeit macht er bizarre Erfahrungen, die wirklich sind oder auch nicht. Er wird irgendwann von Kreta Kano gerettet und im Laufe der Geschichte verbringt Toru mehr und mehr Zeit im Hotel oder in einem mysteriösen Hotelzimmer, das vermutlich nur in seiner Phantasie existiert. Es wird immer schwieriger zu unterscheiden, was wirklich ist und was nicht.

„Die Zeit entzieht in der Regel den meisten Dingen ihr Gift und macht sie harmlos“

Murakami versteht es meisterhaft Flashbacks, Träume, Zeitungsartikel, Internet Chats, Briefe und Berichte in seine Geschichte einzubauen. Bei keinem anderen seiner Bücher die ich bisher gelesen habe (eine ganze Reihe!) habe ich mich so sehr an Kafka erinnert gefühlt.

Sehr viele meiner ähnlich Murakami-besessenen Freunde haben mir immer wieder prophezeit, das Mister Aufziehvogel auch mein Lieblings-Murakami werden wird. Ist er nicht geworden. Ich finde den Roman phantastisch, werde ihn sicherlich auch irgendwann noch einmal lesen, aber sei es aus unbewusster Rebellion oder aus welchen Gründen auch immer, aber mein Lieblings-Murakami ist nach wie vor „Kafka am Strand“ wenngleich ich unmöglich wirkliche eine nachhaltige Platzierung vornehmen könnte, die Positionen würden je nach Tagesform ständig wechseln, da bin ich mir sicher.

Die Frauen in seinen Büchern sind immer die stärkeren, geheimnisvolleren die regelmässig verschwinden und auf deren Suche der meist recht antriebslose Protagonist gehen muss.

Murakami lesen und ganz besonders auch den Aufziehvogel ist, als würde man sich auf eine Achterbahnfahrt durch die Träume eines anderen Menschen bewegen. Das mag man oder eben auch nicht. Einige dieser Bilder lassen mich gar nicht mehr los. Einige sind wiederkehrende Motive seiner Bücher und ich bekomme die verwinkelten labyrinthartigen Hotelflure nicht mehr aus dem Kopf, den trockenen Brunnen, den Vogel in der merkwürdigen Gasse, die keinen Durchgang hat, der Rossini pfeifende Kellner, das Teenager-Mädchen beim ewigen Sonnenbad in den verwunschen anmutenden Gärten und leider vergesse ich auch das Hautabziehen am lebendigen Leib nicht mehr.

„Je beschränkter der geistige Horizont eines Mannes ist, desto mehr Macht kann er in einem Land gewinnen.“

Hier ist noch eine weitere sehr schöne Rezension des Buches.

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Foto: Designtaxi

N. P – Banana Yoshimoto

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Kazami, die Erzählerin, arbeitet wie ihre Mutter als Übersetzerin. Ein paar Jahre nach dem Selbstmord ihres Freundes, der ebenfalls als Übersetzer tätig war, trifft sie die Kinder des Autors der Kurzgeschichten-Sammlung NP (benannt nach einem alten Song „North Point). NP scheint verflucht zu sein. Der Autor selbst, Sarao Takase, hat Selbstmord begangen, ebenso drei der Übersetzer, die versuchten das Werk ins Japanische zu übersetzen. Takases Kinder sind ziemlich besessen von den Geschichten.

Insbesondere von der Geschichte, in der ein Mann eine Affäre mit einem jungen Mädchen hat, das sich später als seine Tochter herausstellt. Eine kaum verhüllte Anspielung auf Takases Affäre mit seiner eigenen Tochter Minowa. Diese wiederum ist jetzt mit ihrem Halbbruder Otohiko zusammen, eine Situation, die beiden mehr und mehr zu schaffen macht und die durch Minowas unerwartete Schwangerschaft zu einem dramatischen Ende kommt.

NP ist ein wilde Kombination aus Inzest, Selbstmord und kaputten Beziehungen. Man könnte das ganze für einen Krimi halten, aber das ganze ist dann doch mehr die Geschichte dreier Mädchen und eines Jungen, die sich auf unterschiedliche Weise zueinander hingezogen fühlen.

„Aber nicht einschlafen können hat auch was für sich. Die Nacht ist interessant. Für Leute, die sofort einschlafen, ist sie im Nu vorbei, aber dem, der sich durchwacht, kann sie wie ein ganzes Menschenleben vorkommen. Bisweilen hat man sogar das Gefühl, Zeit gewonnen zu haben.“

Die Atmosphäre ist traumartig, die Sprache recht spartan aber ich wurde einfach das Gefühl nicht los das ganze sei eine nicht zu Ende entwickelte Kurzgeschichte. Am liebsten hätte ich sie um- oder weitergeschrieben. Die Charaktere sind allesamt ziemlich schräg und narzistisch und so wirklich warm wurde ich nicht mit ihnen.

Nach den phantastischen Büchern „Kitchen“ und „Tsugumi“ empfand ich NP als deutlich schwächer. Es wird aber nicht mein letzter Yoshimoto gewesen sein.

„Ich sah den Himmel und das Meer und den Sand und die flackernden Flammen des Lagerfeuers – meine Sicht war noch verschwommen von den Tränen. Alles auf einmal stürmte mit schwindelerregender Geschwindigkeit in meinen Kopf, daß mir die Augen rollten. Die ganze Welt, alles, was geschehen war, war wunderschön – wahnsinnig schön, zum Verrücktwerden.

 

Von Männern, die keine Frauen haben – Haruki Murakami

Murakami

Was ist das nur mit mir und Haruki Murakami ? Ich habe einige Lieblingsautoren, von denen ich vieles lese, Neuerscheinungen sofort in Augenschein nehme, mit denen ich für gerne mal ein Bier trinken gehen würde – aber mit Murakami ist das alles ganz anders.

Seine Bücher brauche ich, die haben mich so ganz sachte, langsam, einfach komplett süchtig gemacht. Seine Protagonisten fühlen sich an wie meine dunkle Seite des Mondes.

„Von Männer, die keine Frauen haben“ beinhaltet 7 Kurzgeschichten. Bei dem Titel hatte ich anfangs eine andere Vorstellung von dem, was mich erwartet, denn Japan hat ja bekanntlich eine hohe Anzahl an jungen Single-Männern, die ewig im Kinderzimmer wohnen bleiben, häufig auch keinen Job haben und irgendwie aus dem Leben gefallen sind. Die Männer in Murakami’s Buch sind anders.

Sie sind schon eher der typische Murakami-Typ. Durchaus unterschiedliche Charaktere und unterschiedliche Lebensstile, aber alle doch irgendwie selbstgenügsam, leise, auf eine nicht zu unnahbare Art stoisch und freundlich. Was sie eint ist das aus der Bahn fliegen. Es erwischt sie alle irgendwann und fast immer ist es eine Frau, die ihr ruhiges Fahrwasser ins Strudeln bringt.

Die meisten Geschichten sind sehr in der realen Welt angesiedelt, ganz selten nur bekommt die Realität wie in „Kinos Bar“ haarfeine Risse. Es geht um das Verlieren, das Verlassenwerden und das nicht festhalten können. Vom Lieben und Betrügen.
In jedem der Protagonisten meint man, ein Stück vom Autor zu sehen.

In „Drive my Car“ geht um einen Schauspieler, der alkoholbedingt seinen Führerschein verloren hat, sich daher eine Fahrerin nimmt und ihr erzählt, dass er sich nach dem Tod seiner Frau mit deren Liebhaber angefreundet hat.
„Will man einen anderen Menschen wirklich verstehen, kann man nur möglichst ehrlich und tief in sich selbst hineinschauen. Das ist meine Ansicht.“

„Yesterday“ kannte ich schon. Die Geschichte war vor ein paar Monaten im New Yorker veröffentlicht worden. Sie handelt von einem Studenten, der sich an seinen seltsamen Freund Kitaru erinnert der besessen vom Kansai Dialekt war, obwohl er in Tokyo geboren war. Kitaru bittet den Studenten, sich mit seiner Freundin Erika zu treffen und kurz darauf verschwinden beide aus dem Leben des Studenten.
„Es war ein weiteres meiner Probleme, dass ich immer über Gründe nachgrübelte, auch wenn alles längst entschieden war.“
„Wie Bäume harte Winter überstehen müssen, um groß und kräftig zu werden. Wenn das Klima immer mild und heiter ist, entwickeln sie keine Jahresringe.“

In „Das eigenständige Organ“ treffen wir den erfolgreichen Schönheitschirurgen Dr. Tokai. Sein Leben ist geregelt wie ein Uhrwerk, dank seines zuverlässigen Sekretärs. Stets hat er 4-5 Freundinnen nebeneinander, ist zu jeder gleich liebenswürdig und charmant, er hat sein Leben im Griff bis er sich urplötzlich verliebt und das geht nicht gut aus für ihn.
„Keine Operation vermochte es, intellektuelle Fähigkeiten zu verbessern“
„Die Kinder waren, solange sie klein waren, recht niedlich, aber kaum kamen sie auf die Mittel- oder Oberschule, hassten sie ausnahmslos alle Erwachsenen, bereiteten aus Rache und Verachtung die peinlichsten Probleme und strapazierten erbarmungslos die Nerven und Verdauungsorgane ihrer Eltern.“

„Scheherazade“ ist die Frau die sich vollumfassend um einen Mann kümmert, der sich in einem Haus versteckt halten muss. Sie kauft für ihn ein, kümmert sich in jeder Hinsicht um sein leibliches Wohlund nach jedem vollzogenen Akt erzählt sie ihm eine Geschichte. Er hat keine Möglichkeit, sie zu kontaktieren, sollte sie eines Tages einfach nicht mehr auftauchen.
„Es ist ja eigentlich nicht so, dass ich tatsächlich allein auf einer einsamen Insel wäre. Ich bin selbst eine einsame Insel. Er hatte sich längst daran gewöhnt, allein zu sein. Er drehte nicht leicht durch, obwohl er allein war. Was Habara in Unruhe versetzte, war, dass er, wenn es zu so etwas käme, sich nicht mehr im Bett mit Scheherazade würde unterhalten können.“
„Dabei wußte er, dass die Wirklichkeit bisweilen wirklichkeitsfern ist.“

In meiner Lieblingsgeschichte „Kinos Bar“ wirft es den Sportartikel-Vertreter Kino aus der Bahn, als er seine Frau beim Fremdgehen erwischt. Er schmeisst seinen Job, lässt sich scheiden und eröffnet eine kleine Bar. Diese Geschichte ist 150% Murakami. Die Jazz-Musik, die traurige Frau, die in seine Bar kommt, mit ihm Sex hat, aber in einer gewalttätigen Beziehung mit einem anderen ist. Die Katze, die ihm Gesellschaft leistet und ein seltsamer Gast, der ein Auge hat auf Kino und seine Bar. Und dann kommen die Schlangen und Kino muss eine Weile fort.
Die Atmosphäre ist großartig. Ich habe die Geschichte jetzt schon ein paar mal gelesen und immer wieder bekomme ich am Ende Heimweh nach Kinos Bar und möchte zurück.
„In seiner Bar, in die keine Gäste kamen, hörte Kino seit Langem einmal wieder so viel Musik, wie er wollte, und las die Bücher, die er immer hatte lesen wollen. Wie ein ausgedörrter Boden den Regen nahm Kino das Alleinsein, die Stille und die Einsamkeit ganz natürlich in sich auf.“

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Und mit diesem einen Satz beschreibt er exakt was ich fühle, wenn ich Murakami lese. Ich habe durch das Lesen die Möglichkeit zumindest eine Zeit lang so zu sein, kann mir Alleinsein, Stille und Einsamkeit über die Lektüre zuführen. Murakami sollte es in einer Welt, in der man immer erreichbar ist, immer on – auf Rezept geben. Er lässt uns auf Zeit aussteigen aus dem Krach, der Hektik, dem Trubel und eintauchen in die einsame Stille der Murakami’schen Welt.

Die beiden letzten Geschichten „Samsa in Love“ und die titelgebende „Von Männern, die keine Frauen haben“ waren für den Moment nicht so meines. Sie sind bizarrer als die anderen und ich werde sie auf jeden Fall noch einmal lesen.
„Samsa in Love“ ist großartig geschrieben, aber mein ausgedörrter Boden brauchte momentan eher die ersten 5 Geschichten – die letzten beiden werden aber sicher zu einer anderen Zeit das richtige für mich sein.

Ein grandioser Kurzgeschichten-Band, auch für Leute, die Kurzgeschichten vielleicht sonst nicht so gern lesen.

„Im Grunde bedeutet eine Frau zu verlieren genau dies. Frauen schenken uns besondere Momente, in denen sie für uns mitten in der Wirklichkeit die Wirklichkeit außer Kraft setzen.“

 

Dance, Dance, Dance – Haruki Murakami

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Zur Abwechslung mal wieder ein Murakami 😉 Dance, Dance, Dance in der deutschen Übersetzung „Tanz mit dem Schafsmann“ ist ein etwas früherer Roman. Im Gegensatz zu „Naokos Lächeln“ oder „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“ ein deutlich abgefahrener. Aber doch genug bizarres, um im Gedächtnis kleben zu bleiben.

Ich habe immer wieder das Gefühl das das Lesen von Murakami die Zeit verlangsamt. Ich liebe diese leicht monotonen, erlebnis-reduzierten Routinen, in denen seine Protagonisten meistens leben. Sie lesen, trinken einen Whisky, bereiten sich ein einfaches Abendessen zu, schauen aus dem Fenster, gehen gelegentlich mal schwimmen oder laufen durch die Stadt, aber immer wieder gelingt es ihnen, sich durch ein großes Maß an Bescheidenheit und Genügsamkeit einer eher regulären Arbeit zu entziehen und in einer großen Freiheit zu leben.

Auch in diesem Roman treffen wir wieder jede Menge exzentrische Figuren. Edel-Prostituierte, die per Kreditkarte abgerechnet werden, einarmige Poeten, eine etwas verklemmte Rezeptionistin, ein wahnsinnig gutaussehender Schauspieler, der dazu verdammt zu sein scheint, immer nur Lehrer und Anwälte spielen zu müssen, ein 13-jähriges musikverrücktes Medium und den durch sein Leben stolpernde Hauptdarsteller, der in seinen Träumen von einer Prostituierten heimgesucht wird, mit der er mal eine Weile zusammengelebt hat, ihren Nachnamen aber nicht weiß und mit der er mal ein paar Tage im Hotel „Dolphin“ verbracht hat.

Dorthin scheint es ihn zu ziehen. Es gibt jede Menge Tote, einen  Schafsmann, den ich nicht wirklich kapiert habe, auch durch die Art wie er gesprochen hat: nämlichsodasmaneskaumlesenundverstehenkonnteundeseinfachmega
anstrengendwarwannimmererauftauchte.

Dazu noch ein paar philosophische Betrachtungen Murakamis zu den Irrungen und Wirrungen des ausgewachsenen Kapitalismus und seinem Schicksal, immer weiter Schnee schippen zu müssen.

Fazit: Ein Murakami wie man ihn kennt und liebt. Nicht ganz so toll wie „Kafka am Strand“, „Naokos Lächeln“ oder auch sein neuestes „Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki“ aber 4-Sterne bekommt er allemal.

Das Buch ist auf Deutsch unter dem Titel „Tanz mit dem Schafsmann“ im Dumont Verlag erschienen.