Drei wunderbare Bücher, die ich nacheinander gelesen habe und die durch Patti Smith miteinander verbunden zu sein scheinen. Als ich Virginia Woolfs „The Waves“ las, las Patti Smith während ihres Konzerts an Woolfs Geburtstag Auszüge daraus und in Smith‘ „Just Kids“ erzählt Patti von ihrer großen Liebe zu Sylvia Plath. Es wäre sicherlich ein faszinierendes Treffen, hätten die drei die Möglichkeit gehabt, einander zu treffen.
Ich war selten dreimal hintereinander so derart geflasht von Büchern wie bei diesen dreien. Mein neues Notizbuch war nach der Lektüre dieser Bücher umgehend fast voll, so derart viel habe ich aus den Büchern herausgeschrieben. Immer dann fallen mir Rezensionen ganz besonders schwer, ich will soviel aus und über die Bücher erzählen und alles verknotet sich dann im Kopf und raus kommt nur – boah so unglaublich gut…
Das würde den Büchern natürlich überhaupt nicht Genüge tun, ich strenge mich jetzt an – Fokus! Fokus! Fokus!
Virginia Woolf „The Waves“
“When I cannot see words curling like rings of smoke round me I am in darkness—I am nothing.”
„The Waves“ spielt an der Küste Englands vor dem Hintergrund des ungebändigten Meeres. Die Hauptdarsteller sind drei Männer und drei Frauen, die wir episodenhaft von ihrer Kindheit bis ins Erwachsenenalter begleiten, wo sie den Tod ihres gemeinsamen Freundes Percival betrauern. Virginia Woolf zeichnet ihre Charaktere von innen heraus, wo wir sie durch ihre Gedanken und inneren Monologe kennenlernen. Es gibt wenig äußere Handlung und es dauert eine Weile, bis man in das Buch hineingefunden hat. Die Wellen geben den Rhythmus vor – ein Buch, das sich stellenweise wie ein wunderschönes episches Gedicht liest.
Während die Freunde versuchen, mit dem Schicksalsschlag zurecht zu kommen, wächst der Chor ihrer inneren Stimmen zusammen in bezaubernder Harmonie. Sie reflektieren nicht nur über den unausweichlichen Tod jedes einzelnen, sondern über die immerwährende Verbindung jedes Einzelnen miteinander.
“I am made and remade continually. Different people draw different words from me.”
„The Waves“ ist der Roman, der Virginia Woolfes Literaturtheorien am Deutlichsten zeigt. Es ist ein unglaubliches Buch, das seiner Zeit deutlich voraus ist. Es ist eine poetisch-melancholische Traumlandschaft, sehr visuell, experimentell und für mich unglaublich spannend.
“We are cut, we are fallen. We are become part of that unfeeling universe that sleeps when we are at our quickest and burns red when we lie asleep.”
Ich habe 7 DIN A4 Seiten herausgeschrieben, ich glaube das zeigt, wie viel mir dieses Buch bedeutet. An Virginia Woolfes Geburtstag las Patti Smith in London während eines Konzerts eine Passage aus „The Waves“:
“And I will now rock the brown basin from side to side so that my ships may ride the waves. Some will founder. Some will dash themselves against the cliffs. One sails alone. That is my ship. It sails into icy caverns where the sea-bear barks and stalactites swing green chains.”
Wer jetzt hier noch mehr von und über Virginia lesen möchte, dem empfehle ich die Beiträge über Mrs Dalloway, Jacob’s Room, A Room of one’s own oder Vita Sackville-Wests bezauberndes „Geliebtes Wesen. Briefe an Virginia„
Sylvia Plath „Zungen aus Stein“
Sylvia Plaths autobiografische Geschichten sind faszinierend und beklemmend zugleich. Sie lassen den Leser immer wieder unvermutet aus dem Sonnenschein in das tiefe Dunkel ihrer Ängste Traumata abgleiten. Die sechzehn Erzählungen sind gleichzeitig der Lebenslauf der Dichterin Sylvia Plath und ich möchte sie all denen in die Hand drücken, die Sylvia Plath „nur“ als großartige Dichterin sehen.
Diese Erzählungen zeigen ihr einzigartiges unglaubliches Talent. Die Geschichten sind leidenschaftlich, bitter, spannungsgeladen und voller Leben. Ihr Stil ist so einzigartig und unverkennbar mit Charakteren, die einem noch lange nachgehen.
Entstanden sind die Geschichten zwischen 1949 und 1962. Sie beschreiben früheste Kindheitserinnerungen an den Vater (Unter den Hummeln), das Aufwachsen im Amerika der vierziger Jahre (Der grüne Felsen, Der Schatten, Superman und Paula Browns neuer Schneeanzug), den ersten Flirt (Ein Tag im Juni) aber auch die traumatischen Erlebnisse in einer Nervenheilanstalt (Zungen aus Stein).
Egal ob die Heldinnen der Geschichten Ellen, Dody, Millicent, Susan, Alice oder Isobel heißen, es ist immer Sylvia Plath, die ihr Leben mit überschäumender Lebenslust oder bissiger Melancholie erzählt. Das strahlende Collegegirl, die liebevolle, ewig schuldbewusste Tochter, die zärtliche Mutter und Ehefrau, das sind die Bilder, die diese „beunruhigende Poetin“ vorschob, um sie in ihren Erzählungen mit einem bitteren Rahmen zu versehen.
“So many people are shut up tight inside themselves like boxes, yet they would open up, unfolding quite wonderfully, if only you were interested in them.“
Ihr ganzes schriftstellerisches Können kommt in diesen Geschichten zum Vorschein. Die Sprache, die Traumbilder, ihre Verbindung zu allem was wirklich echt ist und die darunterliegenden Wahrheiten.
“I sometimes think my vision of the sea is the clearest thing I own. I pick it up, exile that I am, like the purple ‘lucky stones’ I used to collect with a white ring all the way round, or the shell of a blue mussel with its rainbowy angel’s fingernail interior; and in one wash of memory the colors deepen and gleam, the early world draws breath.”
Die Geschichte „Zungen aus Stein“ hat mich am meisten beeindruckt, habe aber jede einzelne Geschichte sehr gerne gelesen was nicht selbstverständlich ist, denn mit Kurzgeschichten tue ich mich des Öfteren schwer.
Die Geschichten wurden von Julia Bachstein und Susanne Levin übersetzt und das Buch erschien in der Frankfurter Verlagsanstalt.
“I saw the gooseflesh on my skin. I did not know what made it. I was not cold. Had a ghost passed over? No, it was the poetry. A spark flew off Arnold and shook me, like a chill. I wanted to cry; I felt very odd. I had fallen into a new way of being happy.”
Wer jetzt Interesse an Plaths Gedichten bekommen hat, dem empfehle ich den Artikel über ihren Gedichtband „Übers Wasser“ oder ihren Roman „The Bell Jar„.
Patti Smith „Just Kids“
“No one expected me. Everything awaited me.”
Es war der Sommer in dem Coltrane gestorben ist, der Sommer der Liebe und der Aufstände und der Sommer, in dem eine zufällige Begegnung in Brooklyn zwei Leute auf einen lebenslangen gemeinsamen Pfad von Kunst, Inspiration, Freundschaft und Liebe brachte. Patti Smith wurde zu einer Poetin und Sängerin und Robert Mapplethrope einer der spannendsten und provokativsten Fotografen.
Verbunden durch Enthusiasmus, Unschuld und der unstillbaren Gier, sich künstlerisch auszudrücken, durchkreuzen sie New York von Coney Island zur 42nd Street, in die Hinterzimmer, in denen Andy Warhol Hof hielt, bis sie schließlich 1969 im Hotel Chelsea aufschlagen. Dort lernen sie eine Gruppe von berühmten und teilweise berüchtigten Künstlern kennen, sowohl die des Mainstreams als auch die, die eher an den Rändern des Erfolges entlang lebten.
“Where does it all lead? What will become of us? These were our young questions, and young answers were revealed. It leads to each other. We become ourselves.”
Es war eine Zeit angespannter Aufmerksamkeit, als die Welt der Poesie, des Rock’n’Rolls, Kunst und Sexualität förmlich in den Straßen explodierten. In diesem Milieu schlossen diese beiden jungen Leute den Pakt, ein Leben lang für einander da zu sein. Romantisch, stets abgebrannt und voller Tatendrang ihre jeweiligen Träume auszuleben und umzusetzen.
“Everything distracted me, but most of all myself.”
Just Kids beginnt als Liebesgeschichte und endet in einem Klagelied. Das Buch ist ein Liebesbrief an das New York der späten 1960er und 1970er Jahre, an seine Reichen und Armen, seine Stricher und Teufelsbraten. Eine wahre Geschichte, die meine Leseliste explodieren ließ und die man nicht lesen kann, ohne umgehend eine Playlist für das Buch zu erstellen.
“What will happen to us?“ I asked. „There will always be us,“ he answered.”
Patti Smith ist Autorin, Sängerin und bildende Künstlerin. Sie wurde in den 1970er Jahren berühmt für ihre revolutionäre Mischung aus Poesie und Rock. Ihr bahnbrechendes Album „Horses“ mit Robert Mapplethorpes berühmten Foto als Cover wurde als eines der TOP 100 Alben aller Zeiten gefeiert.
Hier die Playlist zum Buch:
Ich finde du hast diesen drei Büchern eine Ehre gemacht und eine wunderbare Rezension geschrieben. Besonders schön finde ich ja das die drei Bücher irgendwie miteinander verbunden sind 🙂 nahezu magisch! Ich habe von Plath die Glasglocke auf meinem SuB und von Woolf Mrs. Dalloway – kennst du die Bücher auch?
Ich wünsche dir eine wunderschöne Woche ❤
Danke schön 🙂
Ja, Mrs Dalloway habe ich auch gelesen, hier ist meine Besprechung dazu:
https://bingereader.org/2017/10/06/books-booze-mrs-dalloway/
Wünsche Dir spannende Lektüre bei dem Buch und auch bei der Glasglocke 🙂
„Just Kids“ hat mir auch sehr gefallen, ihr folgendes, „M Train“, eher weniger. Allerdings huldigt sie hier ausgiebig Murakami, das dürfte nun wieder Dich interessieren ;-))
Liebe Grüße,
Gerhard
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