Jacob’s Room – Virginia Woolf

 

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Man beginnt Rezensionen ja am besten mit einem Knaller-Einstieg, also haltet euch fest. Virginia und ich, also wir haben schon –  zu unterschiedlichen Zeiten natürlich –  im gleichen Raum gesessen. Jaaahaaa, jetzt werdet ihr knallgrün im Gesicht vor Neid oder nicht? 😉

Tilton House in Sussex war der einstige Wohnsitz des Ökonomen John Maynard Keynes, der sich bekanntermassen im Bloomsbury Circle herumtrieb und für einen Ökonomen ein überaus spannendes Leben hatte. Sein Haus ist ganz in der Nähe von „Monks House„, in dem Virginia Woolf mit ihrem Mann Leonard lebte und nur wenige Kilometer entfernt von Charleston House, dem Haus ihrer Schwester Vanessa Bell.  Es herrschte ein munteres Hin- und Her zwischen den Häusern, man besuchte sich untentwegt und ging sehr viel spazieren, um die vielen Briefe wegzuschicken, die man sich damals ständig schrieb und die nach Firle zum Post Office gebracht werden mußten. Nur wenige Kilometer entfernt liegt auch das kleine Flüsschen Ouse, in dem sich Virgina Woolfe 1941 ertränkte.

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Tilton House

Ich war zum Reading Weekend dort, einem der wunderbarsten Wochenenden überhaupt. Ich werde demnächst einmal ausführlicher davon berichten. Als Einschlafgeschichte des Gastgebers, Damian Barr, gab es neben einem Schlummertrunk ein paar spannende Ausschnitte aus „The History of Tilton House“ und am nächsten Tag ein Besuch in Monks House.

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Monks House (Foto Caroline Arber)
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Virginia Woolfs Schlafzimmer

Nun aber zum Buch. „Jacob’s Room“ wurde 1922 geschrieben und ist einer ihrer weniger bekannten Romane, wobei er mit seinen knapp 175 Seiten wohl eher eine Novelle ist. Die Einführung von Sue Roe zu Beginn des Buches macht gefühlt fast ein Drittel des Buches aus, ist aber jede Seite wert und ausgesprochen informativ. Hier erfährt man, dass „Jacob’s Room“ ein sehr wichtiges Buch in Woolfs Entwicklung als Schriftstellerin war, da sie dort zum ersten Mal die traditionelle Erzählweise hinter sich lässt und mit dem Experimentieren beginnt. Hier entwickelt sie die Techniken, die sie später in Büchern wie „Mrs Dalloway“ und „To the Lighthouse“ perfektioniert .

Es ist sehr schwer zusammenzufassen, worum es in der Geschichte geht, denn das Buch hat nicht wirklich eine stringente Handlung, keine echte Story. Es ist eigentlich mehr die Charakterstudie eines jungen Mannes, Jacob Flanders, wobei er selbst eigentlich mehr durch seine Abwesenheit gekennzeichnet ist. Wir lernen ihn durch die Augen der anderen kennen. Einige dieser Menschen kennen ihn sehr gut, wie z.B. seine Mutter, sein Mentor, seine Freunde, das Mädchen, das ihn liebt, andere kennen ihn weniger, sind mehr oder weniger zufällige Bekanntschaften. Wir lernen ihn nicht wirklich kennen in diesen Begegnungen und Beschreibungen. Wir erfahren eigentlich nur 100% sicher, dass er Jacob heißt und das er existiert. Alles andere ist subjekiv. Welche beschriebenen Eindrücke richtig sind, welche nicht, wird nicht deutlich. Die Beschreibungen sind fast immer auf eine bestimmte Art und Weise schon richtig, aber dann auch wieder komplett falsch. Jeder einzelne gibt seine Beschreibung aus einer leicht anderen Perspektive ab.

„Melancholy were the sounds on a winter’s night. „

Jacob hinterlässt bei den Menschen einen Eindruck, so viel ist klar. Aber wo er für den einen ein potentieller Schurke ist, ist er für seine Mutter ein neugieriges Bürschlein, für seine Freunde an der Uni ein interessanter Intellektueller und für seine Freundin ein Mann, in den sie sich verliebt. Er ist ein Jedermann ohne ein bestimmtes Profil, wie eine Figur in einem Malbuch, dass die Leute mit den Farben füllen, die sie passend finden.

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Gamekeepers Tower

“It seems that a profound, impartial, and absolutely just opinion of our fellow-creatures is utterly unknown. Either we are men, or we are women. Either we are cold, or we are sentimental. Either we are young, or growing old. In any case life is but a procession of shadows, and God knows why it is that we embrace them so eagerly, and see them depart with such anguish, being shadows. And why, if this — and much more than this is true — why are we yet surprised in the window corner by a sudden vision that the young man in the chair is of all things in the world the most real, the most solid, the best known to us–why indeed? For the moment after we know nothing about him. Such is the manner of our seeing. Such the conditions of our love.”

Das Buch zu lesen war für mich wie die letzten Sommertage erhaschen. Leicht und filigran ist es, Farben spielen eine große Rolle. Ich habe mir bei der Lektüre vorgestellt, mit Barclay, dem wunderbaren Weimaraner aus Tilton House, im Garten zu sitzen und den Bloomsbury Circle beim Picknick zu beobachten oder so. Habe die wechselnden Farben des Meeres gesehen, das sie beschrieben hat, das Grün der Kleider,  den Sonnenuntergang und das wechselnde Licht vor den Londoner Geschäften.

“Every face, every shop, bedroom window, public-house, and dark square is a picture feverishly turned–in search of what? It is the same with books. What do we seek through millions of pages?”

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Ein Buch ist kein Gemälde, aber dieses hier kommt einem Bild schon relativ nahe. Ich muß in der Stimmung sein für „stream of consciousness“-Literatur. Das geht nicht immer. Hier und zu diesem Zeitpunkt hat es wunderbar funktioniert für mich. Es ist leicht und wunderschön, nicht praktisch, hat keine Botschaft. It just is. Wir lernen über Jacob eigentlich am meisten durch die Gegenstände in den Zimmern, die er bewohnt, durch die Bücher die er liebt, seine Möbel, jedoch nicht so sehr durch die Beschreibungen anderer über ihn. Es sind ja in der Tat die Gegenstände und Räume die bleiben, wenn der Mensch selbst längt fort ist.

Der Roman war zu seiner Zeit hoch experimentell, eine absolute Sensation. Virginia Woolf hat sich sehr für Zeit und Raum interessiert, wie wir uns in diesen Dimensionen bewegen. Das Zeit sich immer bewegt, aber eben nicht nur linear, sondern um die Menschen herum. Das wir nie komplett erfasst werden können, dass man immer nur Ausschnitte eines Menschen kennenlernt.

„It is no use trying to sum people up.“ “Nobody sees any one as he is, let alone an elderly lady sitting opposite a strange young man in a railway carriage. They see a whole–they see all sorts of things–they see themselves…” “I am what I am, and intend to be it,‘ for which there will be no form in the world unless Jacob makes one for himself.”

Woolf beschreibt eine melancholische poetische Landschaft, die man am besten in Gummistiefeln durchquert, während man die Briefe zur Post bringt oder die Sonntagszeitungen kauft. Ein kleiner Zwischenstopp im Ram Inn für einen klitzekleinen Whisky ist sehr zu empfehlen.

Das Titelfoto ist natürlich ein ziemlicher Bruch. Die feinsinnige Virginia auf der Wiesn – es gibt wohl kaum einen Ort an dem man sie sich schlechter vorstellen kann. Aber Humor hatte sie, dessen bin ich mir sicher und wer weiß, vielleicht hätte sie ja alles Feinsinnige für einen Nachmittag mal abgeworfen und mit Conchita (die eine Tischgruppe weiter saß) auf den Bänken getanzt. OK – in einem Paralleluniversum in einer anderen Zeit-Dimension vielleicht.

Eine sehr interessante Dokumentation über Virginia Woolf findet ihr hier:

Das Buch erschien auf deutsch unter dem Titel „Jacobs Zimmer“ im Fischer Verlag.

12 Kommentare zu “Jacob’s Room – Virginia Woolf

  1. als fan der Rasse – die heissen Weimaraner, weil die aus Weimar kommen 😉

    ich mag nicht unbedingt alle Bücher lesen, über die du schreibst, aber ich lese unbedingt gern alle deine Buchbeschreibungen/besprechungen 🙂

  2. Danke für den schönen Einblick, welche Lesestimmung Virgina Woolf bringen kann. Ich habe während des Studiums „To The Lighthouse“, „Orlando“ und „Mrs Dalloway“ gelesen und mal in die Tagebücher von Virgina Woolf hineingeschnuppert, aber einen echten Zugang habe ich nicht gefunden. „Jacob´s Room“ steht immer noch ungelesen im Schrank und ich verbinde kaum einen nachhaltigen Eindruck mit den anderen Büchern. Wie Du Deine Leseerfahrung beschreibst, kommst Du in einen Flow mit ihrer Art zu erzählen… das kenne ich (für mich) bisher nur von klassisch erzählter Literatur. Vielleicht versuche ich es später noch mal mit Virgina Woolf….

  3. Da haben wir uns wohl um ein Jährchen in Monk’s House verpasst 🙂 Es ist in der Tat ein inspirierender Ort. Und auch mir geht es mit „stream-of-conciousness“-Literatur. Ich mag sie nicht ständig lesen, aber wenn ich in der richtigen Stimmung bin, macht es Spass, sich in die Bilder zu vertiefen. Und im Bilder erzeugen ist Virginia Woolf wirklich gut. „Jacob’s Room“ habe ich noch nicht gelesen, aber vielleicht hole ich es bald mal nach.

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