Passing – Nella Larsen

Der 1929 erschienene Roman „Passing“ von Nella Larsen ist eine teil-autobiografische Novelle, in der eine junge Frau, deren Hautfarbe hell genug ist, beschließt, ihr Leben tatsächlich als Weiße zu leben. Darauf bezieht sich der Titel, da dieser Vorgang als „Passing“ bezeichnet wurde.

Larsens Roman Passing beginnt damit, dass Irene nach ihrer zufälligen Begegnung mit ihrer früheren Jugendfreundin Clare im Drayton Hotel einen mysteriösen Brief von ihr erhält, nachdem sie zwölf Jahre lang keinen Kontakt miteinander hatten. Irene und Clare verloren den Kontakt zueinander, nach dem Claire in Folge des Todes ihres Vaters zu ihren weißen Tanten geschickt wurde. Sowohl Irene als auch Clare sind von gemischter afrikanisch-europäischer Abstammung und von so heller Hautfarbe, dass es ihnen möglich ist, als „weiß“ durchzugehen.

“It’s funny about ‘passing.’ We disapprove of it and at the same time condone it. It excites our contempt and yet we rather admire it. We shy away from it with an odd kind of revulsion, but we protect it.”

Clare entschied sich, diesen Schritt tatsächlich zu gehen und als „Weiße“ einen gut situierten Banker zu heiraten, der als Rassist beschrieben wird. Im Gegensatz zu Clare gibt sich Irene nur gelegentlich als Weiße aus, um sich in einigen segregierten Räumen zurechtzufinden. Irene identifiziert sich als schwarze Frau und heiratete einen afro-amerikanischen Arzt namens Brian, mit dem sie zwei Söhne hat. Nachdem Irene und Clare wieder zueinander gefunden haben, sind sie fasziniert von den Unterschieden in ihrem jeweiligen Leben. Eines Tages trifft sich Irene mit Clare und einer weiteren afroamerikanischen Freundin aus ihrer Kindheit. Als Clares Mann am Abend nach Hause kommt, begrüßt er seine Frau mit einem rassistischen Witz, der Irene vermuten lässt, dass er keine Ahnung hat, dass seine Frau keine „echte“ Weiße ist.

“I’m not such an idiot that I don’t realize that if a man calls me a nigger it’s his fault the first time, but mine if he has the opportunity to do it again.”

Irene ist empört darüber, dass Clare vor ihrem Mann nicht zu ihrer Abstammung steht und ihm davon erzählt hat. Irene glaubt, dass Clare sich damit in eine gefährliche Situation gebracht hat, indem sie mit einem Menschen verheiratet ist, der Schwarze hasst. Irene will daraufhin nichts mehr mit Clare zu tun haben, bleibt aber weiterhin mit ihr in Kontakt. Clare beginnt, Irene und Brian zu ihren Veranstaltungen in Harlem zu begleiten, während ihr Mann verreist ist. Mehr und mehr spürt sie, wie sehr ihr das eigene Umfeld gefehlt hat und auch die Freundschaft der beiden Frauen wird insbesondere Irene immer wichtiger.

Der Roman spielt mit der Dualität der Figuren von Irene und Clare, die einen ähnlichen Hintergrund haben, aber ganz unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen haben. Der Roman suggeriert auch eine tiefe Anziehung zwischen beiden mit leicht erotische Untertönen. Es wirkt, als ob die Figuren sowohl in ihren sexuellen als auch in ihren sozialen Identitäten fließen würden – ein weiteres Wortspiel auf das titelgebende Passing.

“She wished to find out about this hazardous business of “passing,” this breaking away from all that was familiar and friendly to take one’s chance in another environment, not entirely strange, perhaps, but certainly not entirely friendly.”

Nellallitea „Nella“ Larsen, geboren als Nellie Walker (13. April 1895 – 30. März 1964), war eine amerikanische Schriftstellerin mit amerikanischer Mutter und dänischem Vater und Teil der Harlem Renaissance Bewegung. Sie arbeitete als Krankenschwester und Bibliothekarin und veröffentlichte zwei Romane, Quicksand (1928) und Passing (1929), sowie einige Kurzgeschichten. Wie ihre Protagonistinnen im Roman hätte auch sie als Weiße „durchgehen können“.

Ihre Werke waren Gegenstand zahlreicher akademischer Studien und sie wird heute weithin als führende Romanautorin der Harlem Renaissance sowie als eine wichtige Figur der amerikanischen Moderne gesehen.

Passing ist ein starkes Stück Literatur für ein derart schmales Büchlein, das den Leser mit widersprüchlichen komplexen Charakteren konfrontiert, die versuchen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und versuchen sich mit Blick auf Rassenfragen ihre eigene Meinung zu erarbeiten.

Passing gehört meines Erachtens zurecht an vielen amerikanischen Universitäten zum Literaturkanon.

Ich hoffe, ich konnte auch euch Lust auf diese Novelle bzw. das Werk dieser Autorin machen, die in Deutschland noch viel zu unbekannt ist.

6 Kommentare zu “Passing – Nella Larsen

  1. Passing und zahlreiche andere Werke der Harlem Rennaissance gehören eigentlich auch hierzulande stärke in die Kanen (?) der Anglistik/Amerikanistik. Und ich frage mich, ob die recht strenge Zuordnung der Autoren zu Harlem Rennaissance/“black Literature“ da nicht sogar Wege verbaut. Das wird dann halt in so ein Harlem Rennaissance Seminar abgeschoben, das nur die besuchen, die Bock drauf haben, oft fehlt auch einfach die Zeit. Aber eigentlich sollte es sich da längst einfach um Klassiker handeln, an denen man so wenig vorbei kommt, wie an Hemingway. Cane zB könnte man mit Faulkner kombinieren, Hughes Werke wären selbst für die Anglistik interessant, zum Fortleben der Social Novel à la Dickens. Einheiten zu Local Colour/Dia- u Soziolekt in der Literatur fänden in der Harlem Rennaissance reichlich Material. Usw. Ich war ewig auf der Uni (Englisch/AVL), hab immer gesucht, was wenig betrachtet wird, und bin trotzdem mit der Harlem Rennaissance nicht bekannt geworden.

  2. Liebe Sabine,
    am Montag habe ich via Zoom bei einer Lesung des Kölner Literaturhauses mit Brit Bennett teilgenommen. In Brit Bennetts Roman geht es ja auch darum, dass die eine Schwester ihr Leben als Weiße lebt, die andere jedoch „den dunkelsten Mann“ heiratet. Und im Gespräch zwischen der Moderatorin und Brit Bennet habe ich dann auch zum ersten mal vom „Passing“ gehört. Und dass die Entscheidung, „auf die andere Seite zu wechseln“ oft vorkommt. Das untermauerst du nun mit der Vorstellung der Novelle, die schon 1929 erschienen ist. Und gibt es nicht auch einen Roman von Philip Roth, der dieses Thema beleuchtet? Ein Professor, der sich als weiß ausgibt?
    Viele Grüße, Claudia

  3. Ein wirklich ganz toller Roman! Vor unfassbar vielen Jahren habe ich mal eine Hausarbeit über die Farbsymbolik geschrieben, die auch abgesehen von schwarz/weiß eine große Rolle spielt, besonders in der letzten Szene – wenn ich mich richtig erinnere 🙂 Ich muss das Buch unbedingt auch mal wieder lesen.

  4. Wow, das wandert direkt auf die To-Read-Liste, wie du wahrscheinlich wo anders sehen kannst 😉 habe das erste Mal in „Der menschliche Makel“ von Passing erfahren, erwarte mir aber von der Autorin hier noch tiefergehende Einblicke, wenn ich deine Besprechung so lese – sehr spannend.

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