Die Briefe anderer zu lesen hat immer etwas voyeuristisches. Häufig lässt die Spannung allerdings nach einer Weile nach, wenn der Kitzel des Verbotenen nachlässt und gelegentlich langweilt man sich nach einer Weile sogar wenn der Kontext fehlt oder man die Personen nicht einordnen kann, über die geschrieben wird.
Nicht bei diesen beiden. Nicht eine Sekunde lang habe ich mich gelangweilt, ich war gerührt, gespannt, verzweifelt und habe diese tiefe Liebe, Verbundenheit und Leidenschaft bewundert, die diese beiden erstaunlichen Frauen füreinander empfunden haben.
„I am reduced to a thing that wants Virginia.
I composed a beautiful letter to you in the sleepless nightmare hours of the night, and it has all gone: I just miss you, in a quite simple desperate human way. You, with all your undumb letters, would never write so elementary a phrase as that; perhaps you wouldn’t even feel it. And yet I believe you’ll be sensible of a little gap. But you’d clothe it in so exquisite a phrase that it should lose a little of its reality. Whereas with me it is quite stark: I miss you even more than I could have believed; and I was prepared to miss you a good deal. So this letter is really just a squeal of pain. It is incredible how essential to me you have become. I suppose you are accustomed to people saying these things. Damn you, spoilt creature; I shan’t make you love me any more by giving myself away like this — But oh my dear, I can’t be clever and stand-offish with you: I love you too much for that. Too truly. You have no idea how stand-offish I can be with people I don’t love. I have brought it to a fine art. But you have broken down my defenses. And I don’t really resent it.“
Nachdem Vita Sackville-West und Virginia Woolf sich 1922 trafen, begannen sie kurz darauf eine leidenschaftliche Beziehung, die bis zu Woolf’s Selbstmord im Jahr 1941 andauern sollte.
Vita, verheiratet mit dem englischen Diplomaten Harold Nicholson, war zehn Jahre jünger als die ebenfalls verheiratete Virginia Woolf. Ihre Korrespondenz beleuchtet sämtliche Aspekte ihres Lebens, das sie überwiegend getrennt voneinander verbrachten. Es sind innige Liebesbriefe, die aber auch ernsthafte Kritik am literarischen Werk der jeweils anderen beinhalten, Gedanken um ganz alltägliche Dramen, innere Zwiespälte, Auseinandersetzungen, die häufig durch Eifersucht ausgelöst waren, das Ringen um Anerkennung und immer wieder das gemeinsame Glück, wenn sie Zeit und Nähe miteinander verbringen konnten.
Die starke extrovertierte Vita, die ihre Energie kaum im Zaum halten kann, und die zarte, kränkliche, brilliante Virginia hätten nicht gegensätzlicher sein können. Vitas überschäumende Lebenslust reicht nicht nur für einen Ehemann, zwei Kinder und Virginia, immer wieder hat sie Affären mit anderen Frauen, denen sie ebenfalls viel zu geben hat. Keine diese Affären reicht je an die Bedeutung ihrer Beziehung mit Virginia heran, aber sie stillen ihren Appetit, sie holt sich bei anderen, was Virginia ihr nicht geben kann. „Vitas Bedürfnis nach Zuneigung lag stets im Kampf mit ihrem Bedürfnis nach Unabhängigkeit. Virginias Zerbrechlichkeit weckt ihr Gefühl nach Stärke.“
Auch für diese Frauen schreibt sie leidenschaftliche Gedichte und pflegt diese Freundschaften und Korrespondenzen und man fragt sich wirklich, wo sie die Energie hernimmt. Und neben all diesen emotionalen Höchstleistungen schafft sie es noch, mit ihrem Mann die halbe Welt zu bereisen und einige Bücher und Gedichtbände zu veröffentlichen.
Vita, der Lebenssaft, steht ganz für das Fleischliche, das Hier und Jetzt. Die ätherische Virginia verkörpert die stets Unerreichbare, die ganz Intellekt ist und doch so romantisch sein kann.
Diese romantischen Seiten haben mich sehr überrascht an Virginia. Ich hatte sie mir kühler vorgestellt, viel distanzierter und gänzlich über solch gemeinen Dingen wie Eifersucht stehend.
In diesem Band, der über 500 Briefe enthält aus ihrer knapp 20 jährigen Korrespondenz, bringen DeSalvo und Leaska Konturen und Kontext und lassen uns sehr nah an die beiden heran. Ich hätte gerne mehr Briefe von Virginia gelesen, um diese besondere Beziehung, die soviel mehr als eine einfache Affäre war, noch besser zu verstehen.
Parallel zu den Briefen habe ich das Stück „Vita & Virginia“ von Eileen Atkins gelesen (Danke an dieser Stelle an Barbara aus Berlin, die die grandiose Idee hatte mir das Stück als auch die Korrespondenz zu leihen), dem dieser Briefwechsel zu Grunde liegt und das in seiner Kürze noch einmal mehr die Intensität vermittelt und die immense intellektuelle Stimulation, die zwischen den beiden herrschte.
“Is it better to be extremely ambitious, or rather modest? Probably the latter is safer; but I hate safety, and would rather fail gloriously than dingily succeed.”
Je mehr ich mich dem Ende des Buches näherte, desto mehr fühlte es sich an „Titanic“ zu schauen, man hofft dieses eine Mal möge es anders enden, möge Virginia sich gegen den Selbstmord entscheiden. Vita war überzeugt davon, dass sie Virginia hätte retten können, wenn sie bei ihr gewesen wäre.
„Ich glaube immer noch, ich hätte sie retten können, wenn ich nur dort gewesen wäre und gewußt hätte, in welche Geistesverfassung sie geriet“.
Vielleicht hatte sie Recht …
Auf jeden Fall möchte ich jetzt unbedingt „Orlando“ lesen und diese BBC-Verfilmung „Portrait of a Marriage“ ist sicherlich auch sehenswert:
Ach, bisher habe in Anthologien nur Auszüge dieses Briefwechsels gelesen.Und ich kenne ihren letzten Brief, den Abschiedsbrief (aber der ging an ihren Mann, oder täusche ich mich?). So recht habe ich mich noch nicht rangewagt … will aber schon … das ganz Verfeinerte, das hat mich etwas abgeschreckt, aber irgendwann wird es Zeit für Mrs. Woolf. Danke für die Buchvorstellung, das gibt nochmal einen Schubs!
Yep – der letzte Brief ging an Leonard! Wünsche viel Spaß beim Lesen, lohnt sich wirklich. Liebe Grüße 🙂
Liebe Sabine, es freut mich von Herzen, dass ich da die richtige Idee für Dich hatte. Ich wünschte, Du hättest die Aufführung in dem kleinen englischsprachigen Theater sehen können, sie ging unter die Haut. Außer mit Begeisterung habe ich auch mit leichter Wehmut diesen Briefwechsel gelesen, weil sie sich so offen, so nah miteinander austauschen konnten. Das ist etwas ganz Besonderes. Herzlich Barbara
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