The Vegetarian – Han Kang

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Ich bin üblicherweise kein Fan von ellenlangen Rezensionen, die ähnlich wie Kino-Trailer nahezu alles verraten und man das Gefühl bekommt, den größten Teil der Story bereits zu kennen. Unser Dezember Bookclub Buch ist allerdings eines, bei dem es mir schwerfällt nicht zu spoilern, daher bitte ich spoiler-ängstliche Menschen um Vorsicht.

Bevor Yeong-hye von einem Alptraum geweckt wird und mitten in der Nacht beginnt, sämtliche Fleisch- und Fischvorräte aus dem Kühlschrank wegzuwerfen, führte sie mit ihrem Mann ein relativ unspektakuläres, geregeltes Leben. Die Träume mit heftigen Bildern von Blut und Brutalität quälen sie, sie beginnt, sich vor tierischen Produkten zu ekeln, kann selbst den Geruch ihres Mannes nicht ertragen, der weiterhin Fleisch isst.

“The feeling that she had never really lived in this world caught her by surprise. It was a fact. She had never lived. Even as a child, as far back as she could remember, she had done nothing but endure. She had believed in her own inherent goodness, her humanity, and lived accordingly, never causing anyone harm. Her devotion to doing things the right way had been unflagging, all her successes had depended on it, and she would have gone on like that indefinitely. She didn’t understand why, but faced with those decaying buildings and straggling grasses, she was nothing but a child who had never lived.”

Für ihre Familie und ihren Ehemann symbolisiert der Fleischverzicht einen Akt der Rebellion, der ihre Ehe aufs Spiel setzt und immer grotesker anmutende Folgen hervorbringt. Je mehr ihre Umwelt versucht, Yeong-heyes Willen zu brechen und sie zum Fleisch essen zu zwingen, desto mehr zieht sie sich ins sich selbst zurück.

Die Geschichte „The Vegetarian“ ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Sie wird aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt, ohne die Protagonistin selber wirklich zu Wort kommen zu lassen. Ursprünglich wurden die drei Kapitel als einzelne unabhängige Kurzgeschichten veröffentlicht, die in dieser Novelle jetzt zusammengefasst wurden.

Yeong-hyes Entscheidung, vegetarisch zu Leben, führt zu heftigen Reaktionen. Ihre eigene Familie versucht sie mit Gewalt zum Fleisch essen zu bringen, ihr immer schon sehr liebloser Ehemann schreckt auch vor einer Vergewaltigung nicht zurück, um seinen Willen zu bekommen und auch ihr Schwager ist irgendwann vollkommen besessen von ihr und ihrem Geburtsmal.

Jegliches Ausbrechen aus der Norm wird von der koreanischen Gesellschaft umgehend bestraft. Die Arbeitskollegen und deren Gattinnen fallen wie Hyänen über Yeong-hye her für ihre Weigerung, Fleisch zu essen und keinen BH zu tragen.

Wer die Norm nicht verletzt und das Gesicht wahrt, kann so ziemlich machen, was er will. Der gewalttätige Vater oder auch der Ehemann von Yeong-hye werden nahezu selbstverständlich toleriert, was immer sie tut wird im Gegenzug als Staatsakt betrachtet, der umgehend bestraft werden muss.

Wirklich glücklich erscheint einem Yeong-hye eigentlich nur, als sie alleine in ihrer kleinen Wohnung lebt, nachdem ihr Ehemann sich von ihr getrennt hat. Endlich kann sie rumlaufen wie und essen was sie will,  sich nackt in die Sonne setzen und Photosynthese betreiben. Hält aber nicht lange, weil dann will wieder jemand was von ihr. Diesmal der Schwager, der sie malen und in der Folge auch mit ihr schlafen möchte.

Im Bookclub habe ich dann erfahren, dass das „Mongolian Birthmark“, auf deutsch „Mongolenfleck“, ein Geburtsmal ist, das 99% aller asiatischer Kinder haben und bei den meisten bis zur Pubertät wieder verschwindet. Wer mehr darüber wissen will, kann hier nachlesen.

Im dritten Teil dann die Sicht der Schwester, deren Motivation meines Erachtens in diesem Zitat am besten zur Geltung kommen:

“Though the ostensible reason for her not wanting Yeong-hye to be discharged, the reason that she gave the doctor, was this worry about a possible relapse, now she was able to admit to herself what had really been going on. She was no longer able to cope with all that her sister reminded her of. She’d been unable to forgive her for soaring alone over a boundary she herself could never bring herself to cross, unable to forgive that magnificent irresponsibility that had enabled Yeong-hye to shuck off social constraints and leave her behind, still a prisoner. And before Yeong-hye had broken those bars, she’d never even known they were there…”

In der streng reglementierten kollektivistischen Gesellschaft ist kein Platz für individuelle Bedürfnisse und jeder Hauch von Individualismus wird umgehend geächtet. Ich selbst war noch nicht in Korea, nach meinem Aufenthalt in Japan glaube ich allerdings, dass sich die beiden Gesellschaften sehr ähneln. Wenn man einige Zeit in Japan verbracht hat, wird einem noch einmal klarer, wie „anders“ Autoren wie Haruki Murakami, Banana Yoshimoto und wahrscheinlich auch Han Kang im Gegensatz zur breiten Bevölkerung sind.

Kein Wunder, dass es zunehmend schwieriger wird in solchen Gesellschaften geistig gesund zu bleiben. In Japan gibt es Gruppen, die sich regelmässig zum öffentlich begleiteten Weinen treffen, weil die Menschen in einer Gesellschaft, die Gefühlsregungen verpönt, verlernt haben mit ihren Emotionen umzugehen.

„The Vegetarian“ ist eine sinnliche beunruhigende Geschichte die surrealistisch an Kafka und Murakami erinnert. Die Emanzipation einer Frau, die einzig über mikroskopisch kleine Verweigerungen gelingt. Die sich weigert teilzuhaben und fast Bartleby-mässig „I would rather not“… jegliches Mitwirken verweigert.

Faszinierend fand ich auch die Geschichte hinter der Übersetzung von Han Kangs Novelle ins Englische. Der Man International Booker Prize ist der einzige Literaturpreis, der sowohl Autor als auch Übersetzer ehrt. Die Übersetzerin von „The Vegetarian“, die 29jährige  Deborah Smith, begann 2010 sich selbst koreanisch beizubringen, ohne eine großartige Verbindung zu Korea zu haben.

„I had no connection with Korean culture – I don’t think I had even met a Korean person – but I wanted to become a translator because it combined reading and writing and I wanted to learn a language.

„Korean seemed like a strangely obvious choice, because it is a language which practically nobody in this country studies or knows.“

Die 50,000 GBP Preisgeld teilen sich Autorin und Übersetzerin. Deborah Smith hat seitdem noch weitere Bücher aus dem Koreanischen übersetzt und kürzlich einen eigenen not-for-profit Verlag gegründet, der sich auf Asiatische und Afrikanische Literatur spezialisiert hat.

Hier ein kurzes Interview der Autorin und ihrer Übersetzerin:


“Why, is it such a bad thing to die?”

Der Wunsch, sterben zu wollen, erschien mir soviel normaler, als um jeden Preis und um jeder Norm willen weiterzuleben…

Ein dunkel poetisches Buch, das Lust macht, mehr von Han Kang zu lesen und überhaupt die koreanische Literatur besser kennenzulernen.

Das Buch wurde 2009 von einem Bekannten der Autorin in Korea verfilmt. Die Kritiken sind etwas durchwachsen, mir hat er ganz gut gefallen (inbesondere die 18+ Version):

Das Buch ist auf deutsch unter dem Titel „Die Vegetarierin“ im Aufbau Verlag erschienen.

6 Kommentare zu “The Vegetarian – Han Kang

  1. Oh menno. Ich brauche ein zweites Leben! Erst mal: Danke für die schöne Rezension, ich habe gerade richtig Lust wieder zu lesen und werde das auch gleich tun. Zweitens: Ich werde mir dieses Buch beschaffen. Klingt sehr spannend, wenn auch eher negativ aufgeladen. Mit Murakami bin ich leider nie so warm geworden, aber das hört sich hier doch noch anders an.

  2. Was für ein Buch… Thematisch wohl eine Wucht. Eine Bekannte von mir liebt Korea (Süd-Korea) und will nach dem Abitur dort hin ziehen… und ja, noch ist das Land und die Kultur sehr Frauen feindlich und auch die Jugend wird raum respektiert. Wobei die neuste Generation nun das Rad zum drehen bringt. Dabei hilft vor allem wohl der K-Pop…

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  4. Ich habe den Roman auch auf Englisch gelesen und bin sehr erstaunt über die Infos zur Übersetzerin, das habe ich nämlich nicht gewusst. ÜbersetzerInnen sollten für ihre (gute) Arbeit öfter belohnt werden, da sie doch eine unheimliche Leistung erbringen.

    • stimmt, ÜbersetzerInnen gebührt deutlich mehr Anerkennung. Finde es sehr gut, das der International Man Booker Prize, daher beide belohnt, AutorIn und ÜbersetzerIn.

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