Sally Rooney

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Connell und Marianne wachsen in der gleichen Kleinstadt im ländlichen Irland auf. Damit enden dann aber auch die Gemeinsamkeiten, denn sie kommen aus sehr unterschiedlichen Welten und ganz verschiedenen Gesellschaftsschichten. Als beide einen Studienplatz am Trinity College in Dublin erhalten, hält die Verbindung, die zwischen ihnen gewachsen ist, bis weit in die folgenden Jahre an.

Normal People spielt hauptsächlich in der schattigen, rauchigen Studentenstadt Dublin, es hat geistreichen Dialog und Rooney beobacht feinfühlig das Auf und Ab von ängstlichen Gefühlen, Verliebtheit und ziemlich grafischem, leidenschaftlich innigem Sex. Normal People folgt den beiden Protagonisten Marianne und Connell – durch die Teenagerzeit bis ins frühe Erwachsenenalter.

Marianne ist ein dünnes, ängstliches, kluges Mädchen mit wenig Selbstwertgefühl und masochistischeren Tendenzen, die das Buch als soziale Ausgestoßene beginnt und in der Mittagspause Proust in der Schule in Galway liest, und Connell, der anscheinend so selbstsichere und beliebte Arbeiterklassen-Star der Fussballmannschaft, der ebenfalls überaus belesen ist.

“It was culture as class performance, literature fetishised for its ability to take educated people on false emotional journeys, so that they might afterwards feel superior to the uneducated people whose emotional journeys they liked to read about.”

Connells Mutter Lorraine stammt aus einer kriminellen Familie und bekam ihn mit 17 Jahren: aber sie scheint ihrer verpassten Jugend nicht hinterher zu trauern, sie ist nicht verbittert, sondern sehr herzlich, selbstlos und weise, das „gute Mutter“-Gegenstück zu Mariannes verwitweter Mutter, die kalt und unterinteressiert an ihrer Tochter ist und die gewalttätige Schikanierung des Bruders sogar fördert. Aber Denise ist so vage gezeichnet, dass selbst Marianne sich nicht einmal die Mühe macht zu erklären, warum. Nach einer ungeheuerlichen Grausamkeit ihrerseits treffen die beiden Mütter und Marianne direkt aufeinander:

They saw Marianne’s mother in the supermarket. She was wearing a dark suit with a yellow silk blouse. She always looked so ‘put together’. Lorraine said hello politely and Denise just walked past, not speaking, eyes ahead. No one knew what she believed her grievance was.“

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Es ist eine Liebesgeschichte die davon erzählt, wie ein Mensch das Leben eines anderen Menschen verändern kann – eine einfache, aber tiefgründige Erkenntnis, die sich im Laufe des Romans wunderbar entfaltet. Sie erzählt davon, wie schwierig es ist, darüber zu sprechen, wie wir uns wirklich fühlen und sie beschreibt die Privilegien, die nach wie vor zumeist unsichtbar daherkommen.

Roony kritisiert unser ständiges Bedürfnis, andere zu beeindrucken. Die meisten Sachen, die Marianne und Connell widerfahren, werden durch andere Menschen, Gruppendruck und soziale Erwartungen verursacht. Es schon traurig, dass jemand den einen anderen aufgibt, obwohl er ihn zutiefst liebt, nur weil er nicht damit umgehen kann, wie der Partner auf andere wirkt.

Die Unfähigkeit des Paares, vernünftig miteinander zu kommunizieren, ist frustrierend, fühlt sich aber realistisch an. Gelegentlich wollte ich mir die Haare ausreißen bei all dem was in diesem Buch ungesagt geblieben ist, aber es war gleichzeitig auch durchaus realistisch.

In Normal People geht es vielleicht nicht darum, wie genau es jetzt ist jung zu sein, aber es zeigt was es bedeutet, zu jeder Zeit jung und verliebt zu sein.

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Conversations with Friends ist ein Buch über vier Personen: zwei Ex-Freundinnen und jetzt beste Freundinnen, Frances und Bobbi, und ein Ehepaar, Nick und Melissa. Frances und Nick geraten mit der Zeit in eine seltsame Romanze.

Es geht aber nicht wirklich um diesen Betrug. Die Autorin weigert sich, es dem Leser so einfach zu machen. Bobbi und Melissa haben ihre eigene merkwürdige Verbindung, genau wie Frances und Bobbi und natürlich auch Nick und Melissa.

Der zentrale Konflikt von Frances besteht darin, dass sie nicht in der Lage ist, anderen ihre Verletzlichkeit zu zeigen,  sie wäre so gerne cool und distanziert und ist einfach nur liebenswert. Aber um geliebt zu werden, müssen wir uns natürlich erlauben, auch wirklich gesehen zu werden.

Es ist diese Weigerung, diese Intimität zuzulassen, die zum Hauptkonflikt des Buches wird; in ihrer Beziehung zu Bobbi, zu Nick und sogar zu Melissa versucht sie ständig (mit zunehmender Verzweiflung) zuzulassen, dass ihre Mauern durchbrochen werden. Erst im weiteren Verlauf des Buches beginnt sie zu verstehen, dass andere sie wirklich lieben und kennen lernen wollen.

Ich mag die Art, wie Sally Rooney schreibt, sehr: einfach und scheinbar mühelos, mit einem natürlichen und lebhaftem Rhythmus. Die gleichzeitige Intelligenz und mangelnde Lebenserfahrung von Frances werden dadurch überzeugend eingefangen; von Anfang an war sie jemand, die ich unbedingt verstehen wollte, in deren Kopf ich für eine Weile wohnen wollte.

“Gradually the waiting began to feel less like waiting and more like this was simply what life was: the distracting tasks undertaken while the thing you are waiting for continues not to happen.”

Sally Rooney schreibt mit Geschicklichkeit, Leichtigkeit und scharfer Beobachtungsgabe über zwischenmenschliche Dynamiken, die einem die Protagonisten sehr ans Herz wachsen lässt. Mit Sympathie, Frustration und etwas besorgt sah ich Frances dabei zu, wie sie eine unbeholfene, schlecht durchdachte Affäre mit einem älteren verheirateten Mann anfängt. Die Dynamik dieser Affäre, Frances‘ begrenztes Verständnis von Liebe, Klasse, Freiheit und Zugehörigkeit und das Zusammenspiel mit den anderen Figuren im Buch machen ihr Leben immer komplizierter.

Das Ende und der damit verbundene Fallout ist chaotisch und seltsam. Interessanterweise wird die Dramatik der Geschichte durch den prägnanten Dialog des Romans überschattet. Die Gespräche, die Frances mit Bobbi, Nick und Melissa führt, nehmen eine Vielzahl von Formen an – verstohlene E-Mail-Nachrichten, persönliche Interaktionen, überstürzte Textnachrichten – und die Figuren grübeln über alles, von der Liebe im Spätkapitalismus bis hin zu den Vorzügen des Anarchismus. Die spannenden Gespräche, zusammen mit Rooneys berauschender Prosa, lassen den Roman in schwindelerregendem Tempo vorbeirauschen.

Definitiv Lektüre, die nicht jedem gefallen wird, aber ich hatte großes Vergnügen an diesen klugen Romanen und freue mich schon auf weitere Werke von ihr.

Auf Deutsch erschienen die Bücher unter dem Titel „Gespräche mit Freunden“ und „Normale Menschen“ im Luchterhand Verlag.

2 Kommentare zu “Sally Rooney

  1. Danke für diesen Beitrag! Hab beide Bücher gleich nach dem Erscheinen gelesen und war vor allem von Normal People total begeistert. Sally Rooney gefällt vielleicht nicht jedem, aber ganz vielen, sie stand monatelang auf den irischen und britischen Bestsellerlisten.

  2. Pingback: Was ich mochte – 2020 | Binge Reading & More

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