Landgericht – Ursula Krechel

Landgericht

Als angehende Juristin musste die Bingereader-Gattin das Landgericht natürlich lesen und ich hatte es durchaus auch auf dem Radar. Aber eigentlich erst für etwas später, aber dann ja, dann saß ich am Strand von Mallorca und war durch mit meiner Urlaubslektüre (ich möchte an dieser Stelle bitte keine Kommentare zum Thema e-Reader hören – danke sehr) 😉 und da hab ich dann gar nicht abwarten können, dass sie endlich endlich endlich zum Ende kommt, um es ihr schnurstracks aus den Fingern zu reissen.

Und sie hat sich gelohnt, die Sache Kornitzer. Ein erschütterndes Buch, das einen traurig, wütend und hilflos am Ende zurück lässt und das ich trotzdem auf keinen Fall missen möchte.

Auch wenn ich sicherlich schon so einiges über das Schicksal der jüdischen Menschen während der NS-Zeit gelesen habe, dieses hier hat Ecken beleuchtet und Seiten in mir berührt, wie wenige andere Bücher diesr Thematik.

Wir treffen Richard Kornitzer der nach über zehnjährigem Exil endlich seiner damals in Deutschland verbliebenen Ehefrau gegenübersteht und hier zeigt sich Krechels grosses Können. Dieses bewusste nicht ausschlachten dieser wahnsinnig emotionalen Begegnung. Da treffen sich zwei endlich wieder, die sich so sehr verändert haben, die sich ganz vorsichtig einander annähern und versuchen, wieder Kontakt zu einander aufzunehmen.

Richard, der bis 1933 als Richter tätig war und dann in letzter Sekunde das Land verlassen konnte und seine Ehefrau Claire, eine ehemals überaus erfolgreiche und selbstbewusste Frau, die in der Kinowerbung tätig war, treffen sich am Bodensee wieder. Ihre beiden Kinder, die über 10 Jahre in England untergebracht waren, erinnern sich kaum noch an ihre leiblichen Eltern und sprechen auch kein Deutsch mehr. Das sind heftige Passagen, wie die Eltern um die Nähe ihrer Kinder kämpfen und an der Unmöglichkeit nahezu scheitern.

Stellvertretend wird im Roman der tatsächliche Fall Philipp Auerbachs wiedergegeben, der sich für angemessene Entschädigungen für die Opfer einsetzte und so derart angegriffen und verfolgt wird dafür, das er schlussendlich Selbstmord begeht.

Die perfiden Demütigungen und Verfahrensverschleppungen bei den Entschädigungsverfahren sind unglaublich. Ehemalige Nazis sind ruckzuck wieder rehabilitiert und oft in herausragenden Positionen, die Opfer dagegen werden wieder und wieder um ihre Rechte gebracht, hingehalten und betrogen.

Es verwundert überhaupt nicht, wenn man das liest, dass nur etwa 5% der Exilanten überhaupt in die BRD zurückgekehrt sind. Die kalte Wut steigt in einem hoch, wenn man das liest und ich habe mich wirklich geschämt dafür, wie mit diesen Menschen umgegangen wurde. Mir war auch nicht klar, wieviele Menschen gar nicht erst ein Anrecht auf Entschädigung hatten. Zwangsarbeiter nicht, oder Frauen wie Claire, die ihre jüdischen Männer unterstützt haben, sich nicht haben scheiden lassen und wie ich jetzt nachgelesen habe, gehörten auch „entartete“ Künstler nicht zu der (kleinen) Gruppe. die überhaupt einen Antrag auf Entschädigung stellen konnte.

Richard geht 1933 ins Exil nach Kuba. Die karibische Insel stellt sich aber keineswegs paradiesisch dar. Die Exilanten dürfen nicht arbeiten, haben alles verloren, die Atmosphäre ist bedrückend. Richard hat Glück und bekommt eine Anstellung als Assistent bei einem Anwalt in Havanna. Nach der Bombardierung von Pearl Harbour gelten die Exilanten als feindliche Ausländer und es gibt keine Möglichkeit mehr für ihn, mit seinen Kindern in Kontakt zu bleiben.

Er lernt in Havanna eine Lehrerin kennen und lieben und die beiden bekommen sogar ein Kind miteinander. Die ungeplante Schwangerschaft ist aber im Grunde Auslöser für die Entfremdung der beiden. So sehr sich Richard das Kind auch wünscht, Charidad kann als uneheliche Mutter keine Lehrerin bleiben und sie gibt das Kind zur Adoption frei. Wieder ein Kind, dass Richard nicht behalten kann.

Claire findet Richard nach dem Krieg durch das Rote Kreuz. Sie treffen sich am Bodensee und kurz darauf nimmt er eine Position im Justizministerium in Mainz an. Sie finden auch ihre Kinder in England, aber es ist einfach schwierig nach den Jahren der Entfremdung wieder einen engen, liebevollen Kontakt zueinander aufzubauen. Claire und Richard leben in Mainz, einigermassen glücklich miteinander.

Die Veränderung Claires hat mich im Buch am meisten erschüttert. Wie sehr sich die erfolgreiche selbstbewusste Vorkriegs-Claire doch in fast schon ein Hausfrauen-Mäuschen verwandelt hat, war erschütternd. Richard kämpft und kämpft für seine Entschädigung, doch ohne Erfolg. Die Ungerechtigkeit setzt ihm körperlich zu, er leidet an Herzschwäche, geht des Öfteren zur Kur und lässt sich dann früh verrenten. Ich mag nicht zuviel verraten, aber es gibt erfreulicherweise doch noch einmal einen Lichtblick für Richard.

Besonders spannend fand ich die Beschreibungen des Berlin der 20er Jahre insbesondere Claires Arbeit am Film und ihre Liebe zur Architektur Erich Mendelsohns.
Die beiden sind da ganz andere Menschen, als das Paar das sich zehn Jahre später wieder trifft.

Krechel stellt das herzlose verdrängende Nachkriegsdeutschland bloß, das kein Mitleid für die Opfer übrig hat und am liebsten den Spuk so schnell wie möglich vergessen möchte und die zu Recht um Entschädigung und Wiedergutmachung kämpfenden Opfer ins Abseits drängt.

Der Roman hat mir sehr gut gefallen, wenngleich einige Kapitel durchaus ein paar Kürzungen vertragen hätten. Den Deutschen Buchpreis hat sie 2012 meines Erachtens aber durchaus zu Recht bekommen.

„Da kann ich auch nichts machen, sagte die Frau mit müder Stimme. Sie wissen doch, in unserer Stadt sind 80 Prozent des Wohnraums zerstört. Ich weiß, antwortete Kornitzer, nicht nur Wohnraum. Und dachte: Auch Empfindungen, 80 Prozent Mitleid konnte er sich als eine Summe nicht genau vorstellen.”

„Achtung! Gefahren des Tonfilms!
Viele Kinos müssen wegen der Einführung des Tonfilms und dem Mangel an vielseitigen Programmen schließen!
Tonfilm ist Kitsch!
Wer Kunst und Künstler liebt, lehnt den Tonfilm ab!Tonfilm ist Einseitigkeit! 100 % Tonfilm = 100 % Verflachung“

„Später las er in einer Zeitung, daß sich die berühmte pressure group der Literatur, die Gruppe 47, auch gegen die Mitgliedschaft von Emigranten wehrte mit dem durchsichtigen Argument, diese sprächen und schrieben ein altmodisches Deutsch, jedenfalls nicht das Deutsch, das durch die Erfahrungen des Krieges, der Kriegsteilnehmerschaft und der Kriegsgefangenschaft gehärtet, gestählt worden sei.“

„Warum es Einser-Philosophen gibt und Einser-Volkswirte, aber die Noten der Juristen tiefer liegen, weiß kein Mensch zu sagen. Vielleicht um die jungen Juristen nicht zu verwöhnen, währen der junge Philosoph weiß, daß auf ihn nicht die geringste Verwöhnung wartet, sondern die raue Gewißheit, daß niemand ihn braucht. Hervorragende Juristen werden gebraucht.“

537b3546c07a80946d000079_ad-classics-the-einstein-tower-erich-mendelsohn_2-530x563© Gili Merin

7 Kommentare zu “Landgericht – Ursula Krechel

  1. Das Buch hat mich auch richtiggehend gepackt, das Thema, aber auch die Sprache, die manchmal so spröde wirkt, aber vollkommen angemessen ist. Ich habe mich danach nochmals intensiver auch mit der deutschen Justiz nach 45 befasst und mit Fritz Bauer, der ja ein ähnliches Schicksal hatte, sich allerdings in der „neuen“ BRD besser durchkämpfte und nicht so sehr in die Verbitterung wie Richard kapitulierte. Wenn dich das Thema interessiert – zu Fritz Bauer kommt jetzt ein Film in die Kinos.

  2. Ja, das Buch kann ich auch jedem nur ans Herz legen – literarisch und thematisch. Eine fesselnde und Geschichte über die Einzelschicksale einer vierköpfigen Familie und ein ungeheuerlicher Einblick in die deutsche Vor- und Nachkriegsgeschichte. Besonders bewegt hat mich die Entscheidung, die noch kleinen Kinder allein ins englische Asyl zu schicken und die sich daran anknüpfenden Konsequenzen für die Eltern. Da ich selbst einen siebenjährigen Sohn habe, habe ich diese Teile der Geschichte besonders vehement nachempfunden.

    Ich habe den Roman schon 2012 gelesen und sehr bedauert, dass das Buch so teuer war (€ 27,–). Das hat m. E. der Verbreitung des Buches bislang immens geschadet. Ich hoffe und wünsche mir, dass die Taschenbuchausgabe ihm jetzt die verdiente Aufmerksamkeit verschafft. Sollte auf einigen Wunschzettel stehen.

  3. Hallo,
    Frau Krechels „Shanghai, fern von wo“ kann ich auch sehr empfehlen.
    (Jüdische Emigranten in Shanghai, vor und unter der Besatzung durch japanische Truppen – quasi irgendwie der Vorgängerband)
    LG
    e.

  4. In der Tat: ein lesenswerter Roman, aber an einigen Stellen leider zu bürokratisch, sperrig. Ebenso zu empfehlen: Krechels „Shanghai fern von wo“.

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