Kluge Köpfe

Women & Power – Mary Beard

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Mary Beard argumentiert in diesem brillianten kleinen Büchlein, dass Frauen seit den ersten Niederschriften der alten Griechen zurückgehalten und ihre Stimmen unterdrückt wurden. Ein essentiell wichtiges feministisches Dokument in der Diskussion, wie wir es als Gesellschaften schaffen, Frauen mehr Macht- und Sprachanteilen zu ermöglichen. In meinen Augen ist es eine Frage der Intelligenz und auch der moralischen Integrität sich (auch als Mann) als Feminst/in zu bezeichnen. Unsere sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konventionen müssen von Grund auf neu gedacht werden um sie zu öffnen, gesamtheitlicher und fairer zu gestalten.

You cannot easily fit women into a structure that is already coded as male; you have to change the structure.”

Am Beispiel des Telemachus, Odysseus‘ Sohn,  zeigt sie das erste schriftliche Zeugnis des systematischen Stillschweigens mit dem man Frauen seit Jahrhunderten belegt:

„The process starts in the first book with Penelope coming down from her private quarters into the great hall, to find a bard performing to throngs of her suitors; he’s singing about the difficulties the Greek heroes are having in reaching home. She isn’t amused, and in front of everyone she asks him to choose another, happier number. At which point young Telemachus intervenes: ‘Mother,’ he says, ‘go back up into your quarters, and take up your own work, the loom and the distaff … speech will be the business of men, all men, and of me most of all; for mine is the power in this household.’ And off she goes, back upstairs…“

„When it comes to silencing women, Western culture has had thousands of years of practice.“

Mary Beard ist eine Altphilologin mit immensem Wissen und einem Hirn, auf das ich neidisch bringt. Sie bringt für mich neue Perspektiven in diese viel diskutierte Problematik und scheut sich auch nicht, unbequem zu sein. In Großbritannien ist sie insbesondere unter jungen Frauen gerade ein absoluter Star und ich hoffe, ich werde irgendwann einmal die Möglichkeit haben, sie live zu hören. Bis dahin begnüge ich mich mit einem ihrer Vorträge auf youtube: Unbedingt angucken, die Frau ist einfach klasse:

„The Fire Next Time“ – James Baldwin

 

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„And all this is happening in the richest and freest country in the world, and in the middle of the 20th century. The subtle and deadly change of heart that might occur and you would be involved with the realization that a civilization is not destroyed by wicked people; it is not necessary that people be wicked but only that they be spineless.“

Das zweite Buch aus dem Bowie Bookclub war eine ganz große Entdeckung für mich. Ich kannte bislang nur seinen Roman „Giovannis Room“, den ich sehr gerne gelesen habe und der in unserem Bookclub für sehr interessante Diskussionen sorgte. Ich habe vor einer Weile eine Dokumentation über ihn gesehen. „The Fire Next Time“ ist ein unglaublich klarsichtiger, bitter-aufrüttelnder Text, der leider nur wenig von seiner Aktualität und Notwendigkeit verloren hat, seit seiner Veröffentlichung 1962.

Der Text ist in Form eines Briefes an seinen Neffen geschrieben mit dem Titel „Letter to my nephew on the 100th anniversary of the emancipation“ und zeigt seine Gedanken zum Zustand der Gesellschaft und den Auftrag und die Hoffnung für den Neffen, dieser mit Achtung und Liebe zu gegegnen, auch wenn diese Gesellschaft alles andere als liebenswert ist. Der zweite Teil „Down at the Cross: Letter from a Region in My Mind“ ist autobiographischer, stärker politische Analyse und er reflektiert über seine eigene Rolle in der Bürgerrechtsbewegung der afroamerikanischen US-Bürger.

Der Text ist erschreckend brilliant und ich habe gefühlt das halbe Buch unterstrichen und weiß aus der Fülle gar nicht, welche Zitate ich auswählen soll. Es ist krass, wie wenig sich seit den 1960 Jahren verändert hat und mit dem Zitat hier hat er nicht ganz unrecht, wobei ich fürchte man kann „Amerika“ hier mit fast jedem Land ersetzen. Es ist absolut nicht nachvollziehbar wie unmenschlich Afro-Amerikaner behandelt wurden und teilweise noch werden.

“I imagine one of the reasons people cling to their hates so stubbornly is because they sense, once hate is gone, they will be forced to deal with pain.”

Trotz seiner Offenheit ist es kein ausschließlich wütendes Buch sondern ein Buch basierend auf seinen eigenen persönlichen Erfahrungen und es ist hoffnungsvoll und bietet Lösungen an. Ein Buch, das ich eigentlich zur Schullektüre machen wollen würde, hätte ich nicht das Gefühl, damit tut man Büchern nicht unbedingt einen Gefallen. Ein wichtiges, wunderbares Buch.

“The impossible is the least that one can demand.” 

Das hier ist Wasser / This is water – David Foster Wallace

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Irgendjemand hat „This Is Water“ mit Rilkes „Brief an einen jungen Dichter“ verglichen und der Vergleich ist nicht schlecht, auch wenn es sich hier nicht um eine Briefsammlung handelt, sondern um eine Rede vor Universitätsabsolventen, die Wallace 2005 am Kenyon College gehalten hat.

In dieser Rede spricht er darüber dass das Wichtigste im Leben eines reflektierten Individuums die Fähigkeit ist, zu erkennen, dass man selbst dafür verantwortlich ist zu entscheiden, welche Perspektive man in sämtlichen Situationen einnehmen will. Das Einnehmen der Perspektive ist eine bewusste Entscheidung (wenn auch nicht immer eine einfache) und das Wichtigste ist, uns von unser permanenten Ich-Bezogenheit frei zu machen. Wir können heulen, weil es an unserem Geburtstag regnet und auch noch überzeugt davon sein, dass es auch immer nur an unserem Geburtstag immer regnet, oder aber wir ändern unsere Perspektive und versuchen, das Beste draus zu machen.

“The really important kind of freedom involves attention, and awareness, and discipline, and effort, and being able truly to care about other people and to sacrifice for them, over and over, in myriad petty little unsexy ways, every day.”

Wallace argumentiert, dass das eigentliche Ziel von Universitätsabschlüssen sein muss, den Menschen eine Wertschätzung für den Prozess des Lernens und Verstehens zu vermitteln sowie die Fähigkeit, emphatisch zu sein und sich in die Schuhe eines anderen begeben zu können. Immer wieder verdeutlicht er durch Beispiele, dass Gedanken wie „immer stehe ich in der langsamsten Kasse im Supermarkt“ einen nicht nur unglücklich machen, sondern man sich immer mal vor Augen halten sollte, woran es liegen könnte, dass es gerade langsam ist an der Kasse. Hält da vielleicht jemand für seine Einkäufe sämtliche gesammelten Coupons der letzten Wochen hin, nicht um seine Umwelt zu ärgern, sondern weil er einfach nicht genug Bargeld hat um die Lebensmittel sonst zu kaufen…?

“The really important kind of freedom involves attention, and awareness, and discipline, and effort, and being able truly to care about other people and to sacrifice for them, over and over, in myriad petty little unsexy ways, every day.”

Wallace versucht in diesem kurzen Text zu zeigen, was es bedeutet, ein leidenschaftliches und bedeutungsvolles Leben zu leben.  Die Message ist einfach aber zutiefst bewegend sowohl in Textform als auch noch mal mehr wenn man ihn selbst sprechen hört:

Drei immens kluge Köpfe, von denen ich unbedingt noch sehr viel mehr lesen möchte. Kennt ihr diese Texte und welche haben euch besonders bewegt, die ich vielleicht auch noch lesen sollte?

3 Kommentare zu “Kluge Köpfe

  1. Wenn Du Dich für altgriechische Perspektiven auf diese Problematiken interessierst, sind „Die Weibervolksversammlung“ und „Lysistrate“ von Aristophanes aus dem 5. Jh. v.Chr. sehr schöne Bücher, die es beide als Reclam-Ausgabe gibt. „Lysistrate“ ist eine etwas ernstere Komödie, während die „Weibervolksversammlung“ etwas zotiger ist. Sehr schön ist, wie vielschichtig Aristophanes hinsichtlich seines Humors denkt und arbeitet.

    Man muss allerdings damit klar kommen, dass der Humor teilweise sexuell ziemlich explizit ist. Das ist für heutige Leserinnen und Leser vermutlich ein bisschen ungewöhnlich.

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