Glücklich die Glücklichen – Yasmina Reza

10981395_10152715671520823_6991164380560611529_n Ob irgendeiner der 18 Protagonisten mit einem fluffigen Verwöhn-Pancake-Frühstück hätte glücklich gemacht werden können, wage ich fast ein wenig zu bezweifeln, mich hat es rundum entzückt, den Tag so zu starten. Yasmina Reza ist bekannt für ihre perfekt durchstrukturierten, passgenauen Theaterstücke, die einen so wunderbar leiden lassen beim Zuschauen. „Drei mal Leben“ habe ich vor Jahren gesehen, „Kunst“ und „Der Gott des Gemetzels“ – bei keiner Autorin bröckelt die bürgerliche Fassade schneller.

„…ich kauf dir einen neuen Stift, mit dem da machst du dir die Finger dreckig. Antoine antwortete ihm, nicht nötig, ich brauche keinen Stift mehr, um glücklich zu sein. Das ist das Geheimnis, sagte Ernest, und dieses Kind hat es verstanden, den Anspruch auf Glück auf das Minimum zu reduzieren.“ „Du hast Recht, Glücklichsein ist Veranlagungssache.“

Was dahinter auftaucht ist meist nicht unbedingt schön, aber es gehört zu uns und Reza hält unbarmherzig und analytisch den Scheinwerfer drauf. Zum Glück ist das nicht immer furchtbar tragisch und ernst, sondern häufig verdammt komisch. „So ein Gefühl, das man auch als Paar haben kann, wenn der andere sich in sich selbst zurückzieht und man darin ein Vorzeichen des Verlassenwerdens sieht.“ 096 „All die Verrückten, die Verfluchten, die Verbrecher sind Kinder gewesen, haben gespielt wie du, haben geglaubt, dass etwas Schönes sie erwarte“ (Pavese) „Es ist viel zu selten vom Einfluß der Örtlichkeiten auf die Affekte die Rede.“

„Es ist eine Dummheit zu glauben, Gefühle brächten einen näher, im Gegenteil, sie bekräftigen die Distanz zwischen den Menschen.“

Wie in ihrem Roman „Glücklich die Glücklichen“ – gleich in der ersten Geschichte gibt es Situationskomik vom Feinsten. Ein elementarer Ehestreit an der Käsetheke, ausgelöst durch den falsch gekauften Käse. In seiner ernsthaftigen Lächerlichkeit, mit der die beiden miteinander ringen, als würde es um weiß Gott etwas gehen. Der Kampf um den Käse als Sinnbild für ein Leben voller Frustrationen. Ein grandioser Einstieg. Jedes Kapitel ist einer Person gewidmet, deren Erlebnisse, Gedanken und Erinnerungen wiedergegeben werden und die mit den anderen Protagonisten des Romans überlappen. Dadurch werden langsam die Beziehungen untereinander klar. Es hat mich an unser Bookclub Meeting letzten Monat erinnert, wo wir für Donal Ryan’s Buch „The Spinning Heart“ auch ein Diagramm aufgemalt hatten, wer mit wem in Beziehung steht, das wäre hier auch durchaus hilfreich.

Reza schreibt kondensiert und packt immer wieder Sätze dazwischen, die reinhauen wie Faustschläge. Wir treffen fast ausschließlich die High End Vertreter der gehobenen französischen Mittelschicht. Staatsanwälte, Ärzte, Bänker, Industrielle – ein munterer Reigen von Vertretern, die ich mir alle ohne Probleme als Eltern der wohlstandsverwahllosten Axolotl Protagonistin vorstellen konnte. Nach außen haben sie alle das fast perfekte Leben, doch nur Millimeter unter der Oberfläche da rumort es. Das da überall mehr Schein als Sein ist, ist ja nicht wirklich überraschend und es ist vielleicht auch meine einzige Kritik an diesem wirklich gelungenen Episodenroman, Reza führt das manchmal vor, als wäre es etwas staunenswertes. Schau, auch nur Schein – ähm ja, hätte nix anderes erwartet. Wieso erstaunt sie das so frag ich mich?

Eine weitere wunderbare Geschichte ist die des Ehepaars Hutner, deren Sohn glaubt Celine Dion zu sein. Trotz aller Tragik ist sie wunderschön und vor allen Dingen sehr lustig. Wie traurig aber, dass die Hutners lieber erzählen, ihr Sohn sei im Ausland, als das herauskommen könnte das er in einer psychiatrischen Klinik ist. Trotz all dem Glück im Titel überwiegt doch die Traurigkeit. Wir können nicht aufhören, dem Glück hinter herzulaufen und immer glauben wir es definitiv zu finden, wenn wir nur DIESE Person oder DIESEN Job oder was auch immer bekommen können. Und wenn wir haben, was wir wollen, fangen wir an die Fehler zu suchen und das vermeintliche Glück zu sezieren.

„Glücklich die Geliebten und die Liebenden und die auf die Liebe verzichten können. Glücklich die Glücklichen. (Jorge Luis Borges)

Ja, Celine Dion hätte sicherlich wundervoll gepasst als Musik zum Buch, aber sorry geht gar nicht, dann lieber mal ohne Musik 😉